Oberlandesgericht Oldenburg:
Beschluss vom 25. Januar 2007
Aktenzeichen: 1 Ws 573/06
(OLG Oldenburg: Beschluss v. 25.01.2007, Az.: 1 Ws 573/06)
Macht der von einem Pflichtverteidiger verteidigte Angeklagte nach seinem Teilfreispruch in dessen Umfang Wahlverteidigergebühren geltend, so ist der ihm zustehenden Anspruch nicht um die vollen bereits ausgezahlten Pflichtverteidigergebühren, sondern nur um die auf den Teilfreispruch entfallenden Pflichtverteidigergebühren zu kürzen.
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde des Angeklagten wird der Beschluss der Rechtspflegerin des Landgerichts Oldenburg vom 16.01.2006 geändert.
Die aufgrund des Urteils des Landgerichts Oldenburg vom 17.12.2003 von der Staatskasse dem Angeklagten zu erstattenden Kosten werden auf 215,82 € nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit dem 31.03.2004 festgesetzt.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Angeklagte nach einem Wert von 1.367,64 € zu tragen. Die Beschwerdegebühr wird jedoch um 4/25 ermäßigt.In diesem Umfang hat die Landeskasse auch die notwendigen Auslagen des Angeklagten im Beschwerdeverfahren zu tragen.
Gründe
Das Landgericht Oldenburg hat den Angeklagten am 17.12.2003 wegen Diebstahls in 3 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 1 Jahr und 6 Monaten verurteilt, wobei die Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Im Übrigen hat es den Angeklagten vom Vorwurf, am 18.12.2002 den M....-Getränkemarkt in Delmenhorst überfallen zu haben (Fall 2 der Anklage) und sich gemäß den Punkten 3 bis 11 der Anklage des Diebstahls schuldig gemacht zu haben, freigesprochen. Im Umfang der Freisprechung hat das Landgericht die Kosten des Verfahrens sowie die entstandenen notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse auferlegt.
Dem Angeklagten waren Rechtsanwalt S.... (nur für den Verhandlungstag am 19.11.2003) und Rechtsanwalt M.... als Pflichtverteidiger beigeordnet worden.Pflichtverteidigergebühren in Höhe von2.642,64 €inklusive Reisekosten sind mit Beschluss des Landgerichts vom 03.03.2004 entsprechend dem Antrag vom 19.12.2003, auf den Bezug genommen wird, festgesetzt und ausgezahlt worden.
Mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 30.03.2004, bei Gericht eingegangen am 31.03.2004, hat der Angeklagte beantragt, Gebühren und Auslagen nebst Zinsen gegenüber der Landeskasse festzusetzen, soweit er freigesprochen worden ist.
Der Angeklagte geht davon aus, dass im vorliegenden Falle eines Teilfreispruchs die Differenzmethode Anwendung findet. Von den fiktiv zu bildenden Wahlverteidigergebühren für das gesamte Verfahren, die er auf2.890,14 €(2.491,50 € netto) beziffert, setzt er die ebenfalls fiktiv zu bildende Gebühr für diejenigen Delikte ab, bezüglich derer eine Verurteilung erfolgt ist, und die er mit617,70€ (532,50 € netto) angibt. Auf die so ermittelten ausscheidbaren Kosten in Höhe von2.272,44 €(inkl. MWSt) rechnet er gezahlte Pflichtverteidigergebühren nur insoweit an, als sie auf den Freispruch entfallen. Unter Abzug von 904,80 € (4 x 195,00 € + Mehrwertsteuer, Blatt 180) errechnet er einen Erstattungsanspruch in Höhe von1.367,64 €.
Die Rechtspflegerin des Landgerichts Oldenburg hat mit Beschluss vom 16.01.2006 unter Bezugnahme auf die Stellungnahmen der Bezirksrevisorin vom 4.11.2004 ( 242) und 1.2.2005 ( 248) den Kostenfestsetzungsantrag des Verteidigers vom 30.03.2004 zurückgewiesen (263). Sie geht davon aus, dass die vorher gezahlten Pflichtverteidigergebühren in vollem Umfang in Abzug zu bringen seien, so dass ein Erstattungsanspruch nicht mehr bestehe.
Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner sofortigen Beschwerde, mit der er die beantragte Festsetzung weiter verfolgt. Anzurechnen seien die gezahlten Pflichtverteidigergebühren nur im anteiligen Verhältnis von Freispruch zu Verurteilung. Die Anrechnung sämtlicher erstatteter Pflichtverteidigergebühren sei unbillig. Auf jeden Fall seien die erstatteten Kopierkosten bei der Anrechnung unberücksichtigt vor zu lassen. Eine Besserstellung des Wahlanwalts sei hier nicht gegeben, da die Mehrkosten eines auswärtigen Verteidigers im vorliegenden Fall als notwendige Kosten erstattungsfähig seien, denn der Angeklagte habe sich bei Auftragserteilung in der JVA V.... in Untersuchungshaft befunden. Erstattete Reisekosten seien jedenfalls aus diesem Grunde nicht mindernd auf die Wahlverteidigergebühren anzurechnen.
Die Rechtspflegerin hat der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen.
Das Rechtsmittel hat teilweise Erfolg.
Im Ausgangspunkt schließt sich der Senat der Auffassung des Landgerichts an, wonach bei einem Teilfreispruch der Erstattungsanspruch nach der Differenzmethode zu berechnen ist. Es ist nicht zu beanstanden, dass der Angeklagte im Falle einer Anklage nur wegen der verurteilten Taten von Gebühren gemäß § 84 Abs. 1 in Verbindung mit § 83 Abs. 1 Nr. 3 BRAGO in Höhe von 177,50 € und gemäß § 83 Abs. 1 Nr. 3 BRAGO in Höhe von 355,00 €, insgesamt also532,50 €ausgegangen ist, so dass sich zu den vom Verteidiger bestimmten angemessenen Gesamtgebühren von2.491,50 €(487,50 € + 975,00 € + 804,00 € + 225,00 €) nach Abzug von 532,50 € eine Differenz von insgesamt1.959 €zuzüglich Mehrwertsteuer =2.272,44 €an ausscheidbaren, auf die Freisprüche entfallenden Kosten ergibt.
10Entgegen der Auffassung des Landgerichts und der Bezirksrevisorin ist der Erstattungsanspruch nach § 100 Abs. 1 Satz 2 BRAGO jedoch nicht um die vollen aus der Staatskasse gezahlten Pflichtverteidigergebühren zu kürzen. Dies erscheint nicht sachgerecht, weil die Pflichtverteidigergebühren sowohl den verurteilenden als auch den freisprechenden Teil betreffen (so OLG Celle, NJW 2004, 2396; OLG Düsseldorf, NStZ - RR 1999, 64; Löwe - Rosenberg - Hilger StPO, 25. Auflage, § 465 Rdn. 42 a. E.; Hartmann, Kostengesetze, 35. Auflage, § 52 Rdn. 11;a. A.:HansOLG Hamburg Rechtspfleger 1999, 413; Saarl.OLG Rechtspfleger 2000, 564; Gerold/Schmidt/von Eicken/Madert/Müller-Rabe RVG, 16. Auflage, § 56 Rdn. 17). Nur soweit die erstatteten Pflichtverteidigergebühren den freisprechenden Teil des Urteils betreffen, werden die ausscheidbaren Wahlverteidigergebühren durch die Erstattung abgegolten, so dass auch nur dieser Anteil der Gebühr nach §§ 97, 83 BRAGO anzurechnen ist. Die volle Anrechnung der Verteidigergebühren würde insbesondere dem Grundgedanken des § 465 Abs. 2 StPO nicht gerecht, nachdem der Angeklagte von allen Mehrkosten einschließlich seiner eigenen notwendigen Auslagen freigestellt werden soll, die durch den Anklagevorwurf, der sich nach erfolgtem Freispruch als unberechtigt erwiesen hat, veranlasst worden sind. Denn regelmäßig übersteigen die für das gesamte Verfahren berechneten Pflichtverteidigergebühren den nach der landeskassenfreundlichen Differenzmethode für den freizusprechenden Teil ermittelten fiktiven Erstattungsanspruch. Im Ergebnis würde deshalb die Auslagenentscheidung des Gerichts in diesen Fällen regelmäßig leerlaufen, was für den rechtsunkundigen Laien nicht nachvollziehbar wäre. Zu berücksichtigen ist der Grundsatz, dass bei einem Teilfreispruch der Verurteilte hinsichtlich der Kosten und Auslagen so gestellt werden muss, wie er gestanden hätte, wenn allein die zur Verurteilung führende Tat Gegenstand des Verfahrens und die Tat wegen der er freigesprochen worden ist, Gegenstand eines anderen Verfahrens gewesen wäre. Nur die auf den verurteilenden Teil entfallendenden Kosten sind vom Angeklagten zu tragen. Nach dem sich aus § 465 Abs. 2 StPO ergebenden Grundgedanken ist der Angeklagte aber von allen Mehrkosten und seinen eigenen notwendigen Auslagen freizustellen, die durch den Anklagevorwurf, von dem er freigesprochen worden ist, veranlasst worden sind. Diese Kosten und die dem Angeklagten insoweit erwachsenen notwendigen Auslagen sind aus der Staatskasse zu erstatten (OLG Düsseldorf, JurBüro 1990, 1662).
Der auf den Freispruch entfallende fiktive Gebührenanteil beträgt im Verhältnis zu den Gesamtgebühren 78,63 % ( 1959 € zu 2491,50 €). In diesem Verhältnis sind auch die bereits erstatteten Pflichtverteidigergebühren( nicht Auslagen) auf den Freispruch entfallen. 78,63 % der erstatteten Pflichtverteidigergebühren von 1.772,95 € sind 1.394,07 €. In dieser Höhe hat eine Anrechnung der gezahlten Pflichtverteidigergebühren gemäß § 100 Abs. 1 Satz 2 BRAGO zu erfolgen, so dass ein noch zu erstattender Betrag von 564,93 € verbleibt, dem die Umsatzsteuer gemäß § 25 Abs. 2 BRAGO hinzuzurechnen ist, so dass sich ein Gesamtbetrag von655,32 €ergibt.
Von diesem Betrag sind jedoch die Pflichtverteidigergebühren abzusetzen, die aufgrund der Verurteilung angefallen sind, denn insoweit hat der Bezirksrevisor im Namen der Landeskasse die Aufrechnung mit den Kosten des Verfahrens erklärt (vgl. AV des Niedersächsischen Justizministeriums vom 30.08.2000 - 5200 - 104.19). Nach Abzug des insoweit anzusetzenden Betrages von439,50 €verbleibt ein zu erstattender Betrag in Höhe von215,32 €.
Der Ausspruch über die Verzinsung folgt aus § 464 b, Satz 2 und 3 StPO in Verbindung mit § 104 Abs. 1 ZPO.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 4 StPO.
OLG Oldenburg:
Beschluss v. 25.01.2007
Az: 1 Ws 573/06
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