Landgericht München I:
Urteil vom 19. Juli 2011
Aktenzeichen: 33 O 17644/10

(LG München I: Urteil v. 19.07.2011, Az.: 33 O 17644/10)

Tenor

I. Die Beklagte wird verurteilt, es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung fälligen Ordnungsgeldes bis zu 250.000,-- Euro, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, letztere zu vollziehen an deren Geschäftsführer, zu unterlassen,

im geschäftlichen Verkehr handelnd

1. Bestellungen apothekenpflichtiger Arzneimittel von Patienten entgegenzunehmen

und

2. apothekenpflichtige Arzneimittel an Patienten auszuliefern bzw. ausliefern zu lassen, insbesondere dergestalt, dass die Beklagte bei ihr bestellte apothekenpflichtige Arzneimittel über eine öffentliche Apotheke an Patienten ausliefern lässt

und/oder

3. eine durch die Beklagte erfolgende Auslieferung apothekenpflichtiger Arzneimittel zu bewerben, insbesondere wenn dies geschieht, wie in dem nachfolgend eingelichteten Patienten-Anschreiben mit beigefügtem Lieferservice-Auftrag:

II. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 208,65 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus ab dem 03.11.2010 zu zahlen.

III. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

IV. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 20.000,-- Euro vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Der Kläger macht gegen die Beklagte wettbewerbsrechtliche Unterlassungs- und Kostenerstattungsansprüche geltend.

Der Kläger ist ein eingetragener Verein zur Förderung gewerblicher Interessen, insbesondere zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs.

Bei der Beklagten handelt es sich um die deutsche Konzerngesellschaft des Arzneimittelherstellers C., der sich mit weltweit rund 3.700 Mitarbeitern der Forschung und Entwicklung von Arzneimitteln in den Bereichen Schmerztherapie, Onkologie und Erkrankungen des zentralen Nervensystems widmet.

Zu den von der Beklagten vertriebenen Arzneimitteln gehört das Arzneimittel "A...®", das in verschiedenen Darreichungsformen (Ampullen, Fertigspritze bzw. sog. Pen) angeboten wird (vgl. dazu Fachinformationen, Anlagenkonvolut B 1). "A®" dient zur Behandlung von motorischen Fluktuationen ("On-Off"-Phänomen) bei Patienten mit Parkinsonscher Krankheit, die durch orale Antiparkinsonmittel nicht ausreichend behandelbar sind (vgl. dazu Wikipedia, Anlage B 2). Bei "A®" handelt es sich um eine sog. Dauermedikation. Das gebrauchsfertige Arzneimittel kann der Patient bei sich zu Hause im Kühlschrank lagern und sich bei Bedarf (dem Beginn sog. "Off"-Symptome) injizieren bzw. injizieren lassen.

Beschwerdehalber wurde der Kläger auf das nachfolgend wiedergegebene Patientenanschreiben der Beklagten aufmerksam, mit welchem diese ihren Lieferservice für das Medikament "A®" bewirbt (vgl. Patientenanschreiben, Anlage K 1 bzw. Anlage B 4):

Mit dem dem vorgenannten Patientenanschreiben beiliegenden Auftragsformular (vgl. auch Anlage B 5) hat der Patient die Möglichkeit, unter Angabe seiner Anschrift verschiedene Dienstleistungen der Beklagten auszuwählen. Bei diesen handelt es sich neben dem nochmals ausdrücklich als solchen bezeichneten kostenfreien Lieferservice für die von dem jeweiligen Arzt verordneten Medikamente und Verbrauchsartikel auch um Erinnerungsanrufe für Folgerezepte, die Anforderung solcher Folgerezepte bei dem behandelnden Arzt sowie den Ausgleich der gesetzlich vorgeschriebenen Rezeptzuzahlung nach entsprechender Einzugsermächtigung. Nach einer telefonischen Anmeldung über das "A-...®"- Service-Telefon erhält der Patient folgende Anmeldebestätigung (vgl. Bestätigung, Anlagen K 2 bzw. B 3):

Mit Schreiben vom 21.06.2010 mahnte der Kläger die Beklagte ab und forderte diese erfolglos zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung auf (vgl. Abmahnung, Anlage K 3 und nachfolgende Korrespondenz, Anlagen K 4 bis K 6).

Der Kläger trägt vor, zu seinen über 1.800 Mitgliedern zählten unter anderem die Industrie- und Handelskammern sowie die meisten Handwerkskammern. Unstreitig gehörten nach § 2 Abs. 1 IHKG sämtliche Pharmaunternehmen in Deutschland den Industrie- und Handelskammern an. Aufgrund dieser Mitgliederstruktur sei seine umfassende Klagebefugnis und Aktivlegitimation gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG in ständiger Rechtsprechung des BGH anerkannt. Gleiches gelte für die Aktivlegitimation nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 UKlaG.

Nach Ansicht des Klägers stünden ihm die geltend gemachten Unterlassungsansprüche aus § 43 AMG i. V. m. §§ 3, 4 Nr. 11, 8 Abs. 1 und 3 Nr. 2 UWG bzw. §§ 2 Abs. 1 und 2 Nr. 5, 3 Abs. 1 Nr. 2 UKlaG zu. Die Beklagte verstoße mit dem von ihr beworbenen "A-...®-Lieferservice" gegen § 43 Abs. 1 AMG, da apothekenpflichtige Arzneimittel nur in Apotheken an Patienten abgegeben werden dürften, die Beklagte aber gegenüber Patienten damit werbe, diese kostenfrei mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln zu beliefern. Selbst wenn die Beklagte lediglich einen entsprechenden Lieferservice vermitteln würde, ändere dies nichts an einem Verstoß gegen § 43 AMG (vgl. Internetausdruck, Anlage K 9). Das danach Apotheken vorbehaltene Inverkehrbringen apothekenpflichtiger Arzneimittel umfasse nach der Legaldefinition des § 4 Abs. 17 AMG insbesondere die Abgabe. Als Abgabe gelte die Einräumung der Verfügungsgewalt an einen anderen durch körperliche Überlassung des Arzneimittels, wofür es nach einhelliger Meinung nicht ausreiche, einem anderen das jeweilige Arzneimittel lediglich körperlich zu überlassen. Von der für eine Abgabe erforderlichen Einräumung der Verfügungsgewalt sei vielmehr erst dann auszugehen, wenn dem anderen zusätzlich die Befugnis eingeräumt werde, seinerseits über das Arzneimittel zu verfügen und es mithin selbständig weiterzugeben. Selbst wenn also die Beklagte eine öffentliche Apotheke für den von ihr beworbenen Lieferservice zwischenschalten sollte, brächte nach diesem maßgeblichen Kriterium der Einräumung der Verfügungsgewalt weiterhin nicht diese Apotheke das bei der Beklagten bestellte Arzneimittel in Verkehr, sondern allein die Beklagte. Es bleibe nämlich nicht der jeweiligen Apotheke überlassen, ob und unter welchen Modalitäten diese das bei der Beklagten bestellte Arzneimittel einem Patienten ausliefere, weil der Patient eine ganz konkrete Belieferung mit einem ganz konkreten Arzneimittel bestellt habe. Die gegebenenfalls von der Beklagten zwischengeschaltete Apotheke handle letztlich nur in deren Auftrag und habe daher deren Weisungen hinsichtlich der Arzneimittelauslieferung zu befolgen. Durch ein solches Vorgehen werde aber das gesamte deutsche Apothekensystem, für das sich der Gesetzgeber bewusst und mit guten Gründen entschieden habe, ausgehöhlt. Schon mit der Entgegennahme solcher Bestellungen, welche darin zu sehen seien, dass der Patient durch seine entsprechende Willenskundgebung die Beklagte dazu veranlasse, dafür zu sorgen, dass er regelmäßig mit dem in Rede stehenden Arzneimittel versorgt werde, verstoße die Beklagte gegen § 43 AMG. In Bezug auf den Klageantrag Ziffer I.3 werde ergänzend auf § 10 Abs. 1 HWG hingewiesen.

Gemäß § 12 Abs. 1 S. 2 UWG bzw. § 5 UKlaG sei auch ein Anspruch auf anteiligen Ersatz der mit der Abmahnung verbundenen Personal- und Sachkosten in Form der geltend gemachten Kostenpauschale, mithin in Höhe von 195,-- Euro zzgl. 7 Prozent Mehrwertsteuer, gegeben.

Auf Hinweis des Gerichts hat der Klägervertreter seinen Antrag im Termin zur mündlichen Verhandlung dahingehend beschränkt, dass die Verknüpfung zwischen Ziffern 1. und 2. des Klageantrags Ziffer I. statt "und/oder" nur "und" lautet (vgl. Telefonvermerk, Bl. 59 d. A. und Protokoll, Bl. 64 d. A.).

Der Kläger beantragt daher zuletzt:

I. Die Beklagte wird verurteilt, es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung fälligen Ordnungsgeldes bis zu 250.000,-- Euro, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, letztere zu vollziehen an deren Geschäftsführer, zu unterlassen,

im geschäftlichen Verkehr handelnd

1. Bestellungen apothekenpflichtiger Arzneimittel von Patienten entgegenzunehmen

und

2. apothekenpflichtige Arzneimittel an Patienten auszuliefern bzw. ausliefern zu lassen, insbesondere dergestalt, dass die Beklagte bei ihr bestellte apothekenpflichtige Arzneimittel über eine öffentliche Apotheke an Patienten ausliefern lässt

und/oder (hilfsweise: und)

3. eine durch die Beklagte erfolgende Auslieferung apothekenpflichtiger Arzneimittel zu bewerben, insbesondere wenn dies geschieht, wie in dem nachfolgend eingelichteten Patienten-Anschreiben mit beigefügtem Lieferservice-Auftrag:

II. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 208,65 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.

Die Beklagte beantragt:

Klageanweisung.

Die Beklagte rügt die Klageanträge als nicht hinreichend bestimmt und bestreitet die Aktivlegitimation des Klägers. Zur Sache führt sie aus, keine Bestellungen von Patienten entgegenzunehmen und keine solchen Bestellungen auszuführen. Sie biete vielmehr durch einen darauf spezialisierten Dienstleister, die Firma M. M. Service GmbH mit Sitz in M. Patienten einen kostenlosen "A®"-Lieferservice an. § 43 AMG enthalte jedoch kein Werbeverbot. Entgegen dem als Anlage K 1 bzw. Anlage B 5 vorgelegten Lieferservice-Auftrag werde die Einzugsermächtigung für die Rezeptgebühren bzw. die Arzneimittelkosten nicht der Beklagten, sondern der jeweiligen Apotheke erteilt (vgl. Informationen, Anlagen B 7 a/b). Die Beklagte weist darauf hin, dass der Arzt unstreitig darin frei sei, welches Arzneimittel er dem Patienten verschreibe. Gleichermaßen sei aber auch der Apotheker darin frei, ob und zu welchen Bedingungen er die Verschreibung ausführe und das verschriebene Arzneimittel an den Patienten ausliefere. Es könne auch nicht ansatzweise die Rede davon sein, dass der Arzt oder der Apotheker nur der "verlängerte Arm" der Beklagten sei. Der angebotene Service stelle eine Möglichkeit für pflegebedürftige bzw. in ihrer Mobilität eingeschränkte Patienten dar, regelmäßig und zuverlässig mit Medikamenten versorgt zu werden, ohne sich um irgendetwas kümmern zu müssen.

Der geltend gemachte Kostenerstattungsanspruch bestehe schon deshalb nicht, weil der Kläger zum damaligen Zeitpunkt eine völlig andere Verpflichtung zur Unterlassung verlangt habe, als sie Gegenstand der vorliegenden Klage sei (vgl. vorformulierte Unterlassungserklärung, Anlage B 6).

Am 21.06.2011 ist ein nicht nachgelassener Schriftsatz des Beklagtenvertreters vom 21.06.2011 bei Gericht eingegangen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die wechselseitigen Schriftsätze samt Anlagen und die Sitzungsniederschrift vom 10.05.2011 (Bl. 60/65 d. A.) Bezug genommen.

Gründe

A.

Die Klage ist zulässig, insbesondere sind die Klageanträge hinreichend bestimmt.

Ein bestimmter Klageantrag gemäß § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO ist erforderlich, um den Streitgegenstand und den Umfang der Prüfungs- und Entscheidungsbefugnis des Gerichts festzulegen und die Tragweite des begehrten Verbots und die Grenzen seiner Rechtskraft zu erkennen. Der Verbotsantrag darf daher nicht derart undeutlich gefasst sein, dass sich der Gegner nicht erschöpfend verteidigen kann und die Entscheidung darüber, was dem Beklagten verboten ist, dem Vollstreckungsgericht überlassen wäre. Auch muss der Schuldner, der den Titel freiwillig befolgen möchte, hinreichend genau wissen, was ihm verboten ist. Zur Umschreibung des zu unterlassenden Verhaltens ist häufig die Verwendung mehr oder weniger unbestimmter oder mehrdeutiger Begriffe nicht zu vermeiden; gewisse Verallgemeinerungen sind zulässig, sofern darin das Charakteristische der konkreten Verletzungsform aus der begangenen Verletzungshandlung zum Ausdruck kommt (Köhler/Bornkamm/Köhler, UWG, 29. Auflage, § 12 Rdnr. 2.35 f., 2.43).

Diesen Anforderungen genügen die gestellten Klageanträge, die im Übrigen auch auf die konkrete Verletzungsform, nämlich das Informationsschreiben zum "A®"-Lieferservice und den entsprechenden Lieferservice-Auftrag der Beklagten Bezug nehmen.

Ein Fall der unzulässigen alternativen Klagehäufung im Sinne der TÜV-Entscheidung (BGH, Beschluss vom 24.03.2011, Az.: I ZR 108/09) liegt entgegen der Ansicht des Beklagtenvertreters nicht vor, der Kläger stützt den geltend gemachten Anspruch in erster Linie auf §§ 3, 4 Nr. 11 UWG i. V. m. § 43 AMG.

B.

Die Klage ist auch begründet.

I. Der Kläger ist zur Geltendmachung der streitgegenständlichen Unterlassungs- und Kostenerstattungsansprüche aktivlegitimiert im Sinne des § 8 Abs. 1 und 3 Nr. 2 UWG. Soweit die Beklagte in diesem Zusammenhang bestreitet, dass dem Kläger eine erhebliche Zahl von Unternehmern angehöre, die Waren oder Dienstleistungen gleicher oder verwandter Art auf demselben Markt vertreiben und dieser nach seiner personellen, sachlichen und finanziellen Ausstattung imstande sei, seine satzungsmäßigen Aufgaben der Verfolgung gewerblicher oder selbständiger beruflicher Interessen tatsächlich wahrzunehmen, so ist diese auf die einschlägige Kommentierung bei Köhler/Bornkamm/Köhler, UWG, 29. Auflage, Einl UWG Rdnr. 2.29 zu verweisen, wonach der Kläger aufgrund seiner Mitgliederstruktur die umfassende Verbandsklagebefugnis für das gesamte Bundesgebiet hat. Da dem Kläger insbesondere alle Industrie- und Handelskammern des Bundesgebiets angehören (vgl. Köhler/Bornkamm/Köhler, UWG, 29. Auflage, Einl UWG Rdnr. 2.29), und sämtliche Pharmaunternehmen in Deutschland nach § 2 Abs. 1 IHKG Pflichtmitglieder der Industrie- und Handelskammern sind, bestehen an der Anspruchsberechtigung des Klägers keine vernünftigen Zweifel.

II. Der Kläger kann von der Beklagten die Unterlassung der beanstandeten Handlungen aus §§ 3, 4 Nr. 11 UWG i. V. m. § 43 AMG verlangen.

1. Gemäß § 43 Abs. 1 S. 1 AMG, bei dem es sich um eine Marktverhaltensregelung im Sinne des § 4 Nr. 11 UWG handelt, dürfen Arzneimittel grundsätzlich nur in Apotheken € und ohne behördliche Erlaubnis nicht im Wege des Versandhandels € berufs- oder gewerbsmäßig für den Endverbrauch in den Verkehr gebracht werden. Maßgebender Gesichtspunkt für die gesetzliche Regelung des § 43 AMG ist der Schutz der Gesundheit von Mensch und Tier. Der von einem Apotheker persönlich und in eigener Verantwortung geführten Apotheke obliegt die im öffentlichen Interesse gebotene Sicherstellung einer ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung. Der Apotheker soll kraft seiner pharmazeutischen und pharmakologischen Ausbildung (Sachkenntnis) und Fähigkeiten (Erfahrung) bei der Abgabe von Arzneimitteln zum Endverbrauch sicherstellen, dass die Arzneimittel den Verbraucher mit ordnungsgemäßer Qualität erreichen und ihm die Informationen gegeben werden, die er für seine Person und nach seinen persönlichen Umständen für die zweckmäßige und sichere Anwendung des Arzneimittels benötigt. Er soll Fehlanwendungen und Missbräuchen vorbeugen. So hat auch das BVerfG die Beschränkung der Abgabe von Arzneimitteln auf Apotheken als verfassungsrechtlich zulässig und für notwendig erachtet, um eine sachverständige Beratung durch den Apotheker hinsichtlich der Auswahl des Arzneimittels und seiner Anwendung zu gewährleisten, einer Tablettensucht vorzubeugen und eine sachgemäße Prüfung der abzugebenden Arzneimittel zu ermöglichen und sicherzustellen (vgl. zum Ganzen Kloesel/Cyran, AMG, § 43 Ziff. 1 und 2).

2. Mit ihrem "A®"-Lieferservice verstößt die Beklagte gegen § 43 AMG.

a) Durch die mit den Klageanträgen Ziffern I. und II. beanstandete Entgegennahme von Bestellungen apothekenpflichtiger Arzneimittel von Patienten und deren nachfolgende Auslieferung entweder durch einen Dienstleister wie die Firma M. M. Service GmbH (vgl. Internetausdruck, Anlage K 9) oder durch eine öffentliche Apotheke wie die C.-Apotheke in München wird ein persönlicher Kontakt zwischen der Apotheke und dem Patienten oder der für diesen handelnden Betreuungspersonen verhindert. Dieser persönliche Kontakt, der der Apothekenpflicht zugrunde liegt, soll eine rechtzeitige umfassende und objektive Beratung gewährleisten, die auch und gerade darin bestehen kann, aus Verträglichkeits- oder Kostengründen auf ein alternatives Medikament hinzuweisen. Wenn € wie vorliegend von der Beklagten vorgetragen € die damit befasste Apotheke das bei dem gebührenfreien "A®"-Service-Telefon der Beklagten bestellte Medikament nur noch ausliefert, ist € anders als im Falle einer Versandhandelsapotheke, welche die Bestellungen zumindest noch selbst entgegennimmt € die dem Schutz der Volksgesundheit dienende Beratungsfunktion der Apotheken nicht mehr gewährleistet. Hinzu kommt, dass durch die von der Beklagten gewählte Konstruktion auch der Kontakt zum behandelnden Arzt vollständig unterbunden wird, da deren "A®"-Lieferservice auch die Anforderung von Folgerezepten beim jeweiligen Arzt übernimmt, so dass der Patient auch von dort aus keinerlei Aufklärung und Beratung durch einen unabhängigen Dritten mehr erhält. Entgegen den Ausführungen der Beklagten handelt es sich mithin nicht um einen Service, der den betroffenen Patienten die notwendige Unterstützung für die Beschaffung der benötigten Arzneimittel bietet, sondern im weiteren Sinne um eine Werbekampagne der Beklagten, die durch den "A®"-Lieferservice eine Art "Kundenbindung" erreichen möchte. Für einen derartigen Lieferservice besteht aber aus Sicht des betroffenen Verbrauchers kein Bedürfnis, da dieser zum einen € wie die Beklagte selbst ausführen lässt € häufig pflegebedürftig ist und mithin ohnehin auf fremde Hilfe angewiesen ist, so dass er sich die entsprechenden Medikamente nicht selbst besorgen muss, und zum anderen Apotheken auch ohne Zwischenschaltung der Beklagten auf Wunsch des Patienten die betreffenden Arzneimittel nach Hause liefern. Hinzu kommt, dass die Beklagte sog. Erinnerungsanrufe tätigt bzw. Folgerezepte beim behandelnden Arzt anfordert, obwohl es sich nach deren eigenen Vortrag um eine Bedarfsmedikation handelt, so dass für die Beklagte überhaupt nicht absehbar ist, wann der Vorrat des jeweiligen Patienten zur Neige geht. Hierfür ist zwingend eine Kontaktaufnahme mit dem Patienten nötig, der dann auf entsprechende Nachfrage das Medikament im Bedarfsfall auch bestellt. Die Abwicklung des von der Beklagten ausgelösten Bestellvorgangs erfolgt dabei ausschließlich über den von der Beklagten eingesetzten "A®"-Lieferservice, dem ausweislich des von der Beklagten selbst als Anlage B 5 vorgelegtem Lieferservice-Auftrags auch eine Ermächtigung zur Abbuchung der gesetzlich vorgeschriebenen Rezeptzuzahlung erteilt wird bzw. zumindest erteilt wurde. Die Rolle der nach dem Vortrag der Beklagten zwischengeschalteten Apotheke beschränkt sich in der vorliegenden Konstellation auf diejenige eines bloßen Lagerhalters, weshalb in den Informationen zum "A®"-Lieferservice wegen eventueller Fragen zur Therapie mit "A®" auch auf das "A®"-Serviceteam und nicht auf den Arzt oder Apotheker verwiesen wird. Darin liegt jedoch eine unzulässige Umgehung der Apothekenpflicht des § 43 AMG.

b) Auch die mit dem Klageantrag Ziffer III. beanstandete Bewerbung der Auslieferung apothekenpflichtiger Arzneimittel durch die Beklagte verstößt gegen § 43 AMG. Zwar ist der Beklagten darin Recht zu geben, dass § 43 AMG kein Werbeverbot enthält, sondern lediglich die Abgabe apothekenpflichtiger Arzneimittel außerhalb von Apotheken verbietet. Da jedoch die Entgegennahme der Bestellungen durch den "A®"-Lieferservice und die anschließende Auslieferung wie vorstehend ausgeführt gegen § 43 AMG verstoßen, ist auch das Bewerben eines solchen Lieferservices zu unterlassen.

3. Der Verstoß der Beklagten gegen § 43 AMG und der inmitten stehenden Belange der Volksgesundheit ist auch zur spürbaren Beeinträchtigung der Interessen von Mitbewerbern, Verbrauchern oder sonstigen Marktteilnehmern geeignet und stellt mithin zugleich auch eine unlautere geschäftliche Handlung im Sinne von § 3 Abs. 1 UWG dar.

4. Durch die erfolgte Verletzungshandlung ist die für den geltend gemachten Unterlassungsanspruch erforderliche Wiederholungsgefahr gegeben. Eine strafbewehrte Unterlassungserklärung hat die Beklagte nicht abgegeben.

III. Der Kläger kann von der Beklagten die Erstattung der im Zusammenhang mit der Abmahnung vom 21.06.2010 angefallenen Kosten in Höhe von 208,65 Euro aus § 12 Abs. 1 S. 2 UWG verlangen.

1. Die Abmahnung vom 21.06.2010 war berechtigt, da dem Kläger der geltend gemachte Unterlassungsanspruch zusteht. Entgegen der Auffassung des Beklagtenvertreters ergibt sich aus der genannten Abmahnung klar, welches Verhalten der Kläger beanstandet. Der der Abmahnung zugrunde gelegte Sachverhalt deckt sich mit dem verfahrensgegenständlichen Sachverhalt, da hier wie dort auf die Informationen und den Lieferservice-Auftrag des "A®"-Lieferservices Bezug genommen wird.

2. Die geltend gemachten Abmahnkosten sind auch der Höhe nach begründet. Der Kläger hat substantiiert vorgetragen, wie sich die geforderte Summe im Einzelnen zusammensetzt. Eine Beweisaufnahme hierzu war trotz des Bestreitens der Beklagten nicht erforderlich, da ausreichende Anhaltspunkte für eine Schätzung nach § 287 ZPO vorgetragen worden sind. Nicht zuletzt ist insoweit auch zu berücksichtigen, dass die eingeklagte Kostenpauschale exakt dem Betrag entspricht, der derzeit für Abmahnungen des Klägers allgemein anerkannt ist (vgl. Köhler/Bornkamm/Bornkamm, UWG, 29. Auflage, § 12 Rdnr. 1.98).

IV. Der zuerkannte Anspruch auf Zahlung von Verzugszinsen ist gemäß §§ 280 Abs. 1 und 2, 286, 288 Abs. 1 BGB begründet.

C.

Soweit der nachgereichte Schriftsatz des Beklagtenvertreters vom 21.06.2011 anderes als bloße Rechtsausführungen enthält, war er gemäß § 296 a ZPO nicht mehr zu berücksichtigen (Zöller/Greger, ZPO, 28. Auflage, § 132 Rdnr. 4), eine Wiedereröffnung der Verhandlung nach § 156 ZPO hinsichtlich des neuen Vortrags war nicht geboten (vgl. auch BGH NJW 2000, 142 f. und Zöller/Greger, ZPO, 28. Auflage, § 156 Rdnr. 4).

D.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 Abs. 2 Nr. 1, 269 ZPO. Die vorläufige Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in § 709 S. 1 ZPO.






LG München I:
Urteil v. 19.07.2011
Az: 33 O 17644/10


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