Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht:
Beschluss vom 22. Oktober 2014
Aktenzeichen: 8 LA 129/14

(Niedersächsisches OVG: Beschluss v. 22.10.2014, Az.: 8 LA 129/14)

Tenor

Die Anträge der Kläger auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Braunschweig - Einzelrichter der 8. Kammer - vom 20. August 2014 und auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Berufungszulassungsverfahren werden abgelehnt.

Die Kläger tragen die außergerichtlichen Kosten des Berufungszulassungsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Kosten des Verfahrens wegen Prozesskostenhilfe werden nicht erstattet.

Gründe

Der Antrag der Kläger auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts, mit dem dieses ihre Klage auf Anerkennung als Asylberechtigte, Verpflichtung der Beklagten zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, hilfsweise zur Feststellung von Abschiebungsverboten hinsichtlich der Republik Serbien und Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes vom 20. Dezember 2011 abgewiesen hat, bleibt ohne Erfolg.

Die Kläger stützen ihren Antrag auf die Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (1.) und des Verfahrensmangels (2.). Diese Gründe sind zum Teil schon nicht in einer den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO genügenden Weise dargelegt und liegen im Übrigen nicht vor.

1. Eine Rechtssache ist nur dann grundsätzlich bedeutsam im Sinne des § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG, wenn sie eine höchstrichterlich oder - soweit es eine Tatsachenfrage betrifft - obergerichtlich bislang noch nicht beantwortete Frage von allgemeiner Bedeutung aufwirft, die im Rechtsmittelverfahren entscheidungserheblich und klärungsfähig ist und im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Weiterentwicklung des Rechts einer fallübergreifenden Klärung in einem Berufungsverfahren bedarf (vgl. Senatsbeschl. v. 19.1.2011 - 8 LA 297/10 -, juris Rn. 4; GK-AsylVfG, Stand: April 1998, § 78 Rn. 88 f.; Hailbronner, Ausländerrecht, Stand: Juni 2011, § 78 Rn. 140 f. jeweils m.w.N.). Die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache ist daher nur dann im Sinne des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylVfG dargelegt, wenn eine derartige Frage konkret bezeichnet und darüber hinaus erläutert worden ist, warum sie im angestrebten Berufungsverfahren entscheidungserheblich und klärungsbedürftig wäre und aus welchen Gründen ihre Beantwortung über den konkreten Einzelfall hinaus dazu beitrüge, die Rechtsfortbildung zu fördern oder die Rechtseinheit zu wahren. Des Weiteren muss substantiiert dargetan werden, warum die aufgeworfene Frage im Berufungsverfahren anders als im angefochtenen Urteil zu entscheiden sein könnte und - im Falle einer Tatsachenfrage - welche neueren Erkenntnismittel eine anderslautende Entscheidung nahe legen (vgl. Senatsbeschl. v. 12.7.2012 - 8 LA 132/12 -, juris Rn. 3; GK-AsylVfG, a.a.O., § 78 Rn. 591 f. jeweils m.w.N.).

Hieran gemessen kommt den von den Klägern aufgeworfenen Fragen,

1. "ob gegenwärtig eine gefahrlose Rückkehrmöglichkeit von Roma serbischer Staatsangehörigkeit nach Serbien besteht",

2. "ob aktuell Roma serbischer Staatsangehörigkeit mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit mit einer Gefahr einer Verfolgung zu rechnen haben, die an ein asylrelevantes Merkmal, die Rasse, anknüpft, sie insbesondere durch den serbischen Staat in ihren elementaren Rechten auf Freizügigkeit beschnitten und kriminalisiert werden, weil sie von dem Menschenrecht der freien Ausreise Gebrauch machen",

3. "inwieweit das neue serbische Meldegesetz von asylerheblicher Beachtlichkeit ist, wonach sich Personen, die länger als 90 Tage im Ausland bleiben, vor ihrer Ausreise und bei ihrer Rückkehr bei den zuständigen serbischen Behörden melden müssen und Verstöße hiergegen mit Geldstrafen geahndet werden können",

4. "inwieweit nach € (§ 350a des serbischen Strafgesetzbuchs) allein wegen der Stellung eines Asylantrages im Ausland mit strafrechtlicher Verfolgung und Verurteilung zu rechnen ist",

5. "ob die neuen serbischen Ausreise- und Grenzkontrollbestimmungen ausdrücklich dazu bestimmt (sind) und eingesetzt werden, Angehörigen von Minderheiten die Ausreise aus Serbien zu erschweren oder diese unmöglich zu machen",

6. "ob schwer erkrankte Roma in Serbien uneingeschränkten und unbenachteiligten Zugang zur ärztlichen und medizinischen Versorgung haben, sie mithin ohne erhebliche Eigengefährdung auf das Gesundheitssystem verwiesen werden können",

7. "ob die insbesondere erhebliche Krankenversorgung von schweren depressiven Störungen unter besonderer Berücksichtigung von intensiver Medikation und stationären Behandlungen von Roma in Serbien zumutbar und hinreichend gesichert ist, als eine gefahrlose Rückkehr angenommen werden kann."

eine grundsätzliche Bedeutung nicht zu.

Die Frage zu 1. ist nicht entscheidungserheblich. Weder für die Anerkennung als Asylberechtigte oder die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft noch für die Feststellung von Abschiebungsverboten kommt es darauf an, ob Roma serbischer Staatsangehörigkeit "gefahrlos" nach Serbien zurückkehren können.

Die Frage zu 2. ist in der Rechtsprechung des Senats bereits dahingehend geklärt, dass eine allgemeine asylrelevante Gefahrenlage für Roma in Serbien und auch in Kosovo nicht besteht (vgl. zuletzt Senatsbeschl. v. 23.1.2014 - 8 LA 5/14 -; v. 22.1.2013 - 8 LA 19/13 - m.w.N.; vgl. auch OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 19.8.2011 - 5 A 416/11.A -, juris Rn. 7 f.; Sächsisches OVG, Beschl. v. 20.5.2011 - A 4 A 666/09 -, juris Rn. 6; VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 4.2.2010 - A 11 S 331/07 -, AuAS 2010, 190 f. jeweils m.w.N.).

Anlass, von dieser Rechtsprechung abzuweichen oder sie aufgrund einer relevanten Änderung der tatsächlichen Verhältnisse in einem Berufungsverfahren einer weitergehenden Überprüfung zu unterziehen, besteht nach dem Zulassungsvorbringen der Kläger auch mit Blick auf die weiteren, ohne Durchführung eines Berufungsverfahrens zu beantwortenden Fragen zu 3. bis 5. nicht.

Aus den von den Klägern präsentierten aktuellen Erkenntnismitteln (Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart v. 25.3.2014 - A 11 K 5036/13 -; Beschlüsse des Verwaltungsgerichts Münster v. 8.7.2014 - 4 L 461/14.A - und v. 28.5.2014 - 4 L 263/14.A -; Pro Asyl (Hrsg.), Serbien, Mazedonien und Bosnien und Herzegowina: Zur faktischen und rechtlichen Bewertung des Gesetzgebungsvorhabens der Großen Koalition zur Einstufung von Westbalkanstaaten als "sichere Herkunftsstaaten", April 2014,veröffentlicht unter www.proasyl.de/fileadmin/fm-dam/NEWS/2014/Pro_Asyl_Gutachten_zum_Vorhaben_der_Einstufung_von_Serbien__Mazedonien_und_Bosnien_und_Herzego-wina_als__sichere_Herkunftsstaaten_.pdf, Stand: 20.10.2014; Dr. Karin Waringo, Serbien - ein sicherer Herkunftsstaat von Asylsuchenden in Deutschland € Eine Auswertung von Quellen zur Menschenrechtssituation, April 2013, veröffentlicht unter www.proasyl.de/fileadmin/proasyl/Serbien_kein_sicherer_Herkunftsstaat.pdf, Stand: 20.10.2014) ergeben sich für den Senat insbesondere keine Anhaltspunkte für asylrelevante Eingriffe des serbischen Staates in die durch Art. 2 Abs. 2 des Protokolls Nr. 4 zur Europäischen Menschenrechtskonvention (BGBl. II 2002, 1074) geschützte Ausreisefreiheit von Angehörigen der ethnischen Minderheit der Roma.

Es ist zunächst nicht ersichtlich, dass die Bestimmungen des serbischen Melderechts (siehe Frage 3.) in asylrelevanter Weise in die Ausreisefreiheit der Angehörigen der ethnischen Minderheit der Roma eingreifen.

Das serbische Meldegesetz (ZAKON O PREBIVALI€TU I BORAVI€TU GRA€ANA, veröffentlicht unter: www.paragraf.rs/propisi/zakon_o_prebivalistu_i_boravistu_gradjana.html, Stand: 20.10.2014) sieht in Art. 19 zwar vor, dass serbische Bürgerinnen und Bürger sich bei den zuständigen Behörden abmelden müssen, wenn sie einen ständigen Aufenthalt von mehr als neunzig Tagen im Ausland beabsichtigen (Art. 19 Abs. 1 und 2). Nach der Rückkehr sind sie verpflichtet, sich binnen acht Tagen wieder anzumelden (Art. 19 Abs. 3). Verstöße gegen diese Meldepflichten können nach Art. 27 Abs. 1 Nr. 5 des serbischen Meldegesetzes mit einem Bußgeld von 10.000 bis 50.000 serbischen Dinar (etwa 85 bis 420 EUR bei einem Wechselkurs von 118,49 : 1, vgl. Deutsche Bundesbank, Devisenkursstatistik - Oktober 2014, Statistisches Beiheft 5 zum Monatsbericht, S. 37) geahndet werden.

Solche Meldepflichten und die Sanktionierung ihrer Nichterfüllung - die vergleichbar in deutschen melderechtlichen Vorschriften vorgesehen sind (vgl. etwa §§ 9 Abs. 2, 37 Abs. 1 Nr. 1 und 38 des Niedersächsischen Meldegesetzes vom 25.1.1998 (Nds. GVBl. S. 56), in der zuletzt durch das Gesetz vom 23.7.2014 (Nds. GVBl. S. 209) geänderten Fassung) - bewirken ersichtlich keinen unmittelbaren Eingriff in die Ausreisefreiheit. Allenfalls mittelbar könnte der Umfang der vorgesehenen Sanktion die Ausübung der Ausreisefreiheit faktisch beeinflussen. Einen solchen Einfluss hält der Senat mit Blick auf die hier vorgesehene Geldbuße aber für eher fernliegend. Auch für die behauptete selektive Anwendung der melderechtlichen Bestimmungen auf Angehörige der ethnischen Minderheit der Roma fehlt es an nachvollziehbarem Datenmaterial. Waringo (a.a.O., S. 41 in Verbindung mit Fn. 266) bezieht sich allein auf Informationen des Regional Center for Minorities. In dessen Bericht "Die Liberalisierung des Visasystems und Einschränkungen des Rechts auf Asyl - Zur Situation serbischer Roma, die im Ausland Asyl beantragt haben", Juli 2012 (veröffentlicht unter:www.fluecht-lingsrat-brandenburg.de/wp-content/uploads/2011/10/bericht-serbien1.pdf, Stand: 20.10.2014), wird auf Seite 45 zwar behauptet, "dass diese Bestimmung (Anm.: Art. 19 des serbischen Meldegesetzes) ausschließlich auf Angehörige der Romaminderheit angewendet wird, die in der EU oder in einem anderen Land des Schengenraums Asyl beantragt haben." Nachvollziehbar ist diese Behauptung indes nicht; Belege oder Datenmaterial fehlen vollständig.

Es ist auch nicht ersichtlich, dass Art. 350a des serbischen Strafgesetzbuchs (siehe Frage 4.) in asylrelevanter Weise in die Ausreisefreiheit der Angehörigen der ethnischen Minderheit der Roma eingreift.

Der durch Art. 33 des Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuchs neu eingefügte Art. 350a (veröffentlicht unter www.parlament.rs/upload/archive/files/lat/pdf/zakoni/2012/4108-12Lat.pdf, Stand: 20.10.2014 sieht nur eine Bestrafung desjenigen vor, der es einem anderen serbischen Bürger durch konkret benannte Handlungen ermöglicht, aufgrund einer falschen Darstellung der Gefährdung seiner Menschenrechte und -freiheiten in einem anderen Land um das Erwerben von politischen, sozialen, ökonomischen und anderen Rechten zu ersuchen. Der Wortlaut der Bestimmung zielt also nicht auf eine Bestrafung des serbischen Bürgers ab, der aus Serbien ausreist und in einem anderen Land einen Asylantrag stellt. Unter Strafe gestellt werden ausschließlich Unterstützungsleistungen und Beihilfehandlungen Dritter zur missbräuchlichen Asylantragstellung (so auch Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Serbien, Stand: August 2013, S. 23 f.). Diese Intention ist der Bestimmung auch vom serbischen Justizminister bei den Gesetzesberatungen im serbischen Parlament beigemessen worden (vgl. Waringo, a.a.O., S. 40; Chachipe, Serbien stellt "Beihilfe zum Asylmissbrauch" unter Strafe, v. 4.3.2013, veröffentlicht unter: romarights.wordpress.com/2013/03/04/ serbien-stellt-beihilfe-zu-asylmissbrauch-unter-strafe-pr/, Stand: 20.10.2014).

Der Senat vermag daher - anders als das Verwaltungsgericht Stuttgart (Urt. v. 28.5.2014 - A 11 K 1996/14 -, juris Rn. 48; Urt. v. 25.3.2014 - A 11 K 5036/13 -, juris Rn. 38 f.) - der Annahme von Waringo (a.a.O., S. 40) nicht zu folgen, wonach Asylbewerber allein wegen der Stellung eines Asylantrags im Ausland mit strafrechtlicher Verfolgung und Verurteilung zu rechnen haben und das Gesetz die Möglichkeit einer späteren Kriminalisierung der Asylbewerber beinhaltet, weil denen vorgeworfen werde, ihre Situation in Serbien falsch darzustellen. Diese Auslegung ist nicht vom Wortlaut der Bestimmung getragen. Auch fehlt der behauptete Vorwurf an die Asylbewerber; bei der "falschen Darstellung der Gefährdung seiner Menschenrechte und -freiheiten" handelt es sich allein um ein Tatbestandsmerkmal, das - abhängig von den Feststellungen im jeweiligen Einzelfall - erfüllt sein kann oder nicht und selbst bejahendenfalls keinen strafrechtlich relevanten Vorwurf gegenüber dem Asylbewerber begründet, sondern allein Voraussetzung für eine Bestrafung der die Unterstützungsleistungen und die Beihilfehandlungen leistenden Dritten ist.

Anhaltspunkte für eine hiervon abweichende Anwendung der Bestimmung des Art. 350a des serbischen Strafgesetzbuchs in der serbischen Rechtspraxis sind für den Senat nicht ersichtlich. Die von Waringo (in: Pro Asyl (Hrsg.), Serbien, Mazedonien und Bosnien und Herzegowina: Zur faktischen und rechtlichen Bewertung des Gesetzgebungsvorhabens der Großen Koalition zur Einstufung von Westbalkanstaaten als "sichere Herkunftsstaaten", April 2014, S. 84) dargestellten Fälle,

"Im März 2014 berichteten serbische Medien, dass die serbische Polizei eine Anzeige gegen einen Mann aus Apatin in der Vojvodina bei der Staatsanwaltschaft in Sombor erstattet habe, der wegen des Verdachts festgenommen worden sei, serbischen BürgerInnen dabei geholfen zu haben, Asyl im Ausland zu beantragen. In einem früheren Artikel zum gleichen Vorfall wird noch von zwei Männern berichtet, denen vorgeworfen wird in der Zeit zwischen August und September oder Dezember 2013 serbischen BürgerInnen gegen Geld geholfen zu haben, in Deutschland Asyl zu beantragen."

betreffen vielmehr durchweg Strafverfahren wegen Unterstützungsleistungen und Beihilfehandlungen Dritter.

Es ist schließlich nicht ersichtlich, dass die "neuen serbischen Ausreise- und Grenzkontrollbestimmungen" (siehe Frage 5.) in asylrelevanter Weise in die Ausreisefreiheit der Angehörigen der ethnischen Minderheit der Roma eingreifen.

Nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts Münster (Beschl. v. 8.7.2014 - 4 L 461/14.A -, juris Rn. 25) existiert eine gesetzliche Regelung, welche die Behinderung oder die Verhinderung der Ausreise von serbischen Staatsangehörigen vorsieht, nicht. Nach der Mitte 2011 in Kraft getretenen serbischen "Verordnung zur näheren Regelung der Art der Ausübung der polizeilichen Befugnisse der Grenzpolizisten und den Pflichten der Personen, die die Grenze überqueren" darf die Grenzpolizei aber außer dem Reisepass noch die Vorlage weiterer Unterlagen zum Reisezweck und der Rückkehrbereitschaft (z.B. Hotelbuchung, Einladung) von serbischen Bürgern bei der Ausreise verlangen. Es finden außerdem umfangreiche Aufklärungskampagnen unter Einschluss aller Print- und elektronischen Medien statt. Flyer und Plakate an Grenzübergängen erläutern die Voraussetzungen der visafreien Einreise in das Schengengebiet und die Problematik der missbräuchlichen Asylantragstellung. Darüber hinaus sollen nach Waringo (Serbien - ein sicherer Herkunftsstaat von Asylsuchenden in Deutschland € Eine Auswertung von Quellen zur Menschenrechtssituation, April 2013, S. 38 f.) Personen, die in den Verdacht geraten, sogenannte falsche oder Scheinasylanten (la€ni azilanti) zu sein, an der Aus- und Weiterreise gehindert worden sein.

Die dargestellten Kontrollen ausreisender serbischer Bürger durch die Grenzpolizei und die Aufklärungskampagnen machen die Ausreise ersichtlich nicht unmöglich. Sie bewirken daher keinen unmittelbaren Eingriff in die Ausreisefreiheit. Auch eine nur mittelbar faktische Wirkung, wonach die Kontrollen und Aufklärungskampagnen die serbischen Bürger von der Ausübung ihrer Ausreisefreiheit abhalten könnten, ist nicht erkennbar.

Hinsichtlich der darüber hinaus von Waringo (a.a.O., S. 38 f.) dargestellten Verhinderung der Ausreise von serbischen Bürgern, die in den Verdacht geraten, sogenannte falsche oder Scheinasylanten zu sein, ist für den Senat nicht nachvollziehbar, auf welcher Tatsachengrundlage diese Darstellung beruht. Waringo (a.a.O., S. 39) räumt selbst ein, dass "hierzu keine offiziellen Zahlen vorliegen bzw. keine Statistiken veröffentlicht wurden" und nur davon "auszugehen (sei), dass die Mehrheit der Personen, die an der Grenze zurückgehalten wurden, Angehörige ethnischer Minderheiten, insbesondere Roma, sind. Dies geht sowohl aus Medienberichten, als auch den Beobachtungen von Nichtregierungsorganisationen und Reisenden vor Ort aus." Die zum Beleg in Bezug genommenen Berichte stellen aber entweder nur die Kontrollen an der Grenze dar (so Regional Center for Minorities, a.a.O., S. 22 und 23 und 40 f.) oder weisen auf wenige Einzelfälle hin, in denen serbische Bürger an der Ausreise gehindert worden sein sollen (so Chachipe, Selective Freedom - The Visa Liberalisation and Restrictions on the Right to Travel in the Balkans, Dezember 2012, S. 21 und 22, veröffentlicht unter: romarights.files.wordpress.com/2013/03/chachipe-visa-liberalisation-report-updated.pdf, Stand: 20.10.2014). Dass eine Vielzahl serbischer Bürger an der Ausreise gehindert werden und die Mehrheit dieser Angehörige ethnischer Minderheiten sind, ergibt sich hieraus indes nicht. Gleiches gilt für die Behauptung der Kläger, die neuen serbischen Ausreise- und Grenzkontrollbestimmungen seien ausdrücklich dazu bestimmt und würden dazu eingesetzt, Angehörigen von Minderheiten die Ausreise aus Serbien zu erschweren oder diese unmöglich zu machen.

Aus den von den Klägern präsentierten Erkenntnismitteln ergeben sich daher keine Anhaltspunkte dafür, dass das serbische Melderecht, Art. 350a des serbischen Strafgesetzbuchs oder die serbischen Ausreise- und Grenzkontrollbestimmungen nur Mitglieder einer nach asylrelevanten Merkmalen bestimmten Gruppe treffen oder mit der für die Annahme einer politischen Verfolgung erforderlichen erheblichen Intensität in die durch Art. 2 Abs. 2 des Protokolls Nr. 4 zur Europäischen Menschenrechtskonvention (BGBl. II 2002, 1074) geschützte Ausreisefreiheit von Angehörigen der ethnischen Minderheit der Roma eingreifen (so auch VG Bayreuth, Urt. v. 4.8.2014 - B 3 K 14.30247 -, juris Rn. 25 f.; VG Freiburg (Breisgau), Urt. v. 30.6.2014 - A 3 K 2238/12 -, juris Rn. 20 f.; VG Würzburg, Urt. v. 17.6.2014 - W 1 K 13.30393 -, juris Rn. 18 f.; VG Sigmaringen, Urt. v. 25.4.2014 - 1 K 234/14 -, juris Rn. 30 f.). Solche Anhaltspunkte ergeben sich auch nicht aus den Erkenntnissen, die die Bundesregierung bei der Vorbereitung des Entwurfs eines Gesetzes zur Einstufung weiterer Staaten als sichere Herkunftsstaaten und zur Erleichterung des Arbeitsmarktzugangs für Asylbewerber und geduldete Ausländer (BT-Drs. 18/1528, dort insbesondere S. 15 bis 17: "Eine Asylantragstellung in Deutschland hat in Serbien keine staatlichen Repressionen zur Folge. € Es besteht Konsens darüber, dass Diskriminierung und soziale Ausgrenzung zwar eine erhebliche Härte darstellen können, jedoch nicht mit Verfolgung oder ernsthaftem Schaden im asylrechtlichen Sinn gleichzusetzen sind.") gewonnen hat. Der Senat kann daher hier dahinstehen lassen, ob Eingriffe in die Ausreisefreiheit überhaupt eine asylrelevante politische Verfolgung begründen können und die Kläger mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit mit einem solchen Eingriff zu rechnen haben.

Die Fragen zu 6. und 7. sind nicht entscheidungserheblich. Für das Vorliegen eines krankheitsbedingten Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG kommt es weder darauf an, ob eine Rückkehr in den Heimatland "ohne erhebliche Eigengefährdung" (Frage zu 6.) oder gar "gefahrlos" (Frage zu 7.) möglich ist. Im Übrigen sind die Fragen zu 6. und 7. nicht allgemein klärungsfähig. Die Gefahr, dass sich eine Erkrankung des Ausländers aufgrund der Verhältnisse im Abschiebezielstaat verschlimmert, ist in der Regel als am Maßstab von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in direkter Anwendung zu prüfende individuelle Gefahr einzustufen (vgl. BVerwG, Urt. v. 17.10.2006- BVerwG 1 C 18.05 -, BVerwGE 127, 33, 36; Senatsbeschl. v. 9.12.2010 - 8 LA 291/10 -). Dabei sind sämtliche zielstaatsbezogenen Umstände, die zu einer Verschlimmerung der Erkrankung führen können, in die Beurteilung der Gefahrenlage mit einzubeziehen. Solche Umstände können darin liegen, dass eine notwendige ärztliche Behandlung oder Medikation für die betreffende Krankheit in dem Zielstaat wegen des geringeren Versorgungsstandards generell nicht verfügbar ist. Ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis kann sich trotz grundsätzlich verfügbarer medikamentöser und ärztlicher Behandlung aber auch aus sonstigen Umständen im Zielstaat ergeben, die dazu führen, dass der betroffene Ausländer diese medizinische Versorgung tatsächlich nicht erlangen kann. Denn eine zielstaatsbezogene Gefahr für Leib und Leben besteht auch dann, wenn die notwendige Behandlung oder Medikation zwar allgemein zur Verfügung steht, dem betroffenen Ausländer individuell jedoch aus finanziellen oder sonstigen persönlichen Gründen nicht zugänglich ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 29.10.2002 - BVerwG 1 C 1.02 -, DVBl. 2003, 463, 464). Erfordert die Feststellung einer erheblichen konkreten Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG danach die Berücksichtigung sowohl genereller als auch individueller Umstände, sind die aufgeworfenen Fragen zu 6. und 7. aber nicht allgemein klärungsfähig, sondern können nur in jedem Einzelfall abhängig von den individuellen Verhältnissen des Ausländers und den Verhältnissen im Zielstaat beantwortet werden.

Soweit die Kläger darüber hinaus eine grundsätzliche Bedeutung mit Blick auf die in einem Beweisbeschluss des Verwaltungsgerichts Münster vom 22. Mai 2014 - 4 K 802/13.A - aufgeworfenen Fragen geltend machen, haben sie den Zulassungsgrund des § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG nicht hinreichend dargelegt. Der Beweisbeschluss und die darin aufgeworfenen Fragen sind dem Senat nicht bekannt; sie ergeben sich aus dem Zulassungsvorbringen der Kläger nicht. Im Übrigen haben die Kläger nicht ansatzweise aufgezeigt, dass diese Fragen im angestrebten Berufungsverfahren entscheidungserheblich und klärungsbedürftig wären und aus welchen Gründen ihre Beantwortung über den konkreten Einzelfall hinaus dazu beitrüge, die Rechtsfortbildung zu fördern oder die Rechtseinheit zu wahren.

2. Der Berufung kann auch nicht wegen eines Verfahrensmangels nach § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG zugelassen werden.

Die Kläger machen geltend, das Verwaltungsgericht habe ihnen rechtliches Gehör versagt. Die Ablehnung eines Asylbegehrens als offensichtlich unbegründet bei Roma aus Serbien könne dann keinen Bestand haben, wenn Aussagen von Sachverständigen bekannt seien, die von der Verfolgung von Personen ausgingen, die im Ausland einen Asylantrag gestellt hätten. Sie - die Kläger - hätten hierzu umfassend vorgetragen und Sachverständigenbeweis angeboten. Das Verwaltungsgericht sei dem jedoch nicht oder nur zu ihrem Nachteil nachgegangen. Es habe den Sachverhalt hingegen von Amts wegen weiter aufklären müssen.

Aus diesem Zulassungsvorbringen ergibt sich ein die Zulassung der Berufung gebietender Verfahrensmangel im Sinne des § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG nicht. Die Verletzung der Pflicht zur gerichtlichen Sachverhaltsermittlung nach § 86 Abs. 1 VwGO stellt von vornherein keinen Verfahrensfehler im Sinne des § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG dar, da eine Verletzung der Sachaufklärungspflicht nicht zu den in § 138 VwGO bezeichneten - qualifizierten - Verfahrensmängeln gehört (vgl. Senatsbeschl. v. 10.3.2010 - 8 LA 180/09 -; Sächsisches OVG, Beschl. v. 16.6.2009 - A 3 A 310/07 -, juris Rn. 3; Bayerischer VGH, Beschl. v. 16.1.2009 - 9 ZB 08.30355 -, juris Rn. 2; Marx, AsylVfG, 7. Aufl., § 78 Rn. 1045 f. m.w.N.).

Wegen der von den Klägern darüber hinaus erhobenen inhaltlichen Kritik an der erstinstanzlichen Entscheidung, mit der sie offenbar Zweifel an deren Richtigkeit geltend machen wollen, kommt eine Zulassung der Berufung von vorneherein nicht in Betracht. Denn ernstliche Zweifel an der Richtigkeit eines verwaltungsgerichtlichen Urteils stellen in asylrechtlichen Streitigkeiten im Sinne des § 78 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG (vgl. zu diesem Begriff: BVerwG, Beschl. v. 6.3.1996 - BVerwG 9 B 714.95 -, NVwZ-RR 1997, 255 f.; Marx, a.a.O., § 78 Rn. 11, § 74 Rn. 2 f. m.w.N.), anders als nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, keinen Zulassungsgrund dar. Die Aufzählung in § 78 Abs. 3 AsylVfG ist abschließend (vgl. Senatsbeschl. v. 19.1.2011, a.a.O., Rn. 7; Bayerischer VGH, Beschl. v. 9.9.2008 - 11 ZB 08.30289 -, juris Rn. 8). Dies gilt insbesondere für die - mit Blick auf die Beschlüsse des Verwaltungsgerichts Münster vom 8. Juli 2014 - 4 L 461/14.A - und vom 28. Mai 2014 - 4 L 263/14.A - erfolgten - Ausführungen der Kläger zur Ablehnung ihrer Anträge auf Anerkennung als Asylberechtigte und Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft als offensichtlich unbegründet im angefochtenen Bescheid vom 20. Dezember 2011, zumal das Verwaltungsgericht die diese Begehren weiter verfolgende Klage nicht als offensichtlich unbegründet im Sinne des § 78 Abs. 1 AsylVfG abgewiesen hat.

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist gemäß § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO unbegründet, weil der Berufungszulassungsantrag, wie sich aus den vorstehenden Ausführungen ergibt, keine Aussicht auf Erfolg hat.

Die Entscheidung über die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO und § 83b AsylVfG. Die Entscheidung über die Kosten des Prozesskostenhilfeverfahrens ergibt sich aus § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 118 Abs. 1 Satz 4 ZPO.






Niedersächsisches OVG:
Beschluss v. 22.10.2014
Az: 8 LA 129/14


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