Hessisches Landessozialgericht:
Beschluss vom 17. Juni 2005
Aktenzeichen: L 8 KR 14/05
(Hessisches LSG: Beschluss v. 17.06.2005, Az.: L 8 KR 14/05)
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 1. Dezember 2004 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Rentenversicherungspflicht des Klägers, aufgrund dessen Vorstands-Mitgliedschaft zur Beigeladenen zu 1).
Der 1973 geborene Kläger ist bei der Beigeladenen zu 2) seit 1. Januar 2000 versicherungspflichtig beschäftigt.
Am 6. November 2003 gründeten der Kläger und Herr M. H. die Beigeladene zu 1) als Vermögensverwaltungs-AG. Das Gründungskapital betrug 50.000,00 € und war von beiden Gründern je zur Hälfte zu tragen. 1/4 der Einlage war bar zu leisten, der Rest auf Anforderung des Vorstands. Nach § 2 der Satzung ist Gegenstand des Unternehmens die Verwaltung eigener Vermögenswerte. Am 6. November 2003 bestellte der Aufsichtsrat die beiden Gründer zu Vorstandsmitgliedern. Am 9. Dezember 2003 beantragte der Kläger bei der Beklagten eine rechtsverbindliche schriftliche Auskunft hinsichtlich der Feststellung seiner Rentenversicherungspflicht.
Durch Bescheid vom 28. Mai 2004 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass er in seiner Beschäftigung bei der S. Company der Versicherungspflicht zur Rentenversicherung unterliege. Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 8. Juli 2004 zurück und führte zur Begründung aus, nach den von den Spitzenverbänden der Krankenkassen, des VDR und der BA aufgestellten Kriterien seien beim Kläger die Voraussetzungen für die Rentenversicherungspflicht gegeben.
Hiergegen richtet sich die am 26. Juli 2004 vor dem Sozialgericht Frankfurt am Main erhobene Klage, die der Kläger u. a. damit begründet, die mit der Gründung entstehende Vor-AG sei nicht lediglich eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts. Vielmehr sei sie dogmatisch ein eigenständiges Rechtssubjekt, das letztendlich nach der Eintragung im Wege der Gesamtrechtsnachfolge in der Aktiengesellschaft aufgehe. Die Regelungen des Gründungsakts setzten sich unverändert in der später eingetragenen Aktiengesellschaft fort; namentlich gelte dies für die Vorstandsbestellung im Hinblick auf Funktion und Umfang der Vollmachten. Zusammenfassend komme es allein darauf an, wann die wirksame Bestellung zum Vorstand der betroffenen Person erfolgt sei. Nachdem das Sozialgericht den Kläger in der mündlichen Verhandlung informatorisch zum Sachverhalt befragt hat, hat es die Klage durch Urteil vom 1. Dezember 2004 abgewiesen. Zur Begründung führt das Gericht u. a. aus, der Kläger unterliege weiterhin grundsätzlich der Rentenversicherungspflicht. Hierbei sei unerheblich, ob neues oder altes Recht anwendbar sei, da die Beigeladene zu 1) noch keine Aktiengesellschaft im Rechtssinne sei. Von daher könne der Kläger auch nicht geltend machen, zum Vorstand der Beigeladenen zu 1) berufen worden zu sein. Sowohl die alte Fassung als auch die neue Fassung der im Streit stehenden Vorschriften des Sozialgesetzbuches Sechstes Buch (SGB VI) knüpften mit dem Begriff Aktiengesellschaft an den Begriff der Aktiengesellschaft im Sinne des § 41 Abs. 1 Satz 1 Aktiengesetz (AktG) an. Die Beigeladene zu 1) sei zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung noch nicht im Handelsregister eingetragen gewesen. Von daher gehe die Kammer davon aus, eine Aktiengesellschaft bestehe noch nicht und habe insbesondere zum maßgeblichen Stichtag am 6. November 2003 nicht bestanden. Von daher könne der Kläger eine Befreiung von der Versicherungspflicht, unabhängig für welche Tätigkeit, aufgrund seiner Vorstandsbestellung nicht geltend machen. Auf Vertrauensschutz könne sich der Kläger nicht berufen.
Gegen das am 13. Dezember 2004 zugestellte Urteil richtet sich die am 13. Januar 2005 vor dem Hessischen Landessozialgericht eingelegte Berufung, die der Kläger trotz Erinnerung am 31. Januar und 18. Februar 2005 nicht begründet hat. Bereits am 29. Dezember 2004 ist die Beigeladene zu 1) zum Aktenzeichen (HRB X.) beim Amtsgericht Baden-Baden eingetragen worden.
Der Kläger beantragt (sinngemäß),
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 1. Dezember 2004 sowie den Bescheid vom 28. Mai 2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Juli 2004 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihn von der Rentenversicherungspflicht insgesamt zu befreien.
Die Beklagte beantragt (sinngemäß),
die Berufung zurückzuweisen.
Der Senat hat die Beteiligten zu einer beabsichtigten Entscheidung ohne Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter durch Beschluss mit Schreiben vom 20. April 2005 angehört.
Wegen der weiteren Einzelheiten, insbesondere wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte Bezug genommen; weiterhin wird Bezug genommen auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten sowie der Verwaltungsakte der Beigeladenen zu 3), der Gegenstand der Entscheidung gewesen ist.
Gründe
Der Senat konnte ohne Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter durch Beschluss entscheiden, da er die Berufung des Klägers einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten sind hierzu vorher ordnungsgemäß angehört worden (§ 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz - SGG).
Die Berufung des Klägers ist zulässig; sie ist insbesondere form- und fristgerecht eingelegt worden und statthaft (§ 151 Abs. 1 und §§ 143, 144 SGG). Die Berufung des Klägers ist jedoch sachlich unbegründet.
Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht durch Urteil vom 1. Dezember 2004 abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 28. Mai 2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Juli 2004 ist rechtmäßig. Der Kläger wird hierdurch nicht in seinen Rechten verletzt. Die Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, die Versicherungsfreiheit in der Rentenversicherung festzustellen. Der Kläger unterliegt, wie das Sozialgericht zutreffend festgestellt hat, grundsätzlich der Rentenversicherungspflicht.
§ 1 Satz 4 SGB VI in der bis 31. Dezember 2003 geltenden Fassung sah vor, dass Mitglieder des Vorstands einer Aktiengesellschaft nicht versicherungspflichtig sind. Durch Artikel 1 Nr. 2 des 2. Gesetzes zur Änderung des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuches und anderer Gesetze vom 27. Dezember 2003 (BGBl. I, 3013) wurde § 1 Satz 4 SGB VI wie folgt neu gefasst: €Mitglieder des Vorstandes einer Aktiengesellschaft sind in dem Unternehmen, dessen Vorstand sie angehören, nicht versicherungspflichtig beschäftigt.." In § 229 SGB VI wurde ein neuer Abs. 1 a mit folgendem Wortlaut eingefügt: €Mitglieder des Vorstandes einer Aktiengesellschaft, die am 6. November 2003 in einer weiteren Beschäftigung oder selbstständigen Tätigkeit nicht versicherungspflichtig waren, bleiben in dieser Beschäftigung oder selbstständigen Tätigkeit nicht versicherungspflichtig. Sie können bis zum 31. Dezember 2004 die Versicherungspflicht mit Wirkung für die Zukunft beantragen."
Worauf das Sozialgericht ebenfalls zutreffend hingewiesen hat, ist die zwischen den Beteiligten streitige Frage, ob die alte oder neue Fassung des Gesetzes Anwendung findet, nicht streitentscheidend. Maßgeblich ist nämlich, dass der Kläger im streitigen Zeitraum kein Mitglied des Vorstandes einer Aktiengesellschaft war. Sowohl § 1 Satz 4 SGB VI in der alten Fassung wie auch in seiner neuen Fassung setzen tatbestandlich voraus, dass die Person Mitglied des Vorstandes einer Aktiengesellschaft ist.
§ 41 Abs. 1 AktG bestimmt, dass vor der Eintragung in das Handelsregister die Aktiengesellschaft als solche nicht besteht. Eine Eintragung in das Handelsregister erfolgte erst am 29. Dezember 2004, somit mehr als ein Jahr nach der Gründung der Vorgesellschaft am 6. November 2003. Somit lagen schon dem eindeutigen Wortlaut von § 1 Satz 4 SGB VI in seinen beiden Fassungen die Voraussetzungen für die Begründung von Versicherungsfreiheit nicht vor.
Das Argument des Klägers, dass mit dem Beurkundungsvorgang und der Übernahme aller Aktien durch die Gründer die Gesellschaft nach § 29 AktG errichtet ist (aA ohne Begründung Sozialgericht Augsburg, Urteil vom 9. Mai 2005, S 10 KR 89/04; im Ergebnis auch Sozialgericht Mainz, Urteil vom 18. Oktober 2004, S 7 KR 236/04), kann nicht überzeugen, da die Norm keinen eigenständigen Regelungsgehalt hat (vgl. Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, Pentz, 2. Auflage 2000, § 29 Rz. 2). Maßgeblich ist vielmehr, dass § 41 Abs. 1 AktG klarstellt, dass die Gesellschaft vor ihrer Eintragung in das Handelsregister als juristische Person nicht besteht. Hieran sind konkrete Rechtsfolgen geknüpft. Nach der überwiegenden Meinung in Rechtsprechung und Literatur, der sich der Senat anschließt, liegt der Zweck der Vorgesellschaft grundsätzlich in der Herbeiführung der Eintragung der Gesellschaft in das Handelsregister. Der praktische Hintergrund dieser Bestimmung des Gesellschaftszwecks bei der Vorgesellschaft liegt darin, mit ihm die Geschäftsführungsbefugnis der Geschäftsführer und damit mittelbar auch den Umfang ihrer Vertretungsmacht festzulegen (vgl. BGH, Urteil vom 9. März 1981, Az. II ZR 54/80, BGHZ 80, 129). Auch unterscheidet sich die Geschäftsführungsbefugnis des Vorstands im Gründungsstadium grundsätzlich von der des Vorstands einer Aktiengesellschaft. Nach allgemeiner Auffassung ist die Geschäftsführungsbefugnis des Vorstands im Gründungsstadium grundsätzlich auf die zur Eintragung der Gesellschaft in das Handelsregister erforderlichen Handlungen beschränkt. Der Vorstand ist grundsätzlich gehalten, nur die Eintragung der Gesellschaft zu betreiben und allein die in diesem Zusammenhang unbedingt erforderlichen Rechtsgeschäfte vorzunehmen (Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, a.a.O., § 41 Rz. 34/35). Unbeschadet der Streitfrage, ob es sich bei der Vorgesellschaft und der Aktiengesellschaft um ein und denselben Rechtsträger handelt, der durch die Eintragung lediglich von der Gesamthand zur juristischen Person wird, oder ob es sich insoweit um zwei voneinander zu unterscheidende Organisationen handelt und es zwischen ihnen zu einer Gesamtrechtsnachfolge unter Übergang des von der Vorgesellschaft gehaltenen Vermögens kommt (vgl. hierzu Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, a.a.O., § 41 Rz. 104), ist gleichwohl - worauf das Sozialgericht zutreffend hingewiesen hat - im Entstehungsverlauf einer Aktiengesellschaft zwischen der Vorgesellschaft und der juristischen Person zu unterscheiden. Auch die Identitätstheorie weist darauf hin, dass es zu einer Änderung der Organisationsform kommt (vgl. ebenda, Rz. 108) und erst mit der Eintragung die Aktiengesellschaft zur juristischen Person wird, auf die alle Vorschriften des Aktiengesetzes anwendbar sind.
Diese Auslegung wird durch systematische Überlegungen gestützt. Nach § 1 Abs. 2 Umwandlungsgesetz (UmwG) besteht ein Numerus clausus der Rechtsträger, die einer Umwandlung zugänglich sind. Die Vorgesellschaft ist in diesem Katalog, der als abschließend betrachtet wird, nicht erwähnt (vgl. §§ 3, 124, 175, 191 UmwG); eine Analogie wird im Hinblick auf § 1 Abs. 2 UmwG als unzulässig erachtet (vgl. Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, a.a.O., § 41 Rz. 82).
Auch unter dem Gesichtspunkt des Schutzzweckes der Norm von § 1 Satz 4 SGB VI lässt sich kein anderes Ergebnis herleiten. Die Begründung der Versicherungsfreiheit für Vorstandsmitglieder (erst umfassend und dann in beschränkter Form) geht zurück auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zu § 3 Abs. 1a Angestelltenversicherungsgesetz € AVG € (Urteil vom 27. März 1980, Az. 12 RAr 1/79, SozR 2400, § 3 Nr. 4). In dieser Entscheidung führt das Bundessozialgericht u. a. zur Frage der Zugehörigkeit zum Personenkreis der Angestellten aus, dass der Gesetzgeber bei Vorstandsmitgliedern von Aktiengesellschaften das soziale Sicherungsbedürfnis verneint habe, weil die Aktiengesellschaften bei typisierender Betrachtung zu den €großen" Gesellschaften gehörten und ihre Vorstandsmitglieder unter den für sie gegebenen wirtschaftlichen Verhältnissen in der Lage seien, sich außerhalb der Sozialversicherung gegen die Risiken des Arbeitslebens selbst zu schützen. Unter Bezug auf diesen Ansatz ist es im Gesetzgebungsverfahren zum Rentenreformgesetz 1992 zur Einführung von § 1 Satz 3 (jetzt Satz 4) SGB VI gekommen (BT-Drucks. 11/5530, S. 40).
Dieser Begründungsansatz trifft für Vorstandsmitglieder einer Vorgesellschaft nicht zu; sie sind als Vorstandsmitglieder nicht per se aus ihrem Amt heraus wirtschaftlich in der Lage, sich außerhalb der Sozialversicherung gegen die Risiken des Arbeitslebens selbst zu schützen. Der Vorstand einer Vorgesellschaft ist, wie oben ausgeführt nur gehalten, die für die Eintragung der AG unbedingt erforderlichen Rechtsgeschäfte zu tätigen; Handlungen, die zum wirtschaftlichen Erfolg der späteren AG beitragen, darf er nicht vollziehen. Damit trifft die vom Bundessozialgericht mit den wirtschaftlichen Verhältnissen begründete fehlende soziale Schutzbedürftigkeit von Vorstandsmitgliedern einer AG auf die Vorstandsmitglieder einer Vorgesellschaft gerade nicht zu.
Ein Vertrauensschutz unter Anwendung von § 229 Abs. 1a SGB VI bestand nicht. Der Senat nimmt insoweit Bezug auf die erstinstanzlichen Entscheidungsgründe und sieht von einer weiteren Begründung insoweit ab (§ 153 Abs. 2 SGG).
Über die Frage, ob mit der Eintragung der Aktiengesellschaft in das Handelsregister am 29. Dezember 2004 Versicherungsfreiheit in der Rentenversicherung wegen der Zugehörigkeit zum Vorstand bei der Beigeladenen zu 1) eingetreten ist, war nicht zu entscheiden, da der Kläger im Berufungsverfahren ein klageerweiterndes Vorbringen nicht geltend gemacht hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen von § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen und nicht die höchstrichterlich nicht geklärte Frage der Auslegung der Stichtagsregelung von § 229 Abs. 1a SGB VI im Streit stand.
Hessisches LSG:
Beschluss v. 17.06.2005
Az: L 8 KR 14/05
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