Landgericht Bielefeld:
Urteil vom 4. Juli 2005
Aktenzeichen: 15 O 120/05

(LG Bielefeld: Urteil v. 04.07.2005, Az.: 15 O 120/05)

Tenor

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Antragsgegnerin bietet bundesweit und flächendeckend Telefonanschlüsse für Endkunden an; sie verfügt über einen Marktanteil von rund 95 %. Die Antragstellerin, ......., bietet im Bereich B. ebenfalls Teilnehmeranschlüsse an, sodass sie mit der Antragsgegnerin auf dem Markt der Teilnehmernetzbetreiber (TNB) konkurriert. Abgesehen von der Wahlmöglichkeit zwischen verschiedenen Teilnehmernetzbetreibern hat der Endkunde zusätzlich die Möglichkeit, zwischen verschiedenen Verbindungsnetzbetreibern zu wählen, sei es durch dauerhafte Voreinstellung (sogenannte Preselection), sei es von Fall zu Fall im sogenannte Callby-Call-Verfahren durch Vorwählen der sogenannten Verbindungsnetzbetreiberkennzahl des jeweiligen Anbieters. Auf diese Weise war es bis zum 30.06.2005 auch möglich, dass Kunden der Antragstellerin durch dauerhafte Voreinstellung auf das Netz der Antragsgegnerin (Preselection T.) oder durch Eingabe der Netzbetreibervorwahl 01033 der Antragsgegnerin im Einzelfall (Callby-Call-Selection T.) Gespräche über das Netz der Antragsgegnerin führen konnten.

Vor einigen Wochen entschloss sich die Antragsgegnerin dazu, mit Wirkung ab 30.06.2005 ihre "Produkte Callby-Call Selection T. und Preselection T. an Anschlüssen anderer Teilnehmernetzbetreiber nicht mehr zur Verfügung" zu stellen. Dies teilte sie schriftlich denjenigen Telefonkunden mit, die ihre Telefonanschlüsse von anderen Teilnehmernetzbetreibern wie der Antragstellerin beziehen, in der Vergangenheit aber die bislang von der Antragsgegnerin angebotenen Preselection- und Callby-Call- Dienste in Anspruch genommen hatten. In diesen vielfach versendeten Schreiben - beispielsweise an den Kunden H. der Antragstellerin vom 27.05.2005 - heißt es:

"Bisher konnten Sie im Callby-Call Verfahren durch Wahl der Netzkennziffer 01033 oder, sofern Sie von Ihrem Anbieter dauerhaft auf T. voreingestellt sind (Preselection), über das Netz von T. Ihre Telefongespräche führen. Mit Wirkung zum 30.06.2005 stellt T. die Produkte Callby-Call Selection T. und Preselection T- Com an Anschlüssen anderer Teilnehmernetzbetreiber nicht mehr zur Verfügung. Daher werden die Verträge über Preselection T- Com zum vorgenannten Zeitpunkt gekündigt. Sollten Sie bisher dauerhaft auf T. voreingestellt sein, so nehmen Sie bitte mit Ihrem Anbieter schnellstmöglich Kontakt zur Sicherstellung der Funktionsfähigkeit Ihres Anschlusses auf. Wenn Sie auch künftig Gespräche über das Netz von T. führen möchten, bitten wir Sie, mit beiliegendem Antrag (Kündigung von Telefon-/ISDN-/PMS-Anschlüssen bei TNB abgebend) die Rückführung Ihres Anschlusses unter Beibehaltung der bisherigen Rufnummer schriftlich bei Ihrer Kundenniederlassung zu beauftragen. Bei Fragen wenden Sie sich bitte an die kostenfreie Rufnummer 088 3302739. Sofern Sie zwischenzeitlich mit Ihrem Anschluss zu T. zurückgekehrt sind, betrachten Sie bitte dieses Schreiben als gegenstandslos."

Beigefügt war ein Kündigungsformular zwecks Kündigung des Telefonanschlusses bei der Antragstellerin, verbunden mit einem Wechsel zur Antragsgegnerin.

Gegen dieses Vorgehen der Antragsgegnerin wendet sich die Antragstellerin mit vorliegendem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung. Sie hält das Verhalten der Antragsgegnerin für unlauter, insbesondere wegen unzulässigen Behinderungswettbewerbs und auch wegen Irreführung, und macht dazu geltend: Der durchschnittliche Kunde müsse bei der Lektüre des Schreibens den - unzutreffenden - Eindruck gewinnen, er könne bei Untätigkeit nur noch eingeschränkt über seinen Telefonanschluss telefonieren. Durch die Beifügung des vorformulierten Kündigungsschreibens und den Hinweis auf die Möglichkeit der "Rückkehr" zu T. werde der Wechsel zur Antragsgegnerin als der beste Ausweg aus dem - vermeintlichen - Dilemma präsentiert. Mit dem Rat zu "schnellstmöglicher" Kontaktaufnahme werde darüber hinaus noch Zeitdruck erzeugt, weshalb der Kunde sowohl irregeführt als auch überrumpelt werde. Diese besonderen Umstände machten die grundsätzlich erlaubte "Kündigungshilfe" im vorliegenden Fall unlauter. Dieses unlautere Verhalten der Antragsgegnerin habe auch eine Reihe von Anrufen irritierter Kunden der Antragstellerin nach Erhalt des Schreibens zur Folge gehabt.

Die Antragstellerin beantragt,

im Wege der einstweiligen Verfügung der Antragsgegnerin bei Androhung der gesetzlichen Ordnungsmittel aufzugeben, es ab sofort zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs Kunden, die ihre Telefonanschlüsse von der Antragstellerin beziehen, zu kontaktieren und hierbei unter Hinweis auf die Einstellung des Dienstes "Preselection T- Com" und die Abschaltung des Dienstes "Callby-Call Selection T." unter Beifügung von Kündungsformularen zu einem Wechsel zur Antragsgegnerin aufzufordern, wenn dies wörtlich oder sinngemäß wie folgt geschieht:

"Bisher konnten Sie im Callby-Call Verfahren durch Wahl der Netzkennziffer 01033 oder, sofern Sie von Ihrem Anbieter dauerhaft auf T. voreingestellt sind (Preselection), über das Netz von T. Ihre Telefongespräche führen. Mit Wirkung zum 30.06.2005 stellt T. die Produkte Callby-Call Selection T. und Preselection T- Com an Anschlüssen anderer Teilnehmernetzbetreiber nicht mehr zur Verfügung. Daher werden die Verträge über Preselection T- Com zum vorgenannten Zeitpunkt gekündigt. Sollten Sie bisher dauerhaft auf T. voreingestellt sein, so nehmen Sie bitte mit Ihrem Anbieter schnellstmöglich Kontakt zur Sicherstellung der Funktionsfähigkeit Ihres Anschlusses auf. Wenn Sie auch künftig Gespräche über das Netz von T. führen möchten, bitten wir Sie, mit beiliegendem Antrag (Kündigung von Telefon-/ISDN-/PMS-Anschlüssen bei TNB abgebend) die Rückführung Ihres Anschlusses unter Beibehaltung der bisherigen Rufnummer schriftlich bei Ihrer Kundenniederlassung zu beauftragen. Bei Fragen wenden Sie sich bitte an die kostenfreie Rufnummer 088 3302739.

Sofern Sie zwischenzeitlich mit Ihrem Anschluss zu T. zurückgekehrt sind, betrachten Sie bitte dieses Schreiben als gegenstandslos."

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückzuweisen.

Sie steht - mit näherer Darlegung im Einzelnen - auf dem Standpunkt, dass ihr Verhalten wettbewerbsrechtlich nicht zu beanstanden sei, insbesondere Unlauterkeitskriterien, wie sie nach neuerer Rechtsprechung "Kündigungshilfe" ausnahmsweise unzulässig macht, nicht zu erkennen seien.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf die von ihnen gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen verwiesen.

Gründe

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung war zurückzuweisen, da ein Verfügungsanspruch nicht besteht, weder aus § 4 Nr. 1, Nr. 10 UWG noch aus § 5 UWG (jeweils in Verbindung mit §§ 3, 8 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1 UWG).

Für die rechtliche Beurteilung legt das Gericht dabei die Grundsätze der Entscheidung des BGH zur sogenannten Kündigungshilfe zugrunde (Urteil vom 07.04.2005, Aktenzeichen I ZR 140/02, GRUR 05, 603). Danach gilt folgendes: Es ist grundsätzlich zulässig, einem vertraglich noch anderweitig gebundenen Kunden ein vorbereitetes Kündigungsschreiben vorzulegen, das nach Einfügung des Kündigungstermins nur noch zu unterschreiben ist. Die Benutzung eines vorformulierten Kündigungsschreibens kann allerdings unter Umständen ein wettbewerbswidriges Vorgehen im Sinne des § 4 Nr. 1, 10 UWG erleichtern. Dies kann etwa der Fall sein, wenn der Abwerbende den Kunden bei der Kündigung der Vertragsbeziehung zu seinem Mitbewerber nicht nur in dieser Weise behilflich ist, sondern ihn irreführt, überrumpelt oder sonst unangemessen unsachlich in seiner Entscheidungsfreiheit beeinträchtigt. Entgegen der Auffassung der Antragstellerin können vorliegend solche besonderen Umstände nicht angenommen werden, auch nicht unter Berücksichtigung des durch das angegriffene Schreiben hervorgerufenen Gesamteindrucks. Im Einzelnen:

Ob eine Angabe geeignet ist, den Verkehr irrezuführen, richtet sich nach der Auffassung der Verkehrskreise, an die sich die Werbung richtet. Das UWG stellt dabei auf den durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher ab, wobei je nach Zielgruppe des Angebots zu differenzieren und situationsadäquate Aufmerksamkeit zu unterstellen ist (vgl. etwa Baumbach/Hefermehl/Köhler, UWG, 23. Auflage, § 1 RN 24ff.). Zielgruppe war hier nicht "jedermann"; vielmehr richtete sich das Schreiben der Antragsgegnerin (nur) an Kunden der Antragstellerin, die den Telefonanschluss bei ihr haben (typischerweise nach Weggang von der Antragsgegnerin), gleichwohl aber noch bestimmte Dienste der Antragsgegnerin in Anspruch genommen haben. Eine gewisse Kenntnis der "Hintergründe des Sprachtelefoniemarktes" kann deshalb bei den Angesprochenen unterstellt werden. Dass dieser Personenkreis in wettbewerbsrechtlich relevanter Weise irregeführt wird, kann nicht angenommen werden. Der erste Absatz des Schreibens beinhaltet eine sachlich gehaltene Information über die Einstellung der Produkte der Antragsgegnerin. Die nachfolgende Anregung an die diejenigen, die bisher "dauerhaft auf T. voreingestellt" waren, sich mit der Antragstellerin in Verbindung zu setzen, weist auf einen in der Tat gegebenen Handlungsbedarf hin. Wenn nachfolgend ein Wechsel zur Antragsgegnerin angesprochen wird (als Ausweg aus der Situation), beinhaltet das sicherlich den Versuch, Kunden (zurück) zu gewinnen. Der Wechsel zur Antragsgegnerin erscheint dem angesprochenen verständigen Verbraucher aber nicht als der einzige oder naheliegende Ausweg, zumal vorher ausdrücklich die Kontaktaufnahme zum Anbieter angesprochen ist.

Auch von Überrumpelung - durch Hervorrufen von Zeitdruck und dadurch erzeugten mittelbaren Kündigungszwanges - kann im Ergebnis keine Rede sein. Zwar rät das Schreiben - den "voreingestellten" Kunden - zu schnellstmöglicher Kontaktaufnahme und stellt dies in Zusammenhang mit der Sicherstellung der Funktionsfähigkeit des Telefonanschlusses. Angesichts dessen, dass zwischen Zeitpunkt des Schreibens und Wirksamwerden der Einstellung der genannten Produkte knapp fünf Wochen liegen, bleibt dem Kunden aber hinreichende Zeit zur Prüfung des Vorgangs. Selbst wenn eine Abkürzung der Zeitspanne einbezogen wird (etwa wegen urlaubsbedingter Verzögerung des Erhalts des Schreibens), fehlt es gleichwohl an wettbewerbswidriger Überrumpelung. Denn das Schreiben rät in diesem Zusammenhang zur Kontaktaufnahme mit der Antragstellerin (und nicht mit der Antragsgegnerin), so dass ohnehin eine Prüfung des weiteren Vorgehens unter Einschluss der Antragstellerin naheliegt. Im übrigen ist auch hier die angesprochene Zielgruppe zu berücksichtigen, bei der nicht davon auszugehen ist, sie werde nach Erhalt des Schreibens unverzüglich, ohne Rücksprache mit der Antragstellerin, einen Wechsel zur Antragsgegnerin zu vollziehen.

Aus den vorstehend ausgeführten Gründen bedeutet das Vorgehen der Antragsgegnerin auch keine sonstwie unangemessene unsachliche Beeinträchtigung der Kunden der Antragstellerin in ihrer Entscheidungsfreiheit (vgl. § 4 Nr. 1 UWG). Insbesondere ist der Versuch der Antragsgegnerin, Kunden ggfs. zurückzugewinnen, auch nicht mit einer Herabsetzung der Antragstellerin oder ihrer Leistung (vgl. BGH GRUR 02, 548 ff.) verbunden. Ob das Verhalten der Antragsgegnerin anders zu bewerten ist, soweit sie auch solche Kunden der Antragstellerin angeschrieben haben sollte, die in der Vergangenheit von den jetzt eingestellten Produkten der Antragsgegnerin keinen Gebrauch gemacht haben, bedarf keiner abschließenden Entscheidung. Konkretes Vorbringen der Antragstellerin, die Antragsgegnerin sei so vorgegangen, fehlt; in der Antragsschrift hat sie im Gegenteil ausdrücklich darauf abgestellt, die Antragsgegnerin habe sich an diejenigen Kunden gewendet, die in der Vergangenheit die von der Antragsgegnerin angebotenen Preselection- und Callby-Call-Dienste in Anspruch genommen hätten.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 708 Nr. 6, 711 ZPO.






LG Bielefeld:
Urteil v. 04.07.2005
Az: 15 O 120/05


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