Bundesgerichtshof:
Beschluss vom 27. August 2015
Aktenzeichen: I ZR 148/14
(BGH: Beschluss v. 27.08.2015, Az.: I ZR 148/14)
Tenor
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 22. Mai 2014 wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.
Der Streitwert für das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren wird auf 50.000 € festgesetzt.
Gründe
I. Die Klägerin ist eine Verwertungsgesellschaft im Sinne von § 1 UrhWG zur Verwertung der Urheber- und Leistungsschutzrechte von Medienunternehmen. Sie nimmt die ihr von privaten Fernseh- und Hörfunkveranstaltern eingeräumten Vergütungsansprüche gemäß §§ 54, 54b UrhG gegen Hersteller, Händler und Importeure von Geräten und Speichermedien wahr. Die Beklagte stellt Speichermedien her, die sie im Inland vertreibt.
Die Klägerin ist der Ansicht, die von ihr vertretenen privaten Fernseh- und Hörfunkveranstalter hätten als Sendeunternehmen gegen die Beklagte wegen des Inverkehrbringens von Speichermedien nach § 54 Abs. 1 UrhG Anspruch auf Zahlung einer angemessenen Vergütung. Der sich aus § 87 Abs. 4 UrhG ergebende Ausschluss der Sendeunternehmen von einem solchen Vergütungsanspruch sei mit Art. 5 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/29/EG zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft unvereinbar und daher unbeachtlich.
Die Klägerin hat Klage beim Landgericht Oldenburg erhoben. Sie hat beantragt festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihr für das Inverkehrbringen von - näher bezeichneten - Speichermedien in der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 2010 eine angemessene Vergütung zu zahlen. Für den Fall, dass diesem Antrag stattgegeben wird, hat sie ferner beantragt, die Beklagte zur Auskunftserteilung zu verurteilen.
Das Landgericht Oldenburg hat den Rechtsstreit an das Oberlandesgericht München verwiesen. Das Oberlandesgericht hat die Klage als unzulässig abgewiesen (OLG München, ZUM 2014, 810). Die Revision hat es nicht zugelassen. Dagegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin. Mit der Revision will sie ihren Klageantrag weiterverfolgen.
II. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin hat keinen Erfolg.
1. Die Beschwerde macht ohne Erfolg geltend, die Revision sei gemäß § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO wegen grundsätzlicher Bedeutung zur Klärung der Rechtsfrage zuzulassen, ob bei Streitfällen unter Beteiligung einer Verwertungsgesellschaft, die ausschließlich die grundsätzliche Rechtsfrage eines Vergütungsanspruchs nach § 54 UrhG betreffen, bei denen es also für die gerichtliche Entscheidung nicht auf die Anwendbarkeit oder Angemessenheit des Tarifs ankommt, die Einleitung eines Schiedsstellenverfahrens notwendige Prozessvoraussetzung ist. Sie sei ferner gemäß § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen, weil der Rechtsstandpunkt des Oberlandesgerichts, bei solchen Streitfällen sei die Einleitung eines Schiedsstellenverfahrens notwendige Prozessvoraussetzung, nicht anzuerkennen sei.
Das Oberlandesgericht hat mit Recht angenommen, dass die Klage unzulässig ist, weil der Klageerhebung entgegen § 16 Abs. 1 UrhWG kein Verfahren vor der Schiedsstelle vorausgegangen ist (dazu sogleich unter II 2). Die von der Nichtzulassungsbeschwerde geteilte Ansicht, die Einleitung eines Schiedsstellenverfahrens bei Streitigkeiten nach § 14 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b UrhWG sei - entgegen dem klaren Wortlaut des § 16 Abs. 2 Satz 1 UrhWG - keine zwingende Prozessvoraussetzung, wird nur vereinzelt vertreten (vgl. Schulze in Dreier/Schulze, UrhG, 5. Aufl., § 16 UrhWG Rn. 5a, 27a, § 14 UrhWG Rn. 9; Seifert in Schmid/Wirth/Seifert, UrhG, 2. Aufl., § 16 UrhWG Rn. 21). Es ist daher nicht erforderlich, die Revision zuzulassen, um die zutreffende Entscheidung des Oberlandesgerichts durch ein Senatsurteil zu bestätigen.
2. Das Oberlandesgericht hat mit Recht angenommen, dass die Klage unzulässig ist, weil der Klageerhebung entgegen § 16 Abs. 1 UrhWG kein Verfahren vor der Schiedsstelle vorausgegangen ist.
a) Bei Streitfällen nach § 14 Abs. 1 UrhWG - wie dem hier in Rede stehenden Streitfall nach § 14 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b UrhWG, an dem eine Verwertungsgesellschaft beteiligt ist und der die Vergütungspflicht nach § 54 UrhG betrifft - können gemäß § 16 Abs. 1 UrhWG Ansprüche im Wege der Klage grundsätzlich erst geltend gemacht werden, nachdem ein Verfahren vor der Schiedsstelle vorausgegangen ist oder (was hier mangels vorheriger Anrufung der Schiedsstelle nicht in Betracht kommt) nicht innerhalb des Verfahrenszeitraums nach § 14a Abs. 2 Satz 1 und 2 UrhWG abgeschlossen worden ist. Die Durchführung eines Schiedsstellenverfahrens ist Prozessvoraussetzung; wurde kein Schiedsstellenverfahren durchgeführt, ist die Klage als unzulässig abzuweisen (vgl. BGH, Urteil vom 15. Juni 2000 - I ZR 231/97, GRUR 2000, 872, 873 - Schiedsstellenanrufung I).
Bei Streitfällen nach § 14 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a UrhWG - also Streitfällen, an denen eine Verwertungsgesellschaft beteiligt ist und die die Nutzung von nach dem Urheberrechtsgesetz geschützten Werken oder Leistungen betreffen - muss der Klageerhebung gemäß § 16 Abs. 2 Satz 1 UrhWG kein Schiedsstellenverfahren vorausgegangen sein, wenn die Anwendbarkeit und die Angemessenheit des Tarifs nicht bestritten sind. Diese Ausnahme von der Prozessvoraussetzung der Durchführung eines Schiedsstellenverfahrens gilt nach dem Wortlaut des § 16 Abs. 2 Satz 1 UrhWG allein für Streitfälle nach § 14 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a UrhWG und nicht für Streitfälle nach § 14 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b UrhWG, wie den hier in Rede stehenden Rechtsstreit über die Vergütungspflicht nach § 54 UrhG. Die Durchführung eines Schiedsstellenverfahrens war nach dem eindeutigen Wortlaut der gesetzlichen Regelung daher nicht deshalb entbehrlich, weil die Parteien nicht über die Anwendbarkeit und die Angemessenheit eines Tarifs streiten.
b) Das Oberlandesgericht hat es mit Recht abgelehnt, die Regelung des § 16 Abs. 2 Satz 1 UrhWG über ihren Wortlaut hinaus auf Streitfälle nach § 14 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b UrhWG auszudehnen, wenn bei diesen Streitfällen die Anwendbarkeit und die Angemessenheit des Tarifs nicht bestritten sind. Es kann nicht mit der für eine solche Ausdehnung des eindeutigen Wortlauts einer Regelung erforderlichen Sicherheit davon ausgegangen werden, es beruhe auf einem Redaktionsversehen des Gesetzgebers, dass in § 16 Abs. 2 Satz 1 UrhWG lediglich die Streitfälle nach § 14 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a UrhWG und nicht auch die Streitfälle nach § 14 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b UrhWG genannt sind.
aa) Die Entstehungsgeschichte des § 14 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b UrhWG könnte allerdings für ein Redaktionsversehen des Gesetzgebers sprechen.
§ 14 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b UrhWG wurde durch das Zweite Gesetz zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft in § 14 Abs. 1 Nr. 1 UrhWG eingefügt (vgl. BT-Drucks. 16/1828, S. 9). Zur Begründung ist im Regierungsentwurf dieses Gesetzes ausgeführt, damit werde klargestellt, dass die Schiedsstelle auch bei Streitigkeiten betreffend die Vergütungspflicht nach § 54 UrhG sowie bei Streitigkeiten betreffend die Betreibervergütung nach § 54c UrhG angerufen werden könne (BT-Drucks. 16/1828, S. 35). Um eine bloße Klarstellung handelte es sich deshalb, weil diese Streitigkeiten bis dahin durch § 14 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a UrhWG erfasst worden waren. Streitfälle über die Gerätevergütung und die Betreibervergütung wurden als Streitfälle über die Nutzung von nach dem Urheberrechtsgesetz geschützten Werken und Leistungen im Sinne von § 14 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a UrhWG angesehen (vgl. Schulze, ZUM 2014, 957, 958).
Danach war es nach der früheren Rechtslage auch bei den damals noch von § 14 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a UrhWG erfassten Streitigkeiten über die Gerätevergütung und die Betreibervergütung nach dem Wortlaut des § 16 Abs. 2 Satz 1 UrhWG, der die Streitfälle nach § 14 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a UrhWG nennt, nicht erforderlich, vor Klageerhebung ein Schiedsstellenverfahren durchzuführen, wenn die Anwendbarkeit und die Angemessenheit des Tarifs nicht bestritten waren. Das könnte die Annahme nahelegen, der Gesetzgeber habe an dieser Rechtslage nichts ändern wollen und es beruhe auf einem bloßen Versehen, dass in § 16 Abs. 2 Satz 1 UrhWG neben den Streitfällen nach § 14 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a UrhWG nicht auch die Streitfälle nach § 14 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b UrhWG genannt sind.
bb) Auch der Zweck des § 16 Abs. 2 Satz 1 UrhWG könnte für ein Redaktionsversehen sprechen.
Der Bundesgerichtshof hat sich in der Entscheidung "Schiedsstellenanrufung" mit dem aus der Gesetzesbegründung ersichtlichen Willen des Gesetzgebers und dem Zweck der Regelung des § 16 Abs. 2 Satz 1 UrhWG auseinandergesetzt. Danach dient das Verfahren vor der Schiedsstelle in erster Linie dem Ziel, eine einheitliche und sachkundige Beurteilung der von den Verwertungsgesellschaften aufzustellenden Tarife zu ermöglichen und den Gerichten, die sich nur mit Schwierigkeiten die für die Beurteilung der Angemessenheit erforderlichen Vergleichsmaßstäbe erarbeiten können, eine Hilfestellung zu geben. Mit der zwingenden Vorschaltung der Schiedsstelle sollen deren Sachkunde in möglichst großem Umfang nutzbar gemacht und die Gerichte entlastet werden. Da der Gesetzgeber ersichtlich auf eine tarifbezogene Sachkunde der Schiedsstelle abgestellt hat, ist ihre vorherige Einschaltung nicht geboten, wenn die Anwendbarkeit oder die Angemessenheit des von der Verwertungsgesellschaft aufgestellten Tarifs nicht zur Überprüfung stehen (vgl. BGH, GRUR 2000, 872, 873 - Schiedsstellenanrufung I, mwN).
Die gemäß § 16 Abs. 1 UrhWG zwingende Vorschaltung der Schiedsstelle dient nicht nur bei Streitfällen nach § 14 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a UrhWG über die Nutzung von nach dem Urheberrechtsgesetz geschützten Werken und Leistungen, sondern auch bei Streitfällen nach § 14 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b UrhWG über die Vergütungspflicht nach § 54 oder § 54c UrhG in erster Linie dem Zweck, die tarifbezogene Sachkunde der Schiedsstelle nutzbar zu machen und die Gerichte zu unterstützen und zu entlasten. Dies könnte dafür sprechen, auf das Erfordernis der vorherigen Durchführung eines Schiedsstellenverfahrens nicht nur in Streitfällen nach § 14 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a UrhWG, sondern auch in Streitfällen nach § 14 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b UrhWG zu verzichten, wenn die Anwendbarkeit und die Angemessenheit des Tarifs nicht bestritten sind.
cc) Das Berufungsgericht hat allerdings mit Recht angenommen, dass im Blick auf die Neufassung des § 16 Abs. 4 Satz 1 UrhWG durch das Zweite Gesetz zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft keine hinreichenden Anhaltspunkte für ein Redaktionsversehen des Gesetzgebers bestehen.
§ 16 Abs. 4 Satz 1 UrhWG bestimmt unter anderem für Streitigkeiten betreffend Gesamtverträge die ausschließliche erstinstanzliche Zuständigkeit des für den Sitz der Schiedsstelle zuständigen Oberlandesgerichts, also des Oberlandesgerichts München. Durch das Zweite Gesetz zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft sind in § 16 Abs. 4 Satz 1 UrhWG als neue Fallgruppe von Streitigkeiten, für die das Oberlandesgericht München ausschließlich erstinstanzlich zuständig ist, die "Streitfälle nach § 14 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b UrhWG" aufgenommen worden (vgl. BT-Drucks. 16/1828, S. 9). In der Begründung des Regierungsentwurfs heißt es dazu, die zu § 16 UrhWG vorgeschlagenen Änderungen dienten der Verfahrensbeschleunigung. Ähnlich wie bei Streitigkeiten betreffend Gesamtverträge solle für Streitigkeiten über die Vergütungspflicht nach § 54 sowie § 54c UrhG das Oberlandesgericht in erster Instanz zuständig sein. Das entspreche der Bedeutung dieser Streitfälle und sei angemessen, weil das Verfahren vor der Schiedsstelle gleichsam als erste Instanz vorausgegangen sei (BT-Drucks. 16/1828, S. 35; vgl. zu dieser Neuregelung Schulze, ZUM 2014, 957).
Dass der Regierungsentwurf die Begründung einer erstinstanzlichen Zuständigkeit des Oberlandesgerichts für die neu geschaffene Fallgruppe der Streitigkeiten nach § 14 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b UrhWG im Blick darauf als angemessen erachtet, dass dem Verfahren vor dem Oberlandesgericht ein Verfahren vor der Schiedsstelle vorausgegangen ist, spricht gegen die Annahme, der Gesetzgeber habe für Streitigkeiten nach § 14 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b UrhWG, bei denen die Anwendbarkeit und die Angemessenheit des Tarifs nicht bestritten sind, nur versehentlich nicht von der zwingenden Voraussetzung eines vorausgegangenen Schiedsstellenverfahrens abgesehen.
dd) Da unter diesen Umständen keine hinreichend deutlichen Anhaltspunkte für ein Redaktionsversehen des Gesetzgebers bestehen, kann § 16 Abs. 2 Satz 1 UrhWG nicht über seinen eindeutigen Wortlaut hinaus auf Streitigkeiten nach § 14 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b UrhWG erweitert werden. Es muss bei dieser Sachlage vielmehr dem Gesetzgeber überlassen bleiben, ein etwaiges Redaktionsversehen zu korrigieren (vgl. Schulze, ZUM 2014, 957, 959).
Büscher Koch Löffler Schwonke Feddersen Vorinstanz:
OLG München, Entscheidung vom 22.05.2014 - 6 Sch 20/13 WG -
BGH:
Beschluss v. 27.08.2015
Az: I ZR 148/14
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