Hessischer Verwaltungsgerichtshof:
Urteil vom 7. November 1995
Aktenzeichen: 11 UE 2669/94
(Hessischer VGH: Urteil v. 07.11.1995, Az.: 11 UE 2669/94)
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Weiterzahlung einer von der Beklagten grundsätzlich bewilligten Berufsunfähigkeitsrente.
Dem Kläger, der Mitglied des Versorgungswerkes der Beklagten ist, hatte diese mit Bescheid vom 25. September 1987 die Zahlung einer Berufsunfähigkeitsrente nach § 3 ihrer Versorgungsordnung bewilligt. Zur Begründung wurde darauf hingewiesen, daß durch Gutachten die Berufsunfähigkeit des Klägers festgestellt worden sei. Das Versorgungswerk sei berechtigt, Nachuntersuchungen zu veranlassen, um festzustellen, ob die Voraussetzungen zum Bezug der Berufsunfähigkeitsrente noch gegeben seien. Diesem Bescheid lag zugrunde ein im Auftrag der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen erstattetes ärztliches Gutachten eines Facharztes für Augenkrankheiten vom 30. Juli 1987. Darin wurde festgestellt, daß es bei dem Kläger durch einen am 16. September 1986 erlittenen Unfall, bei dem er während der Arbeit auf Gleitmittel für Ultraschalluntersuchungen ausgeglitten und auf den Hinterkopf aufgeschlagen sei, und die dadurch entstandenen Blutungen am hinteren Augenpol zu Narbenbildung in der Macula beider Augen gekommen sei. Das Sehvermögen betrage mit ausgleichendem Glas auf dem rechten Auge 0,05, auf dem linken Auge 0,2. Die Herabsetzung des Sehvermögens sei so hochgradig, daß der ärztliche Beruf nicht mehr ausgeübt werden könne. Auch eine Umschulung auf ein anderes Fachgebiet sei nicht möglich. Eine Besserung sei nicht zu erwarten. Nach Ablauf von zwei Jahren sei eine Nachuntersuchung angezeigt. In einer gutachtlichen Stellungnahme über die Nachuntersuchung vom 7. August 1989 stellte der gleiche Facharzt fest, daß sich gegenüber der Untersuchung am 30. Juli 1987 keine Veränderungen ergeben hätten. Es bestehe volle Berufsunfähigkeit. Eine Nachuntersuchung erübrige sich. Die Beklagte teilte dem Kläger daraufhin mit Schreiben vom 23. Oktober 1989 mit, daß eine erneute Nachuntersuchung für April 1990 vorgesehen sei. In einem weiteren, von der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen in Auftrag gegebenen ärztlichen Gutachten vom 29. März 1990 stellte der ärztliche Gutachter fest, daß eine "Unfähigkeit zur Ausübung des ärztlichen Berufes" im Sinne der erweiterten Honorarverteilung und im Sinne des Versorgungswerkes der Landesärztekammer Hessen vorliege. Der Antragsteller sei voll berufsunfähig. Eine Nachuntersuchung sei nicht angezeigt. Der ursprünglich von der Beklagten um Benennung eines Gutachters für eine weitere Nachuntersuchung gebetene leitende Arzt der Augenabteilung am Kreiskrankenhaus, Dr. T., teilte auf Anfrage der Beklagte mit Schreiben vom 4. Mai 1990, ob durch das ärztliche Gutachten vom 29. März 1990 die eingeleitete Nachuntersuchung überflüssig geworden sei, mit, daß nach Vorliegen dieses Gutachtens "keine Zweifel an einer dauernden Berufsunfähigkeit als Arzt" beständen und aus diesem Grunde eine zusätzliche Begutachtung durch einen weiteren ärztlichen Gutachter, wie ursprünglich vorgeschlagen, nicht mehr erforderlich sei. Am 30. Januar 1991 entschied der Aufsichtsausschuß des Versorgungswerkes der Beklagten, eine Nachuntersuchung des Klägers von Prof. Dr. D., vornehmen zu lassen. Aus dem Kreis der Aufsichtsausschuß-Mitglieder war laut Niederschrift über die Sitzung an diesem Tage berichtet worden, daß der Kläger als "erblindeter Arzt" und Empfänger einer Berufsunfähigkeitsrente angeblich Auto fahre.
Mit Schreiben vom 19. Februar 1991 wurde Prof. Dr. W., um Erstellung eines Gutachtens auf Grund einer Nachuntersuchung unter Anwendung des VECP-Untersuchungsverfahrens um Feststellung gebeten, ob der Kläger weiterhin völlig berufsunfähig sei. Die Nachuntersuchung sei angeordnet worden, da auf Grund eines Hinweises vermutet werde, daß der Kläger trotz seiner starken Sehbehinderung noch Auto fahre. Nachdem wegen der dort aus organisatorischen Gründen nicht durchführbaren Untersuchung der Gutachtenauftrag einem ärztlichen Gutachter in der Universitäts-Augenklinik übertragen worden war, und der Kläger zum dort anberaumten Untersuchungstermin am 9. und 19. Juli 1991 nicht erschienen war, teilte die Beklagte dem Kläger mit Schreiben vom 22. Juli 1991 mit, sie sehe sich deshalb leider veranlaßt, ihre Rentenzahlungen ab 1. August 1991 vorläufig einzustellen. Über eine Weitergewährung der Berufsunfähigkeitsrente werde der Verwaltungsausschuß der Beklagten nach Eingang des Untersuchungsergebnisses der Universitäts- Augenklinik entscheiden. Ausweislich einer Gesprächsnotiz in der Verwaltungsakte der Beklagten teilte die Universitäts-Augenklinik dann mit, daß der Kläger einen weiteren Untersuchungstermin am 23. Juli 1991 wahrgenommen habe; es sei noch ein weiterer Termin für den 29. Juli 1991 vorgesehen. Mit Schreiben vom 6. August 1991 forderte der Bevollmächtigte des Klägers die Beklagte auf, die Rentenzahlung fortzusetzen und präzise mitzuteilen, welche Zwecke die Beklagte mit den in Auftrag gegebenen "offenkundig ungewöhnlichen, besonders umfassenden und zeitaufwendigen Untersuchungen" verfolge. Der Kläger werde nach erneuter Prüfung entscheiden, ob er sich weiteren Untersuchungen durch die Universitäts-Augenklinik stellen solle und seine Zustimmung zur Herausgabe der Untersuchungsergebnisse an das Versorgungswerk erklären werde. Der Kläger habe sich nicht vorsätzlich den ursprünglich vorgesehenen Untersuchungen im Juli 1991 entzogen, sondern diese wegen Urlaubs nicht wahrnehmen können, was er auch der Klinik mitgeteilt habe. Mit Schreiben vom 12. August 1991 wies die Beklagte den Kläger darauf hin, daß sie gemäß § 3 ihrer Versorgungsordnung berechtigt sei, von Zeit zu Zeit festzustellen, ob die Voraussetzungen zum Bezug der Berufsunfähigkeitsrente bei dem Versorgungsempfänger noch vorlägen. Umfang und Zeitdauer der Nachuntersuchung lägen ausschließlich im Ermessen der Gutachter. Sollte sich der Kläger den zur Feststellung des weiteren Vorliegens seiner Berufsunfähigkeit noch erforderlichen Untersuchungen entziehen, würden die weiteren Rentenzahlungen vorläufig ab 1. September 1991 eingestellt.
Mit Schreiben vom 16. September 1991, unterzeichnet "i.A." mit den Namen S. und F., teilte die Beklagte dem Kläger mit, daß sie die Zahlung der Berufsunfähigkeitsrente einschließlich der Kinderzuschüsse ab dem 1. September 1991 eingestellt habe, da der Kläger der erforderlichen Nachuntersuchung in der Universitäts- Augenklinik nicht nachgekommen sei. Mit Schreiben vom 23. Oktober 1991 erklärte der Bevollmächtigte des Klägers gegenüber der Beklagten, daß der Hinweis, der Kläger fahre noch Auto, sachlich unzutreffend sei. Der Kläger habe Anlaß zu der Annahme, daß dieser "Hinweis" böswillig von einem in Frankfurt am Main- Höchst zugelassenen Arzt gegeben worden sei. Ergänzend wies der Klägerbevollmächtigte die Beklagte mit Schreiben vom 4. Dezember 1991 darauf hin, daß am 20. April 1988 ein niedergelassener Arzt aus Frankfurt am Main-Höchst der heute 83jährigen Mutter des Klägers gedroht habe, dafür zu sorgen, daß diesem seine Rente und damit auch ihr der Lebensunterhalt entzogen werde, wenn die Mutter ihn nicht in bestimmter Richtung beeinflusse. Es werde nochmals klargestellt, daß der Kläger die Behauptung bestreite, er fahre Auto. Mit Schreiben vom 31. Januar 1992 wies die Beklagte den Klägerbevollmächtigten darauf hin, daß es ihre Aufgabe sei festzustellen, ob die Voraussetzungen zur Gewährung einer Berufsunfähigkeitsrente weiterhin gegeben seien, wobei sie auch anonymen Hinweisen nachzugehen habe. Solange sich der Kläger der angeordneten Nachuntersuchung nicht unterziehe, sehe sie sich außerstande, die Rentenzahlung wieder aufzunehmen. Da die Beklagte als Selbstverwaltungskörperschaft nach pflichtgemäßem Ermessen selbst zu entscheiden habe, nach welchen Kriterien sie bei der Überprüfung von Leistungsvoraussetzungen vorgehe, sei sie dem Kläger gegenüber nicht verpflichtet, eine Begründung über die Veranlassung der angeordneten Maßnahme anzugeben. Der Bevollmächtigte des Klägers forderte daraufhin die Beklagte mit Schriftsatz vom 10. März 1992 auf, die unterbrochenen Rentenzahlungen bis spätestens 10. April 1992 wieder aufzunehmen. Der Kläger lehne eine weitere Begutachtung ab. Sämtliche bisher vorliegenden Gutachten hätten den bei ihm festgestellten Gesundheitsschaden als Endzustand bezeichnet. Deshalb seien weitere Untersuchungen sinnlos. Es könne einem Versicherten nicht zugemutet werden, sich immer wieder erneut sinnlosen Begutachtungen zu unterziehen.
Mit Schriftsatz vom 18. Juni 1993, bei dem Verwaltungsgericht Frankfurt am Main am 24. Juni 1993 eingegangen, hat der Klägerbevollmächtigte Klage erhoben mit dem Begehren der Verurteilung der Beklagten zur Zahlung der bis dahin rückständigen Monatsbeträge der Berufsunfähigkeitsrente an den Kläger. Zur Begründung hat er im wesentlichen darauf hingewiesen, der Kläger, der Mitglied des Versorgungswerkes der Beklagten sei, habe auf Grund des oben dargestellten Sachverhalts eine weitere Begutachtung in der Universitäts-Augenklinik abgelehnt, zumal auch Bedenken gegen die Objektivität des von der Beklagten beauftragten Gutachters Professor Dr. N. beständen. Denn dieser sei durch die Beklagte mit ihrer Information über einen anonymen Hinweis darauf, daß der Kläger Auto fahre, negativ vorbeeinflußt worden. Der in der Folgezeit von dem Kläger um augenärztliche Begutachtung gebetene Professor Dr. S. von der Gutachtenstelle im Zentrum der Augenheilkunde am Klinikum der Johann Wolfgang Goethe- Universität Frankfurt am Main sei in seinem Gutachten vom 17. März 1993 auf Grund persönlicher Untersuchung eindeutig zu dem Ergebnis gekommen, bei dem Kläger liege bei einer Visus- Herabsetzung des rechten Auges auf 1/35 und des linken Auges auf 0,16 Berufsunfähigkeit vor. Eine von dem Kläger in Auftrag gegebene neurologische Begutachtung durch den leitenden Arzt der Abteilung Neurologie und Rehabilitation im Krankenhaus, Dr. F., habe ausweislich des Gutachtens vom 15. Dezember 1992 zu dem Ergebnis geführt, daß bereits ohne Berücksichtigung der augenärztlichen Beurteilung erhebliche Zweifel an der Berufsfähigkeit des Klägers beständen. Diese Gutachten seien der Beklagten mit der Aufforderung zur Zahlung der rückständigen Renten übersandt worden. Aus alledem ergebe sich, daß das Bestreiten der Berufsunfähigkeit des Klägers seitens der Beklagten völlig unbegründet sei. Es sei der Versorgungsordnung nicht zu entnehmen, daß eine von dem Versicherten freiwillig verursachte Nachuntersuchung und deren Ergebnis nicht zu verwerten sei. Das Verlangen der Beklagten, daß der Kläger sich einer Nachuntersuchung durch den von der Beklagten negativ vorbeeinflußten Professor Dr. N. unterziehe, stelle sich als rechtsmißbräuchlich dar. Zwar habe die Beklagte gemäß §§ 24, 26 VwVfG von Amts wegen den Sachverhalt zu ermitteln und könne nach ihrem Ermessen Sachverständigengutachten einholen. Bei der dargestellten Sachlage sei es aber nicht ermessensfehlerfrei, dem Kläger eine Nachuntersuchung durch den vorbeeinflußten Professor Dr. N. zuzumuten. Zudem stelle sich die Frage nach einer Zumutbarkeit weiterer Untersuchungen, weil die Berufsunfähigkeit des Klägers durch eine Reihe von Gutachten hervorragender Fachleute sowohl auf neurologischem als auch auf ophtalmologischen Gebiete bestätigt worden sei.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 171.706,94 DM zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat zur Begründung ausgeführt, ihr stehe im Hinblick auf die Zahlungsverpflichtung aus dem Rentenbewilligungsbescheid ein Zurückbehaltungsrecht zu, weil der Kläger eine ihm obliegende, sich aus der Versorgungsordnung ergebende Mitwirkung verweigere. Die Beklagte habe deshalb ein Leistungsverweigerungsrecht entsprechend § 273 BGB, solange der Kläger sich weigere, die ihm obliegende Verpflichtung zur Ermöglichung einer Nachuntersuchung durch den von der Beklagten benannten Gutachter zu erfüllen. Insofern habe die Beklagte das Recht, einen Gutachter zur ordnungsgemäßen Begutachtung zu bestimmen. Den Umfang der Nachuntersuchung lege ausschließlich der Gutachter nach pflichtgemäßem medizinischen Ermessen fest. Im vorliegenden Falle sei nach einer ersten in Mainz durchgeführten Untersuchung eine weitere Begutachtung für erforderlich gehalten worden, da die in der ersten Untersuchung getroffenen Feststellungen keine hinreichende Grundlage für eine abschließende medizinische Bewertung in Form eines Gutachtens gewesen seien. Die Beklagte sei nicht verpflichtet, das privat von dem Kläger in Auftrag gegebene Gutachten des Facharztes Professor Dr. S. zu akzeptieren. Im übrigen werde bestritten, daß die Beklagte das von ihr mit der Nachuntersuchung beauftragte Institut zum Nachteil des Klägers beeinflußt habe.
Mit Urteil vom 13. Juni 1994 hat das Verwaltungsgericht die Beklagte antragsgemäß verurteilt und zur Begründung im wesentlichen ausgeführt, Grundlage für den Zahlungsanspruch sei der Rentenbewilligungsbescheid der Beklagten vom 25. September 1987, der bisher weder aufgehoben noch gegenstandslos geworden sei. Gegenüber diesem wirksamen Bewilligungsbescheid, der die Beklagte weiterhin zur Zahlung der Berufsunfähigkeitsrente an den Kläger verpflichte, könne sich diese nicht auf ein Zurückbehaltungsrecht berufen. Eine Rechtsgrundlage dafür enthielten weder die Bestimmungen der Versorgungsordnung noch die Vorschriften des Hessischen Verwaltungsverfahrensgesetzes. Da beide Regelungswerke somit keine Regelungslücken enthielten, fehle es an der Voraussetzung für eine analoge Anwendung des § 273 BGB. Die Anwendung dieser Norm scheide auch deshalb aus, weil es sich bei dem Mitgliedschaftsverhältnis in dem Versorgungswerk der Beklagten nicht um ein öffentlich-rechtliches Vertragsverhältnis handele, sondern um ein einseitig begründetes Mitgliedschaftsverhältnis. Auch eine entsprechende Anwendung des § 66 SGB-AT komme wegen der abschließenden Regelungen des Hessischen Verwaltungsverfahrensgesetzes nicht in Betracht. Ein Rückgriff auf die genannte Norm des Sozialversicherungsrechts sei auch deshalb ausgeschlossen, weil die Beklagte eine eigenständige berufsständige Versorgungseinrichtung außerhalb des allgemeinen Sozialrechts sei. Zudem sei die vorläufige Einstellung von Versorgungsleistungen in § 66 Abs. 1 SGB-AT als Rechtsfolge auch gar nicht vorgesehen. Die Beklagte könne dem Zahlungsbegehren des Klägers auch nicht den Einwand unzulässiger Rechtsausübung oder einen Verstoß gegen Treu und Glauben entgegenhalten. Eine möglicherweise mangelnde Mitwirkung eines Versicherten führe nicht dazu, daß ein Bestehen auf dem Bewilligungsbescheid und das Verlangen von Zahlung eine unzulässige Rechtsausübung darstelle oder sonst gegen Treu und Glauben verstoße. Insoweit müsse die Beklagte von ihren Möglichkeiten nach § 48 f. HVwVfG Gebrauch machen, den Bewilligungsbescheid aufzuheben. Dabei müsse sie unter Berücksichtigung des Amtsermittlungsgrundsatzes auch die von dem Kläger in Auftrag gegebenen und der Beklagten vorgelegten ärztlichen Gutachten berücksichtigen. Die von der Beklagten vorgenommene Sanktion der Beendigung der Rentenzahlung, wenn ein Versicherter der von ihr angeordneten ärztlichen Untersuchung nicht ausreichend nachkomme, sei weder in der Versorgungsordnung der Beklagten noch im Hessischen Verwaltungsverfahrensgesetz vorgesehen.
Gegen das dem Bevollmächtigten der Beklagten am 16. September 1994 zugestellte Urteil hat dieser mit am 21. September 1994 bei dem Verwaltungsgericht Frankfurt am Main eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt. Zur Begründung wiederholt er im wesentlichen das Vorbringen im erstinstanzlichen Verfahren und führt zudem aus, die von dem Verwaltungsgericht vertretene Auffassung, der Beklagten stehe trotz Verweigerung der Mitwirkungsverpflichtung des Klägers ein Zurückbehaltungsrecht nicht zu, sei angesichts der herrschenden Rechtsauffassung zur entsprechenden Anwendung des § 273 BGB im öffentlichen Recht rechtsfehlerhaft. Die Geltendmachung des Zurückbehaltungsrechts sei gegenüber der Aufhebung des Bewilligungsbescheides und damit der Beseitigung der Rechtsgrundlage für die Gewährung der Berufsunfähigkeitsrente das mildere Mittel; damit bleibe der Zahlungsanspruch des Berechtigten grundsätzlich bestehen. Der Rentenanspruch werde lediglich nicht zur Auszahlung gebracht. Stelle sich im Falle der Erfüllung der Mitwirkungsverpflichtung durch den Berechtigten heraus, daß die medizinischen Grundlagen der Berufsunfähigkeit nach wie vor uneingeschränkt gegeben seien, stünde dem Berechtigten nach Wegfall des Zurückbehaltungsrechts der Anspruch auf Zahlung des gesamten zwischenzeitlich aufgelaufenen Rentenbetrages zu. Die Geltendmachung des Zurückbehaltungsrechts stehe nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch neben der Möglichkeit der Vertragsaufkündigung wegen Leistungsverweigerung. Die Möglichkeit der Ausübung einer Zurückbehaltung von Rentenleistungen in derartigen Fällen wie dem vorliegenden sei gesetzlich begründet und im Interesse der Beteiligten geboten. Dies werde zudem durch die in § 66 SGB-AT vorgesehene rechtliche Möglichkeit bestätigt.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main vom 13. Juni 1994 abzuändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen und die Beklagte zu verurteilen, an ihn 427.806,49 DM zu zahlen.
Zur Erweiterung des Klageantrages verweist er darauf, daß die rückständigen Rentenbeiträge den im Antrag genannten Betrag erreichten. Im übrigen stehe der Beklagten kein Zurückbehaltungsrecht analog § 273 BGB zu. Der Kläger habe keineswegs ihm obliegende Mitwirkungsverpflichtungen verletzt. Eine Nachuntersuchung durch die Universitäts-Augenklinik sei dem Kläger wegen der negativen Vorbeeinflussung des Gutachters nicht zuzumuten. Außerdem habe sich aus den von ihm in Auftrag gegebenen Gutachten eindeutig ergeben, daß seine Berufsunfähigkeit einen Endzustand darstelle. Der Hinweis der Beklagten, im Hinblick auf den Schutz des Klägers müsse ihr anstelle der Aufhebung des Bewilligungsbescheides ein Zurückbehaltungsrecht analog § 273 BGB eingeräumt werden, erscheine nicht haltbar. § 66 SGB-AT könne nicht herangezogen werden, da eine entsprechende Regelung für das verwaltungsrechtliche Verfahren gerade fehle.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsvorgänge (zwei Hefter) sowie auf den Inhalt der Gerichtsakte verwiesen. Diese Akten sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Gründe
Die gemäß § 124 VwGO zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main vom 13. Juni 1994 ist nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht der Klage stattgegeben und die Beklagte antragsgemäß zur Weiterzahlung der Berufsunfähigkeitsrente für den Kläger ab September 1991 verurteilt.
Die Beklagte hat zu Unrecht die Zahlung der Berufsunfähigkeitsrente "ab dem 1.9.1991 eingestellt", wie sie dem Kläger mit Schreiben vom 16. September 1991 mitgeteilt hatte. Denn die Voraussetzungen für eine Beendigung der Zahlung der Berufsunfähigkeitsrente liegen nicht vor. Nach § 3 Abs. 4 Satz 2 der Versorgungsordnung des Versorgungswerks der Beklagten in der Fassung der letzten Änderung vom 23. Juni 1990, wie sie im Zeitpunkt der Einstellung der Rentenzahlungen galt (grundsätzlich hat der erkennende Senat die Rechtmäßigkeit der Versorgungsordnung in dieser Fassung mit Urteil vom 14. August 1990 - 11 UE 2092/89 - festgestellt), endet die Zahlung der Berufsunfähigkeitsrente mit Ablauf des Monats, "in dem das Mitglied stirbt oder die Berufsunfähigkeit endet oder das Mitglied Anspruch auf Altersrente erwirbt (§ 2 Abs. 2)". Sind die Gebrechen oder die Schwächen der geistigen oder körperlichen Kräfte, die zur Aufgabe der gesamten ärztlichen Tätigkeit geführt haben, nicht mehr vorhanden, so endet der Anspruch auf die Berufsunfähigkeitsrente mit Ablauf des Monats, in dem dieser Sachverhalt festgestellt wird (§ 3 Abs. 5 Satz 1 Versorgungsordnung). Die hier in Betracht kommende Voraussetzung des Endes der Berufsunfähigkeit lag im Zeitpunkt der Beendigung der Zahlung der Berufsunfähigkeitsrente durch die Beklagte nicht vor. Da nicht festgestellt worden ist, daß die Gebrechen bzw. Schwächen der körperlichen Kräfte des Klägers, insbesondere die erhebliche Verminderung seiner Sehfähigkeit, die zur Aufgabe der ärztlichen Tätigkeit geführt hat, nicht mehr vorhanden gewesen wären, liegt auch die Voraussetzung des § 3 Abs. 5 Versorgungsverordnung für eine Beendigung des Anspruchs auf die Berufsunfähigkeitsrente nicht vor. Davon ist offensichtlich auch die Beklagte ausgegangen, denn sie hat zur Begründung der Beendigung der Rentenzahlungen nur darauf verwiesen, daß der Kläger "der erforderlichen Nachuntersuchung in der Universitätsklinik Mainz nicht nachgekommen" sei. Der Umstand, daß ein Bezieher von Berufsunfähigkeitsrente nicht einer erforderlichen Nachuntersuchung nachkommt, ist nach der Versorgungsordnung des Versorgungswerks der Beklagten nicht als Tatbestand geregelt, der die Beendigung der Zahlung der Berufsunfähigkeitsrente rechtfertigt.
Zudem kann auch nicht festgestellt werden, daß der Kläger verpflichtet war, sich einer Nachuntersuchung durch das Versorgungswerk der Beklagten zu unterziehen. Denn nach § 3 Abs. 4 Satz 4 Versorgungsordnung kann der Verwaltungsausschuß auf Kosten des Versorgungswerkes Nachuntersuchungen zur Feststellung verlangen, ob die Voraussetzungen zum Bezug der Berufsunfähigkeitsrente noch bestehen. Im vorliegenden Falle ist aus den dem Senat vorliegenden Unterlagen, insbesondere aus den von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsvorgängen, nicht ersichtlich, daß der Verwaltungsausschuß die Nachuntersuchung des Klägers im Jahre 1991 veranlaßt hätte. Dies wäre aber erforderlich, damit eine rechtsverbindliche Verpflichtung des Klägers als Mitglied des Versorgungswerkes vorläge, sich einer Nachuntersuchung zu unterziehen. Zwar hat die Beklagte erstmals im Berufungsverfahren unter Vorlage einer "Niederschrift über die Sitzung des Aufsichtsausschusses des Versorgungswerkes der Landesärztekammer Hessen am 30. Januar 1991 in Frankfurt am Main" dargelegt, daß der Aufsichtsausschuß "entschieden" habe, eine Nachuntersuchung bei dem Kläger vornehmen zu lassen, nachdem "aus dem Kreis der Aufsichtsausschuß-Mitglieder" berichtet worden sei, daß der in der Niederschrift namentlich genannte Kläger als "erblindeter Arzt - Empfänger einer Berufsunfähigkeitsrente" angeblich Auto fahre. Damit ist aber keine ordnungsgemäße Entscheidung durch das nach der Versorgungsordnung für die Veranlassung von Nachuntersuchungen zuständige Organ, nämlich den Verwaltungsausschuß, getroffen worden. Nach der damals geltenden Satzung, deren Verteilung der Zuständigkeiten im wesentlichen auch der im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung geltenden Satzung in der Fassung vom 12. Januar 1995 entspricht, hatte der Verwaltungsausschuß die Geschäfte des Versorgungswerkes zu führen. Der Aufsichtsausschuß bzw. jetzt der Aufsichtsrat hatte und hat die Aufgabe, den Geschäftsablauf des Versorgungswerkes zu überwachen (§ 4, B) (1) der Satzung). Es kam und kommt deshalb nicht dem Aufsichtsausschuß bzw. Aufsichtsrat zu, im Rahmen der laufenden Geschäfte einzelne Entscheidungen zu treffen, zu denen der Verwaltungsausschuß bzw. jetzt Verwaltungsrat berufen ist. Dies ist insbesondere im vorliegenden Falle deshalb erheblich, weil es sich bei der dem Verwaltungsausschuß obliegenden Entscheidung nach § 3 Abs. 4 Satz 4 der Versorgungsordnung um eine Ermessensentscheidung handelt, bei der insbesondere Ermessenserwägungen wie die gleichmäßige Handhabung dieser Vorschrift in vergleichbaren Fällen zu berücksichtigen sind. Insoweit kommt der Ausübung dieser Zuständigkeit durch das zuständige Organ, das aufgrund seiner Verwaltungspraxis und damit verbundener Erfahrungen eine gleichmäßige Anwendung dieser Vorschrift gewährleisten kann, eine besondere Bedeutung zu. Diese Zuständigkeit kann der Aufsichtsausschuß nicht entgegen den Vorschriften des Versorgungswerkes und der Satzung "aufgrund von Hinweisen" aus dem Kreis der Aufsichtsausschuß-Mitglieder an sich ziehen. Er kann insoweit nur gegenüber dem Verwaltungsausschuß anregen, daß dieser eine Entscheidung über die Veranlassung von Nachuntersuchungen nach § 3 Abs. 4 Satz 4 Versorgungsordnung im Einzelfall trifft. Auch aus der Tatsache, daß ausweislich der Niederschrift über "die Sitzung des Aufsichtsausschusses" die Mitglieder des Verwaltungsausschusses anwesend waren, ergibt sich keine andere Beurteilung, da es keinen Anhaltspunkt dafür gibt, daß der Verwaltungsausschuß im Rahmen der Sitzung des Aufsichtsausschusses insoweit eine eigenständige Entscheidung getroffen hätte.
Auch im übrigen ist eine Entscheidung des dazu berufenen Verwaltungsausschusses aus dem Gang des Verwaltungsverfahrens nicht ersichtlich. Sämtliche Schreiben des Versorgungswerkes der Beklagten an den Kläger bzw. seinen Bevollmächtigten zur Einstellung der Berufsunfähigkeitsrente sind "i. A." und mit den Namen S. und F. unterzeichnet. Im Unterschied dazu sind Schreiben des Verwaltungsausschusses, wie z.B. die Mitteilung des Versorgungswerkes der Beklagten an den Kläger vom 18. April 1991, daß der Kinderzuschuß für seine Tochter Petra eingestellt werde, mit "Der Verwaltungsausschuß" unterschrieben. Auch Entscheidungen der Organe des Versorgungswerkes, wie des Aufsichtsrates, werden ausdrücklich so gekennzeichnet, wie die Entscheidung des Aufsichtsrates über den Widerspruch des Klägers gegen die Rückforderung überzahlter Kinderzuschüsse vom 20. Januar 1993 belegt (Bl. 126 der Verwaltungsakte des Versorgungswerkes der Beklagten). Der daraufhin ergangene Widerspruchsbescheid vom 26. Januar 1993 ist ebenfalls mit "Versorgungswerk - Der Aufsichtsrat" unterschrieben. Der Verwaltungsausschuß, jetzt der Verwaltungsrat (vgl. § 3 C) der Satzung des Versorgungswerks der Beklagten in der derzeit geltenden Fassung der letzten Änderung vom 12. Januar 1995), hatte im maßgeblichen Zeitpunkt der Einstellung der Zahlungen der Berufsunfähigkeitsrente an den Kläger gemäß § 18 B) Abs. 1 der Satzung in der Fassung der Änderung vom 23. Juni 1990 drei Mitglieder. Ihm oblag die Führung der Geschäfte des Versorgungswerkes. Da nicht feststellbar ist, daß der "Verwaltungsausschuß" als dafür zuständiges Organ des Versorgungswerkes der Beklagten die Nachuntersuchung des Klägers veranlaßt hat, kann von einer rechtmäßigen Verpflichtung des Klägers, sich einer Nachuntersuchung zu unterziehen, nicht ausgegangen werden. Denn es hat nicht das innerhalb des Versorgungswerkes der Beklagten für diese Entscheidung zuständige Organ gehandelt, so daß insoweit eine rechtmäßige Grundlage für die Aufforderung an den Kläger, sich einer Nachuntersuchung zu unterziehen, und die aufgrund der Weigerung des Klägers erfolgte Einstellung der Rentenzahlungen nicht vorliegt. Soweit das Versorgungswerk der Beklagten mit Schreiben vom 6. November 1991 an den Bevollmächtigten des Klägers feststellt, "bei der Ausübung dieser von uns laut Satzung und Versorgungsordnung wahrzunehmenden Aufgaben haben wir in unserer Eigenschaft als Selbstverwaltungskörperschaft die Verfahrens- und Vorgehensweise unter Beachtung der formellen und rechtlichen Vorschriften selbst festzulegen", ist darauf hinzuweisen, daß das Versorgungswerk der Beklagten insoweit die Zuständigkeitsvorschriften nach seiner Versorgungsordnung nicht beachtet hat. Dies führt schon aus diesem Grunde zur Rechtswidrigkeit der Einstellung der Rentenzahlungen. Es besteht deshalb mangels Tätigwerdens des zuständigen Organs des Versorgungswerkes der Beklagten keine rechtliche Grundlage für die Einstellung der Rentenzahlungen an den Kläger.
Im übrigen ist unabhängig davon ergänzend darauf hinzuweisen, daß die Beendigung der Rentenzahlung, jedenfalls soweit die dafür nach § 3 Abs. 4 Satz 2 Versorgungsordnung notwendigen Voraussetzungen nicht vorliegen, allein nach einer Aufhebung des Rentenbewilligungsbescheides vorgenommen werden kann. Denn der Bescheid des Versorgungswerkes der Beklagten vom 25. September 1987, mit dem dem Kläger eine Berufsunfähigkeitsrente nach § 3 der Versorgungsordnung bewilligt wurde, stellt als bestandskräftiger begünstigender Verwaltungsakt eine rechtliche Grundlage für den Anspruch des Klägers auf Zahlung der Berufsunfähigkeitsrente dar. Solange dieser Leistungsbescheid wirksam ist, kann nicht entgegen der Wirkung dieses Verwaltungsaktes, der dem Kläger einen Anspruch auf Zahlung der Berufsunfähigkeitsrente gibt, die Zahlung der Berufsunfähigkeitsrente unter Rückgriff auf zivilrechtliche Institute, wie sie in Schuldverhältnissen nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch gelten, verweigert werden. Denn dieses würde in Verwaltungsverfahren, die durch Verwaltungsakte gestaltet worden sind, dazu führen, daß bestandskräftigen Verwaltungsakten unter Umgehung der dafür vorgesehenen Regelungen des Verwaltungsverfahrensgesetzes ihre Wirkung genommen werden könnte. Könnte die einen begünstigenden Verwaltungsakt erlassende Stelle sich darauf berufen, daß sie der aufgrund des bestandskräftigen Verwaltungsaktes bestehenden Verpflichtung nicht nachkommen müsse, weil sie ein Zurückbehaltungsrecht geltend mache, könnte dies zu einer weitreichenden Entwertung der Wirksamkeit begünstigender Leistungsbescheide, wie etwa im Sozialhilfe- Versorgungs- und Besoldungsrecht, führen. Dies im Ergebnis eine weitgehende Rechtsunsicherheit bewirken, da die Verwaltung auf der einen Seite begünstigende Verwaltungsakte erließe, auf deren Erlaß der Bürger einen Anspruch hat, und auf der anderen Seite die Wirkung dieser Verwaltungsakte durch die Geltendmachung schuldrechtlicher Rechte nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch gegenüber dem Bürger unterlaufen könnte. Dies widerspricht dem zwingenden Formenkanon des Verwaltungsverfahrensgesetzes, nach dem die rechtsregelnde Wirkung eines begünstigenden Verwaltungsaktes nur durch Aufhebung nach §§ 48, 49 HVwVfG beseitigt werden kann.
Zwar ist anerkannt, daß § 273 BGB, nach dem der Schuldner die geschuldete Leistung verweigern kann, bis die ihm gebührende Leistung bewirkt wird (Zurückbehaltungsrecht), wenn er aus demselben rechtlichen Verhältnis, auf dem seine Verpflichtung beruht, einen fälligen Anspruch gegen den Gläubiger hat, dem Rechtsgedanken nach auch im öffentlichem Recht teilweise anwendbar ist (Heinrichs in: Palandt, BGB, 54. Aufl. 1995, § 273 Rdnr. 3, Keller in: Münchener Kommentar zum BGB, 2. Aufl. 1985, § 273 Rdnr. 2). Die Vorschrift und der ihr zu entnehmende Rechtsgedanke kann aber außerhalb des öffentlichen Vertragsrechts nicht uneingeschränkt auf öffentlich-rechtliche Beziehungen übertragen werden (OVG Hamburg, U.v. 18.1.1977 - Bf III 4/76 -, NJW 1977, 1251). Ein Rückgriff auf den Rechtsgedanken des § 273 BGB läßt sich im öffentlichen Recht allenfalls dann begründen, wenn sich auch die Kostentragungspflicht aus einer entsprechenden Anwendung bürgerlich-rechtlicher Vorschriften ergibt (Stober, Das Zurückbehaltungsrecht wegen öffentlich-rechtlicher Forderungen, DVBl. 1973, 351). Im öffentlichen Recht bedarf es spezieller gesetzlicher Grundlagen für die Verweigerung öffentlich-rechtlicher Leistungen, auf die der Bürger einen Anspruch hat. Soweit die Verwaltung - wie im vorliegenden Falle - verpflichtet ist, einen begünstigenden Verwaltungsakt - hier auf Zahlung von Berufsunfähigkeitsrente - zugunsten des Bürgers zu erlassen, kann sie nicht trotz Bestehens eines bestandskräftigen begünstigenden Verwaltungsaktes die danach zu erbringenden Leistungen unter Verweis auf ein bürgerlich-rechtlich begründetes Zurückbehaltungsrecht, für das es nach den zugrunde liegenden öffentlich-rechtlichen Vorschriften keine Grundlage gibt, verweigern. Dies würde - wie schon oben dargestellt - zu einer unausgewiesenen, rechtlich unzulässigen Aufhebung der Wirkung begünstigender Verwaltungsakte, auf deren Erlaß der Bürger einen Anspruch hat, führen. Soweit deshalb ein bestandskräftiger begünstigender Verwaltungsakt ergangen ist, ist die Verwaltung verpflichtet, die damit bestandskräftig geregelte Leistung zu gewähren, bis dieser Verwaltungsakt nach den Regelungen der §§ 48, 49 HVwVfG aufgehoben und damit unwirksam geworden ist. Die Geltendmachung eines "Zurückbehaltungsrechts" stellt insoweit eine unzulässige Umgehung der nach dem Verwaltungsverfahrensgesetz zwingend gesetzlich vorgesehenen Formen dar, mit denen die von einem bestandskräftigen begünstigenden Verwaltungsakt ausgehenden Wirkungen zugunsten des Bürgers aufgehoben werden können.
Entgegen der Auffassung der Beklagten spricht dagegen nicht, daß damit auf Dauer die Zahlungsverpflichtung beseitigt würde. Denn eine Aufhebung des Rentenbewilligungsbescheides kann nur dann und nur solange in Frage kommen, wie die Voraussetzungen für die Gewährung der Berufsunfähigkeitsrente nicht vorliegen. Der von der Beklagten gezogene Vergleich mit dem Institut des Zurückbehaltungsrechts nach § 273 BGB, das bei Bewirkung der Leistung durch den Gläubiger dazu führe, daß die zeitweilig verweigerte Leistung in vollem Umfange bewirkt werde, verkennt den Charakter des "Dauer-Verwaltungsaktes", den die Gewährung der Berufsunfähigkeitsrente darstellt. Denn insoweit muß für jeden Bezugsmonat feststehen, daß die Voraussetzungen für den Bezug der Berufsunfähigkeitsrente vorliegen; soweit dies nach den Regelungen der Versorgungsordnung nicht der Fall ist, kommt dann auch eine "rückwirkende" Zahlung der Rente nicht mehr in Betracht. Stellt sich heraus, daß die Aufhebung des Bewilligungsbescheides rechtswidrig war, weil die Voraussetzungen für die Gewährung der Berufsunfähigkeitsrente dauernd vorlagen, bleibt der ursprüngliche Bewilligungsbescheid in Kraft und ist damit weiterhin Grundlage auch für die Nachzahlung einer aufgrund der Aufhebung des Bewilligungsbescheids zeitweise nicht erfolgten Zahlung der Berufsunfähigkeitsrente. Insgesamt ist daher festzustellen, daß für die Geltendmachung eines Zurückbehaltungsrechts durch die Beklagte hier keine rechtliche Grundlage ersichtlich ist.
Die Beklagte ist vielmehr gehalten, mit den nach dem Verwaltungsverfahrensgesetz vorgesehenen Formen zu handeln, wenn sie der Auffassung ist, daß die Voraussetzungen für die Bewilligung der Berufsunfähigkeitsrente durch den Bescheid vom 25. September 1987 nicht mehr vorliegen. Insoweit hat das Verwaltungsgericht zu Recht darauf hingewiesen, daß u.a. § 26 Abs. 2 Satz 3 HVwVfG eine weitergehende Pflicht des Beteiligten, bei der Ermittlung des Sachverhalts mitzuwirken, insbesondere der Pflicht zum persönlichen Erscheinen und zur Aussage nur vorsieht, soweit sie durch Rechtsvorschrift besonders vorgesehen ist. Eine solche Vorschrift stellt § 3 Abs. 4 Satz 4 der Versorgungsordnung dar. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind aber im vorliegenden Falle nicht gegeben, wie oben dargestellt. Es kommt deshalb hier nicht mehr darauf an, welche - in der Versorgungsordnung im Unterschied etwa zu § 51 Abs. 1 HBG oder § 66 SGB-AT nicht geregelten - Konsequenzen eine unzulässige Weigerung eines Mitglieds des Versorgungswerkes hat, sich durch den Verwaltungsausschuß (jetzt: Verwaltungsrat) veranlaßten Nachuntersuchungen zu unterziehen. Eine etwa § 51 Abs. 1 Satz 5 HBG vergleichbare Vorschrift, nach der ein Beamter, der sich ohne hinreichenden Grund der Verpflichtung, sich nach Weisung der Behörde ärztlich untersuchen oder beobachten zu lassen, entzieht, so behandelt werden kann, wie wenn seine Dienstunfähigkeit amtsärztlich festgestellt worden wäre, fehlt hier. Eine entsprechende Regelung, nach der ein Mitglied des Versorgungswerkes, das Berufsunfähigkeitsrente bezieht, sich so behandeln lassen muß, als läge Berufsunfähigkeit nicht mehr vor, wenn es sich unzulässig weigert, der ordnungsgemäß veranlaßten Nachuntersuchung nachzukommen, ist in der Versorgungsordnung nicht vorgesehen und kann angesichts der weitreichenden Konsequenzen einer solchen Regelung auch nicht im Wege der Analogie § 3 Abs. 4 Versorgungsverordnung entnommen werden.
Dies gilt ebenso für die auch von der Beklagten herangezogene Regelung des § 66 SGB-AT, nach dem der Leistungsträger ohne weitere Ermittlungen die Leistung bis zur Nachholung der Mitwirkung ganz oder teilweise versagen oder entziehen kann, wenn derjenige, der eine Sozialleistung erhält, seinen Mitwirkungspflichten nicht nachkommt und hierdurch die Aufklärung des Sachverhalts erheblich erschwert, soweit die Voraussetzungen der Leistung nicht nachgewiesen sind. Auch eine solche Regelung ist in der Versorgungsordnung der Beklagten gerade nicht vorgesehen worden. Im übrigen beständen auch erhebliche Zweifel, ob bei einer analogen Anwendung des § 66 SGB-AT die Voraussetzungen für eine Leistungsverweigerung vorlägen. Denn die Befugnis zur Leistungsverweigerung endet auch mit einem anderweitigen Nachweis der Leistungsvoraussetzungen (Seewald in: Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, Stand: September 1994, § 66 SGB I Rdnr. 23, 29). Im vorliegenden Falle hat der Kläger durch von ihm in Auftrag gegebene Gutachten ärztlicher Sachverständiger dargelegt, daß er weiter berufsunfähig war und somit die Voraussetzungen für die Leistung der Berufsunfähigkeitsrente vorlagen. Entgegen der Auffassung der Beklagten wird unter diesem Gesichtspunkt die Aussagekraft der Feststellungen der ärztlichen Gutachter nicht dadurch wertlos, daß es sich dabei um von dem Kläger beauftragte Gutachter handelt. Insoweit wäre jedenfalls auch bei einer analogen Anwendung des § 66 SGB-AT zweifelhaft, ob die Voraussetzungen für eine Leistungsverweigerung vorlagen. Im übrigen kann auch bei analoger Anwendung des § 66 SGB-AT nicht einfach die Leistung zurückbehalten werden, wie es die Beklagte im vorliegenden Falle getan hat. Vielmehr kann nach dieser Vorschrift bis zur Nachholung der Mitwirkung die Leistung ganz oder teilweise versagt oder entzogen werden. Diese Versagung bzw. Entziehung der Leistung kann aber ebenfalls nicht durch bloße Nichtgewährung der Leistung in einer Art zivilrechtlicher Zurückbehaltung erfolgen, sondern muß durch einen Verwaltungsakt erfolgen, der auf dem eigenständigen Versagungsgrund des § 66 Abs. 1 SGB-AT beruht (vgl. Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, § 66 SGB I Rdnr. 25, unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts).
Insgesamt ist somit festzustellen, daß es keine rechtliche Grundlage für die "Einstellung" der Zahlungen der Berufsunfähigkeitsrente durch die Beklagte gab. Die Beklagte war deshalb verpflichtet, dem Kläger die Berufsunfähigkeitsrente auch ab September 1991 weiterzuzahlen; sie war deshalb auf die zulässige Klageerweiterung des Klägers im Berufungsverfahren, die keine Klageänderung darstellt, zur Zahlung der im Tenor genannten Summe zu verurteilen. Die Höhe der von dem Kläger im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung mit dem Berufungsantrag geltend gemachten Betrages der von der Beklagten zu zahlenden Berufsunfähigkeitsrente ist, wie die Justitiarin des Versorgungswerkes der Beklagten in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich erklärt hat, zwischen den Beteiligten unstreitig.
Da das Rechtsmittel der Beklagten keinen Erfolg hat, hat sie die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen (§ 154 Abs. 2 VwGO). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 167 VwGO, 709 ZPO. Die Höhe der Sicherheitsleistung hat der Senat unter Berücksichtigung des zu vollstreckenden Betrages, der dafür anfallenden Gerichtsgebühren, Gebühren nach der BRAGO und der Vollstreckungskosten festgesetzt.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 132 Abs. 2 VwGO) liegen nicht vor.
Hessischer VGH:
Urteil v. 07.11.1995
Az: 11 UE 2669/94
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