Oberlandesgericht Stuttgart:
Beschluss vom 30. Juni 2006
Aktenzeichen: 8 W 140/06
(OLG Stuttgart: Beschluss v. 30.06.2006, Az.: 8 W 140/06)
In einem Verfahren zur Bestellung eines Betreuers, das von der Rechtsanwaltskammer nach §§ 16 Abs. 3, 224 a BRAO (i.V.m. § 1 VO JMBW v. 30. 11. 1998) beantragt wurde, einem betroffenen Rechtsanwalt im anwaltsgerichtlichen Verfahren eine ausreichende Wahrnehmung seiner Rechte zu gewährleisten, kann der Betroffene zur Anhörung weder vorgeführt, noch kann zur Begutachtung seines psychischen Zustands eine Vorführung oder seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet werden.
Tenor
1. Auf die weitere Beschwerde der Betroffenen wird der Beschluss der 10. Zivilkammer vom 20.3.2006aufgehobenund die Sache an das Landgericht Stuttgart zur ergänzenden Bearbeitung und erneuten Entscheidung zurückverwiesen.
2. Im Rahmen seiner Kostenentscheidung hat das Landgericht auch über die Kosten dieses Rechtsbeschwerdeverfahrens mit zu entscheiden.
Gründe
I.
Im Rahmen mehrerer Verfahren, u.a. wegen Widerrufs der Rechtsanwaltszulassung, gab der Anwaltsgerichtshof der Antragstellerin auf, der Betroffenen einen Betreuer bestellen zu lassen (§§ 16 Abs. 3, 224a BRAO, § 1 VO des JMBW v. 30.11.1998). Dem entsprach die Antragstellerin mit ihrem an das Amtsgericht Kirchheim/Teck gerichteten Schreiben vom 22.4.04. Sie legte diesem Antragschreiben eine Kopie eines vom Dr. med. ..., Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, unter dem 26.6.2002 erarbeiteten schriftlichen Gutachtens vor, das zum Ergebnis hatte, dass bei der Betroffenen mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit eine Schizophrenie vom Prägnanztyp der paranoiden Schizophrenie vorliege, die zu einem Realitätsverlust und einer vorrangigen Verhaltensbeeinflussung durch produktiv-psychotische Symptome geführt habe. Ebenfalls beigelegt war eine Gutachtenergänzung des Sachverständigen vom 28.8.2003, die das frühere Gutachten bestätigte. Das erste Gutachten basierte auf Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft, die Ergänzung auf den Handakten des Sachverständigen und der Akte der Generalstaatsanwaltschaft. Beide Gutachten waren von der Staatsanwaltschaft bzw. der Generalstaatsanwaltschaft Stuttgart in Auftrag gegeben worden, um die Schuldfähigkeit der Betroffenen abzuklären. Das Amtsgericht bestellte der Betroffenen einen Verfahrenspfleger und entsprach dem Antrag, indem es der Betroffenen mit Beschluss vom 4.5.04 einen Betreuer für die beim Anwaltsgerichtshof anhängigen drei Verfahren mit den AZ AGH 15/03, AGH 20/03 und AGH 44/02 bestellte.
Im von der Betroffenen angestrengten Beschwerdeverfahren hat das Landgericht Stuttgart zunächst die Begutachtung der Betroffenen nach § 68b FGG zur Fragestellung beschlossen, ob die Betroffene wegen einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung nicht in der Lage sei, ihre Rechte in den Verfahren vor dem Anwaltsgerichtshof wahrzunehmen (Beschluss vom 9.9.04). Zum Gutachter hat es Dr. ..., Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, ..., bestellt. Nachdem die Betroffene den vom Gutachter bestimmten Termin zur Untersuchung nicht wahrgenommen und auch auf den Hinweis des Landgerichts vom 13.4.05, es werde, falls die Betroffene nicht innerhalb von 2 Wochen mit dem Gutachter einen Untersuchungstermin vereinbare, davon ausgehen, dass sie die Untersuchung verweigere, und ein Aktengutachten in Auftrag geben, nicht reagiert hatte, hat das Landgericht mit Beschluss vom 13.5.05 den Gutachtenauftrag dahin modifiziert, dass der Sachverständige Dr. & ein Gutachten auf Aktenbasis erstatten solle. Der Gutachter legte im Oktober sein schriftliches Gutachten vom 12.10.05 vor. Es stützt sich auf die vom Landgericht Stuttgart überlassenen Unterlagen. Das waren
- die Akte selbst und als Teil derselben insbes. das von der Staatsanwaltschaft eingeholte Gutachten Dr. & vom & mit Ergänzung vom &, zwei von der Betroffenen veranlasste und von ihr vorgelegte gutachtliche Stellungnahmen des Dr. &, Arzt für Neurologie und Psychiatrie, &, vom 19.1.04 (Bl. 35) und vom 14.5.04 (Bl.70 Anl.) und
- die vom Landgericht bei gezogene Akte des AG Kirchheim 4 GR 73/00; jene Akte enthält kein Gutachten.
Der Sachverständige kommt in seinem Gutachten zum Ergebnis, dass die Betroffene mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit an einer paranoiden Schizophrenie (ICD 10: F20.0) leide. Nach Aktenlage sei davon auszugehen, dass die Betroffene ein chronifiziertes Wahnsystem habe und auf Grund des Ausmaßes der Erkrankung nicht mehr in der Lage erscheine, ganz oder teilweise ihre Angelegenheiten zu besorgen. Sie scheine nicht mehr in der Lage zu sein, Entscheidungen und Verhaltensweisen durch vernünftige Erwägungen leiten zu lassen. Hinweisend für sein Gutachtenergebnis waren für den Sachverständigen die Gutachten des Dr. &, die Diagnosestellung der Amtsärztin des Amtsgerichts Kirchheim, die die Unterbringung in der Psychiatrischen Abteilung des Kreiskrankenhauses & veranlasst hatte, und vom Akteninhalt i.Ü. insbes. die seitenlangen Schreiben der Betroffenen.
Das Gutachten wurde den Beteiligten zur Kenntnis gebracht. Zum danach anberaumten Termin zur Anhörung der Betroffenen im Beisein des Sachverständigen erschien die Betroffene nicht. Statt dessen reichte sie am Tag der anberaumten Anhörung per Fax einen mehrseitigen Schriftsatz nebst Anlagen bei Gericht ein. Im Termin selbst erklärte der Sachverständige, die Unterlagen, die ihm vorgelegen hätten, seien so reichhaltig und unterschiedlich, dass sie ein klares Bild der Erkrankung der Betroffenen ergeben hätten. Für seine Diagnose brauche er keine persönliche Anhörung.
Mit Beschluss vom 20.3.06 hat anschließend das Landgericht Stuttgart die Beschwerde der Betroffenen zurückgewiesen. Im Beschwerdeverfahren habe sich bestätigt, dass die Betroffene mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit an einer paranoiden Schizophrenie mit einem chronifizierten Wahnsystem leide. Für diese Erkenntnis stützt sich das Landgericht auf das schriftliche Gutachten des Dr. & und seine eigene gerichtliche Kenntnis von dem Verhalten der Betroffenen im vorliegenden Betreuungsverfahren und in den Verfahren 4 GR 73/00 (AG Nürtingen) und 10 S 1/03 vor der Kammer (wegen Entziehung des Wohnungseigentums). In all diesen Verfahren habe die Betroffene eindeutige Symptome einer paranoiden Schizophrenie gezeigt. Die Betroffene sei daher nicht in der Lage, ihre Rechte im Verfahrens wegen Entziehung der Anwaltszulassung vor dem Anwaltsgerichtshof Baden-Württemberg selbst wahrzunehmen.
Auf eine Vorführung der Betroffenen zur Anhörung habe die Kammer verzichtet, weil sie sich davon keinen zusätzlichen Erkenntnisgewinn versprochen habe. Denn die Betroffene würde sich bei zwangsweiser Vorführung massiv gewehrt haben; ein Gespräch wäre dann auch nicht möglich gewesen. Gleiches gelte für den Fall einer zwangsweisen Vorführung zum Sachverständigen. Es wäre unverhältnismäßig, die Betroffene bei solchen tatsächlichen Verhältnissen vorzuführen oder zur Beobachtung unterzubringen.
Im Übrigen wird auf den Beschluss des Landgerichts verwiesen.
Gegen diesen Beschluss des Landgericht haben die Betroffene selbst mit Fax vom 3.4.06 und ihr Verfahrensbevollmächtigter mit Fax vom 10.4.06 weitere Beschwerde eingelegt. Sie halten die Entscheidung des Landgerichts für rechtsfehlerhaft. Sie könne, wie auch die der ersten Instanz, keinen Bestand haben.
Das Landgericht habe (unter Verstoß gegen Art. 6 MRK) die Anträge der Betroffenen vom 15.2.06 auf Akteneinsicht, Ablehnung des Gerichtsgutachters, Bestellung von Frau Dr. & als Gutachterin und auf Terminsaufhebung unbeachtet gelassen. Die Befangenheit des gerichtlichen Sachverständigen ergebe sich schon daraus, dass er geäußert habe, ein persönliches Kennenlernen der Betroffenen könne nichts an seinem erkauften Gutachten ändern. Das Gericht habe sich auch nicht ansatzweise mit den Anträgen der Betroffenen auseinandergesetzt, obgleich ihm der Schriftsatz vom 15.2.05 am Terminstag vorgelegen habe.
Die Entscheidung des Landgerichts sei außerdem gefällt worden, obgleich das Gericht weder die angebliche Ladung zum Untersuchungstermin vom 8.4.05, noch die Gerichtsverfügung vom 13.4.05, noch den Beschluss vom 13.5.05 der Betroffenen oder ihrem Verfahrensbevollmächtigten RA & zugestellt gehabt habe.
Im Übrigen wird auf die Beschwerdeschreiben verwiesen.
Den anderen Verfahrensbeteiligten wurde Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.II.
Die weitere Beschwerde der Betroffenen ist zulässig (§§ 27,29 FGG). Sie hat jedoch nur insoweit Erfolg, als die Sache an das Landgericht zur Durchführung ergänzender Ermittlungen und zur erneuten Entscheidung zurückzuverweisen ist.
1. Es ist nicht zu beanstanden, dass das Landgericht davon abgesehen hat, durch zwangsweise Vorführung der Betroffenen eine gerichtliche Anhörung zu erzwingen, dass es davon abgesehen hat, durch zwangsweise Vorführung der Betroffenen eine Untersuchung und Anhörung durch den gerichtlichen Sachverständigen bzw. durch zwangsweise Unterbringung zur Begutachtung dem Sachverständigen die Möglichkeit persönlicher Beobachtung der Betroffenen zu geben. Zwar verlangen die gesetzlichen Vorschriften des Betreuungsrechts, dass einer Betreuerbestellung die persönliche Anhörung des Betroffenen durch das Gericht vorausgeht (§ 68 Abs. 1 FGG). Sie verlangen, dass der vom Gericht zur Begutachtung herangezogene Sachverständige den Betroffenen persönlich untersucht und befragt (§ 68b Abs. 1 FGG) und sie lassen die zwangsweise Vorführung zur Durchsetzung der persönlichen Befragung und Untersuchung zu (§§ 68 Abs. 3, 68b Abs. 3 und 4 FGG). Es besteht auch Einigkeit in der Rechtsprechung, dass von - hier nicht vorliegenden Ausnahmen (§§ 68 Abs. 2, 68b Abs. 1a FGG) abgesehen - das Erfordernis der Anhörung und Untersuchung vor Betreuerbestellung zwingend ist (vgl. Kayser in Keidel/Kuntze/Winkler, FG, 15. Aufl., § 68, RN 2,3,5 mit Rechtsprechungsnachweis; § 68b RN 4; OLG Köln FamRZ 2001, 310; Brandenburgisches OLG FamRZ 2001, 40; BayObLG FamRZ 1999, 1595). Für die Beschwerdeinstanz gilt nichts anderes (§ 69g Abs. 5 FGG); in ihr kann hiervon nur dann abgesehen werden, wenn bereits in erster Instanz allen diesen Anforderungen genügt worden ist und von einer erneuten Vornahme keine zusätzlichen Erkenntnisse mehr zu erwarten sind (§ 69g Abs. 5 S. 3 FGG).
Eine andere Vorgehensweise ist jedoch dann gerechtfertigt, wenn es sich bei dem Betroffenen um einen Rechtsanwalt handelt und das Verfahren auf Bestellung eines Betreuers nur dem Zwecke dient, die Durchführung eines anwaltsgerichtlichen Verfahrens zu ermöglichen. Denn nach § 117 BRAO darf ein Rechtsanwalt zur Durchführung eines solchen Verfahrens weder vorläufig festgenommen noch verhaftet oder vorgeführt werden. Er kann auch nicht zur Vorbereitung eines Gutachtens über seinen psychischen Zustand in ein psychiatrisches Krankenhaus verbracht werden.
Dem steht nicht entgegen, dass § 16 Abs. 3 BRAO die entsprechende Anwendung der Regeln des Gesetzes über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit für Betreuungsverfahren für nach § 16 Abs. 3 BRAO durchzuführende Betreuerbestellungsverfahren vorsieht. Schon aus der vorgesehenen entsprechenden Anwendung ergeben sich Einschränkungen, soweit Besonderheiten des anwaltsgerichtlichen Verfahrens sie erfordern. Dazu aber gehört, dass nach § 117 BRAO ein Rechtsanwalt vor zwangsweiser Vorführung und Begutachtung wegen psychischer Probleme geschützt sein soll. Die sich hieraus ergebenden Nachteile einer gerichtlichen Entscheidung ohne persönliche Anhörung und auf Gutachtenbasis nach Aktenlage werden dafür in Kauf genommen. In Fällen, in denen - wie hier - das Betreuerbestellungsverfahren nur die Funktion hat, für das anwaltsgerichtliche Verfahren zur Vertretung des selbst nicht mehr zur sachgerechten Wahrnehmung der eigenen Belange fähigen Anwalts einen Betreuer zu bestellen, müssen aber die Beschränkungen des § 117 BRAO gleichermaßen gelten. Denn in einem solchen Fall hat das durchzuführende Betreuerbestellungsverfahren nur Unterstützungscharakter für das anwaltsgerichtliche Verfahren. Die Anwendung der Zwangsmittel, die das FGG im Betreuungsverfahren zulässt, würde hier auf eine Umgehung des § 117 BRAO hinauslaufen, weil im anwaltsgerichtlichen Verfahren dann die Ergebnisse der erzwungenen Anhörung bzw. Begutachtung entgegen § 117 BRAO zur Verfügung stünden (so auch der Vertreter der Betroffenen im Schriftsatz vom 15.1.05, Seite 4) .
Anders wäre es dagegen zu beurteilen, wenn ein Betreuerbestellungsverfahren anhängig wäre, in dem einem Anwalt wegen dessen schlechten psychischen Zustands unabhängig von anwaltsgerichtlichen Verfahren ein Betreuer für bestimmte Lebensbereiche bestellt werden soll, weil er diese Bereiche nicht mehr selbständig zu bewältigen vermag. In einem solchen Fall hätte das betreuungsrechtliche Verfahren keinen Hilfscharakter für ein anwaltsgerichtliches Verfahren und folgte ausschließlich den Regeln des FGG. Soweit Feuerich/Braun (BRAO, 5. Aufl. § 117 RN 1-3) und Kleine-Cosack (BRAO, 2. Aufl., § 117 Anm.) die Anwendung der Reichweite des § 117 BRAO nur auf strafprozessuale Vorschriften beschränkt diskutieren, ist dies vom Wortlaut des § 117 BRAO nicht gedeckt. Untersagt ist nach dieser Vorschrift jede erzwungene Vorführung, gleichgültig auf welcher Rechtsgrundlage, und jede erzwungene Vorbereitung eines Gutachtens über den psychischen Zustand eines Rechtsanwalts unabhängig davon, auf welche Rechtsgrundlage sich der Zwang stützt. Soweit Feuerich/Braun die Verwertung von in eigenständigen Straf- oder Ermittlungsverfahren auch mittels zwangsweiser Begutachtung erlangten Erkenntnissen im davon unabhängigen anwaltsgerichtlichen Verfahren mit § 117 BRAO für vereinbar halten, steht dies nicht im Widerspruch mit der rechtlichen Auffassung des Senats in vorliegender Sache. Denn in den von Feuerich/Braun diskutierten Fallsituationen dient das strafrechtliche Verfahren nicht, wie hier das betreuungsrechtliche Verfahren, von vornherein seinem Zweck nach ausschließlich dem anwaltsgerichtlichen Verfahren.
2. Das Beschwerdeverfahren leidet entgegen der Darstellung der Betroffenen nicht darunter, dass ihr der vom Sachverständigen anberaumte Untersuchungstermin und die Entscheidung des Landgerichts, ein Aktengutachten ohne persönliche Untersuchung einzuholen, nicht bekannt gegeben worden wäre: Vom Beschluss der Kammer vom 9.9.04, ein schriftliches Gutachten auf der Basis auch ihrer persönlichen Untersuchung in Auftrag zu geben, war sie unterrichtet. Der Beschluss ging ihr am 13.9.04 zu. Der Untersuchungstermin vom 8.4.05 wurde ihr von Gutachterseite mitgeteilt, wie von Seiten des Gutachters bestätigt wurde. Die Verfügung des Gerichts vom 13.4.05, in der auf den versäumten Untersuchungstermin hingewiesen, Gelegenheit zur Vereinbarung eines neuen Termins gegeben und mitgeteilt wurde, die Kammer werde bei Unterlassen ein Aktengutachten in Auftrag geben, wurde dem Verfahrensbevollmächtigten der Betroffenen am 15.4.05 zugestellt. Die Zustellungsurkunde liegt vor. Auch der nachfolgende Beschluss vom 13.5.05 über die Einholung eines Aktengutachtens ist dem Verfahrensbevollmächtigten der Betroffenen zugestellt worden. Die Zustellungsurkunde vom 25.5.05 liegt vor. Gegenteilige Behauptungen sind falsch. Das schriftliche Gutachten vom 12.10.05 wurde dem Verfahrensbevollmächtigten übersandt. Die Betroffene hat es erhalten. Das wird dadurch belegt, dass die Betroffene sich in ihrer Stellungnahme vom 15.2.06 damit auseinandersetzt. Sie hat in diesem Fax das Gutachten in vielerlei Hinsicht kritisiert, nicht aber geltend gemacht, es sei ohne ihre Kenntnis ohne ihre persönliche Untersuchung erarbeitet worden. Die jetzige Darstellung im Rahmen der weiteren Beschwerde ist damit widerlegt. Die Behauptung der Fertigung eines inhaltlich falschen Protokolls hat die Betroffene zurückgenommen.
Der Beschluss des Landgerichts vom 20.3.06 (abschließende Entscheidung) ging der Betroffenen am 27.3.06 durch Zustellung zu. Der Nachweis liegt vor. Auch insoweit ist die Darstellung der weiteren Beschwerde unrichtig, ohne dass letzteres für die Entscheidung selbst von rechtlichem Belang wäre.
3. Die Entscheidung des Landgerichts leidet jedoch daran, dass die Feststellung, die Betroffene könne wegen einer chronischen paranoiden Psychose ihre Rechte in den anwaltsgerichtlichen Verfahren nicht eigenverantwortlich wahrnehmen, verfahrensfehlerhaft zustande gekommen ist.
Gestützt ist diese Erkenntnis des Landgerichts auf das schriftliche Gutachten des Sachverständigen Dr. ... sowie die eigene Kenntnis vom Verhalten der Betroffenen aus der Vorbefassung der Kammer in den Verfahren 4 GR 73/00 (AG Nürtingen) und 10 S 1/03 (Entziehung des Wohnungseigentums).
a. Die Entscheidung des Beschwerdegerichts auf der Grundlage des Gutachtens des gerichtlichen Sachverständigen Dr. & vom 12.10.05 nebst mündlicher Ergänzung vom 15.2.06 und eigenem Wissen aus zwei weiteren Akten war verfahrensfehlerhaft. Der Senat stellt dabei nicht in Frage, dass der dem Sachverständigen zur Verfügung gestellteund von ihm ausgewertete Aktenstoff, wie ihn der Gutachter wiedergegeben hat, seine Schlussfolgerungen rechtfertigte.
Entscheidend ist vielmehr Folgendes: Das Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen stützt sich wesentlich auf die Vorgutachten des Dr. &. Jene Gutachten aus 2002 und 2003 beruhten auf der Auswertung von Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft und Handakten der Generalstaatsanwaltschaft. Sie waren zur Klärung eingeholt, ob die Betroffene schuldfähig war oder nicht und ob die Ermittlungen wegen bestehender Schuldunfähigkeit eingestellt würden. In jene Gutachtenerstellung war die Betroffene nicht einbezogen. Dass sie die Ermittlungsakten damals oder später einsehen durfte oder eingesehen hat, ist den Akten des vorliegenden Verfahrens nicht zu entnehmen. Die Gutachten des Dr. & beruhten daher nicht auf einem gerichtlich gesicherten bzw. der Betroffenen bekannten Sachverhalt, sondern wesentlich auf polizeilich und staatsanwaltlich zusammengetragenem Stoff. Die Schlussfolgerungen des Sachverständigen Dr. & konnten somit im vorliegenden Betreuungsverfahren nur dann ohne weiteres mitverwertet werden, wenn die Betroffene die Tatsachengrundlage jener Gutachten nicht in Frage stellte. Dies aber hat die Betroffene mit Fax vom 15.2.2006 getan, indem sie Einblick in die von Dr. & verwerteten Ermittlungsakten begehrte. Diesem Antrag musste das Landgericht entsprechen, wenn es weiterhin die Gutachten von Dr. & für die Beurteilung des Gesundheitszustands der Betroffenen mit heranziehen wollte. Erst eine etwaige der Beiziehung und Einsicht folgende Stellungnahme der Betroffenen konnte zeigen, ob noch weitere Abklärungsschritte insoweit erforderlich würden.
Nachdem Dr. & in seinem Gutachten selbst die Gutachten von Dr. & als für seine Diagnosestellung hinweisend erklärt hat (Seite 13 des Gutachtens), ist sein bisheriges Gutachten beim derzeitigen Sachstand keine ausreichende Grundlage zur Feststellung des Vorliegens einer chronischen paranoiden Schizophrenie.
b. Das Landgericht durfte außerdem gewonnene eigene Erkenntnisse aus dem Vorverfahren 10 S 1/03 nicht zur Überzeugungsbildung über den Gesundheitszustand und für die Entscheidung heranziehen, ohne zuvor die Akte beizuziehen, dies den Beteiligten kund zu tun und darauf hinzuweisen, dass das Verhalten der Betroffenen in jenem Verfahren ebenfalls Eingang in die Beurteilung ihres gesundheitlichen Zustandes finden soll. Insoweit ist das rechtliche Gehör der Betroffenen verletzt worden. Die Entscheidungsbegründung lässt auch nicht sicher erkennen, dass die Kenntnis der Kammermitglieder von Umständen jenes Verfahrens ausschließlich zur Bestärkung einer ohnedies aus den anderen genannten Erkenntnisgrundlagen gewonnenen Überzeugung vom Bestehen einer chronischen paranoiden Schizophrenie gedient hatte, aber für die Entscheidungsfindung nicht mehr ausschlaggebend gewesen war.
Außerdem ist es gerade die Aufgabe des gerichtlichen Gutachters, dem Gericht Klarheit über den Gesundheitszustand der Betroffenen zu verschaffen. Zu diesem Zweck sind geeignete Unterlagen wie Akten anderer Verfahren bei zu ziehen und dem Gutachter zur Auswertung zu überlassen.
Bei dieser Sach- und Rechtslage kann die Entscheidung des Landgerichts keinen Bestand haben. Weitere Abklärungen sind im Rechtsbeschwerdeverfahren nicht möglich. Die Entscheidung ist daher aufzuheben.
Das Landgericht wird unter Berücksichtigung der Ausführungen in diesem Beschluss noch weitere Abklärungen vorzunehmen und auf dieser Basis neu zu entscheiden haben. Hierfür gibt der Senat noch folgende Hinweise:
- Eine Entscheidung über das Befangenheitsgesuch der Betroffenen gegen Dr. & (Fax vom 15.2.06) steht noch aus. Allerdings gibt das beanstandete Verhalten des Sachverständigen keinen Grund zur Ablehnung. Er hat sein Gutachten - wie vom Gericht in Auftrag gegeben - nach Aktenlage erstattet. Welche Akten ihm zur Verfügung zu stellen waren, war Sache des Gerichts, nicht des Gutachters. Seine gutachtlichen Darlegungen lassen keine Befangenheit zu Lasten der Betroffenen erkennen. Sein gewonnenes Gutachtenergebnis ist aus den ihm zur gutachtlichen Auswertung überlassenen Unterlagen abgeleitet und nachvollziehbar. Er ist daher nicht von einer weiteren Heranziehung als gerichtlicher Gutachter in diesem Verfahren ausgeschlossen. Dass er erklärt hat, er benötige für seine Diagnose eine persönliche Anhörung der Betroffenen nicht, da die Unterlagen ausreichend aufschlussreich seien, belegt keine Befangenheit, sondern ist nur das Ergebnis der gutachtlichen Bewertung der ihm zur Auswertung überlassenen Unterlagen. Soweit die Betroffene beanstandet hat, dass der gerichtliche Sachverständige in seinem Gutachten auch Bezug auf ein im Gutachten von Dr. & erwähntes Gutachten von Dr. & nehme, obgleich Dr. & dieses nicht erwähne, ist die Beanstandung ungerechtfertigt. Das Gutachten von Dr. & ist auf Bl. 8 oben des Gutachtens Dr. & vom 26.6.2002 angesprochen.
Im Falle einer vom Landgericht gewünschten Überarbeitung und Ergänzung seines Gutachtens wird sich die Frage der Notwendigkeit der persönlichen Anhörung/Untersuchung für die Sicherheit seiner Diagnose neu stellen. Vor erneuter Entscheidung wird der Betroffenen eine neuerliche Anhörung durch das Gericht bzw. zuvor eine persönliche Untersuchung durch den Sachverständigen anzubieten sein.
- Es liegt in der Eigenverantwortung des Landgerichts,welcheweiteren Abklärungen es vornimmt. Bei Festhalten am Einbezug der Gutachten Dr. & in die dem gerichtlichen Sachverständigen zur Verfügung gestellten Akten wird - wie oben ausgeführt - die Beiziehung der diesen Gutachter zur Verfügung gestellten Akten erforderlich, soweit die Betroffene Einsicht begehrt. Das Landgericht kann die Tatsachenbasis für den Gutachter auch durch Beiziehung weiterer geeigneter Gerichtsakten (wie z. B. die des Verfahrens über den Entzug des Wohnungseigentums, AG Kirchheim, 4 GR 45/03/Landgericht Stuttgart, 10 S 1/03 - ) verbreitern.
OLG Stuttgart:
Beschluss v. 30.06.2006
Az: 8 W 140/06
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