Oberlandesgericht Düsseldorf:
Urteil vom 12. April 2005
Aktenzeichen: I-24 U 66/04
(OLG Düsseldorf: Urteil v. 12.04.2005, Az.: I-24 U 66/04)
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels das am 24. Februar 2004 verkündete Urteil der 2a Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf -Einzelrichterin- teilweise abgeändert und insge-samt wie folgt neu gefasst:
Der Beklagte wird unter Abweisung der weitergehenden Klage verur-teilt, an die Klägerin 698,52 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozent-punkten über dem Basiszinssatz seit dem 24. Juni 2003 zu zahlen.
Die Kosten beider Rechtszüge trägt die Klägerin.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Klägerin bleibt nachgelassen, die Zwangsvollstreckung gegen Sicher-heitsleistung in Höhe von 120% des jeweils beizutreibenden Betrags abzu-wenden, es sei denn, die Gegenseite leistet vorher Sicherheit in gleicher
Höhe.
Gründe
A.
Die klagende Rechtsanwaltspartnerschaftsgesellschaft hat den Beklagten außergerichtlich in einer arbeitsgerichtlichen Angelegenheit beraten. Der Beklagte war seit mehr als 15 Jahren in zuletzt leitender Stellung, ohne zur selbständigen Einstellung/Entlassung von Personal berechtigt gewesen zu sein, bei der M.KG (nachfolgend Arbeitgeberin genannt) als "Bereichsleiter Distributionstransporte" beschäftigt gewesen. Sein monatliches Bruttogrundgehalt betrug 7.162,35 EUR. Außerdem erhielt er vermögenswirksame Leistungen, einen Beitrag zur Altersversorgung, als Sachbezug einen Dienstwagen auch zur privaten Nutzung sowie eine Jahrestantieme, aufgeteilt in einen betriebsbezogenen, vom Jahresbetriebsergebnis abhängigen sowie einen persönlichen leistungsbezogenen Teil.
Im Sommer des Jahres 2002 geriet der Beklagte mit dem Betriebsrat des von ihm geleiteten Betriebs in einen Konflikt, der auf gegenseitigen verhaltensbezogenen Beschuldigungen beruhte und zuletzt vor den zuständigen Gerichten ausgetragen wurde. Dies nahm die Arbeitgeberin zum Anlass, den Beklagten am 12. September 2002 mit sofortiger Wirkung von seinen Aufgaben freizustellen. Ihm wurde nahegelegt, das ihm unterbreitete, mit einer Geldabfindung (113.000 EUR) verbundene Angebot zur Auflösung des Arbeitsvertrags (nachfolgend Auflösungsvertrag genannt) innerhalb bestimmter Frist zu unterzeichnen, andernfalls das Arbeitsverhältnis aus verhaltensbedingten Gründen außerordentlich gekündigt werde. Die Arbeitgeberin hatte auf Nachfrage ferner Zustimmung signalisiert, mit dem Beklagten als Unternehmer im Falle seines Ausscheidens einen Rahmenvertrag über Transporte mit bestimmten Umsätzen abzuschließen (nachfolgend Transportvertrag genannt).
Am 24. September 2002 begab sich der Beklagte in die Beratung der Klägerin. Er beauftragte den sachbearbeitenden Rechtsanwalt H., der über den avisierten Transportvertrag unterrichtet worden war, über die Einzelheiten des Auflösungsvertrages zu verhandeln, insbesondere eine höhere Geldabfindung zu erreichen. Weitere unverzichtbare Bedingung war, dass der Beklagte einer Auflösungsvereinbarung nicht ohne den Abschluss des Transportvertrags zustimmen werde. Die Parteien streiten darüber, ob Gegenstand des Auftrags auch gewesen ist, Einzelheiten des Transportvertrags zu verhandeln.
Die Klägerin führte Verhandlungen und eine Besprechung mit der Arbeitgeberin, wobei auch der Transportvertrag zur Sprache kam. Nachdem im November 2002 Auflösungs- und Transportvertrag (in getrennten Urkunden, der Transportvertrag mit der noch zu gründenden M-GmbH) unterzeichnet worden waren, erteilte die Klägerin ihre Honorarnote, die unter Berücksichtigung eines Vorschusses (2.320 EUR) mit 55.631,28 EUR endet. Die Klägerin legt einen Gegenstandswert von 5.044.764,68 EUR zugrunde. Davon entfällt ein Anteil von 5 Mio. EUR auf die Verhandlung und den Abschluss des Transportvertrags.
Die Klägerin hat geltend gemacht: Verhandlung und Abschluss beider Verträge seien Gegenstand des Auftrags gewesen. Es handele sich um zwei verschiedene Gegenstände, so dass der Wert des Transportvertrags wenigstens mit der Differenz zwischen dem bereits vor Beratungsbeginn unterbreiteten Angebot (15 Mio. EUR Umsatz) und der unter ihrer Mitwirkung erzielten Verbesserung (20 Mio. EUR Umsatz) zu den übrigen Werten zu addieren sei.
Unter Berücksichtigung einer Teilzahlung vor Eintritt der Rechtshängigkeit hat die Klägerin beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an sie 54.718,56 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Eintritt der Rechtshängigkeit zu zahlen.
Der Beklagte hat um
Klageabweisung
gebeten. Er hat geltend gemacht: Gegenstand des Auftrags sei nur der Auflösungsvertrag gewesen. Doch selbst dann, wenn es auch Aufgabe der Klägerin gewesen wäre, den Transportvertrag zu verhandeln und in die Auflösungsvereinbarung einzubringen, würde dieser den Gegenstandswert nicht beeinflussen. Der Transportvertrag sei, um ihm, den Beklagten, eine neue selbständige Existenz zu ermöglichen, nur eine Gegenleistung für die Einwilligung in die Auflösung des Arbeitsvertrags gewesen. Hilfsweise hat der Beklagte geltend gemacht, der Wert des Transportvertrags sei nicht am Umsatz, sondern an der Gewinnchance zu orientieren, die nur etwa 2,5% des Umsatzes betrage.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Es hat offen gelassen, ob die Klägerin auch den Transportvertrag (mit)verhandeln sollte. Durch die Mitverhandlung des Transportvertrags werde der Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit nicht verändert.
Dagegen richtet sich die Berufung der Klägerin. Sie wiederholt und vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen und macht jetzt geltend, Auflösungs- und Transportvertrag seien nicht nur zwei verschiedene Gegenstände, sondern zwei verschiedene Angelegenheiten, die nicht nach ihren zusammengerechneten, sondern nach ihren jeweiligen Einzelwerten zu honorieren seien. Unter Vorlage entsprechend erhöhter Honorarrechnungen beantragt die Klägerin jetzt,
unter Abänderung des angefochtenen Urteils den Beklagten zu verurteilen, an sie 57.608,28 EUR nebst Zinsen von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 54.718,56 EUR seit Klagezustellung (d. i. der 24. Juni 2003) und aus weiteren 2.890,72 EUR seit Zustellung der Berufungsbegründung (d. i. der 01. Juni 2004) zu zahlen.
Der Beklagte bittet um Zurückweisung der Berufung.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils und auf den Akteninhalt Bezug genommen.
B.
Die Berufung hat nur ganz geringfügigen Erfolg. Der Beklagte schuldet der Klägerin gemäß §§ 675, 612 BGB, § 8 Abs. 1 S. 2 BRAGO, § 12 Abs. 7 S. 1 ArbGG ein Gesamthonorar von 3.931,24 EUR. Unter Berücksichtigung bereits geleisteter Teilbeträge verbleibt noch eine Restforderung von 698,52 EUR.
I.
Mit ihrem Hauptangriff (besonderer Wertansatz für den Transportvertrag) hat die Klägerin keinen Erfolg. Das Landgericht hat mit im Ergebnis zutreffenden Erwägungen für den Transportvertrag keinen gesonderten Wert angesetzt.
1.
Die (erstmals im zweiten Rechtszug geäußerte) Ansicht der Klägerin, das vom Beklagten erteilte Mandat betreffe nicht eine, sondern zwei verschiedene Angelegenheiten (Auflösungs- und Transportvertrag), die getrennt voneinander zu honorieren seien, ist unzutreffend. In diesem Zusammenhang kann zugunsten der Klägerin als richtig unterstellt werden, dass der Beklagte sie (wenigstens konkludent) auch mit der Verhandlung des Transportvertrags beauftragt hat (wofür nach Einschätzung des Senats auch einige Indizien sprechen dürften).
a)
Ob die zu besorgenden Tätigkeiten des Rechtsanwalts eine oder mehrere Angelegenheiten betreffen, wird nicht in der Bundesrechtanwaltsgebührenordnung (BRAGO) geregelt, welche (mit Blick auf die unbedingte Mandatserteilung vor dem 01. Juli 2004) gemäß § 61 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) in der bis zum 30. Juni 2004 geltenden Fassung auf den Streitfall anzuwenden ist. In § 13 Abs. 2 S. 1 BRAGO wird nur bestimmt, dass der Rechtsanwalt in derselben Angelegenheit jede gesetzliche Gebühr nur einmal verlangen kann. Ob eine oder mehrere Angelegenheiten vorliegen, ist eine Frage des Einzelfalls und richtet sich maßgeblich nach dem Inhalt der vereinbarten Geschäftsbesorgung (§§ 611, 675 BGB), die der Tätigkeit des Rechtsanwalts den auftragstypischen Rahmen verleiht. Solange sich der Rechtsanwalt innerhalb dieses Rahmens bewegt, betreffen alle seine Tätigkeiten, mögen sie auch vielzählig, vielgestaltig und zeitaufwendig sein und sich auf verschiedene rechtliche Gegenstände (Rechte oder Rechtsverhältnisse) beziehen, dieselbe Angelegenheit (BGH MDR 1976, 74; 1979, 76; 1984, 561; NJW 2004, 1043 sub Nr. II.1a). Die Zusammenfassung verschiedener Tätigkeiten zu einer gebührenrechtlichen Angelegenheit wird vielfach indiziert durch eine einheitliche Auftragserteilung, durch die Identität des Gegners oder Verhandlungspartners, die Verfahrensart und den Verfahrensrahmen sowie den inneren Zusammenhang der Tätigkeiten (vgl. Senat OLGR Düsseldorf 2001, 214 m.w.N.).
b)
Bei Anlegung dieses Maßstabs ist der sachbearbeitende Rechtsanwalt in nur einer Angelegenheit tätig geworden.
aa)
Anlass für die Mandatierung ist gewesen, dass der Beklagte nach heftigen, zuletzt auch gerichtlich geführten Auseinandersetzungen mit dem Betriebsrat von seiner Arbeitgeberin nach rund 15-jähriger Tätigkeit zuletzt als Logistikfachmann in leitender Funktion freigestellt und dass ihm eine verhaltensbedingte Kündigung angekündigt worden war, deren Erklärung er nur dann entgehen könne, wenn er den ihm vorgelegten Entwurf zur Aufhebung des Arbeitsverhältnisses unterzeichne. Der bei Mandatsbeginn 52-jährige Beklagte war der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht grundsätzlich abgeneigt, wenn zwei Bedingungen erfüllt wurden:
Geldabfindung, die den bisher angebotenen Betrag übersteigt (Auflösungsvertrag) Unterstützung der Arbeitgeberin für seinen beruflichen Neubeginn als selbständiger Spediteur in Gestalt eines mehrjährigen Transportvertrags mit garantierten Jahresumsätzen (Transportvertrag)
Von dem sachbearbeitenden Rechtsanwalt wollte der Beklagte zunächst beraten und dann vertreten werden. Er wollte nämlich zunächst wissen, wie seine Verhandlungsposition gegenüber der Arbeitgeberin nach der Rechtslage einzuschätzen sei (Beratung). Nachdem er diesbezüglich eine ermutigende Auskunft erhalten hatte, sollte der Rechtsanwalt den Beklagten gegenüber der Arbeitgeberin vertreten, wobei der Beklagte den Abschluss beider Verträge zu einem "Junktim" erhob. Er war insbesondere nicht bereit, sein Arbeitsverhältnis aufzugeben, ohne gleichzeitig einen Transportvertrag mit befriedigendem Inhalt abzuschließen. Ohne ein solches Vertragsverhältnis war er sogar bei einer befriedigenden Geldabfindung bereit, es auf die Kündigungserklärung des Arbeitsverhältnisses und die Führung eines Kündigungsschutzprozesses ankommen zu lassen.
bb)
Anlass, Inhalt und Ziel der vereinbarten Geschäftsbesorgung waren damit einheitlicher Natur. Es ging entweder um die einverständliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses unter den von dem Kläger erklärten Bedingungen oder um die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Inkaufnahme einer verhaltensbedingten Kündigung und ggf. auch der Führung eines Kündigungsschutzprozesses, in welchem erneut die Chance bestand, zu einer Auflösungsvereinbarung nach der Vorstellung des Beklagten zu gelangen. In diesem Rahmen hatte der sachbearbeitende Rechtsanwalt die Interessen des Beklagten zu vertreten.
Daraus folgt, dass der Transportvertrag nicht nur, wie die Klägerin jetzt meint, gleichsam bei Gelegenheit und mit dem angestrebten Auflösungsvertrag nur lose verbunden mit auszuhandeln war, genauso gut aber auch nach Abschluss des Auflösungsvertrags hätte verhandelt werden können. Denn dies hätte die von keiner Partei behauptete Aufgabe des "Junktims" bedeutet. Ohne Belang ist in diesem Zusammenhang, ob auch die Arbeitgeberin einen solchen unauflösbaren Zusammenhang (Junktim) zwischen beiden Vertragswerken gesehen hat, was die Klägerin jetzt (erstmals im zweiten Rechtszug) bezweifelt. Auf die Sichtweise und das Verständnis der Arbeitgeberin, über die die Klägerin ohnehin nur spekuliert, kommt es bei der Qualifizierung des Geschäftsbesorgungsvertrags zwischen den Parteien nicht maßgeblich an. Entscheidend ist, was die Parteien miteinander vereinbart haben (vgl. BGH MDR 1976, 742 sub Nr. II.2 a.E.).
2.
Ohne Erfolg bleibt auch der im ersten Rechtszug hauptsächlich, jetzt hilfsweise gebrachte Einwand der Klägerin, die Gebühren seien nach dem addierten Wert des Auflösungs- und Transportvertrags zu berechnen. Gegenstand der Bewertung sind nämlich nicht die in Rede stehenden Verträge, sondern entsprechend dem erteilten Auftragsinhalt das Kündigungsschutzbegehren des Beklagten. Die Gebühren des Rechtsanwalts werden gemäß § 7 Abs. 1 BRAGO nach dem Wert berechnet, den der Gegenstand seiner Tätigkeit hat. Dies waren entgegen der Ansicht der Klägerin nicht die beiden unter ihrer Mitwirkung zustande gekommenen Verträge, sondern es war das in die Krise geratene Arbeitsverhältnis des Beklagten.
a)
Unter dem Gegenstand ist das Recht oder Rechtsverhältnis (auch Streitgegenstand oder Streitverhältnis genannt) zu verstehen, auf welches sich die Tätigkeit des Rechtsanwalts nach dem Inhalt des erteilten Auftrags bezieht (BGH MDR 1976, 742). Umfasst die Angelegenheit mehrere Gegenstände, sind die Werte gemäß § 7 Abs. 2 BRAGO zu addieren.
b)
Das Verständnis, das die Klägerin vom Begriff des zu besorgenden Gegenstands hat, ist von Rechtsirrtum beeinflusst. Die beauftragte Geschäftsbesorgung bezog sich weder auf den Auflösungs- noch auf den Transportvertrag. Gegenstand war vielmehr, die Interessen des Beklagten bezüglich des bedrohten Arbeitsverhältnisses, welches mit der bereits verfügten Freistellung und der angedrohten Kündigung in eine ernsthafte Krise geraten war, gegenüber der Arbeitgeberin zu vertreten. Es ging in erster Linie darum, die Kündigungserklärung zu verhindern und vorgerichtlich eine einvernehmliche Lösung des aufgetretenen Konflikts zu erreichen (Auflösung des Arbeitsvertrags zu den vom Beklagten gewünschten Bedingungen mit möglichst vorteilhafter Ausstattung einschließlich des Transportvertrags) oder den Bestand des Arbeitsverhältnisses zu verteidigen, notfalls in einem Kündigungsschutzverfahren.
Das hat der sachbearbeitende Rechtsanwalt bei der Ausführung des Auftrags so auch richtig verstanden. Er hat, nachdem er mit den notwendigen Informationen versehen war, den Beklagten über die Rechtslage aufgeklärt, also darüber, dass die Arbeitgeberin über keinen zureichenden außerordentlichen Kündigungsgrund verfügte, so dass er, der Beklagte, in den Verhandlungen über die Auflösung des Arbeitsverhältnisses in der Lage war, eine starke Verhandlungsposition aufzubauen. Die mit Blick auf die in Betracht gezogenen Kündigungsgründe ohnehin schon schwache Verhandlungsposition der Arbeitgeberin litt ferner darunter, dass sie mit der verfügten Freistellung des Beklagten eine nach außen bereits sichtbare und entschiedene Position eingenommen hatte, welche sie ohne gravierenden Gesichtsverlust bei Mitarbeitern und Betriebrat kaum noch räumen konnte. Diese Rechts- und Tatsachenlage öffnete dem Beklagten rechtlich und faktisch weit das Tor hin zu der Lösung, welche er favorisierte. Das belegt, dass der Abschluss der beiden in Rede stehenden Verträge nicht (Streit)Gegenstand der anwaltlichen Tätigkeit im Sinne des § 7 Abs. 1 BRAGO, sondern (gleichsam als Ersatz oder Preis für die Fortsetzung des gestörten Arbeitsverhältnisses) nur das Mittel gewesen ist, um den auftragsbezogenen streitgegenständlichen Konflikt (Arbeitsverhältnis) zu lösen. Insofern verhält es sich bei vorgerichtlicher Tätigkeit (§ 8 Abs. 1 S. 2 BRAGO) nicht anders als bei einer Tätigkeit in der (streitigen) Gerichtsbarkeit (§ 8 Abs. 1 S. 1 BRAGO). Hier wie dort ist nach ganz herrschender Meinung nicht (Streit)Gegenstand das, worauf sich die (Streit)Parteien einigen (Verhandlungsergebnisse/Zugeständnisse), sondern worüber sie gestritten haben (BGH AnwBl 1964, 204; BAG NJW-RR 2001, 495; OLG Frankfurt JurBüro 1985, 1857 m. zust. Anm. Mümmler = KostRspr § 3 ZPO Nr. 794 m. zust. Anm. E.Schneider; OLG München JurBüro 2001, 141; OLG Nürnberg OLGR Nürnberg 2002, 248; E. Schneider/Herget, Streitwertkommentar, 11. Aufl., Rn. 4569 und 4613 jew. m.w.N.; Göttlich/Mümmler, BRAGO, 20. Aufl., Stichw. "Vergleichsgebühr" Anm. 5.1; dies., RVG, Stichw. "Kapitalabfindung/Unterhalts-, Rentenansprüche"; Schmidt/Madert, Der Gegenstandswert, 4. Aufl., Rn. 476 und 487; Gerold/Schmidt/v. Eicken/Madert/Müller-Rabe, RVG, 16. Aufl., 1000 VV Rn. 91 i.V.m. Rn. 34; Riedel/Sußbauer/Fraunholz, BRAGO, 8. Aufl., § 23 Rn. 29ff; a.A. LG Köln AnwBl. 1998, 212 ohne Auseinandersetzung mit der h.M.).
Darin besteht der Unterschied zu § 39 Abs. 1 KostO, der (für den Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit konsequent) den Wert dem Rechtsverhältnis entnimmt, worauf sich die beurkundete Erklärung bezieht (vgl. BayObLG FamRZ 2002, 1204). Daraus folgt für den Streitfall, dass sich die Bewertung der anwaltlichen Tätigkeit nach dem umstrittenen, nämlich durch Freistellung und Kündigungsandrohung in die Krise geratenen Arbeitsverhältniss richtet.
c)
Anders wäre Frage nur dann zu beantworten, wenn der Transportvertrag keine innere Verbindung mit dem Auflösungsvertrag gehabt hätte. Das wäre der Fall gewesen, wenn der Transportvertrag (selbständig) rechtsbegründend gleichsam nur zufällig aus Anlass des Auflösungsvertrags oder deshalb mitverhandelt (miterledigt) worden wäre, weil auch diesbezüglich ein (selbständiger) Streit oder eine (selbständige) Ungewissheit über ein solches Recht oder Rechtsverhältnis durch gegenseitiges Nachgeben hätte beseitigt werden sollen (vgl. Senat JurBüro 2001, 87). Das ist, wie bereits ausgeführt worden ist (oben sub Nr. I.1b), hier aber nicht der Fall. Der Abschluss des Transportvertrags war, neben der Abfindung in Geld, aus der maßgeblichen Sicht des Beklagten als Auftraggebers der Klägerin (vgl. BGH MDR 1976, 742 sub Nr. II.2 a.E.) eine weitere notwendige materielle Gegenleistung für die von ihm zu erbringende Leistung, nämlich seine Zustimmung zur Auflösung des Arbeitsverhältnisses unter Aufgabe des Kündigungsschutzes.
Die Ansicht der Klägerin, die Gegenleistung der Arbeitgeberin zur Vertragsauflösung stelle nur die Geldabfindung dar, während der Transportvertrag (jedenfalls nach der Vorstellung der Arbeitgeberin) eine davon unabhängige Leistung gewesen sei, geht an dem ihr vom Beklagten erteilten und für die Bestimmung des Gegenstands der Tätigkeit (§ 7 Abs. 1 BRAGO) maßgeblichen Auftragsinhalt vorbei (vgl. BGH aaO).
Ohne Belang ist in diesem Zusammenhang auch, dass der Transportvertrag nicht den Beklagten persönlich, sondern die M-GmbH unmittelbar begünstigen sollte. Maßgeblich ist auch hier wieder nur der Inhalt des Auftrags, den allein der Beklagte bestimmte und erteilte. Ob (bei im Übrigen wirtschaftlich gleichem Interesse) dann anders zu entscheiden wäre, wenn die Klägerin für die Verhandlung des Transportvertrags statt vom Beklagten von der M-GmbH beauftragt worden wäre, braucht hier nicht entschieden zu werden.
3.
Das Landgericht hat mit Recht den Wert der gegenständlichen Tätigkeit des sachbearbeitenden Rechtsanwalts dem § 12 Abs. 7 S. 1 ArbGG in der bis zum 30. Juni 2004 geltenden Fassung (nachfolgend ArbGG a.F.) entnommen. Das Mandat war vor Inkrafttreten der gesetzlichen Neuregelung abgeschlossen, so dass, wovon auch die Klägerin ausgeht, unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt die Kostennovelle zur Anwendung gelangen kann (vgl. dazu Hansens RVG-Report 2004, 140). Die Anwendung von § 12 Abs. 7 S. 1 ArbGG a.F. folgt aus § 8 Abs. 1 S. 2 BRAGO. Danach richtet sich die Bewertung der außergerichtlichen Tätigkeit des Rechtsanwalts nach den Wertvorschriften für das gerichtliche Verfahren, wenn der Gegenstand der außergerichtlichen Tätigkeit auch Gegenstand einer gerichtlichen Tätigkeit sein könnte (vgl. BGH NJW 1997, 188 sub Nr. 2). So verhält es sich im Streitfall.
a)
Der vereinbarten außergerichtlichen Abwehr der angedrohten Kündigung entspricht im gerichtlichen Verfahren die Vertretung des Arbeitnehmers im Kündigungsschutzprozess gemäß §§ 4ff KSchG (BAG NJW-RR 2001, 495). Nicht maßgeblich ist, dass die außergerichtliche Tätigkeit des Rechtsanwalts im Vorfeld der Kündigungserklärung nicht unmittelbar in die gerichtliche Tätigkeit übergehen kann, sondern davon abhängt, ob die erst angedrohte Kündigung auch tatsächlich erklärt wird (BAG aaO). Sinn der Regelung des § 8 Abs. 1 S. 2 BRAGO ist es nach ganz herrschender Meinung, die gesamte außergerichtliche Tätigkeit und die gerichtliche Tätigkeit mit Blick auf § 118 Abs. 2 BRAGO (Anrechnung der Geschäftsgebühr gemäß § 118 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO auf die Prozessgebühr gemäß § 31 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO) gebührenrechtlich zu vereinheitlichen (BAG aaO, LAG Stuttgart AGS 2000, 94; LAG Düsseldorf MDR 2001, 598; AG Köln MDR 2002, 1030 = KostRspr § 8 BRAGO Nr. 119 m. abl. Anm. N. Schneider; Schumann/Geißinger, BRAGO, 2. Aufl. § 8 Rn. 4f; Gerold/Schmidt/v. Eicken/Madert, BRAGO, 15. Aufl., § 8 Rn. 13; Gerold/Schmidt/v. Eicken/Madert/Müller-Rabe, RVG, 16. Aufl., § 23 Rn. 29f; Riedel/Sußbauer/Fraunholz, BRAGO, 8. Aufl., § 8 Rn. 11; Hartmann, Kostengesetze, 33. Aufl., § 8 BRAGO Rn. 6f; Mümmler JurBüro 1989, 169; Göttlich/Mümmler, BRAGO, 20. Aufl., "Sonstige Angelegenheiten", Nr. 4.2 "Gegenstandswert/vorbereitende Tätigkeiten", S. 1364f; a.A. LG Köln KostRspr § 8 BRAGO mit zust. Anm. N. Schneider; N. Schneider MDR 2000, 685; Gebauer/N. Schneider, BRAGO, § 8 Rn. 66, Enders JurBüro 1996,1ff; Zöller/Herget, ZPO, 25. Aufl., § 3 Stichw. "Mietstreitigkeiten/Kündigung"). In der bis zum 30. Juni 1994 geltenden Fassung des § 8 Abs. 1 S. 2 BRAGO (BGBl 1986 I S. 2326) war das durch die Bildung von Beispielsfällen (darunter auch die Kündigung und damit auch die Kündigungsabwehr) eindeutig ausgedrückt. Ausweislich der Begründung zur Gesetzesneufassung (BT-Drs 12/6992 S. 100 und 12/7657 S. 107) sollte mit der Kostenrechtsnovelle (BGBl 1994 I S. 1325), die den § 8 Abs. 1 S. 2 BRAGO in der bis zum 30. Juni 2004 geltenden Fassung (ohne Beispielsfälle) geschaffen hat (jetzt im Wortlaut unverändert § 23 Abs. 1 S. 3 RVG), aber nur eine sprachliche und nicht eine sachliche Änderung herbeigeführt werden (LAG Stuttgart aaO; Gerold/Schmidt/v. Eicken/Madert, aaO Rn. 1; v. Eicken NJW 1994, 2258, 2260; Otto JurBüro 1994, 385, 394f; Madert AnwBl 1994, 305, 306; a.A. Gebauer/N. Schneider, BRAGO, § 8 Rn. 66, die ohne Auseinandersetzung mit Verlauf und Motiven des Gesetzgebungsänderungsverfahrens meinen, der jetzige Wortlaut der Fassung spreche gegen die dargestellte Auslegung).
b)
§ 12 Abs. 7 S. 1, 1. Halbs. ArbGG a.F. bestimmt (abweichend von § 17 Abs. 3 GKG a.F.), dass sich der Wert eines Rechtsstreits über das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses höchstens nach dem Betrag richtet, der dem Arbeitsentgelt für die Dauer eines Vierteljahres entspricht, wobei gemäß Halbs. 2 dieser Bestimmung eine Abfindung werterhöhend nicht hinzuzurechnen ist.
Auch in diesem Zusammenhang hilft der Hinweis der Klägerin nicht weiter, unter "Abfindung" im Sinne des § 12 Abs. 7 S. 1, 2. Halbs. ArbGG a.F. seien nur Geldabfindungen zu verstehen. Richtig ist, dass der 2. Halbs. der Regelung an §§ 9 Abs. 1, 10 KSchG (Auflösungsantrag nach unwirksamer Kündigung und Abfindung in Geld) anknüpft. Unter der in der Wertvorschrift genannten Abfindung ist deshalb in der Tat (nur) eine Abfindung in Geld zu verstehen. Notwendig war diese Fassung der Wertvorschrift deshalb, weil ohne sie der Auflösungsantrag (mit Geldabfindung) wegen kumulativer Klagehäufung als selbständiger Streitgegenstand zu einer Werterhöhung geführt hätte, was der Gesetzgeber aber aus typisiert (also nicht im Einzelfall festzustellenden) sozialen Gründen vermeiden wollte.
Um dieses Problem geht es hier aber nicht. Nach den getroffenen Feststellungen stellt der Transportvertrag einen Teil der Gegenleistung dar, die der Beklagte verlangte, um den Streit oder die Ungewissheit über den (Fort)Bestand des Arbeitsverhältnisses zu beseitigen. Demgemäß hat es das Bundesarbeitsgericht (NZA 1996, 1175 = DB 1996, 1348) abgelehnt, die durch einen Vergleich im Kündigungsschutzprozess vereinbarte Neubegründung eines (gekündigten) Arbeitsverhältnisses neben der Kündigung besonders zu bewerten (vgl. auch den Fall OLG Frankfurt, JurBüro 1985, 1857 m. zust. Anm. Mümmler = KostRspr. § 3 ZPO Nr. 794 m. zust. Anm. E. Schneider, in welchem zur Beilegung eines Streits über eine Schadensersatzforderung [12.000 DM] ein Vertrag über die Lieferung von Gütern [Wert: 34.000 DM] vergleichsweise abgeschlossen worden ist). Diese Bewertung entspricht den auch vom Bundesarbeitsgericht (NJW-RR 2001, 495;) anerkannten allgemeinen Grundsätzen, nach denen es nicht auf das Ergebnis ("Worauf"), sondern auf das Streitverhältnis ("Worüber") ankommt (vgl. oben sub I.2b).
c)
Der Senat folgt dem Landgericht allerdings nicht darin, dass das Vierteljahresentgelt des Beklagten im Sinne des § 12 Abs. 7 S. 1, 1. Halbs. ArbGG a.F. im maßgeblichen Zeitpunkt des Abschlusses des Auflösungsvertrags (nur) dem dreifachen Monatsbruttogrundentgelt entspricht, also dem Bruttoentgelt ohne Berücksichtigung der (auch im Tatbestand des angefochtenen Urteils genannten) Sonderleistungen, die teils monatlich (vermögenswirksame Leistungen, Dienstwagen), teils jährlich (Tantiemen/Boni) regelmäßig gezahlt werden.
aa)
Die dazu ergangene Rechtsprechung der Landesarbeitsgerichte ist teils uneinheitlich, teils widersprüchlich (vgl. Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis, 7. Aufl., Rn. 1261; KR/Friedrich, § 4 KSchG Rn. 274, jew. m.w.N.). Der Senat schließt sich der Bewertungspraxis des Bundesarbeitsgerichts an (RdA 1981, 264; NZA 1997, 283 = AnwBl. 1997, 292), die im Schrifttum verbreitete Zustimmung gefunden hat (Stahlhacke/Preis/Vossen, aaO; KR/Friedrich, aaO; Schaub, Handbuch des Arbeitsrechts, 10. Aufl., § 141 Rn. 29; GK/Wenzel, ArbGG, § 12 Rn. 140; Oestreich/Winter/Hellstab, GKG, Streitwert Nr. 6.3). Danach sind regelmäßig gezahlte Sonderleistungen bei der Ermittlung des Arbeitsentgelts im Sinne des § 12 Abs. 7 S. 1 ArbGG a.F. (bei Einmalzahlung/Jahr anteilig) zu berücksichtigen, es sei denn, sie haben Gratifikationscharakter. Um Gratifikationen handelt es sich dann, wenn sie entweder jederzeit zurückgefordert oder die Auszahlung ohne wichtigen Grund verweigert werden kann oder wenn sie nicht (nur) mit Rücksicht auf die Arbeitsleistung, sondern (auch) als Anreiz zu fortwährender Betriebstreue versprochen und der Anspruch deshalb von der (regelmäßig stichtagsbezogenen) Fortdauer des Arbeitsverhältnisses (BAG NZA 1997, 283) oder vom Betriebsergebnis abhängig gemacht wird.
bb)
Unter Anlegung dieses Maßstabs sind dem Grundgehalt (7.162,35 EUR/mtl) die folgenden Bezüge hinzuzurechnen:
vermögenswirksame Leistungen 26,59 EUR/mtl) Altersvorsorge 13,29 EUR/mtl) Dienstwagen incl. Privatnutzung 444,00 EUR/mtl) persönliche EVA-Tantieme (14.208,55 EUR/8,5 Mon,) 1.671,60 EUR/mtl)
2.155,48 EUR/mtl
Das gemäß § 12 Abs. 7 S. 1 ArbGG a.F. anzusetzende Monatsentgelt beträgt demnach (7.162,35 EUR/Mon + 2.155,48 EUR/Mon =) 9.317,83 EUR.
cc)
Nach den vorgenannten Grundsätzen nicht anzusetzen ist der betriebsbezogene Teil der "Economic Value Added"-(EVA)Tantieme. Er ist vom Jahresbetriebsergebnis abhängig (vgl. dazu LAG Düsseldorf, Urt. v. 23.07.2003 -12 Sa 260/03-, zit. nach juris) und hat damit Gratifikationscharakter.
4.
Unter Berücksichtigung der im Übrigen unstreitigen Positionen beträgt der der Honorarrechnung gemäß § 12 Abs. 7 S. 1 ArbGG a.F. zugrunde zu legende Gegen- standswert 58.236,43 EUR:
Kündigungsschutz (3 Monatsentgelte) 27.953,49 EUR
Dienstfreistellung/9 Mon (9.317,83 EUR x 25% x 9 Mon) 20.965,11 EuR
Zeugniserteilung (1 Monatsentgelt) 9.317,83 EUR
Summe/Gegenstandwert 58.236,43 EUR
5.
Die Resthonorarforderung der Klägerin beträgt 698,52 EUR:
Gegenstandswert: 58.236,43 EUR
7,5/10 Geschäftsgebühr, § 118 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO a.F. 842,25 EUR
7,5/10 Besprechungsgebühr, § 118 Abs. 1 Nr. 2 BRAGO a.F. 842,25 EUR
15/10 Vergleichsgebühr, § 23 BRAGO a.F. 1.684,50 EUR
Auslagenpauschale, § 26 BRAGO a.F. 20,00 EUR
Zwischensumme 3.389,00 EUR
16% MwSt 542,24 EUR
Honorarforderung 3.931,24 EUR
Vorschuss - 2.320,00 EUR
Teilbefriedigung - 912,72 EUR
Resthonorarforderung 698,52 EUR
II.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO. Es besteht kein Anlass, die Revision zuzulassen, § 543 Abs. 2 ZPO.
T H
Vorsitzender Richter Richter Richterin am Oberlandesgericht am Oberlandesgericht am Oberlandesgericht
OLG Düsseldorf:
Urteil v. 12.04.2005
Az: I-24 U 66/04
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