Oberlandesgericht Frankfurt am Main:
Urteil vom 25. März 2010
Aktenzeichen: 6 U 219/09
(OLG Frankfurt am Main: Urteil v. 25.03.2010, Az.: 6 U 219/09)
Tenor
Auf die Berufung der Antragsgegnerin wird das am 29.10.2009 verkündete Urteil der 2. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Wiesbaden abgeändert.
Der Eilantrag wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller hat die Kosten des Eilverfahrens zu tragen.
Das Urteil ist rechtskräftig.
Gründe
Das Landgericht hat der Antragsgegnerin unter Anwendung des Art. 10 II der Verordnung (EG) Nr. 110/2008 antragsgemäß verboten, das Produkt €€ € mit der Angabe €Whiskey & Cola€, €Bourbon Whiskey & Cola€, €Cola-Getränk mit € Bourbon Whiskey€ oder €Whiskeygehalt: 25%€ in der Aufmachung des Produkts zu bewerben, anzubieten, zu vertreiben oder sonst in den Verkehr zu bringen. Gegen dieses Urteil wendet sich die Antragsgegnerin mit ihrer Berufung. Von der weiteren Darstellung des Sachverhalts wird gemäß § 540 II i.V.m. § 313a ZPO abgesehen.
Die zulässige Berufung hat in der Sache in vollem Umfang Erfolg.
Es fehlt bereits am Verfügungsgrund. Bei einem wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsanspruch, wie ihn der Antragsteller, gestützt auf § 4 Nr. 11 UWG, geltend macht, wird die den Verfügungsgrund begründende Dringlichkeit der Sache zwar vermutet (§ 12 II UWG). Diese Vermutung kann aber, insbesondere durch das eigene Verhalten des Unterlassungsgläubigers, widerlegt werden. Wer in Kenntnis der maßgeblichen Umstände mit der Rechtsverfolgung zu lange wartet oder das Verfahren nicht hinreichend zügig betreibt und dadurch die Durchsetzung des Unterlassungsanspruchs verzögert, gibt damit zu erkennen, dass die Sache für ihn nicht so eilig ist (vgl. Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren, 9. Aufl.age, Kap. 54 Rn 24; Hess in: Ullmann jurisPK-UWG, 2. Auflage, § 12 Rn 92). Versäumt der Unterlassungsgläubiger die Vollziehungsfrist, so führt auch dies regelmäßig zur Widerlegung der Dringlichkeitsvermutung (vgl. Schmukle in: Ahrens, Der Wettbewerbsprozess, 6. Auflage, Kap. 45 Rn 49 m.w.N.).
Im vorliegenden Fall hat der Antragsteller im Hinblick auf das bestehende Kostenrisiko zunächst, jedenfalls bis zum Senatstermin am 25.03.2010, davon abgesehen, aus der mit Urteil des Landgerichts vom 29.10.2009 erwirkten einstweiligen Verfügung zu vollstrecken, und die fortgesetzte Zuwiderhandlung der Antragsgegnerin damit bewusst toleriert. Dieses Verhalten ist dringlichkeitsschädlich.
Durch das einstweilige Verfügungsverfahren, von dem in Wettbewerbssachen unter erleichterten Voraussetzungen Gebrauch gemacht werden kann (§ 12 II UWG), erhält der Unterlassungsgläubiger die Möglichkeit, wettbewerbswidriges Verhalten umgehend zu unterbinden. Er soll nicht gezwungen sein, eine Fortsetzung oder Wiederholung der fraglichen Wettbewerbsverstöße bis zur Erlangung eines Vollstreckungstitels im Klageverfahren hinzunehmen. Um dem Gläubiger diesen effektiven Rechtsschutz zu ermöglichen, wird in Kauf genommen, dass die Erkenntnismöglichkeiten und auch die Gewährung des rechtlichen Gehörs im Eilverfahren eingeschränkt sind, so dass dieses Verfahren im Verhältnis zum Klageverfahren eine geringere Richtigkeitsgewähr bietet. Das einstweilige Verfügungsverfahren ist ein summarisches Verfahren, das unter Inkaufnahme einer höheren Fehleranfälligkeit der Gewährung effektiven, rasch wirksamen Rechtsschutzes dient. Sein legitimer Zweck wird verfehlt, wenn es lediglich dazu dienen soll, auf schnelle und einfache Weise eine gerichtliche Fallbeurteilung zu erlangen.
Zeigt ein Unterlassungsgläubiger durch sein Verhalten, unabhängig von einer formal rechtzeitigen Vollziehung der einstweiligen Verfügung, dass es ihm auf die zügige Unterbindung des beanstandeten Verhaltens in Wahrheit nicht ankommt, so kann er das für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes erforderliche Eilbedürfnis nicht für sich in Anspruch nehmen. Die nach § 12 II UWG bestehende Dringlichkeitsvermutung ist dann widerlegt.
So verhält es sich im vorliegenden Fall. Der Antragsteller hat es hingenommen, dass die Antragsgegnerin, die andernfalls eine einschneidende Produktänderung hätte vornehmen müssen, die beanstandeten Handlungen unverändert fortsetzt und demgemäß dem vom Landgericht ausgesprochenen Verbot zuwiderhandelt. Dieses Verhalten des Antragstellers ist zwar im Hinblick auf die Größenordnung des hier nach § 945 ZPO bestehenden Kostenrisikos verständlich. Ein Unterlassungsgläubiger, der sich der Gefahr eines Schadensersatzanspruchs aus § 945 ZPO nicht aussetzen will, kann aber andererseits für sich kein Eilbedürfnis reklamieren, das eine gerichtliche Entscheidung über seinen Anspruch im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes erforderlich machen würde.
Im Übrigen ist auch kein Verfügungsanspruch gegeben. Die Voraussetzungen für einen Anspruch aus §§ 3, 4 Nr. 11 UWG i.V.m. Art. 10 II VO (EG) Nr. 110/2008 sind nicht erfüllt.
Zu verneinen ist bereits ein Verstoß gegen Art. 10 II VO (EG) Nr. 110/2008.
Gemäß dieser Vorschrift ist die Verwendung eines zusammengesetzten Begriffs nach Art. 10 I verboten, wenn eine Spirituose so stark verdünnt wurde, dass der Alkoholgehalt unter dem in der Begriffsbestimmung für die betreffende Spirituose festgelegten Mindestalkoholgehalt liegt.
Die Beklagte verwendet in der Aufmachung (vgl. hierzu Anhang I Nr. 15 der VO (EG) Nr. 110/2008) ihres Produkts zusammengesetzte Begriffe im Sinne der genannten Vorschrift, soweit sie den Begriff €Whiskey€ (vgl. Anhang II Nr. 2 der VO (EG) Nr. 110/2008) in den Angaben €Whiskey & Cola€ und €Bourbon Whiskey & Cola€ benutzt. Auch die Angabe €Cola-Getränk mit € Bourbon Whiskey€ mag hierunter zu fassen sein. Zugunsten der Antragstellerin kann des weiteren unterstellt werden, dass die vorgenannten Angaben auch wegen der Benutzung der geografischen Angabe €Bourbon€ zusammengesetzte Begriffe im Sinne von Art. 10 der VO (EG) Nr. 110/2008 darstellen.
Den Anforderungen des Art. 10 I der Verordnung wird die Antragsgegnerin unstreitig gerecht, da der im Erzeugnis enthaltene Alkohol ausschließlich von Bourbon Whiskey stammt, der für sich genommen auch den für Whiskey vorgeschriebenen Mindestalkoholgehalt von 40% vol. aufweist.
Hingegen bleibt das Endprodukt (Whiskey/Cola) mit einem Alkoholgehalt von 10% vol. weit unter dem für Whiskey vorgeschriebenen Mindestalkoholgehalt. Ferner ist es wegen des vergleichsweise geringen Alkoholgehalts keine Spirituose im Sinne der Verordnung (Art. 2 der VO (EG) Nr. 110/2008).
Gleichwohl liegt kein Verstoß gegen Art. 10 II der VO (EG) Nr. 110/2008 vor, weil das von der Antragsgegnerin vertriebene Getränk nicht als verdünnte Spirituose € hier: verdünnter Whiskey € anzusehen ist. Aufgrund der Entstehungsgeschichte der Verordnung spricht aus den vom Landgericht dargelegten Gründen zwar einiges dafür, dass der in der Verordnung verwendete, aber dort nicht eigens definierte, Begriff der Verdünnung nicht auf eine Vermischung mit Wasser zu beschränken ist. Damit ist aber noch nicht gesagt, dass jedwedes Getränk oder ein anderes Lebensmittel, das unter Verwendung einer bestimmten Spirituose hergestellt wurde, deren Mindestalkoholgehalt aber nicht erreicht, eine Verdünnung der betreffenden Spirituose darstellt.
Soweit die Europäische Kommission in ihren Leitlinien (Guidelines) die Auffassung vertreten hat, der Begriff der Verdünnung i.S.v. Art. 10 II umfasse jeden Prozess, der im Ergebnis dazu führe, dass der Alkoholgehalt derart vermindert werde, dass er unterhalb des definierten Mindestalkoholgehaltes der jeweiligen Spirituose falle, ist zu berücksichtigen, dass diese Leitlinien keine Rechtsnormqualität haben. Im übrigen wird die eben wiedergegebene Definition dadurch relativiert, dass nach den Leitlinien die üblichen Herstellungsschritte für eine Spirituose, auch wenn sie zu einer Reduzierung des Alkoholgehaltes führen, von dem Begriff €Verdünnung€ nicht erfasst werden sollen.
Für eine eher restriktive Auslegung des Begriffs der Verdünnung sprechen folgende Erwägungen: Nach dem Erwägungsgrund (2) der VO (EG) Nr. 110/2008 sollen die den Spirituosensektor betreffenden Maßnahmen dem Verbraucherschutz, der Verhinderung betrügerischer Praktiken und der Verwirklichung von Markttransparenz und fairem Wettbewerb dienen. Diese Zielsetzung spricht im Grundsatz dafür, dass ein unter der Verwendung einer Spirituose erzeugtes Mischgetränk, das uneingeschränkt verkehrsfähig ist, unter prägnanter Angabe seiner wesentlichen Komponenten als das bezeichnet werden sollte, was es ist. Würde die Verwendung eines zusammengesetzten Begriffes, der die Zusammensetzung des Mischgetränks zutreffend erfasst, untersagt € und dies nicht nur als Teil der Verkehrsbezeichnung sondern in der Aufmachung des Lebensmittels schlechthin (vgl. demgegenüber die für Spirituosenmischungen einschlägige Regelung in Art. 11 IV der VO) €, so würde den Verbrauchern eine nützliche Information und dem Vertreiber des Erzeugnisses eine sachgerechte wettbewerbliche Kommunikationsmöglichkeit vorenthalten.
Nach der Auffassung des Senats liegt eine €Verdünnung€ i.S.v. Art. 10 II der VO (EG) Nr. 110/2008 nicht vor, wenn das Endprodukt eine Mischung (vgl. hierzu Anhang I Nr. 4 der VO) aus einer Spirituose nach Anhang II der Verordnung und einem definierten Getränk darstellt, dem der Verkehr keine bloße Verdünnungsfunktion zuschreibt. So verhält es sich im vorliegenden Fall. Es kommt hinzu, dass es sich bei dem hier in Rede stehenden Getränk Whiskey/Cola um ein seit längerem eingeführtes und dem Verkehr bekanntes Mischgetränk handelt, zu dessen Erzeugung die Beifügung von Cola einen €üblichen Herstellungsschritt€ darstellt.
Soweit der Antragsteller auch die Angabe €Whiskeygehalt: 25%€ beanstandet, liegt zudem schon deshalb kein Verstoß gegen Art. 10 II der VO (EG) Nr. 110/2008 vor, weil kein zusammengesetzter Begriff i.S.v. Art. 10 I, II der VO verwendet wird. Ein Verstoß gegen Art. 9 IV der Verordnung scheidet aus, weil das Getränk durch die Angabe €Whiskeygehalt: 25%€ weder bezeichnet noch etikettiert wird. Es handelt sich lediglich um eine € zur Information des Verbrauchers zwingend gebotene € Bestandteilsangabe.
Selbst wenn ein Verstoß der Antragsgegnerin gegen Art. 10 II der VO (EG) Nr. 110/2008 zu bejahen wäre, wäre der geltend gemachte Unterlassungsanspruch unbegründet, da jedenfalls keine unzulässige geschäftliche Handlung vorliegt (§ 8 I UWG).
Die Voraussetzungen des § 4 Nr. 11 UWG wären zwar erfüllt, da Art. 10 II der Verordnung auch dazu bestimmt ist, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln. Eine unzulässige geschäftliche Handlung wäre jedoch nur dann gegeben, wenn auch die weiteren Voraussetzungen des § 3 II 1 UWG vorlägen.
Die Vorschrift des § 3 II 1 UWG erfasst in richtlinienkonformer Auslegung € in Abgrenzung zu § 3 I UWG € geschäftliche Handlungen gegenüber Verbrauchern, die nicht zu den irreführenden oder aggressiven Geschäftspraktiken i.S.d. Artt. 4 IV, 6-9 der UGP-Richtlinie gehören, für die also maßgebend auf die in Art. 5 II der UGP-Richtlinie normierte Generalklausel abzustellen ist (vgl. Köhler / Bornkamm, UWG, 28. Auflage, § 3 Rn 8 f.; a.A. Piper/ Ohly/ Sosnitza , UWG, 5. Auflage, § 3 Rn 79 f.). Der hier in Rede stehende Rechtsverstoß erfüllt weder die Voraussetzungen einer irreführenden oder aggressiven Geschäftspraktik gemäß den Artt. 4 IV, 6-9 der UGP-Richtlinie noch einen der Tatbestände im Anhang zu § 3 III UWG.
Eine unzulässige geschäftliche Handlung könnte somit nur dann bejaht werden, wenn das der Antragsgegnerin angelastete Verhalten nicht der für sie als Unternehmen geltenden fachlichen Sorgfalt entsprach und außerdem dazu geeignet war, die Fähigkeit des Durchschnittsverbrauchers, sich aufgrund von Informationen zu entscheiden, spürbar zu beeinträchtigen und ihn damit zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte (§ 3 II 1 UWG). Beide Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Es gibt keinen Anhaltspunkt dafür, dass die beanstandeten Angaben die Fähigkeit des Durchschnittsverbrauchers, eine informierte Entscheidung zu treffen, beeinträchtigen könnten. Auch eine Verletzung der fachlichen Sorgfalt ist zu verneinen, da die Verwendung der beanstandeten Angaben im Einklang mit den Beratungsergebnissen der Arbeitsgruppe €Wein und Spirituosen€ des Arbeitskreises der lebensmittelchemischen Sachverständigen der Länder und des Bundesamts für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit steht, die durch das Rundschreiben des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz vom 16.12.2009 (Anlage BK 3) bekannt gemacht wurden.
Als die unterliegende Partei hat der Antragsteller die Kosten des Eilverfahrens zu tragen (§ 91 I ZPO).
OLG Frankfurt am Main:
Urteil v. 25.03.2010
Az: 6 U 219/09
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