Oberlandesgericht Frankfurt am Main:
Urteil vom 7. Mai 2003
Aktenzeichen: 1 U 119/00

(OLG Frankfurt am Main: Urteil v. 07.05.2003, Az.: 1 U 119/00)

Tenor

Auf die Berufung des beklagten Landes wird das am 12.7.2000 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main teilweise abgeändert. Das beklagte Land wird verurteilt, an den Kläger 16.319,18 € zuzüglich 4 % Zinsen seit dem 2.4.1997 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. Die weiter gehende Berufung wird zurückgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger 78 %, das beklagte Land 22 % zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das beklagte Land darf die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet. Der Kläger darf die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht das beklagte Land vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Der Kläger nimmt das beklagte Land aus abgetretenem Recht seiner Mandanten S. und T. P. auf Erstattung der diesen durch seine anwaltliche Tätigkeit entstandenen Kosten in Anspruch.

Das Finanzamt B. H. war gegen Ende des Jahres 1996 mit Steuerschulden der d... C. E. P. KG und ihres Hauptgesellschafters C. E. P. und der Beitreibung dieser Schulden befasst. P. berief sich in diesem Zusammenhang auf eine eingeschränkte Zahlungsfähigkeit. Unter dem 19.12.1996 kündigte das Finanzamt gegenüber S. und T. P. wegen einer auf gut 12 Mio. DM bezifferten Steuerschuld des C. E. P. entsprechend § 4 AnfG unter anderem die Anfechtung der angeblich schenkweisen Übertragung seiner Kapitalanteile an der KG an. Diese erklärte unter dem 27.12.1996 unter anderem, C. E. P. sei zum 31.12.1995 vermögensmäßig aus der Gesellschaft ausgeschieden. Mit Schreiben vom 21.1.1997 kündigte das Finanzamt gegenüber S. und T. P. eine weitere Anfechtung wegen demnächst in Höhe von gut 28 Mio. DM fällig werdender Einkommensteuerschulden des C. E. P. an. Der von S. und T. P. beauftragte Kläger erreichte mit verschiedenen Schreiben zwei schriftliche Erklärungen des Finanzamts, dieses werde sich bezüglich der Gesellschaftsanteile keiner Anfechtungsmöglichkeit mehr berühmen. Der Kläger berechnete seinen Mandanten für seine die Anfechtungsankündigungen betreffende Tätigkeit 144.901,59 DM, die jene teils selbst, teils durch die Gesellschaft zahlten.

Er hat beantragt,

das beklagte Land zur Zahlung von 144.901,59 DM zuzüglich 4 % Zinsen seit dem 2.4.1997 zu verurteilen.

Das beklagte Land hat Klageabweisung beantragt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes und wegen des Ergebnisses der landgerichtlichen Beweisaufnahme nimmt der Senat auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug.

Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Die Anfechtungsankündigungen seien amtspflichtwidrig gewesen, die erste wegen einer bereits bestehenden Anfechtungsmöglichkeit, die zweite wegen des Verstreichens der Anfechtungsfrist. Der Klageanspruch bestehe in voller Höhe, weil der Kläger sein Honorar zutreffend berechnet habe; nach der Aussage des Zeugen S. seien die übertragenen Geschäftsanteile mit knapp 30 Mio. DM mehr wert gewesen als die jeweiligen Steuerschulden.

Mit seiner Berufung verfolgt das beklagte Land den Klageabweisungsantrag weiter. Es wendet sich gegen die Annahme einer schuldhaften Amtspflichtverletzung, gegen die Erforderlichkeit anwaltlicher Hilfe und gegen die Höhe des klägerischen Honorars unter den Gesichtspunkten des zugrunde zu legenden Geschäftswerts, der Berechnungsmodalitäten und der Berechtigung der angesetzten Mittelgebühr.

Das beklagte Land beantragt,

die Klage unter Abänderung des landgerichtlichen Urteils abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat zum Wert des übernommenen Kapitalanteils Ende 1996 Beweis erhoben. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme nimmt er auf das schriftliche Gutachten des Sachverständigen Dr. L. vom 5.3.2003 Bezug.

Die Berufung des beklagten Landes ist zulässig und teilweise begründet. Der Kläger hat gegen das beklagte Land nur einen Zahlungsanspruch in ausgesprochener Höhe.

I. Das Landgericht hat einen Amtshaftungsanspruch des Klägers dem Grunde nach zu Recht bejaht. Die Anfechtungsankündigungen des Finanzamts B. H. vom 19.12.1996 und vom 21.1.1997 ergingen schuldhaft amts-pflichtwidrig, soweit sie sich auf die Übertragung des Geschäftsanteils des C. E. P. an die Mandanten des Klägers bezogen.

1. Die Anfechtungsankündigungen und das ihnen vorausgehende Verhalten des Finanzamts sind ungeachtet dessen als hoheitliche Tätigkeit zu qualifizieren, dass der sich aus dem AnfG ergebende Rückgewähranspruch zivilrechtlich einzuordnen ist (vgl. BGH NJW 1991, 1061 ff.). Dies ergibt sich zum einen daraus, dass das Finanzamt gerade die Anfechtung durch Duldungsbescheid, also einen Verwaltungsakt angekündigt hat; die Ankündigung ist hinsichtlich ihrer Einordnung nicht von der angekündigten Handlung zu trennen (Kriterium der gewählten Rechtsform, vgl. z.B. BGH NJW 2000, 2810 ff. [unter II 1 b) der Entscheidungsgründe]). Zum anderen dienten die Anfechtungsankündigungen wie die angekündigten Duldungsbescheide der Beitreibung der Steuerschuld (Kriterium des verfolgten Ziels, vgl. insbesondere BGHZ 110, 253, 255; 21, 359, 361).

2. Die tätig gewordenen Bediensteten des Finanzamts B. H. haben zu mindest in zweierlei Hinsicht schuldhaft ihre Amtspflichten gegenüber den Mandanten des Klägers verletzt.

a) Jeder Amtsträger hat die Amtspflicht, sich bei seiner amtlichen Tätigkeit innerhalb der Grenzen von Recht und Gesetz zu halten (BGHZ 76, 16, 30; BGH NJW 1979, 642, 643; BGB-RGRK-Kreft, 12. Aufl., § 839 Rn. 152). Hieraus ergibt sich die auch dem Steuerschuldner gegenüber bestehende Pflicht der Steuerbeamten, Steuern nur unter den gesetzlichen Voraussetzungen und im Rahmen des gesetzlich Zulässigen zu veranlagen, zu erheben und beizutreiben (vgl. BGB-RGRK-Kreft a.A. O., Rn. 255). Demgemäß haben Steuerbeamte die Amtspflicht, Duldungsbescheide nur unter den gesetzlichen Voraussetzungen zu erlassen oder auch nur anzukündigen.

b) Jeder Amtsträger hat die Pflicht, vor einer hoheitlichen Maßnahme, die geeignet ist, einen anderen in seinen Rechten zu beeinträchtigen, den Sachverhalt im Rahmen des Zumutbaren so umfassend zu erforschen, dass die Beurteilungs- und Entscheidungsgrundlage nicht in wesentlichen Punkten zum Nachteil des Betroffenen unvollständig bleibt (BGH NJW 1989, 99 ff. [unter II 1 a) der Entscheidungsgründe]; ähnlich NJW 1994, 3162 ff. [unter II 2 c) cc) der Entscheidungsgründe]); hierzu gehört regelmäßig auch eine vorherige Anhörung des Betroffenen (vgl. BGH NJW 1989, 99 ff. [unter II 1 a) der Entscheidungsgründe]).

c) Diesen Grundsätzen wird das streitgegenständliche Verhalten der Bediensteten des Finanzamts B. H. nicht gerecht. Die Übertragung des Geschäftsanteils auf die Mandanten des Klägers war - wie das beklagte Land auf Seite 5 der Klageerwiderung vom 29.11.1999 (Bl. 70 d.A.) zugestanden hat - mangels Unentgeltlichkeit nicht nach § 3 Abs. 1 Nr. 3 AnfG anfechtbar. Für eine Anfechtung durch Duldungsbescheid und deren Ankündigung fehlte die tatsächliche Grundlage. Das beklagte Land hat nicht plausibel erklären können, wie seine Bediensteten zur gegenteiligen Annahme kommen konnten, insbesondere, welche Ermittlungsergebnisse dem zugrunde lagen; das Finanzamt B. H. hat ersichtlich eine Unentgeltlichkeit der Übertragung unterstellt, ohne die den Geschäftsanteil übernehmenden Mandanten des Klägers vor der Anfechtungsankündigung, die diese Behauptung enthielt, zu dieser Frage anzuhören.

II. Den Mandanten des Klägers ist durch diese Amtspflichtverletzungen ein Schaden in Höhe von 31.917,54 DM = 16.319,18 € entstanden. Hierbei handelt es sich um das Honorar, das der Kläger von seinen Mandanten für die Tätigkeit berechnen darf, die die Anfechtung der Übernahme des Geschäftsanteils abwehrte. Die Erforderlichkeit der Inanspruchnahme anwaltlicher Hilfe steht im Streitfall angesichts der in Rede stehenden Vermögenswerte und der Schwierigkeit der zu beurteilenden Rechtsfragen außer Zweifel. Aus diesen Gesichtspunkten ergibt sich auch, dass der Kläger von seinen Mandanten zu Recht eine Mittelgebühr in Höhe von 7,5/10 gefordert hat. Die Einholung eines Gebührengutachtens der Rechtsanwaltskammer erübrigte sich, da der Senat nicht über einen Honorarstreit zwischen Rechtsanwalt und Mandant, sondern über den Umfang eines auf Erstattung gerichteten Schadensersatzanspruchs zu befinden hatte. Der Schaden bleibt allerdings deshalb hinter der der klägerischen Honorarnote entsprechenden Klageforderung zurück, weil es sich nur um eine einzige Angelegenheit (1.) mit einem deutlich niedrigeren Gegenstandswert (2.) handelte.

1. Der Kläger kann seine Tätigkeit nicht gesondert für beide Anfechtungsankündigungen abrechnen. Es handelte sich um dieselbe Angelegenheit im Sinne des § 13 Abs. 2 Satz 1 BRAGO.

a) Unter einer "Angelegenheit" im gebührenrechtlichen Sinne ist das gesamte Geschäft zu verstehen, das der Rechtsanwalt für den Auftraggeber besorgen soll (vgl. - auch zum Folgenden - BGHR BRAGO § 13 Abs. 2 Angelegenheit 1). Ihr Inhalt bestimmt den Rahmen, innerhalb dessen der Rechtsanwalt tätig wird. Wann eine und wann mehrere Angelegenheiten vorliegen, bestimmt das Gesetz nicht. Die Abgrenzung ist unter Berücksichtigung der jeweiligen Lebensverhältnisse im Einzelfall vorzunehmen. Dabei ist insbesondere der Inhalt des erteilten Auftrages maßgebend. Um dieselbe Angelegenheit annehmen zu können, müssen demnach folgende drei Voraussetzungen erfüllt sein (vgl. Göttlich/Mümmler, BRAGO, 20. Aufl., Stichwort "Angelegenheit"):

- Es muss ein einheitlicher Auftrag vorliegen. Dieser ist auch dann noch gegeben, wenn der Rechtsanwalt zu verschiedenen Zeiten beauftragt worden ist, aber Einigkeit besteht, dass die Ansprüche gemeinsam behandelt werden sollen.

- Es muss der gleiche Rahmen bei der Verfolgung der mehreren Ansprüche eingehalten werden. Dieses Erfordernis ist erfüllt, wenn die mehreren Gegenstände beispielsweise durch ein gemeinsames Mahnschreiben oder mit einer Klage verfolgt werden.

- Es muss ferner zwischen den einzelnen Gegenständen ein innerer objektiver Zusammenhang bestehen, das heißt es muss sich um einen einheitlichen Lebensvorgang handeln, der im Falle seiner gerichtlichen Verfolgung in einer Klage oder in einem Verfahren geltend gemacht würde.

b) Danach handelte es sich im Streitfall um eine Angelegenheit. Es mag sein, dass sich die Mandanten des Klägers nach Empfang der zweiten Anfechtungsankündigung erneut an diesen wandten, um sich seine Hilfe auch zur Verteidigung gegen jene zu sichern. Es liegt aber auf der Hand, dass die Mandanten des Klägers eine gemeinsame Verteidigung ihrer von C. E. P. übernommenen Geschäftsanteile gegen das auf verschiedene Steuerschulden des C. E. P. gestützte Anfechtungsbegehren des Finanzamts B. H. wünschten. Der Kläger hätte zweifellos die negative Feststellungsklage (vgl. BGH NJW 1991, 1061 ff.) für seine Mandanten auf beide Anfechtungsankündigungen erstreckt.

2. Die Gebühren des Klägers errechnen sich aus einem Geschäftswert von 8.313.169,83 DM.

a) Für den Streitwert maßgebend ist in erster Linie die Forderung des Anfechtenden einschließlich Zinsen und Kosten, zu deren Befriedigung die Anfechtung dienen soll. Wenn allerdings der Wert des zurückzugewährenden Gegenstandes nach Abzug der auf ihm ruhenden Belastungen geringer ist als die die Anfechtung begründende Forderung, dann gilt dieser Wert (BGH WM 1982, 435).

b) So liegt der Fall. Die angekündigten Anfechtungen sollten der Befriedigung von Steuerschulden in Höhe von gut 12 Mio. und gut 28 Mio. DM dienen. Demgegenüber war der von den Mandanten des Klägers übernommene Kapitalanteil des C. E. P. bei Zugang der Anfechtungsankündigungen und Auftragserteilung an den Kläger gegen Ende des Jahres 1996 etwa 8.313.169,83 DM wert, wie der Sachverständige Dr. L. in seinem Gutachten vom 5.3.2003 im Einzelnen überzeugend ausgeführt hat. Der auf die Belastung einzelner Grundstücke bezogene Einwand des beklagten Landes verfängt nicht, weil diese in die Bewertung des Unternehmens und des Kapitalanteils nicht eingegangen sind. Andererseits ist der Wertverlust, den der von C. E. P. übernommene Kapitalanteil im Jahre 1996 erlitten hat, entgegen der Rechtsauffassung des Klägers zu berücksichtigen. Entscheidend ist nicht der Wert des C. E. P. zustehenden Abfindungsguthabens, sondern das Interesse der Mandanten des Klägers daran, den Kapitalanteil nicht zurückgewähren zu müssen. Dieses Interesse reduziert sich zweifellos mit dem Wert des Unternehmens, an dem die Anteile gehalten werden.

3. Der Schaden errechnet sich danach folgendermaßen:

Bezeichnung GebührBetrag DM 7,5/10 Geschäftsgebühr21.318,75 + 3/10 Erhöhungsgebühr6.395,63 + Auslagenpauschale40,00 = Zwischensumme netto27.754,38+ 15 % MWSt.4.163,16 = gesamt brutto31.917,54 Dieser Betrag entspricht 16.319,18 €.

III. Die Klageforderung ist nach § 288 BGB a.F. in ausgesprochener Höhe zu verzinsen. Der Kläger hat unter Fristsetzung zum 1.4.1997 fruchtlos gemahnt.

IV. Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 92 Abs. 1, 543 Abs. 2, 708 Nr. 10, 711 ZPO. Die Frage, ob eine gebührenrechtliche "Angelegenheit" vorliegt, ist entgegen klägerischer Rechtsauffassung nur von Fall zu Fall zu klären, einer grundsätzlichen Klärung insoweit nicht zugänglich.






OLG Frankfurt am Main:
Urteil v. 07.05.2003
Az: 1 U 119/00


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