Bundespatentgericht:
Urteil vom 16. April 2002
Aktenzeichen: 3 Ni 63/00

(BPatG: Urteil v. 16.04.2002, Az.: 3 Ni 63/00)

Tenor

Das europäische Patent 0 386 862 wird mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig erklärt.

Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist für die Klägerinnen jeweils gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 13.000,-€ vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des am 23. Februar 1990 unter Inanspruchnahme der Priorität der deutschen Gebrauchsmusteranmeldung 8902903 vom 9. März 1989 angemeldeten und ua mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland in der Verfahrenssprache Deutsch erteilten europäischen Patents 0 386 862 (Streitpatent). Das Streitpatent, das vom Deutschen Patent- und Markenamt unter der Nummer 590 06 392 geführt wird, betrifft ein Gargerät und umfasst 15 Patentansprüche. Patentanspruch 1 lautet:

"Gargerät mit einem Garraum (10) und mit einer Einrichtung (20) zum Einführen von Wasser in flüssiger Form oder in Dampfform in den Garraum (10) mit einer Einrichtung (310, 312; 320 bis 332; 340 bis 348; 350 bis 354; 360 bis 374; 380 bis 390) zum Abführen von Feuchtigkeit aus dem Garraum (10) sowie mit mindestens einem Feuchtigkeitssensor (40) in dem Garraum und einer Regeleinrichtung (50), welche als erste Regelparameter die Ausgangssignale des Feuchtigkeitssensors (40) aufnimmt und mit einem Sollwert vergleicht und entsprechend dem Ergebnis des Vergleichs die Einrichtung (20) zum Einleiten von Wasser in den Garraum (10) oder die Einrichtung (310, 312; 320 bis 322; 340 bis 348; 350 bis 354; 360 bis 374; 380 bis 390) zum Abführen von Feuchtigkeit aus dem Garraum (10) ansteuert."

Wegen des Wortlauts der auf Patentanspruch 1 mittelbar oder unmittelbar zurückbezogenen Patentansprüche 2 bis 15 wird auf die Streitpatentschrift verwiesen.

Die Klägerinnen machen geltend, der Gegenstand des Streitpatent sei nicht patentfähig, weil er nicht neu sei bzw nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe. Im übrigen komme dem Streitpatent die in Anspruch genommene Priorität nicht zu. Zur Begründung beziehen sie sich auf die Unterlagen D 1 DE 89 02 903 U, D 2 EP 0 313 768 A2, D 3 US-PS 4 350 286, D 4 US-PS 3 957 200, D 5 DE 38 04 678 A1, D 6 US-PS 4 162 381, D 7 EP 0 173 066 A1, D 8 GB 2 010 078 A, D 9a DIN 19226, 05/1968, D 9b DIN 19226, 1994, Teil 1, D10 Manfred Reuter, Regelungstechnik für Ingenieure, 2. Aufl. 1975,S. 1 bis 9, D 11 Franke-Prospekt "Die neuen Franke Combi-Steamer", 11/1989, D 12 Norbert Elsner, Grundlagen der Technischen Thermodynamik, 1973, S. 413 bis 421, D 13 Nitta und Hayakawa, Ceramic Humidity Sensors, IEEE No. 2, June 1980, S. 237 bis 243, D 14 GB 2 207 514 A, D 15 Maurer-Prospekt, Allround-System, Allround System Rondair, 05/1983, S. 1 bis 16, D 16 Hütte, 28. Aufl. 1955, S. 1486, D 17 DE 32 08 874 C1, D 18 Regelungstechnik in der Versorgungstechnik, 2. Aufl. 1988, hrsg. vom Arbeitskreis der Dozenten für Regelungstechnik, Verlag C.F. Müller GmbH, Karlsruhe, S. 393-397, 399-407, 409-415, D 19 DE-OS 2 259 459.

Die Klägerinnen beantragen, das europäische Patent 0 386 862 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig zu erklären.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie tritt dem Vorbringen der Klägerinnen entgegen und hält das Streitpatent für patentfähig. Hilfsweise verteidigt sie das Streitpatent mit einer der in der mündlichen Verhandlung überreichten Fassungen gemäß den Hilfsanträgen 1 bis 3.

Gemäß Hilfsantrag 1 hat Patentanspruch 1 folgenden Wortlaut:

"Gargerät mit einem Garraum (10), mit einer Einrichtung (20) zum Einführen von Wasser in flüssiger Form oder in Dampfform in den Garraum (10), mit einer Einrichtung (310, 312; 320 bis 332; 340 bis 348; 350 bis 354; 360 bis 374; 380 bis 390) zum Abführen von Feuchtigkeit aus dem Garraum (10), mit mindestens einem Feuchtigkeitssensor (40) in dem Garraum und einer Regeleinrichtung (50), welche als erste Regelparameter die Ausgangssignale des Feuchtigkeitssensors (40) aufnimmt und mit einem Sollwert vergleicht und entsprechend dem Ergebnis des Vergleichs die Einrichtung (20) zum Einleiten von Wasser in den Garraum (10) oder die Einrichtung (310, 312; 320 bis 322; 340 bis 348; 350 bis 354; 360 bis 374; 380 bis 390) zum Abführen von Feuchtigkeit aus dem Garraum (10) ansteuert, und mit mindestens einem Temperaturfühler (60) in dem Garraum (10), wobei die Regeleinrichtung (50) Signale von dem Temperaturfühler (60) empfängt und als zweite Regelparameter verarbeitet."

Hieran schließen sich Patentansprüche 2 bis 14 an.

Patentanspruch 1 des 2. Hilfsantrags lautet:

"Gargerät mit einem Garraum (10), mit einer Einrichtung (20) zum Einführen von Wasser in flüssiger Form oder in Dampfform in den Garraum (10), mit einer Einrichtung (310, 312; 320 bis 332; 340 bis 348; 350 bis 354; 360 bis 374; 380 bis 390) zum Abführen von Feuchtigkeit aus dem Garraum (10), mit mindestens einem Feuchtigkeitssensor (40) in dem Garraum und einer Regeleinrichtung (50), welche als erste Regelparameter die Ausgangssignale des Feuchtigkeitssensors (40) aufnimmt und mit einem Sollwert vergleicht und entsprechend dem Ergebnis des Vergleichs die Einrichtung (20) zum Einleiten von Wasser in den Garraum (10) oder die Einrichtung (310, 312; 320 bis 322; 340 bis 348; 350 bis 354; 360 bis 374; 380 bis 390) zum Abführen von Feuchtigkeit aus dem Garraum (10) ansteuert, wobei der Sollwert für die Ausgangssignale des Feuchtigkeitssensors (40) entsprechend einem Wasser-Partialdruck von 0 bis 1 Bar einstellbar ist."

Es schließen sich die Patentansprüche 2 bis 13 an.

Patentanspruch 1 des 3. Hilfsantrags lautet:

"Gargerät mit einem Garraum (10), mit einer Einrichtung (20) zum Einführen von Wasser in flüssiger Form oder in Dampfform in den Garraum (10), mit einer Einrichtung (310, 312; 320 bis 332; 340 bis 348; 350 bis 354; 360 bis 374; 380 bis 390) zum Abführen von Feuchtigkeit aus dem Garraum (10), mit mindestens einem Feuchtigkeitssensor (40) in dem Garraum und einer Regeleinrichtung (50), welche als erste Regelparameter die Ausgangssignale des Feuchtigkeitssensors (40) aufnimmt und mit einem Sollwert vergleicht und entsprechend dem Ergebnis des Vergleichs die Einrichtung (20) zum Einleiten von Wasser in den Garraum (10) oder die Einrichtung (310, 312; 320 bis 322; 340 bis 348; 350 bis 354; 360 bis 374; 380 bis 390) zum Abführen von Feuchtigkeit aus dem Garraum (10) ansteuert, und mit mindestens einem Temperaturfühler (60) in dem Garraum (10), wobei die Regeleinrichtung (50) Signale von dem Temperaturfühler (60) empfängt und als zweite Regelparameter verarbeitet, wobei der Sollwert für die Ausgangssignale des Feuchtigkeitssensors (40) entsprechend einem Wasser-Partialdruck von 0 bis 1 Bar einstellbar ist."

Es schließen sich die Patentansprüche 2 bis 12 an.

Wegen des Wortlauts der jeweils auf Patentanspruch 1 zurückbezogenen Unteransprüche der Hilfsanträge 1 bis 3 wird auf die Anlage zum Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 16. April 2002 verwiesen.

Gründe

Die zulässige Klage erweist sich als begründet.

Der geltend gemachte Nichtigkeitsgrund der fehlenden Patentfähigkeit führt zur Nichtigerklärung des Streitpatents mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland, Art II § 6 Abs 1 Nr 1 IntPatÜG, Art 138 Abs 1 lit a EPÜ.

I.

1. Das Streitpatent betrifft ein Gargerät mit einem Garraum und einer Einrichtung zum Einführen von Wasser in flüssiger Form oder in Dampfform in den Garraum. Je nach Art des Gargutes ist laut den Ausführungen im Streitpatent zum Stand der Technik ein unterschiedlicher Feuchtigkeitsgrad erforderlich. Um den Grad der Feuchtigkeit an das Gargut anzupassen, ist eine Vorrichtung bekannt, bei der der Feuchtigkeitsgehalt der Garraumatmosphäre über ein Wrasen abziehendes Gebläse eingestellt wird, wobei die Drehzahl des Gebläses vom Feuchtigkeitsgehalt des Wrasens im Abzugschacht abhängt (s DE-A 28 56 094, StrPS Sp 1 Z 48 - Sp 2 Z 4). Bei einem bekannten Dämpfer kann überschüssiger Dampf über eine Entlüftungsleitung in eine Kammer entweichen, in der er mittels eines kalten Wasserstrahls kondensiert wird. Ist der Dampfdurchtritt weiterhin zu stark, wird durch Ausschalten einer Heizung die Dampferzeugung beim Dämpfer unterbrochen. Eine besondere Feuchtigkeitsregelung ist dort nicht vorgesehen(s GB-A 2 010 078, StrPS Sp 2 Z 5 - 18). Die europäische Patentschrift 0 244 538 (s StrPS Sp 2 Z 19 - 27) beschreibt ein Gargerät, bei dem die Feuchtigkeit im Garraum manuell über einen Drehknopf eingestellt werden kann und ein ständig offenes Drainagerohr ohne Steuerung für die Abfuhr der Feuchtigkeit sorgt.

2. Dem Streitpatent liegt vor diesem technischen Hintergrund die Aufgabe zugrunde (s StrPS Sp 2 Z 28 - 31), ein Gargerät zu schaffen, bei dem der Partialdampfdruck des Wassers in der Garraumatmosphäre der Art des Gargutes angepasst werden kann.

3. Zur Lösung beschreibt Patentanspruch 1 in der erteilten Fassungein Gargerät mit 1. einem Garraum, 2. einer Einrichtung zum Einführen von Wasser in flüssiger Form oder in Dampfform in den Garraum, 3. einer Einrichtung zum Abführen von Feuchtigkeit aus dem Garraum, 4. mindestens einem Feuchtigkeitssensor im Garraum und 5. einer Regeleinrichtung, welche 5.1 als erste Regelparameter die Ausgangssignale des Feuchtigkeitssensors aufnimmt und mit einem Sollwert vergleicht, und entsprechend dem Ergebnis des Vergleichs 5.2 die Einrichtung zum Einleiten von Wasser in den Garraumoder 5.3 die Einrichtung zum Abführen von Feuchtigkeit aus dem Garraum ansteuert.

II.

1. Der Gegenstand des Streitpatents stellt weder in der erteilten Fassung, noch in einer der hilfsweise verteidigten Fassungen eine patentfähige Erfindung im iSd § 1 bis § 5 PatG dar, denn er beruht nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Als Fachmann ist hier ein Ingenieur des Maschinenbaus mit Erfahrungen in der Konstruktion von Gargeräten mit kontrollierter Feuchtigkeit im Garraum und den dazu erforderlichen Kenntnissen auf den Gebieten der Thermodynamik und der Regelungstechnik anzusehen.

Das streitpatentgemäße Gargerät weist eine Einrichtung zum Einleiten von Feuchtigkeit (Wasser oder Dampf) in den Garraum und eine Einrichtung zum Abführen von Feuchtigkeit aus dem Garraum auf. Eine Regeleinrichtung steuert die Einrichtung zum Einleiten von Feuchtigkeit in den Garraum oder die Einrichtung zum Abführen von Feuchtigkeit an (Patentanspruch 1). Demnach wird entweder, wenn nämlich der Istwert der Feuchtigkeit - bei abgeschalteter bzw minimal eingestellter Belüftung des Garraums - unter einem vorgegebenen Sollwert liegt, Wasser oder Dampf in der benötigten Menge zugeführt oder, wenn der Istwert der Feuchtigkeit - bei abgeschalteter Feuchtigkeitszufuhr zum Garraum - über dem Sollwert liegt, Feuchtigkeit kontrolliert abgeführt (s Sp 7 Abs 3). Im Garraum herrscht Atmosphärendruck (Sp 1 Z 30 bis 32, "druckloser Betrieb"), dh die Summe der Partialdrücke der trockenen Luft und des Wasserdampfes ist im Garraum gleich dem Atmosphärendruck (1 Bar).

2. Ob der Gegenstand des Patentanspruchs 1 des Streitpatents in der erteilten Fassung gegenüber dem Stand der Technik gemäß der britischen Offenlegungsschrift 2 207 514 neu ist, kann dahingestellt bleiben, denn er beruht zumindest nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

In dieser Druckschrift ist eine Einrichtung zur Messung der atmosphärischen Feuchtigkeit in Öfen, insbesondere Backöfen, beschrieben. Einleitend wird ausgeführt, daß beim Backen von Brot oder Biskuits häufig Dampf in den Ofen eingeführt wird, daß aber ebenso gut auch Wasser eingespritzt werden kann (S 1 Abs 2). Für gewisse andere Produkte, zB halbsüße Biskuits, ist bereits der sich natürlicherweise in der Backkammer einstellende Feuchtigkeitsgehalt bedeutend. In diesem Falle kann die Regelung der Feuchtigkeit durch Betätigung von Abzugsklappen wertvoll sein, um gleichmäßigere Produkteigenschaften zu gewährleisten (S 1 Abs 3). Im weiteren Verlauf beschreibt die Druckschrift dann eine Einrichtung zur Messung der Feuchtigkeit der Atmosphäre im Ofen, deren Sensor vorzugsweise im Backraum angeordnet werden soll (S 3 Z 7 und 8). Im letzten Satz der Beschreibung wird schließlich auf die Möglichkeit hingewiesen, eine solche Einrichtung zur Messung der atmosphärischen Feuchtigkeit in einem System zur Regelung der Feuchtigkeit im Ofen durch Steuerung des Einlasses von Dampf oder die Öffnung von Abzugsklappen zu integrieren. Dieser Satz nimmt das auf der ersten Seite der Druckschrift angesprochene Thema des Anwendungsgebiets der Einrichtung zur Messung der Feuchtigkeit wieder auf, wonach einige Produkte (Brot und Biskuits) die Zufuhr von Dampf oder Wasser zur Erzielung einer ausreichend feuchten Atmosphäre im Backraum erfordern und für andere Produkte (halbsüße Biskuits) die kontrollierte Abfuhr von Feuchtigkeit aus dem Backraum verlangt wird, um einen bestimmten Feuchtigkeitsgrad nicht zu überschreiten. In beiden Fällen handelt es sich um Backwaren, und nichts deutet darauf hin, daß zu deren Herstellung unterschiedliche Backöfen verwendet werden. Es kann aber dahin gestellt bleiben, ob der Fachmann am Anmeldetag des Streitpatents die Lehre der Druckschrift so verstanden hat, daß die Feuchtigkeit in ein und demselben Backofen je nach Bedarf durch das Einspritzen von Dampf (bei tendenziell zu niedriger Feuchtigkeit im Garraum) bzw. durch Öffnen von Abzugsklappen (bei tendenziell zu hoher Feuchtigkeit im Garraum) geregelt wird, oder ob er ihr nur entnommen hat, daß einerseits Gareinrichtungen mit Regelung der Feuchtigkeit im Garraum über die Menge des eingespritzten Wassers oder Dampfes und andererseits Gareinrichtungen mit Regelung der Feuchtigkeit im Garraum über die Menge der aus dem Garraum abgeführten Feuchtigkeit bekannt sind. Auf jeden Fall ist nämlich durch die Druckschrift belegt, daß bereits vor dem für das Streitpatent in Anspruch genommenen Prioritätstag sowohl Gareinrichtungen mit den Merkmalen 1, 2, 4, 5, 5.1 und 5.2 gemäß der vorstehenden Merkmalsgliederung Stand der Technik waren als auch solche mit den Merkmalen 1, 3, 4, 5, 5.1 und 5.3. In der Druckschrift sind zudem die beiden Eingriffsmöglichkeiten zur Regelung der Feuchtigkeit im Garraum im Zusammenhang genannt. Beide Eingriffsmöglichkeiten zur Regelung der Feuchtigkeit an ein und derselben Gareinrichtung einzusetzen, um mit dieser Gareinrichtung sowohl Gargut zubereiten zu können, das eine Feuchtigkeitszufuhr erfordert, als auch solches, das eine Feuchtigkeitsabfuhr erfordert, muß als für den Fachmann naheliegend angesehen werden. Es ist nämlich offensichtlich, daß eine solche Gareinrichtung universeller einsetzbar ist als eine Gareinrichtung, die nur eine der Eingriffsmöglichkeiten aufweist, und daß sie wirtschaftlicher ist als zwei getrennte Gareinrichtungen, von denen eine die Zufuhr von Feuchtigkeit ermöglicht und die andere mit Einrichtungen zur Abfuhr von Feuchtigkeit aus dem Garraum ausgestattet ist.

Die Entscheidung der technischen Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts vom 11. November 1998 im Einspruchsbeschwerdeverfahren des Streitpatents (Aktenzeichen T 008/97-3.2.4, s dort insbes S 11 und 12), auf die die Patentinhaberin hingewiesen hat, ist hier nicht einschlägig, denn die Entscheidungsgründe beziehen sich aaO lediglich auf die europäische Patentschrift 0 313 768 (hiesige D 2), in der eine Regelung der Feuchtigkeit im Garraum durch Veränderung der Zufuhr von Feuchtigkeit beschrieben wird. Im dortigen Verfahren wurden weder die britische Offenlegungsschrift 2 207 514 (hiesige D 14) noch die im Prioritätsintervall liegende deutsche Offenlegungsschrift 38 04 678 (hiesige D 5) berücksichtigt, aus denen Gareinrichtungen mit Regelung der Feuchtigkeit im Garraum durch Steuerung des Abzugs von feuchter Luft aus dem Garraum bekannt sind.

3. Zum Hilfsantrag 1 Das Gargerät gemäß Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 1 unterscheidet sich vom Gargerät gemäß erteiltem Patentanspruch 1 des Streitpatents dadurch, daß mindestens ein Temperaturfühler in dem Garraum vorgesehen ist und daß die Regeleinrichtung Signale von dem Temperaturfühler empfängt und als zweite Regelparameter verarbeitet (aus Patentanspruch 12 des Streitpatents). Auch die Lehre des Patentanspruchs 1 nach Hilfsantrag 1 beruht nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Der Fachmann wird ohnehin davon ausgehen, daß Gareinrichtungen, die eine Regelung der Feuchtigkeit im Garraum aufweisen, dh die einen gehobenen technischen Standard haben, auch über eine Regelung der Temperatur im Garraum verfügen. Dazu ist selbstverständlich ein Temperatursensor im Garraum erforderlich, der sein Signal an eine Regeleinrichtung abgibt. Zur Regelung der Feuchtigkeit und der Temperatur im Garraum eine gemeinsame Regeleinrichtung zu verwenden, ist zumindest seit der allgemeinen Verwendung von Mikroprozessoren für Regelungen, dh vor dem Prioritätstag des Streitpatents, für den Fachmann aus Wirtschaftlichkeitserwägungen naheliegend. Eine Gareinrichtung mit einer Regeleinrichtung zur Regelung sowohl der Feuchtigkeit als auch der Temperatur im Garraum ist zB in der europäischen Offenlegungsschrift 0 313 768 beschrieben (zB Sp 5 Z 20 bis 34). Diese Druckschrift ist zwar nach dem für das Streitpatent in Anspruch genommenen Prioritätstag, aber vor dessen Anmeldetag veröffentlicht worden. Da die in Anspruch genommene Priorität dem Streitpatent nicht zukommt, wie bereits in der zitierten Entscheidung T 008/97-3.2.4 des Europäischen Patentamts (S 1 letzter Abs) zutreffend festgestellt wurde, gehört der Inhalt dieser Druckschrift zu dem bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit zu berücksichtigenden Stand der Technik.

4. Zum Hilfsantrag 2 Das Gargerät nach Patentanspruch 1 des Hilfsantrags 2 unterscheidet sich dadurch vom Gargerät nach dem erteilten Patentanspruch 1 des Streitpatents, daß der Sollwert für die Ausgangssignale des Feuchtigkeitssensors entsprechend einem Wasser-Partialdruck (lies: Wasserdampf-Partialdruck) von 0 bis 1 bar einstellbar ist. Auch eine solche Gareinrichtung ergibt sich für den Fachmann in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik.

Für den Fachmann versteht es sich zunächst von selbst, daß zur Regelung der von einem Feuchtigkeitssensor gemessenen Feuchtigkeit im Garraum ein Sollwert für die Feuchtigkeit vorzugeben ist. Offensichtlich liegt der überhaupt mögliche Einstellbereich der Feuchtigkeit zwischen trockener Luft und reiner Wasserdampfatmosphäre im Garraum. Da Luft und Wasserdampf nicht chemisch miteinander reagieren, ergibt sich der Gesamtdruck im Garraum als Summe des Partialdruckes der trockenen Luft und des Partialdruckes des Wasserdampfes. Da im Garraum Atmosphärendruck herrscht, bedeutet Wasserdampf-Partialdruck 0 trockene Luft und Wasserdampfpartialdruck 1 bar reine Wasserdampfatmosphäre. Diese beiden Punkte als untere und obere Grenze für den einstellbaren Feuchtigkeits-Sollwert vorzugeben - nichts anderes bedeutet das zusätzliche Merkmal - bedarf keiner erfinderischen Tätigkeit, denn so kann auf jeden Fall jede sinnvolle Anforderung an die Feuchtigkeit im Garraum eingestellt werden.

5. Zum Hilfsantrag 3 Der Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 3 umfaßt die Merkmale aus den Patentansprüchen 1 gemäß Hilfsantrag 1 und Hilfsantrag 2. Auch mit diesem Patentanspruch hat das Streitpatent keinen Bestand.

Wie bereits zu Hilfsantrag 1 und Hilfsantrag 2 festgestellt wurde, ergeben sich Gargeräte mit den jeweils zum erteilten Patentanspruch 1 zusätzlich spezifizierten Merkmalen für den Fachmann in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik. Das Gleiche gilt auch im Hinblick auf eine Einrichtung, die diese Merkmale gleichzeitig aufweist. Ein besonderer kombinatorischer Effekt der Berücksichtigung der Temperatur als Regelparameter und der Bemessung des Bereichs einstellbarer Werte des Sollwerts des Wasserdampf-Partialdrucks im Garraum ist nicht erkennbar. Zwar kann selbstverständlich eine Änderung der Menge des in den Garraum eingespritzten Wassers oder des aus dem Garraum abgezogenen, durch einströmende Luft zu ersetzenden Wrasens die Temperatur im Garraum bzw deren Regelung beeinflussen. Hierbei handelt es sich aber lediglich um Störungen, wie sie zB auch eine Öffnung der Garraumtür oder eine Entnahme oder Zufuhr von Gargut darstellt. Für das Funktionieren der Regelung ist typischerweise die Ursache von Abweichungen der Regelgröße vom Sollwert (Störgrößen) ohne Belang.

6. Das Streitpatent ist nach alledem weder in der erteilten Fassung noch in der Fassung gemäß einem der Hilfsanträge haltbar. Daß einer der verbleibenden Unteransprüche eine eigenständige Bedeutung hätte, ist weder vorgetragen worden noch für den Senat erkennbar gewesen. Bei dieser Sachlage war das Patent für nichtig zu erklären.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs 2 PatG iVm § 91 Abs 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergeht auf Grund von § 99 Abs 1 PatG iVm § 709 ZPO.

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BPatG:
Urteil v. 16.04.2002
Az: 3 Ni 63/00


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