Bundespatentgericht:
Urteil vom 24. März 2009
Aktenzeichen: 3 Ni 19/07
(BPatG: Urteil v. 24.03.2009, Az.: 3 Ni 19/07)
Tenor
1.
Das europäische Patent 1 258 246 wird mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig erklärt.
2.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des den Anmeldetag vom 25. November 1992 und die US-Priorität 800549 vom 27. November 1991 in Anspruch nehmenden, vor dem europäischen Patentamt in englischer Sprache erteilten europäischen Patents EP 1 258 246 B1 (Streitpatent), dessen Erteilung mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland am 17. März 2004 bekannt gemacht wurde und das vom Deutschen Patentund Markenamt unter der Nummer DE 692 33 326 T2 geführt wird. Das Patent beruht auf der Teilanmeldung EP 1 258 246 (NiK6), die am 18. April 2002 aus der Teilanmeldung EP 0 722 730 (NiK5) hervorgegangen ist, welche wiederum am 28. Februar 1996 aus der Stammanmeldung EP 0 576 643 hervorgegangen ist. Diese ist als internationale Patentanmeldung (WO93/10765) (Nik3) unter dem Aktenzeichen PCT/US92/10146 mit der oben genannten Priorität beim europäischen Patentamt am 25. November 1992 eingereicht worden. Das erteilte Patent betrifft "Oxycodonhaltige Zubereitungen mit gesteuerter Wirkstoffabgabe" und umfasst 21 Patentansprüche, die in der deutschen Übersetzung folgendermaßen lauten:
"1. Kontrolliert freisetzende Oxycodondarreichungsform zur oralen Verabreichung an menschliche Patienten, umfassend:
(a)
Oxycodonsalz in einer Menge, die 10 mg bis 160 mg des Oxycodonhydrochloridsalzes entspricht,
(b)
eine Matrix, die das Oxycodonsalz enthält,
(c)
eine Beschichtung auf der Matrix, die die Freisetzung des Oxycodonsalzes steuert,
(d)
worin die Darreichungsform eine invitro-Freisetzungsgeschwindigkeit aufweist, wobei, bei Messung nach dem USP Paddle-Verfahren bei 100 Upm in 900 ml wässrigem Puffer (pH zwischen 1,6 und 7,2) bei 37 ¡C, zwischen 12,5 Gew.-% und 42,5 Gew.-% Oxycodonsalz nach einer Stunde freigesetzt sind, zwischen 25 Gew.-% und 55 Gew.-% Oxycodonsalz nach zwei Stunden freigesetzt sind, zwischen 45 Gew.-% und 75 Gew.-% Oxycodonsalz nach vier Stunden freigesetzt sind und zwischen 55 Gew.-% und 85 Gew.-% Oxycodonsalz nach sechs Stunden freigesetzt sind.
2.
Kontrolliert freisetzende Oxycodondarreichungsform gemäß Anspruch 1, worin die orale Darreichungsform eine invitro-Freisetzungsgeschwindigkeit aufweist, wobei, bei Messung nach dem USP Paddle-Verfahren bei 100 UpM in 900 ml wässrigem Puffer (pH zwischen 1,6 und 7,2) bei 37 ¡C, zwischen 17,5 Gew.-% und 38 Gew.-% Oxycodonsalz nach einer Stunde freigesetzt sind, zwischen 30 Gew.-% und 50 Gew.-% Oxycodonsalz nach zwei Stunden freigesetzt sind, zwischen 50 Gew.-% und 70 Gew.-% Oxycodonsalz nach vier Stunden freigesetzt sind und zwischen 60 Gew.-% und 80 Gew.-% Oxycodonsalz nach sechs Stunden freigesetzt sind.
3.
Kontrolliert freisetzende Oxycodondarreichungsform gemäß Anspruch 2, worin die orale Darreichungsform eine invitro-Freisetzungsgeschwindigkeit aufweist, wobei, bei Messung nach dem USP Paddle-Verfahren bei 100 UpM in 900 ml wässrigem Puffer (pH zwischen 1,6 und 7,2) bei 37 ¡C, zwischen 17,5 Gew.-% und 32,5 Gew.-% Oxycodonsalz nach einer Stunde freigesetzt sind, zwischen 35 Gew.-% und 45 Gew.-% Oxycodonsalz nach zwei Stunden freigesetzt sind, zwischen 55 Gew.-% und 65 Gew.-% Oxycodonsalz nach vier Stunden freigesetzt sind und zwischen 65 Gew.-% und 75 Gew.-% Oxycodonsalz nach sechs Stunden freigesetzt sind.
4.
Kontrolliert freisetzende Darreichungsform gemäß einem der Ansprüche 1 bis 3, umfassend:
(a)
eine analgetisch wirksame Menge an Spheroiden, umfassend Oxycodonsalz und ein Spheronisiermittel,
(b)
wobei jedes Spheroid mit einer Filmbeschichtung beschichtet ist, welche die Freisetzung des Oxycodonsalzes mit einer kontrollierten Geschwindigkeit in einem wässrigen Medium steuert.
5.
Kontrolliert freisetzende Oxycodondarreichungsform gemäß Anspruch 4, worin die Filmbeschichtung ein wasserunlösliches Material umfasst, welches aus der Gruppe bestehend aus Shellack, Zein, einer wasserunlöslichen Zellulose oder einem Polymethylacrylat ausgewählt ist.
6.
Kontrolliert freisetzende Oxycodondarreichungsform gemäß einem der voranstehenden Ansprüche, die im Fließgleichgewicht nach wiederholter Verabreichung in 12-Stunden-Intervallen 2 bis 4,5 Stunden nach der Verabreichung eine mittlere maximale Plasmakonzentration an Oxycodon von 6 bis 240 ng/ml und 10 bis 14 Stunden nach der Verabreichung eine mittlere minimale Plasmakonzentration von 3 bis 120 ng/ml gewährleistet.
7.
Kontrolliert freisetzende Oxycodondarreichungsform gemäß Anspruch 6, umfassend von 10 mg bis 40 mg Oxycodonsalz, worin die Darreichungsform im Fließgleichgewicht nach wiederholter Verabreichung in 12-Stunden-Intervallen 2 bis 4,5 Stunden nach Verabreichung eine mittlere maximale Plasmakonzentration an Oxycodon von 6 bis 60 ng/ml und 10 bis 14 Stunden nach Verabreichung eine mittlere minimale Plasmakonzentration von 3 bis 30 ng/ml gewährleistet.
8.
Kontrolliert freisetzende Oxycodondarreichungsform gemäß den Ansprüchen 1 bis 7, worin das Oxycodon in Form des Hydrochloridsalzes vorliegt.
9.
Kontrolliert freisetzende Oxycodondarreichungsform gemäß den Ansprüchen 1 bis 8, worin die invitro-Freisetzungsgeschwindigkeit bei pH 1,6 und pH 7,2 im Wesentlichen pH-unabhängig ist.
10.
Kontrolliert freisetzende orale Oxycodondarreichungsform gemäß einem der voranstehenden Ansprüche, umfassend 10 mg, 20 mg, 40 mg, 80 mg oder 160 mg Oxycodonhydrochlorid.
11.
10 mg Oxycodondarreichungsform gemäß einem der vor anstehenden Ansprüche, die 10 mg Oxycodonsalz enthält.
12.
20 mg Oxycodondarreichungsform gemäß einem der voranstehenden Ansprüche, die 20 mg Oxycodonsalz enthält.
13.
40 mg Oxycodondarreichungsform gemäß einem der voranstehenden Ansprüche, die 40 mg Oxycodonsalz enthält.
14.
80 mg Oxycodondarreichungsform gemäß einem der voranstehenden Ansprüche, die 80 mg Oxycodonsalz enthält.
15.
160 mg Oxycodondarreichungsform gemäß einem der voranstehenden Ansprüche, die 160 mg Oxycodonsalz enthält.
16.
Verwendung einer kontrolliert freisetzenden Oxycodondarreichungsform gemäß einem der voranstehenden Ansprüche, zur Herstellung eines Medikaments, wobei das Medikament, wenn es bei menschlichen Patienten in mehreren 12-Stunden-Intervallen angewendet wird, im Fließgleichgewicht
(a)
2 bis 4,5 Stunden nach Verabreichung eine mittlere maximale Plasmakonzentration an Oxycodon von 6 bis 240 ng/ml,
(b)
10 bis 14 Stunden nach Verabreichung eine mittlere minimale Plasmakonzentration an Oxycodon von 3 bis 120 ng/ml, und
(c)
Schmerzlinderung bei im Wesentlichen allen menschlichen Patienten für mindestens 12 Stunden gewährleistet.
17.
Verwendung einer kontrolliert freisetzenden Oxycodondarreichungsform gemäß einem der voranstehenden Ansprüche, zur Herstellung eines Medikaments, wobei die Formulierung 10 bis 40 mg Oxycodonsalz enthält und das Medikament, wenn es bei menschlichen Patienten in mehreren 12-Stunden-Intervallen angewendet wird, im Fließgleichgewicht
(a)
2 bis 4,5 Stunden nach Verabreichung eine mittlere maximale Plasmakonzentration an Oxycodon von 6 bis 60 ng/ml
(b)
10 bis 14 Stunden nach Verabreichung eine mittlere minimale Plasmakonzentration an Oxycodon von 3 bis 30 ng/ml, und
(c)
Schmerzlinderung bei ungefähr 90 % aller menschlichen Patienten für wenigstens 12 Stunden gewährleistet.
18.
Verwendung gemäß den Ansprüchen 16 und 17, worin das Medikament für die Verabreichung bei Patienten ist, die an mittleren bis schweren chronischen Schmerzen leiden.
19.
Verwendung gemäß den Ansprüchen 16 und 17, worin das Medikament für die Verabreichung bei Patienten ist, die an postoperativen Schmerzen leiden.
20.
Darreichungsform gemäß den Ansprüchen 1 bis 15, worin die Darreichungsform eine Kapsel ist.
21.
Darreichungsform gemäß den Ansprüchen 1 bis 15, worin die Darreichungsform eine Tablette ist."
Die Nichtigkeitsklägerinnen 1 bis 5 stützen ihre Klage darauf, dass der Gegenstand des Streitpatentes nicht patentfähig sei, insbesondere wegen mangelnder erfinderischer Tätigkeit im Hinblick auf die Dokumente NiK11 und NiK12 bzw. R8 sowie R9. Sie machen ferner geltend, dass der Gegenstand des Streitpatentes über den Inhalt der europäischen Patentanmeldung NiK6 und über den Inhalt der früheren Anmeldung NiK5 in ihrer jeweils ursprünglich eingereichten Fassung hinausgehe und das die Priorität aus der Anmeldung NiK3 zu Unrecht für die internationale Patentanmeldung NiK4 in Anspruch genommen werde. Im Wege der Klageerweiterung haben die Klägerinnen ferner den Nichtigkeitsgrund der mangelnden Ausführbarkeit (Art. II § 6 Abs. 1 Ziffer 2 IntPatÜG Art. 138 Abs. 1 Buchst. b) geltend gemacht.
Ihre Begründung stützen die Klägerinnen u. a. auf folgende Entgegenhaltungen:
NiK1 EP 1 258 246 B1 (Streitpatent)
NiK2 DE 692 33 326 T2 (deutsche Übersetzung des Streitpatentes NiK1)
NiK3 US 07/800 549 R8 Rote Liste 1989 "Eukodal"
NiK4 WO 93/10765 A1 NiK5 EP 0 722 730 A1 NiK6 EP 1 258 246 A2 NiK7 EP 0 553 392 A1 NiK8 EP 0 548 448 A1 NiK11 EP 0 271 193 A2 NiK12 EP 0 253 104 A1 R9 Bauer, K. H., Frömming, K.-H. und Führer, C. "Pharmazeutische Technologie", 1986, Georg Thieme Verlag, S. 528 bis 553 Die Klägerinnen beantragen, das europäische Patent EP 1 258 246 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig zu erklären.
Die Beklagte beantragt, die Nichtigkeitsklage zurückzuweisen.
Hilfsweise verteidigt sie das Streitpatent mit den in der mündlichen Verhandlung als Hilfsantrag 1 Patentansprüchen. Die nebengeordneten Patentansprüche 1, 12, 13, 16 und 20 haben folgenden Wortlaut:
"1. Kontrolliert freisetzende Oxycodondarreichungsform zur oralen Verabreichung an menschliche Patienten, umfassend:
(a)
10 mg bis 160 mg des Oxycodonhydrochloridsalzes,
(b)
eine normale Freisetzungsmatrix, die das Oxycodonsalz enthält,
(c)
eine Beschichtung auf der Matrix, die die Freisetzung des Oxycodonsalzes steuert,
(d)
worin die Darreichungsform eine invitro-Freisetzungsgeschwindigkeit aufweist, wobei, bei Messung nach dem USP Paddle-Verfahren bei 100 Upm in 900 ml wässrigem Puffer (pH zwischen 1,6 und 7,2) bei 37 ¡C, zwischen 12,5 Gew.-% und 42,5 Gew.-% Oxycodonsalz nach einer Stunde freigesetzt sind, zwischen 25 Gew.-% und 55 Gew.-% Oxycodonsalz nach zwei Stunden freigesetzt sind, zwischen 45 Gew.-% und 75 Gew.-% Oxycodonsalz nach vier Stunden freigesetzt sind und zwischen 55 Gew.-% und 85 Gew.-% Oxycodonsalz nach sechs Stunden freigesetzt sind, wobei die invitro-Freisetzungsgeschwindigkeit im Wesentlichen pH-unabhängig ist und wobei die Darreichungsform im Fließgleichgewicht nach wiederholter Verabreichung in 12-Stunden-Intervallen 2 bis 4,5 Stunden nach der Verabreichung eine mittlere maximale Plasmakonzentration an Oxycodon von 6 bis 240 ng/ml und 10 bis 14 Stunden nach der Verabreichung eine mittlere minimale Plasmakonzentration von 3 bis 120 ng/ml gewährleistet.
12. Verwendung einer kontrolliert freisetzenden Oxycodondarreichungsform gemäß einem der voranstehenden Ansprüche, zur Herstellung eines Medikaments, wobei das Medikament, wenn es bei menschlichen Patienten in mehreren 12-Stunden-Intervallen angewendet wird, im Fließgleichgewicht
(a)
bis 4,5 Stunden nach Verabreichung eine mittlere maximale Plasmakonzentration an Oxycodon von 6 bis 240 ng/ml,
(b)
10 bis 14 Stunden nach Verabreichung eine mittlere minimale Plasmakonzentration an Oxycodon von 3 bis 120 ng/ml, und
(c)
Schmerzlinderung bei im Wesentlichen allen menschlichen Patienten für mindestens 12 Stunden gewährleistet.
13. Verwendung einer kontrolliert freisetzenden Oxycodondarreichungsform gemäß einem der voranstehenden Ansprüche, zur Herstellung eines Medikaments, wobei die Formulierung 10 bis 40 mg Oxycodonhydrochloridsalz enthält und das Medikament, wenn es bei menschlichen Patienten in mehreren 12-Stunden-Intervallen angewendet wird, im Fließgleichgewicht
(a)
2 bis 4,5 Stunden nach Verabreichung eine mittlere maximale Plasmakonzentration an Oxycodon von 6 bis 60 ng/ml
(b)
10 bis 14 Stunden nach Verabreichung eine mittlere minimale Plasmakonzentration an Oxycodon von 3 bis 30 ng/ml, und
(c)
Schmerzlinderung bei ungefähr 90 % aller menschlichen Patienten für wenigstens 12 Stunden gewährleistet.
16. Darreichungsform gemäß den Ansprüchen 1 bis 11, worin die Darreichungsform eine Kapsel ist.
20. Darreichungsform gemäß den Ansprüchen 1 bis 11, worin die Darreichungsform eine Tablette ist."
Die Beklagte tritt dem Vorbringen der Klägerinnen in allen Punkten entgegen und hält das Streitpatent im verteidigten Umfang für patentfähig. Zur Stütze ihres Vorbringens verweist sie auf die Dokumente NBK1 Technischer Hintergrund des Klagepatents EP 1 258 246 NBK2 Auszug aus der Produktinformation des Retard-Morphin-Präparats MST10/30/60/100/200 mg Mundipharma¨
NBK3 Merkmalsanalyse NBK4 Entscheidung G1/05 der Großen Beschwerdekammer des Europäischen Patentamtes NBK5 EP 0 377 518 A2 NBK6 Maruta T. et al., Pain 1981, 11, S. 389 bis 396 NBK7 Foldes F. F., Schmerz/Pain/Douleur 1988, 9, S. 286 bis 289 NBK8 Gutachten von Prof. Dr. Schweim vom 14. November 2007 NBK9 Black, D. J., The Journal of Family Practice, 1989, 28 (3), S. 267 bis 288 NBK10 Laborbuchauszüge von Herrn Ben Oshlack aus dem Jahr 1983 NBK11 memo von Herrn Ben Oshlack aus dem Jahr 1983 an Herrn S. T. Leslie Hinsichtlich des weiteren Sachvortrages der Parteien sowie hinsichtlich der weiteren Dokumente wird auf den Akteninhalt verwiesen.
Gründe
Die zulässige Klage erweist sich als begründet.
Die geltend gemachten Nichtigkeitsgründe der fehlenden Patentfähigkeit und der unzulässigen Erweiterung des Gegenstandes der Anmeldung führen zur Nichtigerklärung des Streitpatents mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 3 IntPatÜG, Art. 138 Abs. 1 lit a und lit c EPÜ).
I.
1.
Das Streitpatent betrifft kontrolliert freisetzende Oxycodondarreichungsformen zur oralen Verabreichung sowie deren Verwendung zur Herstellung eines Medikaments. Wie einleitend im Streitpatent ausgeführt wird, ist im Zusammenhang mit der Behandlung von Schmerzen mit Opioid-Analgetika häufig beobachtet worden, dass beträchtliche interindividuelle Unterschiede in der Reaktion auf eine verabreichte Dosis eines gegebenen Wirkstoffes bestehen, was zu einer beachtlichen Variabilität bei der Dosierung von Opioid-Analgetika, die zur Schmerzkontrolle ohne unannehmbare Nebenwirkungen erforderlich ist, führt. Das Auffinden einer geeigneten Dosierung für einen individuellen Patienten ist daher mit einem zeitaufwendigen Titrationsvorgang verbunden, der einer sorgfältigen Bewertung von sowohl therapeutischen Effekten als auch von Nebenwirkungen bedarf, sowie Dosierungsanpassungen über einen Zeitraum von Tagen, gegebenenfalls auch länger, erfordert. Es besteht daher die Notwendigkeit, analgetische Verordnungen zu verschreiben, die die Bereitstellung von Zusatzdosen einschließen, und intravenöse Schnellinjektionen und Infusionen zu verwenden, um rasche Erleichterung bei starkem Schmerz zu vermitteln. Eine Opioid-Analgetikum-Behandlung mit akzeptabler Schmerzkontrolle bei einem wesentlich engeren Tagesdosisbereich würde daher die Wirksamkeit und Qualität der Schmerzbehandlung wesentlich verbessern.
Bekannt auf diesem Gebiet sind nach den Angaben im Streitpatent bereits Zusammensetzungen mit kontrollierter Freisetzung von Opioid-Analgetika, wie Morphin oder Hydromorphon oder deren Salze, in geeigneten Matrices sowie die invitro Auflösungsrate, gemessen durch die USP Blattrührer (Paddel)-Methode, von entsprechenden Hydromorphon-Formulierungen (vgl. Streitpatent, deutsche Übersetzung NiK2 S. 2/28 [0001] bis [0004]).
2.
Von diesem Stand der Technik ausgehend liegt nach den Angaben in der Streitpatentschrift (vgl. NiK2 S. 2/28 [0006] bis 3/28 [0010]) dem Streitpatent die Aufgabe zugrunde,
-eine Opioid-Analgetikum-Formulierung bereitzustellen, die die Wirksamkeit und Qualität der Schmerzbehandlung wesentlich verbessert,
-die ungefähr achtfache Breite in Tagesdosierungen, die zur Schmerzkontrolle in ungefähr 90 % der Patienten notwendig ist, wesentlich verringert,
-die Variabilität in den Tagesdosierungen und Formulierungsanforderungen, die zur Schmerzkontrolle bei im Wesentlichen sämtlichen Patienten notwendig ist, beträchtlich verringert,
-eine Methode zur wesentlichen Verringerung der für die Titration der einer Schmerzlinderung durch Opioid-Analgetika bedürftigen Patienten notwendigen Zeit und Ressourcen zur Verfügung stellt und -die schließlich eine wesentlich geringere interindividuelle Variation hinsichtlich der Dosis des Opioid-Analgetikums, die zur Schmerzkontrolle ohne inakzeptable Nebenwirkungen notwendig ist, aufweist.
3. Gelöst wird diese Aufgabe gemäß geltendem Patentanspruch 1 nach Hauptantrag durch eine 1.
Kontrolliert freisetzende Oxycodondarreichungsform zur oralen Verabreichung an menschliche Patienten, die 2.
ein Oxycodonsalz in einer Menge, die 10 mg bis 160 mg des Oxycodon-Hydrochloridsalzes entspricht, enthält, 3.
eine Matrix, die das Oxycodonsalz enthält, aufweist, 4.
auf dieser Matrix eine Beschichtung aufweist, die die Freisetzung des Oxycodonsalzes steuert, und 5.
eine invitro-Freisetzungsgeschwindigkeit aufweist, wobei, bei Messung nach dem USP Paddle-Verfahren bei 100 Upm in 900 ml wässrigem Puffer (pH zwischen 1,6 und 7,2) bei 37 ¡C, a) zwischen 12,5 Gew.-% und 42,5 Gew.-% Oxycodonsalz nach einer Stunde freigesetzt sind, b) zwischen 25 Gew.-% und 55 Gew.-% Oxycodonsalz nach zwei Stunden freigesetzt sind, c) zwischen 45 Gew.-% und 75 Gew.-% Oxycodonsalz nach vier Stunden freigesetzt sind und d) zwischen 55 Gew.-% und 85 Gew.-% Oxycodonsalz nach sechs Stunden freigesetzt sind.
Sie wird ferner gelöst durch die Verwendung der streitpatentgemäßen kontrolliert freisetzenden Oxycodondarreichungsform gemäß den Patentansprüchen 16 und 17 mit den dort genannten Fließgleichgewichten, sowie den in den Patentansprüchen 20 und 21 angegebenen Darreichungsformen.
4. Der zuständige Fachmann ist ein Team, aus einem promovierten Pharmazeuten oder Chemiker, mit mehrjähriger Industriepraxis und speziellen Kenntnissen auf dem Gebiet der Galenik, insbesondere mit Erfahrung bei der Formulierung von Arzneimitteln mit kontrollierter Wirkstofffreisetzung und einem Mediziner, mit speziellen Kenntnissen auf dem Gebiet der Schmerztherapie.
II.
Der Gegenstand der Patentansprüche 1 bis 21 in der erteilten Fassung gemäß Hauptantrag erweist sich als nicht bestandsfähig, weil er über den Inhalt der Anmeldung hinausgeht, in der er beim Europäischen Patentamt ursprünglich eingereicht worden ist.
1.
Es kann daher sowohl als nicht entscheidungswesentlich dahingestellt bleiben, inwiefern bereits im Hinblick auf die im Patentanspruch 1 nicht enthaltene Ausnahme einer Acrylharzmatrix eine Erweiterung gegenüber der dem Streitpatent zugrunde liegenden Teilanmeldung NiK5 vorliegt, als auch, ob die im Patentanspruch 1 angegebene Obergrenze von 160 mg des Gehaltes an Oxycodonhydrochloridsalz bzw. die im Patentanspruch 6 genannte Obergrenze des Zeitraumes für die maximale in vivo-Plasmakonzentration an Oxycodon von 4,5 Stunden der prioritätsbegründenden Schrift NiK3 als ursprünglich offenbart zu entnehmen sind und die Priorität aus diesem Dokument nach Art. 87 Abs. 1 EPÜ daher überhaupt wirksam beansprucht werden kann.
2.
Der Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag fällt bereits deshalb der Nichtigkeit anheim, weil sein Gegenstand jedenfalls gegenüber der ursprünglich eingereichten Patentanmeldung NiK6 unzulässig erweitert ist.
Bei der kontrolliert freisetzenden Oxycodondarreichungsform zur oralen Verabreichung an menschlichen Patienten gemäß Patentanspruch 1 handelt es sich um eine Formulierung, die eine das Oxycodonsalz enthaltende Matrix gemäß Merkmal 3 sowie -als Merkmal 4 -auf dieser Matrix eine Beschichtung aufweist, die die Freisetzung des Oxycodonsalzes steuert. Der Offenbarung der dem Streitpatent zugrunde liegenden Anmeldungsunterlagen NiK6 folgend, handelt es sich bei der das Oxicodonsalz enthaltenden Matrix jedoch stets dann um eine Matrix mit normaler Freisetzung, wenn die vorstehend genannte Merkmalskombination gegeben ist (vgl. NiK6 Abs. [0033] und [0042]). Die allgemeine Bezeichnung "Matrix" hingegen stellt lediglich den Oberbegriff für die sodann näher beschriebenen zwei Alternativen, die kontrolliert freisetzende sowie die normal freisetzende Matrix, dar, weshalb sie auch beide dort offenbarten Ausführungsarten umfasst (vgl. NiK6 S. 2 Abs. 0011], S. 4 Abs. [0033] sowie Streitpatent -deutsche Übersetzung -NiK2 S. 3/28 Abs. [0011], S. 5/28 Abs. [0031]). Nachdem die im Patentanspruch 1 genannte Matrix nicht entsprechend charakterisiert ist, liegt im Hinblick auf das Merkmal 3 daher eine unzulässige Erweiterung vor. Der Fachmann wird den Begriff "Matrix" im Patentanspruch 1 nach Auffassung des Senates auch nicht ohne weiteres von vornherein beschränkt auf eine normal freisetzende Matrix lesen. Das Ergreifen unterschiedlicher, die verzögerte Freisetzung eines Arzneistoffes bewirkender galenischer Maßnahmen, die zu Mischformen führen, ist im Zusammenhang mit der Herstellung von Retardarzneimitteln nämlich durchaus üblich. Er wird solche Darreichungsformen nach Auffassung des Senates aber auch deshalb nicht als von vornherein ausgeschlossen erachten, weil auch dann, wenn die Wirkstoff-Freigabe über eine Beschichtung bzw. Membran erfolgt, die Abgabegeschwindigkeit nicht ausschließlich über diese allein, sondern u. a. über die Zusammensetzung des Kerns bestimmt wird (vgl. z. B. R9 = "Pharmazeutische Technologie" der Autoren K. H. Bauer, K.-H. Frömming und C. Führer, S. 528 Abs. 5 bis S. 529 Abs. 1, S. 535 Abs. 1 und 2, S. 539/540 übergreifender Absatz und S. 548 Abs. 4).
Der Gegenstand des Streitpatentes erteilter Fassung ist gegenüber dem Inhalt der zugrunde liegenden Anmeldung NiK6 auch insoweit unzulässig erweitert, als im Patentanspruch 1 die "invitro Freisetzungsgeschwindigkeit" (Merkmal 5) ohne den Zusatz "im Wesentlichen pH-unabhängig" angegeben ist, wohingegen diese Merkmale ursprünglich in der Patentanmeldung NiK6 stets in unmittelbarem Zusammenhang offenbart sind (vgl. NiK6 S. 2 Abs. [0011], [0013], [0030], [0033] und Patentanspruch 9). Die Kombination der "in vitro-Freisetzungsgeschwindigkeit" mit der Maßgabe, dass die Freisetzung im "Wesentlichen pH-unabhängig erfolgt, ist entgegen der Auffassung der Beklagten auch nicht nur i. V. m. kontrolliert freisetzenden Matrices sondern ebenfalls im Zusammenhang mit dem erteilten Gegenstand des Streitpatentes offenbart. So wird mit der Beschreibung der Darreichungsformen auf Basis normal freisetzender Matrices und kontrolliert freisetzenden Beschichtungen darauf hingewiesen, dass die Filmbeschichtung so gewählt werde, dass "die oben ausgeführte in vitro-Freisetzungsrate erreicht" werde (vgl. NiK6 S. 5 Abs. [0046]). Die einzigen Ausführungen zur in vitro-Freisetzung finden sich sodann im Absatz [0011] auf S. 2 dieses Dokumentes, in dem die streitpatentgemäß bereitgestellte feste orale Darreichungsform mit kontrollierter Freisetzung von Oxycodon, hier einem Gehalt von 10 bis 40 mg von Oxycodon oder einem Salz davon, ohne Beschränkung der Matrix auf eine kontrolliert oder normal freisetzende beschrieben wird.
Auch soweit im Patentanspruch 1 keine Angaben zum Zeitintervall gemacht werden, in dem die maximale in vivo-Plasmakonzentration von Oxycodon nach Verabreichung der Darreichungsform auftritt, sieht der Senat eine unzulässige Erweiterung gegenüber dem Inhalt der dem Streitpatent zugrunde liegenden Patentanmeldung NiK6. So werden in diesem Dokument zwar mit den Patentansprüchen 1 bis 5 und 7 kontrolliert freisetzende Darreichungsformen angegeben, deren Freisetzungsprofil nur über die mittlere maximale bzw. mittlere Plasmakonzentration in den dort angegebenen Zeiträumen charakterisiert wird. Wird jedoch das in vitro-Freisetzungsprofil angegeben, so erfolgt dies stets entweder i. V. m. dem in vivo-Freisetzungsprofil, ausgedrückt als Plasmaspiegel (vgl. Patentanspruch 9) bzw. mit der Angabe des Zeitintervalls, in dem die maximale in vivo-Plasmakonzentration auftritt (-entgegen der Auffassung der Beklagten -um eine zwingende Kopplung von in vitro-Auflösungsgeschwindigkeit und der in einem angegebenen Zeitintervall zu erreichenden maximalen in vivo-Plasmakonzentration. Dieses wird wiederum insbesondere anhand des Absatzes [0011] deutlich. Dieser betrifft als einzige Stelle der Beschreibung Ausführungen zur in vitro-Auflösungsgeschwindigkeit und zwar gekoppelt mit der Angabe des Zeitintervalls, in dem die maximale in vivo-Plasmakonzentration von Oxycodon erreicht wird. Nachdem dieser Absatz -wie vorstehend dargelegt -die Beschreibung einer festen oralen Darreichungsform mit kontrollierter Oxycodon-Freisetzung betrifft, die sowohl Matrices mit kontrollierter als auch normaler Freisetzung umfasst, und auf diese Stelle i. V. m. der Beschreibung von Darreichungsformen auf Basis normal freisetzender Matrices und kontrolliert freisetzenden Beschichtungen Bezug genommen wird (vgl. NiK6 S. 5 Abs. [0046]), ist der in Rede stehende Zusammenhang von in vitround in vivo-Freisetzung somit auch im Falle dieser Formulierungen als zwangsläufig anzusehen und begrenzt damit den Inhalt der Anmeldung.
3. Auch die auf den Patentanspruch 1 rückbezogenen Patentansprüche 2 bis 15, 20 und 21 sowie die nebengeordneten Patentansprüche 16 und 17 mit den auf diese rückbezogenen Patentansprüchen 18 und 19 erweisen sich als nicht bestandsfähig, weil ihre Gegenstände aufgrund ihres direkten bzw. indirekten Rückbezuges auf den Patentanspruch 1 aus den genannten Gründen gleichfalls über den Inhalt der ursprünglich eingereichten Patentanmeldung NiK6 hinausgehen.
III.
Die von der Beklagten hilfsweise verteidigten Patentansprüche gemäß Hilfsantrag I erweisen sich ebenfalls als nicht bestandsfähig, weil ihre Gegenstände nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruhen (Art. 56 EPÜ).
1. Der Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag I unterscheidet sich vom Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag darin, dass das Merkmal 3 nunmehr eine normal freisetzende Matrix betrifft und das Merkmal 5 zusätzlich die Maßnahmen umfasst, e) wobei die invitro-Freisetzungsgeschwindigkeit im Wesentlichen pH-unabhängig ist undf) wobei die Darreichungsform im Fließgleichgewicht nach wiederholter Verabreichung in 12-Stunden-Intervallen 2 bis 4,5 Stunden nach der Verabreichung eine mittlere maximale Plasmakonzentration an Oxycodon von 6 bis 240 ng/ml und 10 bis 14 Stunden nach Verabreichung eine mittlere minimale Plasmakonzentration von 3 bis 120 ng/ml gewährleistet.
2. Es kann dahingestellt bleiben, inwiefern auch hier die von den Klägerinnen geltend gemachte Erweiterung gegenüber der dem Streitpatent zugrunde liegenden Teilanmeldung NiK5 bzw. prioritätsbegründenden Schrift NiK3 oder die geltend gemachte unzulässige Erweiterung hinsichtlich der Aufnahme des Plasmaprofils in den Patentanspruch 1 gegeben ist. Ebenfalls dahin gestellt bleiben kann der Einwand der Klägerinnen, die Ausführbarkeit sei nicht gegeben, weil die Streitpatentschrift keine Ausführungsbeispiele zur Herstellung der beanspruchten Darreichungsformen enthält.
Es ist auch nicht entscheidungswesentlich, inwiefern die Neuheit gegeben ist, denn die Bereitstellung der kontrolliert freisetzenden Oxycodondarreichungsform gemäß Patentanspruch 1 beruht jedenfalls nicht auf erfinderischem Zutun.
a) Zum Prioritätszeitpunkt des Streitpatentes stand zur Behandlung schwerer Schmerzzustände -wie aus der Roten Liste 1989 (= R8) zu ersehen ist -bereits das Arzneimittel "Eudokal" in Form einer festen Zubereitung zur oralen Verabreichung an menschliche Patienten des zur Wirkstoffgruppe von Morphin und dessen Derivate zählenden Oxycodon-Hydrochlorids zur Verfügung.
Bekannt war zum maßgeblichen Zeitpunkt aus der europäischen Patentanmeldung EP 253 104 A1 (= NiK12) gleichzeitig auch eine Zubereitung, bei der Oxycodon eingebettet in eine kontrolliert freisetzende Matrix vorliegt, die als wesentliche Bestandteile einen höheren aliphatischen Alkohol und ein Acrylharz aufweist (Patentansprüche 1 und 0). Näher beschrieben wird eine solche Zubereitung als Formulierung B sodann im Beispiel II dieses Dokumentes. Diese enthält den Wirkstoff in einer Konzentration von 9,2 mg und weist eine in vitro-Freisetzungsgeschwindigkeit auf, gemäß der nach einer Stunde 16 %, nach 2 Stunden 51 %, nach 4 Stunden 70 %, nach 6 Stunden 78 % und nach 9 Stunden 100 % Oxycodon freigesetzt sind (vgl. S. 7 Tabellen "Mg/tablet" und "% OXYCODONE DISSOLVED" sowie S. 8 Abs. 1). Gemäß der allgemeinen Beschreibung kann mit den dort beschriebenen Maßnahmen aber auch eine verzögerte Arzneistoff-Freisetzung innerhalb eines Zeitraumes von bis zu 24 Stunden erreicht werden (vgl. Beschreibung S. 3 Z. 34 bis 39 und S. 4 Z. 29 bis 34). Bereitgestellt werden die in diesem Dokument beschriebenen pharmazeutischen Retard-Formulierungen mit der Zielsetzung, die Nachteile kurzfristig wirkender Präparate zu überwinden und damit eine Verbesserung der Behandlung, insbesondere mit sehr gut wasserlöslichen Wirkstoffen, zu erreichen. Genannt wird in diesem Zusammenhang insbesondere auch das Erzielen einer lang andauernden arzneilichen Wirkung, auf Grund derer sich eine nächtliche Medikamentenverabreichung an Patienten erübrigt (vgl. S. 2 Z. 15 bis 29 i. V. m. S. 3 Z. 24 bis 31). Zum allgemeinen Fachwissen des mit der Bereitstellung von Retard-Formulierungen befassten Fachmannes zählt darüber hinaus ferner, wie im Übrigen auch im einleitenden Teil des Dokuments NiK12 ausgeführt wird und aus dem Lehrbuch "Pharmazeutische Technologie" der Autoren K. H. Bauer, K.-H. Frömming und C. Führer (= R9) zu ersehen ist, dass Retard-Formulierungen im Vergleich zu Zubereitungen mit sofortiger Freisetzung nicht nur eine gewünschte Wirkstoffkonzentration im Blut über einen längeren Zeitraum aufrechterhalten, was zur Folge hat, dass die Wirkung eines Arzneistoffes verlängert wird bzw. im Rahmen einer Dauertherapie, eine konstante durchschnittliche Wirkstoffkonzentration im Blut aufrechterhalten wird. Der Fachmann weiß im Zusammenhang mit diesen Formulierungen zudem, dass damit die Möglichkeit eröffnet wird, zur Erzielung der gleichen Wirkung die insgesamt zu verabreichende Dosismenge zu verringern (vgl. NiK12 S. 2 Z. 4 bis 9 und Z. 15 bis 29 sowie R9 S. 529/530 "2. Therapeutische Ziele").
Die europäische Patentanmeldung NiK12 vermittelt dem Fachmann aber nicht nur die Lehre, Oxycodon in Form von Retard-Zubereitungen bereitzustellen. Sie lehrt den Fachmann mit den dort genannten Matrixkomponenten überdies, dass es sich bei den Wirkstofffreisetzenden Systemen um solche handelt, die den Arzneistoff pH-unabhängig freisetzen. Bei den für die kontrollierte Freisetzung maßgeblichen Komponenten handelt es sich nämlich um die gleichen, wie sie auch streitpatentgemäß zur Herstellung der Matrix Verwendung finden (vgl. NiK12 S. 3 Z. 40 bis 55, NiK2 S. 5/28, 6/28 (Abs. [0031], [0034] und [0035]). Sie vermittelt ihm zudem den Hinweis, dass über die Zusammensetzung des kontrolliert freisetzenden Systems ein gewünschtes Freisetzungsverhalten derart erzielt werden kann, dass sich die Freisetzung des Wirkstoffes nicht nur über 12, sondern sogar über 24 Stunden erstrecken kann (vgl. NiK12 S. 4 Z. 29 bis 34). Dies stellt -wie die Beklagte in der mündlichen Verhandlung vorgetragen hat eine Voraussetzung zur Reduzierung der Medikamentengabe auf eine zweimalige Verabreichung pro Tag dar, denn nur dann könne ein für eine wirksame Schmerzbehandlung erforderlicher konstanter Wirkstoff-Plasmaspiegel -ein Zustand, der in der Fachwelt als Fließgleichgewicht bzw. "steadystate" bezeichnet wird -aufrechterhalten werden. Dabei handelt es sich bekanntlich um das sich nach wiederholter Verabreichung ergebende Gleichgewicht zwischen zugeführter und ausgeschiedener Menge eines Wirkstoffes im Blut, wenn die Eliminationshalbwertszeit im Verhältnis zum Dosisintervall kleiner ist (vgl. R9 S. 529/530 "2. Therapeutische Ziele" i. V. m. "Technischer Hintergrund des Klagepatents EP 1 258 246" = NBK1, S. 22 le. Abs. bis S. 24 Abs. 1). Somit werden mit dem Dokument [NiK12] aber Darreichungsformen offenbart, die es erlauben, den Wirkstoff auch in einem 12-Stunden-Intervall zu verabreichen, um so, z. B. über die Nacht, eine medikamentöse Dauerbehandlung aufrechtzuerhalten (vgl. S. 2 Z. 15 bis 21).
b) Angesichts dieses Standes der Technik beruht es nicht auf erfinderischer Tätigkeit, zur Lösung der dem Streitpatent zugrunde liegenden Aufgabe kontrolliert freisetzende Darreichungsformen, wie sie im Patentanspruch 1 angegeben werden, vorzuschlagen.
Wie vorstehend dargelegt, stand der Fachwelt zum maßgeblichen Zeitpunkt zur Behandlung schwerer Schmerzzustände nicht nur bereits der Arzneistoff Oxycodon-Hydrochlorid formuliert als orale Darreichungsformen zur Verfügung Wie das Dokument NiK12 zudem zeigt, hatte diese bereits auch Retard-Zubereitungen des Wirkstoffes Oxycodon im Blick und kannte die mit der Bereitstellung solcher Formulierungen verbundenen Vorteile. War der Fachmann nun mit der Aufgabe betraut, eine diese Vorteile aufweisende Retard-Formulierung auch für das Hydrochlorid-Salz dieses Wirkstoffes aufzufinden, so stieß er unwillkürlich auf die europäische Patentanmeldung EP 0 271 193 A2 (= NiK11). Diese betrifft Retardformulierungen des Hydromorphons und seiner Salze, die ebenfalls die Zielsetzung der Reduzierung der Medikamentengabe unter gleichzeitiger Aufrechterhaltung der schmerzlindernden Wirkung erfüllen. Sie geben den Wirkstoff nämlich gemäß dem im Patentanspruch 1 angegebenen Freisetzungsschema innerhalb von 6 Stunden in der Weise ab, dass sich nach 2 bis 4 Stunden eine Plasmakonzentration einstellt, die in vivo zu einem therapeutisch wirksamen Plasmaspiegel des Hydromorphons über einen Zeitraum von 12 Stunden führt, weshalb auch die in dieser Entgegenhaltung beschriebenen Darreichungsformen nur noch zweimal pro Tag verabreicht werden müssen (vgl. Patentanspruch 1 i. V. m. Beschreibung, S. 1 Abs. 1 bis 3 und S. 3 Abs. 2 und 3). Bereitgestellt werden diese in zwei Ausführungsformen, gemäß denen der Wirkstoff -entsprechend der Zubereitung gemäß dem Dokument NiK12 -aus einer kontrolliert freisetzenden Matrix oder eingebettet in eine normal freisetzende Matrix über eine Beschichtung kontrolliert freigesetzt wird (vgl. NiK Patentansprüche 3 und 10, S. 19 bis 21 EP/JP i. V. m. Beschreibung S. 4 Abs. 4 bis S. 8 Abs. 4). Bei dieser Formulierung handelt es sich um -wie die Beklagte in der mündlichen Verhandlung i. V. m. den im Streitpatent angegebenen, ausschließlich kontrolliert freisetzende Matrices betreffenden Beispielen argumentierte -gleichwertige, alternative Ausführungsformen. Zu ersehen ist dieses auch anhand der Ausführungen im einleitenden Teil des Dokumentes NiK12, wo darauf hingewiesen wird, dass freisetzende Formulierungen als solche auch jene mit freisetzender Beschichtung einschließen (vgl. S. 2 Z. 4 bis 14). Damit übereinstimmend werden beide Darreichungsformen im Dokument NiK11 als wirkungsgleiche Alternativen beschrieben, ohne dass im Übrigen ein Unterschied dahingehend gemacht wird, ob es sich bei dem Wirkstoff nun um die Base oder deren Salz handelt (vgl. Patentansprüche 1, 8 und 10 sowie Beschreibung S. 1 Abs. 1 und 2, S. 4 Abs. 3). Angesichts dieser Sachlage wird sich der Fachmann, der gemäß NiK2 Oxycodon bereits in einer der im Dokument NiK11 beschriebenen Ausführungen -nämlich jener auf Basis der kontrolliert freisetzenden Matrix kennt und nunmehr vor der Aufgabe steht, auch dessen Hydrochlorid-Salz in einer Retard-Formulierung zur Verfügung zu stellen, daher an der Lehre dieses Dokumentes als Vorbild für seine weitere Vorgehensweise orientieren. Er wird sich nicht nur deshalb an der Lehre dieser Druckschrift orientieren und aufgrund der vergleichbaren Zielsetzungen als Ausgangspunkt für seine Arbeit in Betracht ziehen, weil die dort beschriebenen Beispiele ausschließlich das Hydrochlorid-Salz des Wirkstoffes Hydromorphon betreffen (vgl. Beispiele 1 bis 3), sondern insbesondere auch deshalb, weil es sich dabei jeweils um Arzneistoffe handelt, die in derselben, nur drei Wirkstoffe umfassenden Wirkstoffgruppe der Roten Liste 1989 (= R) genannt werden (vgl. a. a. O. Abschnitt 1.B.1. -Nr. "05 001", "05002" und "05 003" bis "05 005") und von denen dem Fachmann zum maßgeblichen Zeitpunkt bereits zwei dieser Wirkstoffe formuliert in Retard-Darreichungsformen zur Verfügung standen (vgl. NiK2 S. 2/28 Abs. [0004]). Zur Überprüfung, inwiefern die in diesem Dokument beschriebenen Maßnahmen sodann auch zur Herstellung entsprechender Retard-Formulierungen des Oxycodon-Hydrochlorids geeignet sein könnten bzw. inwiefern es für den Fachmann zumindest Erfolg versprechend sein könnte, in diese Richtung weiter zu arbeiten, bedurfte es sodann lediglich orientierender Versuche, die der Fachmann angesichts des vorstehend dargelegten Sachstandes so anlegen konnte, dass sie den Rahmen reiner Routinetätigkeit nicht überschritten. Eine erfinderische Leistung ist damit daher ebenso wenig verbunden, wie mit der Entscheidung für eine der beiden von der Fachwelt als gleichwertig bekannten alternativen Ausführungsformen. Auch in der Streitpatentschrift selbst ist insoweit nichts darüber Hinausgehendes offenbart. Erwies es sich in der Folge aufgrund der im Rahmen der orientierenden Versuche erhaltenen Ergebnisse schließlich, dass keine über die im Dokument NiK11 beschriebenen Verfahrensschritte hinausgehenden Maßnahmen erforderlich waren, um Zusammensetzungen in die Hand zu bekommen, die die gleiche in vitro-Freisetzungsgeschwindigkeit aufwiesen, wie die dort beschriebenen Hydromorphonenthaltenden Formulierungen und die im Beispiel II der Druckschrift NiK12 genannte Oxycodonenthaltende Retard-Zusammensetzung, mit der Folge, dass die streitpatentgemäß angestrebten arzneilichen Wirkungen -wie insbesondere eine Reduzierung auf eine zweimalige Verabreichung pro Tag unter Aufrechterhaltung der schmerzlindernden Wirkung -auch mit dem Hydrochlorid-Salz des Oxycodons erzielt werden konnten, so stellt die Bereitstellung der im Patentanspruch 1 angegebenen Darreichungsform ausgehend von R8 lediglich das zwangsläufige Ergebnis des durch die Entgegenhaltungen NiK12 und NiK11 nahegelegten Handelns dar.
Der Lehre der europäischen Patentanmeldung NiK11 folgend erhielt der Fachmann aber nicht nur Retard-Formulierungen des Wirkstoffes Oxycodon-Hydrochlorid mit der dort angegebenen in vitro-Freisetzungsgeschwindigkeit. Wie im Lehrbuch "Pharmazeutische Technologie" (= R9), S. 535 Absatz 2 ausgeführt wird, ist die Freigabe aus einer Dosierungsform für die weitere Verteilung des Arzneistoffes im Körper geschwindigkeitsbestimmend und für die Plasmaspiegelsteuerung verantwortlich. Dabei besteht -wie wiederum in der Entgegenhaltung NiK12 ausgeführt wird -zwischen der in vitro-Freisetzungsgeschwindigkeit und der in vivo-Bioverfügbarkeit eine so große Korrelation, dass allgemein zur Beschreibung des Bioverfügbarkeitspotentials eines Wirkstoffes in einer gegebenen Formulierung die in vitro-Freisetzungsgeschwindigkeit dieser Formulierung dient (vgl. a. a. O. S. 3 Z. 8 bis 14). Demnach handelt es sich bei den im Patentanspruch 1 angegebenen nach 2 bis 4,5 Stunden bzw. 10 bis 14 Stunden nach der Verabreichung mit der beanspruchten Darreichungsform erzielbaren maximalen bzw. minimalen Plasmakonzentrationen an Oxycodon um einen inhärenten, bereits mit der in vitro-Freisetzungsrate vorgegebenen Parameter. Seine Bestätigung findet diese Abhängigkeit auch durch die Übereinstimmung des Erreichens des maximalen und minimalen in vivo-Plasmaspiegels in den genannten Zeitintervallen nach der Verabreichung der Hydromorphon-Hydrochlorid enthaltenden Retard-Formulierungen gemäß Dokument NiK11 und der Oxycodon-Hydrochlorid enthaltenden Darreichungsformen gemäß Streitpatent (vgl. NiK11 Patentanspruch 1 und Beschreibung S. 1 Abs. 2, S. 3 Abs. 2 i. V. m. S. 15 bis 17 "Clinical Studies" Abschnitte A. und B. sowie NiK2 S. 3/28 Abs. [0011], S. 4/28 Abs. [0022], S. 5/28 Abs. [0027]). Nachdem sich -wie vorstehend dargelegt -Formulierungen gemäß Patentanspruch 1 mit der dort beschriebenen in vitro-Freisetzungsgeschwindigkeit für den Fachmann aus dem Stand der Technik in nahe liegender Weise herleiten lassen, kann dieses Merkmal daher ebenfalls keinen Beitrag zur Begründung der erfinderischen Tätigkeit leisten.
c) Zu keiner anderen Beurteilung der Sachlage kann das Argument der Beklagten führen, die Druckschrift NiK11 gebe dem Fachmann keine Anregungen dahingehend, die streitpatentgemäße Retard-Form bereitzustellen, weil ausgehend von den Hydromorphonenthaltenden Darreichungsformen gemäß NiK11 keine Vorraussagen zum Verhalten des Wirkstoffes Oxycodon-Hydrochlorid möglich seien. Die Bereitstellung der vorliegend beanspruchten Darreichungsform dagegen erfordere spezielle Formulierungen, die dazu hätten aufgefunden werden müssen. Außer den in der Beschreibung des Streitpatentes S. 6/28 Abs. [0040] bis S. 7/28 Abs. [0048] und [0050] angegebenen sehr allgemeinen Ausführungen zur Herstellung der streitpatentgemäßen Darreichungsform enthält diese Schrift keine weiteren Angaben. Die zitierten Absätze aber entsprechen den allgemeinen Beschreibungen zur Herstellung von Retard-Formen, bei denen der Wirkstoff über eine kontrolliert freisetzende Beschichtung abgegeben wird und wie sie z. B. im Dokument NiK11 zu finden sind (vgl. S. 7 Abs. 2 bis S. 9 Abs. 1 und S. 9/10 übergreifender Absatz). Es ist daher nicht ersichtlich, inwiefern der Fachmann erst erfinderisch tätig werden musste und er besondere Maßnahmen zur Herstellung der beanspruchten Darreichungsformen mit der gewünschten Freisetzungs-Geschwindigkeit erst auffinden musste, um eine Darreichungsform bereitstellen zu können, die die geltend gemachten Vorteile aufweist. Vielmehr brauchte er lediglich der Lehre der europäischen Patentanmeldung NiK11 zu folgen, um auf diese Weise eine Retard-Formulierung mit der im Patentanspruch 1 angegebenen in vitro-Freisetzungsrate zu erhalten. Selbst, wenn, wie die Beklagte behauptet, die mit Hydromorphon erhaltenen Ergebnisse nicht ohne weiteres auch auf Oxycodon übertragen werden können, so erhält der Fachmann mit diesen Freisetzungsprofilen doch jedenfalls Hinweise dahingehend, wie er bei der Bereitstellung seiner Formulierungen vorgehen könnte, um eine Verbesserung der Schmerzbehandelung zu erreichen.
d) Dem Einwand der Beklagten unter Verweis auf die Laborblätter NBK10/11, die europäische Patentanmeldung NiK12 habe den Fachmann davon weggeführt, Retardformulierungen, wie sie dort bzw. in NiK11 beschrieben werden, auch für das Oxycodon-Hydrochlorid in Betracht zu ziehen, kann sich der Senat ebenfalls nicht anschließen. Die Beklagte begründet ihren Vortrag damit, die im Dokument NiK12 genannte schwerlösliche Base Oxycodon weise eine gänzlich andere Freisetzung, auf, die, wie anhand der Laborblätter NBK10/11 zu ersehen sei, keinesfalls auf das Hydrochlorid-Salz übertragbar sei. Gemäß dem dort beschriebenen Versuch werde dieses nämlich, bedingt durch seine sehr gute Wasserlöslichkeit, aus einer Retard-Formulierung, wie sie in NiK12 beschrieben werde, bereits innerhalb von 4 Stunden zu 100 % freigesetzt. Damit aber lasse sich kein Fließgleichgewicht für eine dauerhafte Schmerzbehandlung erzielen, weshalb dieses Beispiel zeige, dass solche Formulierungen nicht für dieses Salz geeignet seien. Der in Rede stehende Versuch kann dieses Argument jedoch nicht stützen. Wie aus dem Versuchsbericht NBK10 zu ersehen ist, wurde nämlich für die für das Hydrochlorid-Salz bestimmte Matrix die gleiche Zusammensetzung gewählt, wie sie gemäß Beispiel II der Druckschrift NiK12 auch zur Herstellung der Oxycodon-Base eingesetzt wurde. Das in den Laborblättern angegebene Ergebnis war daher aufgrund der unterschiedlichen Wasserlöslichkeit der beiden Substanzen so von vornherein zu erwarten gewesen. Die Entgegenhaltung NiK12 lehrt dagegen, dass das dort beschriebene kontrolliert freisetzende Matrixsystem für sehr gut wasserlösliche Stoffe, wie Oxycodon, geeignet ist, ein bestimmtes Freisetzungsprofil jedoch über eine jeweilige Anpassung der dort beschriebenen Matrixzusammensetzung erreicht wird (NiK12 S. 3 Z. 15 bis 19 und S. 4 Z. 11 bis 34 sowie Beispiele I bis IV).
Der Verweis der Beklagten auf die mit der beanspruchten Retard-Formulierung zu erzielenden Vorteile bei der Dosisbreite, kann den Senat gleichfalls nicht überzeugen. Wie vorstehend im Zusammenhang mit dem Lehrbuch "Pharmazeutische Technologie" der Autoren K. H. Bauer, K.-H. Frömming und C. Führer (= R9) dargelegt, waren diese Vorteile für den Fachmann i. V. m. der Bereitstellung dieser Darreichungsform von vornherein zu erwarten gewesen. Auch der Vortrag i. V. m. der Titration vermag an der Sachlage nichts zu ändern. Angaben, welche die im Zusammenhang mit der Titration geltend gemachten Vorteile die gegenüber dem Stand der Technik nämlich belegten, sind weder der Streitpatentschrift noch den vorliegenden Unterlagen zu entnehmen. Dieses insbesondere auch nicht im Zusammenhang mit der beanspruchten Ausführungsform.
Der Patentanspruch 1 in der hilfsweise verteidigten Fassung erweist sich mangels erfinderischer Tätigkeit somit ebenfalls als nicht bestandsfähig.
2. Mit Patentanspruch 1 fallen mangels eines eigenständigen erfinderischen Gehalt auch die weiteren Patentansprüche 2 bis 17 gemäß Hilfsantrag der Nichtigkeit anheim.
Für diese hat auch die Patentinhaberin nur hinsichtlich der Patentansprüche 12 und 13 einen eigenständigen erfinderischen Gehalt geltend gemacht hat. Diese Patentansprüche betreffen die Verwendung der streitpatentgemäßen kontrolliert freisetzenden Oxycodondarreichungsform, wobei mit dieser, wenn sie in mehreren 12-Stunden-Intervallen angewendet wird, das dort jeweils beschriebene Fließgleichgewicht erhalten wird und eine Schmerzlinderung bei im Wesentlichen allen menschlichen Patienten für mindestens 12 Stunden gewährleistet wird. Nachdem aber -wie vorstehend ausgeführt -Retard-Formulierungen nicht nur allgemein mit dem Vorteil verbunden sind, eine sich über ein Zeitintervall von z. B. 12 Stunden bzw. eine Nacht erstreckende arzneiliche Wirkung zu gewährleisten und bei einer sich wiederholenden Verabreichung zu einem Fließgleichgewicht zu führen, die Druckschriften NiK11 und NiK12 dem Fachmann überdies konkrete Lehren dahingehend vermitteln, wie er zum Erreichen dieser gewünschten Eigenschaften vorzugehen hat, erfordert auch die Verwendung der streitpatentgemäßen Darreichungsform gemäß diesen Patentansprüchen aus den zum Patentanspruch 1 genannten Gründen kein erfinderisches Zutun.
Der Verweis der Beklagten auf die im Zusammenhang damit genannten maximalen und minimalen Plasmakonzentrationen kann zu keiner anderen Beurteilung führen. Wie gleichfalls vorstehend ausgeführt, besteht zwischen diesen Werten und den in vitro-Freisetzungsraten eine so große Korrelation, dass die Freigabe aus einer Dosierungsform von der Fachwelt als für die Plasmaspiegelsteuerung verantwortlich angesehen wird, sich diese Konzentrationen somit abhängig davon einstellen. Der Fachmann wusste zum maßgeblichen Zeitpunkt zudem, wie er die Freisetzung sowohl über die Zusammensetzung des freisetzenden Systems als auch über die Wirkstoff-Konzentration steuern kann (vgl. NiK12 S. 4 Z. 29 bis 34). Zur Ermittlung der Dosismengen, die die gewünschte arzneiliche Wirkung bedingen, bedurfte es sodann lediglich Dosisfindungsstudien, die der Fachmann ausgehend von der bereits bekannten Oxycodonenthaltenden Retard-Formulierung gemäß der Druckschrift NiK12 so anlegen konnte, dass sie keine Überlegungen erfinderischer Art erforderten. Daher sind auch diese Merkmale nicht dazu geeignet, die Patentfähigkeit der mit den Patentansprüchen 12 und 13 beanspruchten Verwendung zu begründen.
IV Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 99 Abs. 1 PatG i. V. m. § 709 Satz 1 und Satz 2 ZPO.
Dr. Schermer Engels Dr. Proksch-Ledig Dr. Gerster Dr. Schuster Pr
BPatG:
Urteil v. 24.03.2009
Az: 3 Ni 19/07
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