Oberlandesgericht München:
Urteil vom 22. Dezember 2011
Aktenzeichen: 29 U 3463/11
(OLG München: Urteil v. 22.12.2011, Az.: 29 U 3463/11)
1. Eine Vereinbarung, mit der sich der Gla€ubiger eines titulierten lauterkeitsrechtlichen Unterlassungsanspruchs die Titelvollstreckung abkaufen la€sst, kann jedenfalls dann sittenwidrig i. S. d. § 138 Abs. 1 BGB sein, wenn die Gegenleistung gerade aus den zu unterlassenden Handlungen erwirtschaftet werden soll.
2. Eine solche Vereinbarung kann die weitere Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs als Missbrauch i. S. d. § 8 Abs. 4 UWG unzula€ssig machen.
Tenor
I. Auf die Berufung der Antragsgegner werden das Urteil des Landgerichts Ingolstadt vom 2. August 2011 sowie dessen einstweilige Verfu€gung vom 15. April 2011 aufgehoben und der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfu€gung zuru€ckgewiesen.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Gründe
I.
Sowohl die Antragstellerin als auch die Antragsgegnerin zu 1., deren Gescha€ftsfu€hrer der Antragsgegner zu 2. ist, bieten Eintragungen in Online-Branchenbu€chern an.
Die Antragstellerin hatte fu€r ihr Angebot mit einem Formular Eintragungsantrag geworben, welches das Oberlandesgericht Frankfurt - zuna€chst in einem Verfu€gungsverfahren, sodann im Hauptsacheverfahren (vgl. GRUR-RR 2011, 145 f - TCM-Antrag, besta€tigt durch BGH, Urt. v. 30. Juni 2011 - I ZR 157/10 - Branchenbuch Berg, juris) - als irrefu€hrend und unlauter ansah, weil es den unzutreffenden Eindruck erweckte, mit der Unterzeichnung und Ru€cksendung des Formulars werde lediglich eine Aktualisierung der Eintragungsdaten im Rahmen eines bereits bestehenden Vertragsverha€ltnisses vorgenommen.
Die Antragsgegnerin zu 1. verwandte ein a€hnliches Formular fu€r ihr eigenes Angebot, in dem sie eine Vertragslaufzeit von zwei Jahren und einen ja€hrlichen Grundpreis von 1.188,00 € vorsah; sie warb damit etwa 1.800 Kunden. Die Antragstellerin mahnte die Antragsgegner wegen der Formularverwendung ab und verlangte eine strafbewehrte Unterlassungsverpflichtung, die sich auch auf die Aussendung von Schreiben im Nachgang zu jenem Formular, mit denen die Durchsetzung der Erfu€llung von Vertra€gen versucht werde, die auf Grund der Formularaussendung zu Stande gekommen seien, und die Abtretung von Forderungen aus solchen Vertra€gen bezog. Nachdem die Antragsgegnerseite eine gegenu€ber einem dritten Unternehmen abgegebene strafbewehrte Unterlassungserkla€rung hinsichtlich der Formularverwendung vorgelegt hatte, hat am 15. April 2011 die Antragstellerin im Beschlussweg eine einstweilige Verfu€gung des Landgerichts Ingolstadt erwirkt, mit der den Antragsgegnern verboten worden ist,
im Nachgang zu Aussendungen, die gestaltet waren wie das von den Antragsgegnern verwandte Formular, Rechnungen und/oder sonstige Schreiben, mit denen die Erfu€llung von Vertra€gen, die auf Grund der vorbezeichneten Aussendung zu Stande gekommen sind, durchzusetzen versucht wird, zu versenden oder versenden zu lassen
und/oder
Forderungen aus Vertra€gen, die auf der Grundlage der vorbezeichneten Aussendung geschlossen worden sind, an Dritte abzutreten.
Am 20. April 2011 - einen Tag, nachdem der Antragsgegnerin zu 1. die einstweilige Verfu€gung zugestellt worden war - rief der Alleinaktiona€r der Antragstellerin H. den Mitarbeiter der Antragsgegnerin zu 1. W. an und sagte ihm, 50 % seien besser als nichts. Am 22. April 2011 rief H. erneut an und erkla€rte W. , man mu€sse sich noch am selben Tag treffen, es wu€rde nur diese eine Chance geben, die Angelegenheit einvernehmlich zu regeln. Nachdem dieser Termin von W. abgesagt worden war, rief H. noch mehrfach an und forderte, man mu€sse eine Vereinbarung schließen, ansonsten werde er gegen den Antragsgegner zu 2. und W. Strafanzeigen erstatten; es liege ein Leistungsbetrug vor, die Betroffenen ha€tten dann mit Haftstrafen von acht Jahren zu rechnen. Am 26. April 2011 kam es zu einem Treffen, an dem unter anderem H. und die Gescha€ftsfu€hrerin der Antragstellerin sowie der Antragsgegner zu 2. und W. teilnahmen. Dabei schlossen die Parteien einen Vergleich, der unter anderem folgenden Inhalt hatte:
Vorbemerkung
Der Gegenstand des Unternehmens der [Antragstellerin] besteht in der Herausgabe von Informationsportalen im Internet, insbesondere Branchenfu€hrer [...], welche sich durch Werbung finanzieren. Zur Durchsetzung ihres Unternehmensgegenstands hat die [Antragstellerin] [...] diverse Formulare entwickelt, um Kunden zu werben und in der Zukunft zu betreuen. Zu den Formularen geho€ren u. a. der €Eintragungsantrag€, €Rechnungsformulare€, €Mahnung€ und weitere Formulare.
Die [Antragsgegnerin zu 1.] ist in demselben Bereich ta€tig und hat die von der [Antragstellerin] entwickelten Formulare fu€r ihre eigenen Zwecke verwendet und damit Kundeninteressenten geworben.
[Es folgt eine Darstellung der einstweiligen Verfu€gung und dem Vergleich beigefu€gter Unterlagen, darunter als Anlage 7 das von der Antragsgegnerin zu 1. verwandte Formular €Eintragungsantrag€.]
Auf Grund [der einstweiligen Verfu€gung] wa€re die [Antragsgegnerin zu 1.] gezwungen, ihren Gescha€ftsbetrieb einzustellen.
Die Parteien sind bereit, auf Grund der oben dargestellten Situation eine Lo€sung fu€r die Parteien durch Abschluss des nachfolgenden
Vergleiches
herbeizufu€hren:
§ 1 - Gestattung
(1) Die [Antragstellerin] gestattet der [Antragsgegnerin zu 1.] abweichend von [der einstweiligen Verfu€- gung] die Verwendung derjenigen Formulare, die Gegenstand der einstweiligen Verfu€gung [...] sind, d. h. die Geltendmachung und Durchsetzung von Forderungen im Nachgang zur Aussendung aus Februar 2011 (Anlage 7). Die Aussendung gema€ß Anlage 7 ist nicht Gegenstand der Gestattung.
(2) Die Vertragsparteien sind sich daru€ber einig, dass die [Antragstellerin] berechtigt ist, A€nderungen an den vorbenannten Formularen gema€ß (1) durchzufu€hren, um die bestehenden Formulare der Entwicklung des Rechts und der Rechtsprechung anzupassen.
Die [Antragsgegnerin] ist verpflichtet, diese von der [Antragstellerin] vorgeschlagenen A€nderungen anzunehmen und umzusetzen.
(3) Zwischen der [Antragstellerin] und der [Antragsgegnerin zu 1.] besteht Einigkeit, dass Schadensersatzanspru€che der [Antragsgegnerin zu 1.] gegenu€ber der [Antragstellerin] auch dann nicht bestehen, wenn gegenu€ber der [Antragsgegnerin zu 1.] von ihren Kunden Schadensersatzanspru€che erhoben, vereinbarte Zahlungen nicht geleistet oder abgeschlossene Vertra€ge angefochten werden.
§ 2 - Vergu€tung
(1) Die [Antragstellerin] hat gegenu€ber der [Antragsgegnerin zu 1.] einen Vergu€tungsanspruch in Ho€he von 30 % vom Gesamtumsatz (netto) der [Antragsgegnerin zu 1.] fu€r die na€chsten fu€nf Jahre, mindestens jedoch einen Anspruch in Ho€he von
€ 1.000.000,00
(in Worten: eine Million Euro)
Dazu tritt die jeweils gu€ltige Mehrwertsteuer.
(2) Die Vergu€tung ist in zwei Tranchen zu zahlen, na€mlich
(a) erste Tranche von € 500.000,00 zzgl. gesetzlicher Mehrwertsteuer, wobei € 150.000,00 zzgl. gesetzlicher Mehrwertsteuer am 29.04.2011 fa€llig sind und in den Folgewochen jeweils am Montag 50 % der jeweiligen vorwo€chentlichen Gesamtumsa€tze (netto) der [Antragsgegnerin zu 1.] zzgl. gesetzlicher Mehrwertsteuer bis zum Gesamtbetrag von € 500.000,00 zzgl. gesetzlicher Mehrwertsteuer fa€llig sind.
b) zweite Tranche von € 500.000,00 zzgl. gesetzlicher Mehrwertsteuer, wobei € 150.000,00 zzgl. gesetzlicher Mehrwertsteuer am 28.03.2012 fa€llig sind und in den Folgewochen jeweils am Montag 50 % der jeweiligen vorwo€chentlichen Gesamtumsa€tze (netto) der [Antragsgegnerin zu 1.] zzgl. gesetzlicher Mehrwertsteuer bis zum Gesamtbetrag von € 500.000,00 zzgl. gesetzlicher Mehrwertsteuer fa€llig sind.
(3) Sollte der Gesamtumsatz (netto) der [Antragsgegnerin zu 1.] den Betrag in Ho€he von € 3.333.500,00 u€bersteigen, ist der 30 %-Anteil der [Antragstellerin] an dem Mehr-Umsatz der [Antragsgegnerin zu 1.] zu dem Ende des Kalendervierteljahres fa€llig, in dem der Umsatz in Ho€he von € 3.333.500,00 netto u€berstiegen wird.
(4) Sollte die [Antragsgegnerin zu 1.] auf Grund eines von einem Dritten erwirkten vollstreckbaren gerichtlichen Verbots an der Durchsetzung ihrer Forderungen gehindert sein, wird die Zahlungsverpflichtung zum 28.02.2012 (§2 [2]) sowie § 2 (3) fu€r die Gu€ltigkeitsdauer des Verbots ausgesetzt.
[...]
§ 3 - Gestattungszeitraum
(1) Die [Antragstellerin] gestattet der [Antragsgegnerin zu 1.] die Verwendung der in § 1 (1) genannten Formulare fu€r den Zeitraum von fu€nf Jahren.
(2) Die Gestattung beginnt mit Ablauf des Tages, nach dem der Betrag in Ho€he von € 150.000,00 (fa€llig am 29.04.2011 gema€ß § 2 [2a]) bei der [Antragstellerin] gutgeschrieben worden ist. Die [Antragstellerin] wird die [Antragsgegnerin zu 1.] unverzu€glich u€ber den Geldeingang informieren.
§ 4 - Sicherung der Liquidita€t
[...]
§ 5 - Kundenverwaltungsprogramm
[...]
§ 6 - Beschluss des Landgerichts Ingolstadt vom 15.04.2011
(1) Die [Antragsgegnerin zu 1.] sowie [der Antragsgegner zu 2.] besta€tigen hiermit jeweils einzeln gegenu€ber der [Antragstellerin], dass sie die einstweilige Verfu€gung [...] als endgu€ltige Regelung anerkennen und auf das Recht auf Widerspruch (§ 924 ZPO), das Recht der Fristsetzung zur Erhebung der Hauptsacheklage (§ 926 ZPO) und das Recht auf Aufhebung wegen vera€nderter Umsta€nde (§ 927 ZPO) verzichten. Vielmehr soll die einstweilige Verfu€gung wie ein rechtskra€ftiges Urteil in der Hauptsache wirken.
(2) Die [Antragstellerin] und die [Antragsgegnerin zu 1.] sind sich daru€ber einig, dass die [Antragstellerin] die Rechte aus [der einstweiligen Verfu€gung] nach Eingang des Betrags von € 150.000,00 zzgl. gesetzlicher Mehrwertsteuer (fa€llig gema€ß § 2 [a]) nicht geltend machen wird, insbesondere keine Bestrafungsantra€ge wegen Versto€ße gegen die einstweilige Verfu€gung [...] einreichen wird. Dies gilt fu€r den gesamten Gestattungszeitraum, allerdings mit der Maßgabe, dass die weiteren Betra€ge gema€ß § 2 [b]) fristgerecht bei der [Antragstellerin] eingehen.
(3) Sollten die gema€ß § 2 (2) fa€lligen Betra€ge nicht fristgerecht eingehen, stellt dies einen wichtigen Grund dar, der die [Antragstellerin] berechtigt, den Vertrag fristlos zu ku€ndigen.
§ 7 - Geheimhaltung
[...]
§ 8 - Schlussbestimmungen
[...]
(2) Sollte eine Bestimmung dieses Vertrages unwirksam, undurchfu€hrbar oder nichtig sein, wird der Inhalt des Vertrages im U€brigen nicht beru€hrt. In einem solchen Falle ist dieser Vertrag erga€nzend so auszulegen, wie es seinem wirtschaftlichen Sinn und Zweck entspricht. Daru€ber hinaus sind die Vertragsparteien in einem solchen Falle verpflichtet, die etwa unwirksame, undurchfu€hrbare oder nichtige Bestimmung durch eine solche wirksame Bestimmung zu ersetzen, die ihrem Inhalt nach der unwirksamen, undurchfu€hrbaren oder nichtigen Bestimmung am na€chsten kommt.
Die vorstehenden Grundsa€tze geltend auch fu€r den Fall, dass dieser Vertrag eine Lu€cke entha€lt.
[...]
Am 13. Mai 2011 haben die Antragsgegner gegen die einstweilige Verfu€gung Widerspruch eingelegt und sich darauf berufen, dass der Vergleich und damit ihr Verzicht auf den Widerspruch sittenwidrig und nichtig seien. Außerdem werde der Vergleich wegen Drohung angefochten; ihnen sei fu€r den Fall der Nichtunterzeichnung in Aussicht gestellt worden, dass ihre Kunden angeschrieben und auf die einstweilige Verfu€gung hingewiesen wu€rden; das ha€tte die Existenz der Antragsgegnerin zu 1. vernichtet. Dem Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfu€- gung fehle das Rechtsschutzinteresse. Die Antragstellerin habe die einstweilige Verfu€gung genutzt, um ihnen den Vergleich aufzuzwingen, mit dem sie versuche, der Antragsgegnerin zu 1. eine Million Euro abzunehmen, wobei sie dieser gestatte, entgegen der von ihr selbst angestrengten einstweiligen Verfu€gung die Fru€chte aus der beanstandeten Aussendung einzuziehen. Es ko€nne nicht Sinn und Zweck der Justizgewa€hrung sein, einerseits ein Verhalten untersagen zu lassen, sich dann aber dafu€r bezahlen zu lassen, dass auf die weitere Unterlassung dieses Verhaltens verzichtet werde. Die Antragsgegner haben beantragt,
die einstweilige Verfu€gung aufzuheben und den Antrag auf deren Erlass zuru€ckzuweisen.
Die Antragstellerin hat beantragt,
den Widerspruch als unzula€ssig zu verwerfen (hilfsweise zuru€ckzuweisen).
Sie hat sich darauf berufen, dass die Antragsgegner im Vergleich wirksam auf die Mo€glichkeit der Widerspruchseinlegung verzichtet ha€tten. Die Anku€ndigung, Kunden anzuschreiben, sei keine widerrechtliche Drohung gewesen. Weder bei der Abmahnung noch bei der Beantragung der einstweiligen Verfu€gung habe sie im Sinn gehabt, eine Vereinbarung wie den Vergleich zu schließen; vielmehr sei die Idee einer wirtschaftlichen Lo€sung erstmals in den Telefonaten zwischen H. und W. entwickelt worden. Angesichts der salvatorischen Klausel im Vergleich sei jedenfalls die Abschlusserkla€rung wirksam.
Mit Urteil vom 2. August 2011, auf dessen tatsa€chliche Feststellungen erga€nzend Bezug genommen wird, hat das Landgericht den Widerspruch als unzula€ssig verworfen. Die Antragsgegner ha€tten in dem Vergleich auf ihr Recht zum Widerspruch wirksam verzichtet. Der Vergleich sei nicht wirksam angefochten worden, weil weder die Drohung, die Kunden der Antragsgegnerin zu 1. u€ber die einstweilige Verfu€gung zu informieren, noch der damit verfolgte Zweck rechtswidrig gewesen seien. Der Vergleich sei auch nicht sittenwidrig; insbesondere sei er nicht unter Ausnutzung einer Zwangslage oder der Unerfahrenheit oder eines Mangels an Urteilsvermo€gen der Antragsgegner abgeschlossen worden. Selbst wenn der Vergleich in seinem Kern nichtig wa€re, so wa€re wegen der salvatorischen Klausel in § 8 (2) jedenfalls die Abschlusserkla€rung in § 6 nicht erfasst.
Hiergegen wenden sich die Antragsgegner mit ihrer Berufung. Sie wiederholen und vertiefen ihr Vorbringen aus dem ersten Rechtszug und beantragen,
das Urteil und die einstweilige Verfu€gung des Landgerichts aufzuheben und den Antrag auf Erlasseiner einstweiligen Verfu€gung zuru€ckzuweisen, hilfsweise, die Sache an das Landgericht zuru€ckzuverweisen.
Die Antragstellerin verteidigt das angegriffene Urteil und beantragt,
die Berufung zuru€ckzuweisen.
Im U€brigen wird auf die im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsa€tze nebst Anlagen und auf das Protokoll der mu€ndlichen Verhandlung vom 22. Dezember 2011 Bezug genommen.
II.
Die zula€ssige Berufung ist begru€ndet.
1. Entgegen der Auffassung des Landgerichts haben die Antragsgegner nicht wirksam auf ihr Recht aus § 924, § 936 ZPO verzichtet, gegen die einstweilige Verfu€gung Widerspruch einzulegen, denn der Vergleich, der diesen Verzicht entha€lt, ist insgesamt nichtig.
a) Das Rechtsgescha€ft, das in der Gestattung der durch die einstweilige Verfu€gung verbotenen Handlungen gegen Zahlung eines Betrags von mindestens einer Million Euro liegt, ist gema€ß § 138 Abs. 1 BGB sittenwidrig und daher nichtig.
aa) Ist eine Kommerzialisierung in einem Lebensbereich ansto€ßig, so kann das zur Sittenwidrigkeit eines entgeltlichen Rechtsgescha€fts fu€hren (vgl. BGH GRUR 2011, 652 - Zahnarzt-Vergleichsportal Tz. 17; NJW 1999, 2360; Armbru€ster in: Mu€nchener Kommentar zum BGB, 6. Auflage 2012 § 138 Rz. 127; Ellenberger in: Palandt, BGB, 71. Aufl. 2012, § 138 Rz. 56; Sack/Fischinger in: Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2011, § 138 Rz. 627).
Das Lauterkeitsrecht ra€umt Unternehmern und Verba€nden Unterlassungsanspru€che mit dem Ziel ein, Mitbewerber, Verbraucher sowie sonstige Marktteilnehmer vor unlauteren gescha€ftlichen Handlungen zu schu€tzen; gleichzeitig soll dadurch das Interesse der Allgemeinheit an einem unverfa€lschten Wettbewerb geschu€tzt werden (vgl. § 1 UWG). Insbesondere dienen Unterlassungsanspru€che wegen irrefu€hrender gescha€ftlicher Handlungen auch dem Schutz der Marktgegenseite. La€sst sich der Inhaber eines solchen Anspruchs, der nicht - wie etwa ein Anspruch wegen gezielter Mitbewerberbehinderung oder aus erga€nzendem wettbewerblichen Leistungsschutz (vgl. BGH GRUR 2009, 416 - Ku€chentiefstpreis-Garantie Tz. 22 f.) - nur seine Interessen, sondern die Interessen Dritter und der Allgemeinheit schu€tzt, seine Berechtigung vom Schuldner abkaufen, so la€uft das der Funktion des Unterlassungsanspruchs zuwider, weil nicht die entsprechenden unlauteren Handlungen unterbunden und dadurch die Drittinteressen geschu€tzt werden, sondern die Handlungen fortgesetzt werden und die Drittinteressen weiterhin beeintra€chtigen ko€nnen. Jedenfalls wenn zudem die Zahlung an den Gla€ubiger gerade aus den Einnahmen aus den rechtlich missbilligten Gescha€ften stammt, und der Schuldner deshalb einen zusa€tzlichen Ansporn hat, die unlautere Praxis fortzufu€hren, um so seiner Zahlungsverpflichtung nachkommen zu ko€nnen, wird die Kommerzialisierung des lauterkeitsrechtlichen Unterlassungsanspruchs derart ansto€ßig, dass sie als sittenwidrig i. S. d. § 138 Abs. 1 BGB anzusehen ist.
Danach ist im Streitfall das im Vergleich enthaltene Rechtsgescha€ft der Gestattung der verbotenen Handlungen gegen Zahlung nichtig. Der in der einstweiligen Verfu€gung titulierte Unterlassungsanspruch ist auf die Irrefu€hrungsgefahr der verbotenen Handlungen gestu€tzt und dient damit insbesondere dem Schutz der von der Antragsgegnerin zu 1. geworbenen Kunden als potentiellen Adressaten entsprechender Schreiben. Nach der von den Parteien gemeinsam getroffenen Feststellung in der Vorbemerkung des Vergleichs wa€re die Antragsgegnerin zu 1. gezwungen, ihren Gescha€ftsbetrieb einzustellen, wenn sie die einstweilige Verfu€gung zu befolgen ha€tte. Das zeigt, dass ihr außerhalb des untersagten Gescha€ftsbereichs keine relevanten Einnahmen zufließen; die der Antragstellerin versprochenen Zahlungen sollten daher zumindest im Wesentlichen aus eben jener Gescha€ftspraxis fließen, die mit der einstweiligen Verfu€gung untersagt worden war. Letztlich zielte der Vergleich darauf ab, dass die Antragstellerin an den auf unlauterer Grundlage gewonnenen Einnahmen der Antragsgegnerin zu 1. partizipieren sollte, statt dass sie dagegen vorging. Das begru€ndet den Vorwurf der Sittenwidrigkeit.
b) Die Nichtigkeit der Regelungen in § 1 und § 2 des Vergleichs fu€hrt trotz der salvatorischen Klausel in § 8 (2) zu dessen Gesamtnichtigkeit, so dass auch der Rechtsbehelfsverzicht in § 6 nichtig ist.
Eine salvatorische Erhaltungsklausel, mit welcher die dispositive Regelung des § 139 BGB abbedungen worden ist, schließt eine Gesamtnichtigkeit nicht aus, sondern fu€hrt lediglich zu einer Umkehrung der Vermutung des § 139 BGB in ihr Gegenteil. Die Nichtigkeit des gesamten Vertrags tritt in einem solchen Fall nur dann ein, wenn die Aufrechterhaltung des Restgescha€fts trotz der salvatorischen Klausel im Einzelfall durch den durch Vertragsauslegung zu ermittelnden Parteiwillen nicht mehr getragen wird; das kommt insbesondere in Betracht, wenn nicht nur eine Nebenabrede, sondern eine wesentliche Vertragsbestimmung unwirksam ist und durch die Teilnichtigkeit der Gesamtcharakter des Vertrags vera€ndert wu€rde (vgl. BGH NJW 2010, 1660 Tz. 8 m. w. N.).
Im Streitfall ist die Abschlusserkla€rung in § 6 des Vergleichs untrennbar mit der von der Antragstellerin ausgesprochenen Gestattung eben derjenigen Handlungen verbunden, die durch die einstweilige Verfu€gung untersagt worden waren. Nur weil die Antragsgegner sich von den Verbotswirkungen anders als durch Beschreitung des Rechtswegs - na€mlich durch Zahlung des von der Antragstellerin geforderten Betrags - befreien konnten, hatten sie Veranlassung, sich auf den Verzicht auf den Widerspruch einzulassen. Dem an der Interessenlage orientierten Willen der Antragsgegner liefe es krass zuwider, wenn diese ohne Gestattung durch die Antragstellerin an das - jederzeit durchsetzbare - Verbot gebunden wa€ren, ohne die gesetzlich vorgesehenen Rechtsbehelfe dagegen ergreifen zu ko€nnen; es kann nicht angenommen werden, dass die Antragsgegner eine derartige, sie ausschließlich belastende Vereinbarung gewollt ha€tten.
2. Dahin stehen kann, ob der Antragstellerin der streitgegensta€ndliche lauterkeitsrechtliche Unterlassungsanspruch zusteht. Jedenfalls ist dessen Geltendmachung unzula€ssig, weil sie unter Beru€cksichtigung der gesamten Umsta€nde missbra€uchlich ist (§ 8 Abs. 4 UWG).
a) Ein Mitbewerber missbraucht seine Klagebefugnis, wenn er sie nicht zur Unterbindung von Wettbewerbsversto€ßen einsetzt, sondern sie unter Hinnahme weiterer Versto€ße des Anspruchsgegners in finanzielle Vorteile fu€r sich umzuwandeln versucht, indem er sich die Anspruchsdurchsetzung abkaufen lassen will. Es stellt eine sachfremde Erwa€gung dar, wenn er seinen wettbewerbsrechtlichen Anspruch als Mittel einsetzt, um sich erhebliche Gelder zu verschaffen. Dazu ist ihm die Klagebefugnis nicht eingera€umt worden. Es geht bei der Durchsetzung von lauterkeitsrechtlichen Unterlassungsanspru€chen, zumal wegen Irrefu€hrung, nicht nur um die Durchsetzung von Individualanspru€chen, sondern auch um die Schutz des lauteren Wettbewerbs im Interesse der Mitbewerber, der Verbraucher und der Allgemeinheit. Dieser Interessenwahrnehmung la€uft es zuwider, wenn ein Mitbewerber seine Klagebefugnis nicht zur Unterbindung von Wettbewerbsversto€ßen nutzt, sondern sie unter Hinnahme weiterer Versto€ße in Geld umzusetzen sucht (vgl. OLG Hamburg, Urt. v. 7. Juli 2010 - 5 U 16/10, juris, Tz. 29; OLG Hamm GRUR-RR 2005, 141 f. - Sortenreinheit; Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Anspru€che und Verfahren, 10. Aufl. 2011, Kap. 13 Rz. 57 a. E.; Ko€hler in: Ko€hler/Bornkamm, UWG, 29. Aufl. 2011, § 8 UWG Rz. 4.23).
b) Im Streitfall hat die Antragstellerin versucht, sich ihren titulierten Anspruch abkaufen zu lassen und von der Fortsetzung des auf ihren Antrag hin verbotenen Verhaltens der Antragsgegnerin zu Lasten Dritter zu profitieren. Jedenfalls die sich daran anschließende Geltendmachung des Anspruchs durch Verteidigung des gerichtlichen Titels im Widerspruchs- und Berufungsverfahren ist deshalb missbra€uchlich. Es kommt folglich nicht darauf an, dass der Senat an der Richtigkeit des durch eine eidesstattliche Versicherung H. s gestu€tzten Vorbringens der Antragstellerin, sie habe bei der Beantragung der einstweiligen Verfu€gung noch keine derartige Absicht gehabt, durchgreifende Zweifel hegt; dieses Vorbringen ist schwerlich damit zu vereinbaren, dass H. bereits einen Tag nach der Zustellung der Verfu€gung davon sprach, dass fu€nfzig Prozent besser seien als nichts, und auch in der Folge hartna€ckig auf den Abschluss einer Vereinbarung insistierte.
III.
Die Entscheidung u€ber die Kosten beruht auf § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
OLG München:
Urteil v. 22.12.2011
Az: 29 U 3463/11
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