Oberlandesgericht Köln:
Urteil vom 23. Oktober 1992
Aktenzeichen: 6 U 65/92

(OLG Köln: Urteil v. 23.10.1992, Az.: 6 U 65/92)

Zum ästhetischen Gesamteindruck und zur Geschmacksmusterfähigkeit eines Regalsystems.

Tenor

Die Berufung der Antragsgegnerin gegen das am 12. März 1992 verkündete Urteil der 1. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Köln -81 0 7/92- wird zurückgewiesen. Die Kosten des Berufungsverfahrens werden der Antragsgegnerin auferlegt.

Gründe

E n t s c h e i d u n g s g r ü n

d e :

Die zulässige Berufung der

Antragsgegnerin bleibt in der Sache ohne Erfolg.

Die Antragstellerin verlangt auch nach

dem Berufungsvorbringen der Parteien von der Antragsgegnerin zu

Recht, daß diese es unterläßt, ein Stahlblech-Regalsystem

anzubieten und/oder zu vertreiben, das nach Maßgabe der

nachfolgenden Ablichtung gestaltet ist:

Das Unterlassungsbegehren der

Antragstellerin ist gemäß § 14 a Abs. 1 in Verbindung mit § 5

GeschmMG gerechtfertigt. Bei dem von der Antragsgegnerin

vertriebenen Regal handelt es sich um eine nach § 5 Nr. 2 GeschmMG

verbotene Nachbildung am 24.10.1991 des unter Nr. M 9105039.1

eingetragenen Geschmacksmusters des Geschäftsführers der

Antragstellerin.

Soweit die Antragsgegnerin in ihrem

erstinstanzlichen Vorbringen die Prozeßführungsbefugnis der

Antragstellerin gerügt hat, wird dies von ihr in der

Berufungsinstanz nicht aufrechterhalten, da sie zu Recht der

Auffassung des Landgerichts folgt, daß es sich um einen Fall der

gewillkürten Prozeß-standhaft handelt (vgl. Tomas/Puzzo § 51 Anm.

IV m. w. N.).

Der Geschäftsführer der Antragstellerin

ist Inhaber des Geschmacksmusters. Die formellen Voraussetzungen

des Geschmacksmusterrechtsschutz gemäß § 7 Abs. 1 GeschmMG hat die

Antragstellerin durch Vorlage der Urkunde über die Eintragung in

das Musterregister vom 24.10.1991 und des Auszuges aus dem

Geschmacksmusterblatt vom 10.2.1992 dargelegt. Diese werden in der

Berufung von der Antragsgegnerin auch nicht mehr bestritten.

Bei dem Geschmacksmuster handelt es

sich auch um eine schutzfähige Gestaltung, da der geschützte

Gegenstand sowohl neuartig als auch eigentümlich im Sinne des § 1

Abs. 2 GeschmMG ist.

Die Antragsgegnerin hat die nach § 13

GeschmMG vermutete Neuheit des hinterlegten Musters nicht zu

entkräften vermocht. Der von der Antragsgegnerin in das Verfahren

eingeführte Formenschatz weiterer Regalsysteme aus der Zeit vor

der Anmeldung des Klagegeschmacksmusters nimmt diesem nicht die

Neuheit. Nach dem maßgebenden objektiven Neuheitsbegriff (BGH GRUR

1969, 90, 92-Rüschenhaube; BGH GRUR 1978, 168, 169

-Haushaltsschneidemaschine) ist ein Muster neu, wenn die seine

Eigentümlichkeit begründenden Gestaltungsmerkmale im Zeitpunkt der

Anmeldung des Geschmacksmusters den inländischen Fachkreisen weder

bekannt waren noch bei zumutbarer Betrachtung der auf den

einschlägigen oder benachbarten Gewerbegebieten vorhandenen

Gestaltungen bekannt sein konnten.

Der ästhetische Gesamteindruck des

Regalsystems "P." ist mit dem Landgericht darin zu sehen, daß

schlichte geometrische Formen zu einer Wirkung der Leichtigkeit

zusammengefaßt werden, wobei besonderer Akzent durch die

Verwendung von V-förmigen Trägern gewonnen wird. Darüber hinaus

wird die Leichtigkeit des Regalsystems auch dadurch wesentlich

geprägt, daß die Aufhängung der Regalböden an einer an der Wand

befestigten Schiene erfolgt, wodurch das Regal beim Betrachter

einen freischwebenden Eindruck erweckt. Danach sind die für den

ästhetischen Gesamteindruck maßgeblichen Elemente der Formgebung

des Regals in den schmalen, an einer Wand anbringbaren

Montageschienen, in den jeweils an den Enden dreieckig zulaufenden,

aus leichtem Metall gebildeten V-Trägern sowie in den dünnen

viereckigen Regalböden zu sehen.

Das Regal verliert seine

Geschmacksmusterfähigkeit auch nicht -wie die Antragsgegnerin

meint- dadurch, daß der beschriebene ästhetische Gesamteindruck

ganz überwiegend nur auf technisch bedingte Formen zurückgehe. Zwar

ist die Ge- und die Ausgestaltung des Regalsystems teilweise nicht

primär zum Zweck der Hervorrufung einer ästhetischen Wirkung,

sondern -wie bei fast allen Gebrauchsgegenständen- auch aus

praktischen Gründen vorgenommen worden; dies gilt z. B. für die

besondere Anbringungsart der Regalböden an die Wandschiene oder

für die Lochung der Träger. Demgegenüber ist aber die

Gesamtkomposition des Regals einschließlich ihrer technisch

bedingten Elemente dazu bestimmt, auf das ästhetische Empfinden des

Betrachters zu wirken (vgl. BGH GRUR 1987, 518, 519 -Kotflügel).

Die Konstruktion des Regals "P." in seiner konkreten Ausgestaltung

ist also keinesfalls allein technisch bedingt. Es sind ohne

weiteres andere Gestaltungsmöglichkeiten denkbar, um den

ästhetischen Gesamteindruck der Leichtigkeit und des freien

Schwebens bei einem Regal zu erzeugen. So wäre es z. B. möglich,

dies durch ein von der Dekke herunterhängendes Regal zu bewirken.

Auch die Befestigung an der Wand setzt für den Anschein der

Leichtigkeit nicht notwendigerweise die Verwendung einer

Montageschiene voraus, da dies auch durch die direkte Anbringung

der Regalböden an die Wand erreicht werden könnte. Darüber hinaus

ist für die beabsichtigte ästhetische Wirkung nicht unbedingt die

Verwendung V-förmiger Träger und viereckiger Regalböden

erforderlich. Gerade in dieser Hinsicht sind zahlreiche andere

geometrische Formen denkbar, wie die Abbildungen in den von den

Parteien vorgelegten Prospekten und Broschüren zeigen.

Die bestimmenden Gestaltungsmerkmale

waren im Zeitpunkt der Anmeldung auch nicht vorbekannt. Die nach §

13 GeschmMG bestehende Vermutung der Neuheit wird insbesondere

nicht durch die älteren Regalsysteme, auf die sich die

Antragsgegnerin beruft, widerlegt. Weder das Regalsystem "T-RACK"

noch die Regalsysteme "Yuppi" und "Radius" weisen eine dem Modell

der Antragstellerin vergleichbare geschmackliche Gesamtwirkung

auf.

Zu Recht ist das Landgericht davon

ausgegangen, daß sich aus den von der Antragsgegnerin zum Regal

"Radius" vorgelegten Unterlagen (Abb. Bl. 65 d. BA 6 U 101/92)

nicht einmal schlüssig die Verwendung von V-förmigen Trägern als

Halter der Regale ergebe. Selbst wenn man aber unterstellt, daß

aufgrund der Verwendung einer Montageschiene der Gebrauch von

V-Trägern als Regalhalter naheliegt, so ist ein wesentlicher

Unterschied auch darin begründet, daß das Regal "Radius" mit einem

aus Rollen bestehendem Fuß konzipiert ist, wobei die Rollen direkt

am untersten Regalboden angebracht sind. Óber die bereits dadurch

bedingte andersartige Gestaltung hinaus weist damit das Regal eine

ganz spezifische, nämlich eine Mobilitätsfunktion mit eigener

ästhetischen Qualität auf, die das Regal "P." der Antragstellerin

nicht hat. Daneben liegt ein weiterer wesentlicher Unterschied in

der bereits optisch hervortretenden massiveren Gestaltung des

Regals "Radius", deren Notwendigkeit sich insbesondere aus der

Verwendung für den HIFI-Bereich ergibt. Diese Unterschiede führen

dazu, daß das Regal nicht den Eindruck der Leichtigkeit und des

freien Schwebens erzeugen kann, der gerade den ästhetischen

Gesamteindruck des Regals "P." entscheidend ausmacht.

Diese Erwägungen treffen auch auf das

von der Antragsgegnerin zum Vergleich herangezogene Regalsystem

"Yuppi" der Firma Gallotti und Radice zu, das außerdem wesentlich

durch eine massivere Montageschiene geprägt wird. Darüber hinaus

enthält das Regal "Yuppi" -wie aus den von den Parteien zu den

Akten gereichten Abbildungen ersichtlich ist -im Gegensatz zum

Regal "P." nicht V-förmige, sondern kreuzartige

Regalbodenträger.

Schließlich vermittelt auch das Regal

"V-RACK" der Firma Räke einen gänzlich anderen Gesamteindruck. Dies

ergibt sich entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin ebenfalls

maßgeblich aus dem Umstand, daß das Modell "P." der

Antragstellerin auf einer Montageschiene an der Wand befestigt

wird, während das Modell "V-RACK" auf den Boden gestellt wird.

Gerade dies führt dazu, daß ein Eindruck der Standfestigkeit und

Belastbarkeit erzeugt wird, der dem Regal "P." fremd ist.

Das Regalmodell der Antragstellerin ist

auch als eigentümlich im Sinne des § 1 Abs. 2 GeschmMG anzusehen.

Durch die Kombination der bereits beschriebenen Gestaltungsmerkmale

ist eine eigenschöpferische ästhetische Gesamtwirkung entstanden.

Die Verbindung der einzelnen Teile führt zu einer für das

ästhetische Empfinden reizvollen Leichtigkeit. Es weist eine eigene

harmonische Linie auf und erzielt durch seine auffallend klare

Gestaltung eine gewisse Form der Eleganz. Auch wenn man

unterstellt, daß im Zeitpunkt der Anmeldung des Modells eine solche

Formgestaltung dem Zeitstil entsprochen haben mag und damit der

Moderichtung im Bereich der Regalprogramme gefolgt ist, hat die

konkrete Gestaltung, wie sie durch das Modell "P." erfolgt ist,

doch nicht so nahe gelegen, daß sie sich dem durchschnittlichen

Mustergestalter aufgedrängt hätte. Vielmehr verkörpert das Regal

in seiner ästhetischen Gesamtwirkung eine Leistung, die über

diejenige des blo-ßen handwerksmäßigen Könnens eines

durchschnittlichen Mustergestalters hinausgeht (vgl. BGH GRUR

1969, 90, 95 -Rüschenhaube; BGH GRUR 1975, 81, 83

-Dreifach-Kombinationsstecker).

Unzutreffend ist auch die Ansicht der

Antragsgegnerin, daß die Eigentümlichkeit des Modells deshalb

entfalle, weil es an einen vorbekannten Formenschatz anknüpfe und

insoweit das Erfordernis der selbständigen Leistung nicht vorlege.

Es kann auch im Hinblick auf die von der Antragsgegnerin

eingebrachten Vergleichregale dahingestellt bleiben, ob die bei

Modell "P." verwendeten Hauptkomponenten Montageschiene, Regalböden

sowie V-förmige Träger bereits bekannt gewesen oder zuvor verwendet

worden sind, denn die Óbernahme fremder Formen schließt die

Schutzfähigkeit nicht aus, wenn durch deren Verwendung eine neue

eigentümlich ästhetische Wirkung erreicht wird (BGH GRUR 1975, 81,

83 -Dreifach-Kombinationsschalter). Die Kombination der Elemente zu

einem einheitlichen Gegenstand nach der Art des Regalsystems des

Klagegeschmacksmusters mit dem dadurch erzeugten ästhetischen

Gesamteindruck war jedenfalls nicht vorbekannt. Es ist vielmehr

gelungen, die möglicherweise vorbekannten Formen zu einer

Gestaltungsform zu vereinigen, die eine in dieser Formgebung

bisher nicht dagewesene freischwebende Erscheinung eines Regals

wiedergibt.

Aufgrund der Beweisaufnahme vom 18.

September 1992, bei der die Originalregale beider Parteien in

Augenschein genommen worden sind, steht zur Óberzeugung des Senats

fest, daß es sich bei dem Regal der Antragsgegnerin um eine gemäß §

5 GeschmMG verbotene Nachbildung des Regalsystems "P." der

Antragstellerin handelt.

Das angegriffene Regalsystem der

Antragsgegnerin enthält alle den ästhetischen Gesamteindruck

bestimmenden Merkmale des Regalsystems der Antragstellerin.

Sämtliche wesentliche Gestaltungsmerkmale des Regals "P." sind bis

auf optisch kaum wahrnehmbare, geringfügige Abweichungen auch am

Regal der Antragsgegnerin vorhanden. Bei beiden Produkten handelt

es sich um Regale aus Metall, die an der Wand befestigt werden. Sie

bestehen jeweils aus einer zentralen Montageschiene, die in der

Mitte einen Schlitz aufweist, in den die Halterungen der Böden

eingelassen werden, die hierdurch stufenlos verstellbar sind. Die

dünnen Regalböden sind rechteckig zugeschnitten und werden von

schmalen, V-förmigen Trägern gehalten. Aufgrund der

übereinstimmenden leichten Bauweise und der identischen

Proportionen der Konstruktion ergibt sich auch eine Óbereinstimmung

im ästhetischen Erscheinungsbild beider Regale.

Bei den von der Antragsgegnerin

aufgeführten Unterschieden hinsichtlich der Gestaltung der

Montageschienen und der V-Träger handelt es sich um solche

Abänderungen gemäß § 5 Nr. 2, 2. Alternative GeschmMG, die

lediglich bei Anwendung besonderer Aufmerksamkeit wahrgenommen

werden können.

Die unterschiedliche Breite der

Schlitze in den Montageschienen fällt nur auf, wenn beide Schienen

unmittelbar nebeneinander gestellt werden, da der Unterschied in

der Breite lediglich 3 mm beträgt. Darüber hinaus wird die Sicht

auf die Montageschienen und die unterschiedlich breiten Schlitze

bei dem vollständig montierten Regal größtenteils durch die an der

Schiene befestigten Böden verdeckt. Ein gravierender Unterschied

wird auch nicht durch die unterschiedlichen Ausstanzungen in den

V-Trägern und den Rändern der Regalböden erreicht. Zwar sind in den

Trägerelementen beim Modell der Antragsgegnerin länglichovale

Ausstanzungen vorhanden, während die V-Träger des Modells "P."

kreisrunde Ausstanzungen aufweisen. Die ovalen Ausstanzungen finden

sich jedoch an den Rändern der Regalböden beim Modell "P.", während

diese Ausstanzungen bei dem angegriffenen Modell eher rechteckig

sind. Die unterschiedliche Form der Ausstanzung ist für den

Betrachter aber nur erkennbar, wenn beide Regalmodelle unmittelbar

nebeneinanderstehen, zumal beide Modelle jeweils zwei verschiedene

Ausstanzungen an Böden und Trä-gern benutzen, wobei beide Modelle

sich jeweils einmal der ovalen Form bedienen.

Schließlich ist auch die

unterschiedliche Höhe der V-Träger nur bei intensiver

vergleichender Betrachtung der nebeneinander gestellten Regale

bemerkbar.

Die übrigen Maße und Proportionen der

Regale erscheinen nahezu identisch, wodurch die im übrigen schon

übereinstimmende Wirkung der eigentümlichen Formelemente noch

gesteigert wird. Es hättenschon weitaus deutlichere Unterschiede

Zutage treten müssen als die beschriebenen, um einen abweichenden

Gesamteindruck annehmen zu können. Ein solcher ergibt sich entgegen

der Ansicht der Antragsgegnerin auch nicht daraus, daß sich der

Eindruck, den das Regal der Antragsgegnerin vermittelt, je nachdem

aus welchem Blickwinkel man es betrachtete. Unabhängig davon, ob

der Blick des Betrachters die aufgeführten Unterschiede erfaßt oder

nicht, wird nämlich dadurch, gleichwohl von wo aus er die Regale in

den Blick nimmt, der übereinstimmende Gesamteindruck den beide

Regale vermitteln, nicht berührt. Davon hat sich der Senat in der

Beweisaufnahme überzeugt.

Auch die für den Unterlassungsanspruch

erforderliche Wiederholungsgefahr ist zu bejahen. Die Gefahr der

Wiederholung ist grundsätzlich bereits durch die begangene

Verletzungshandlung begründet (BGH GRUR 1965, 198, 202

-Küchenmaschine); sie wird vorliegend besonders offensichtlich, da

die Antragsgegnerin auch nach Abmahnung für sich das Recht

beansprucht, weiterhin die Verletzungshandlung zu begehen.

Da somit ein Unterlassungsanspruch der

Antragstellerin gemäß §§ 14 a, 5 GschmMG vorliegt, kann es

dahinstehen, ob darüberhinaus auch ein Anspruch aus § 1 UWG wegen

sklavischer Nachahmung des Regalsystems in Betracht kommt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97

Abs. 1 ZPO. Das Urteil ist mit der Verkündung rechtskräftig, § 545

Abs. 2 ZPO.






OLG Köln:
Urteil v. 23.10.1992
Az: 6 U 65/92


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