Oberlandesgericht Hamm:
Urteil vom 27. Mai 2003
Aktenzeichen: 4 U 29/03

(OLG Hamm: Urteil v. 27.05.2003, Az.: 4 U 29/03)

Tenor

Die Berufung der Antragsgegnerin gegen das am 11. Dezember 2002 verkündete Urteil der VI. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Dortmund wird zurückgewiesen.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten der Berufung.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die Berufung ist unbegründet. Der Tenor des angefochtenen Urteils enthält zwar eine offenbare Unrichtigkeit, die vom Amts wegen zu berichtigen war. Abgesehen davon hat aber das Landgericht der Antragsgegnerin zu Recht folgende Werbeaussagen untersagt:

1. für das Mittel "X":

1.2 "Bei Stress und Erschöpfungszuständen zur Unterstützung und für ein gesundes Immun- und Abwehrsystem",

1.3 " Es ist eine natürliche Hilfe gegen Kraftlosigkeit, allgemeinen Schwächezustand und Lustlosigkeit",

1.4 Nutzen:

-körperliche und geistige Stabilität

-gegen Stress, Lustlosigkeit, und Erschöpfungszustände

-Unterstützung des Immunsystems

-Energie und Vitalität

2. für das Mittel "X2"

2.2 "Bei Stress und Erschöpfungszuständen zur Unterstützung und für ein gesundes Immun- und Abwehrsystem",

2.3 "Es ist eine natürliche Hilfe gegen Kraftlosigkeit, allgemeinen Schwächezustand und Lustlosigkeit",

2.4 "Nutzen:

-körperliche und geistige Stabilität

-gegen Stress, Lustlosigkeit, und Erschöpfungszustände

-Unterstützung des Immunsystems

-Energie und Vitalität",

2.5. "Es gibt Zeiten, wo man lust-, kraftlos und unkonzentriert ist, sowie Ausdauer und Stärke fehlen. Mit den höher abgestimmten Inhaltsstoffen wird die Energiereserve schneller aufgebaut. Es muss doch einen Grund geben, dass Maca in Europa auch "Pflanzliches Viagra" genannt wird",

2.6. "Ausdauer und Lebenskraft für den Mann und Frau",

3. für das Mittel "X3":

3.1. "Sorgfältig ausgewählte Inhaltsstoffe sind geeignet für Hobby- und Leistungssportler, die auf steigernde Energie angewiesen sind, die nicht schnell nachlässt",

3.3. "L-Carnitin verbrennt Fett und baut dabei fettfreie Muskelmasse auf",

4. für das Mittel "X4":

4.1. "X4 ist ein Jungbrunnen (Antiaging) von innen",

4.2. "X4 ist für die Bedürfnisse der Frauen entwickelt worden und kann hormonelle Schwankungen ausgleichen und Stresserscheinungen mildern",

4.3. "Viele Studien zeigen auf, dass Vitamin B 12 den Stoffwechsel sowie Blutbildung fördern kann.",

4.4. "X4 stärkt das Immunsystem und hat einen positiven Einfluss auf den Cholesterin-Spiegel",

5. für das Mittel "X5":

5.1. "Apfelessig fördert den Stoffwechsel und hilft dadurch die Nahrung schneller zu verarbeiten und wird bei folgenden Problemen eingesetzt: hoher Cholesterinspiegel, Lustlosigkeit, Darmträgheit. Es wird heute häufig als "Appetitzügler" verwendet,

5.2. "X5 hat Apotheken-Standard, Sie werden den Unterschied feststellen",

5.3. "Nutzen:

-gegen Lustlosigkeit

-gegen Darmträgheit

-positiver Einfluss auf den Cholesterinspiegel

-fördert den Stoffwechsel...",

5.4. "Gesund, Schlank und Fit mit Apfelessig",

5.5. mit dem Hinweis auf dessen schlankmachende Wirkung, insbesondere zu werben:

"Schlank ... mit Apfelessig",

und/oder

"Reduzieren Sie ihr Gewicht vernünftig und mit der Natur ohne Jojo Effekt",

und/oder

"X5 stillt den Hunger und verbrennt schnell Fettpolster",

und/oder

"Durch die vorhandenen Vitamine, Mineralien und Spurenelemente fühlt man sich während des Abnehmens nicht kraftlos...",

5.6. "... und der Cholesterinspiegel kann auch positiv beeinflusst werden".

1) Das Urteil weist eine offenbare Unrichtigkeit im Sinne des § 319 Abs. 1 ZPO auf, die vom Senat berichtigt worden ist. Wenn die Werbeaussage "Zur Optimierung der Konzentration und für geistige Stabilität" im Rahmen der Werbung für das Mittel "X" erlaubt sein soll, kann sie nicht im Rahmen der Werbung für das Mittel "X2" (Ziffer 2.1) unzulässig sein und verboten werden. Das Landgericht wollte insofern offensichtlich auch kein Verbot aussprechen. Es hat auf Seite 14 des angefochtenen Urteils (Bl.149) ausgeführt, dass es auch insofern keinen Wettbewerbsverstoß sehe. Dasselbe gilt für die Aussage "Optimierung der Konzentration" im Rahmen des in Ziffer 2.4 angesprochenen . Nutzens des Mittels "X2", die gleichfalls im Rahmen der Werbung für das Mittel "X" für zulässig gehalten worden ist. In beiden Fällen liegt ein offenbarer Widerspruch zwischen Tenor und Urteilsgründen vor, der nur Folge eines Versehens bei der Abfassung des Tenors sein kann.

2) Die Berufung ist teilweise schon unzulässig, und zwar soweit die Antragsgegnerin mit dem Hauptantrag nur Teile der beanstandeten und verbotenen Werbeaussagen angreift. An dieser teilweisen Unzulässigkeit ändert sich auch nichts dadurch, dass sie hilfsweise das Verbot dieser Werbeaussagen insgesamt angreifen will.

a) Zwar fehlt es noch nicht an der nach § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO erforderlichen Bestimmtheit, weil der Berufungsantrag als solcher nicht eindeutig formuliert ist. Die teilweise bestätigte Beschlussverfügung soll danach nicht insgesamt aufgehoben werden, sondern es sollen die Formulierungen ausgenommen werden, die die Antragsgegnerin schon nach ihrem Widerspruch (Bl.107 f.) nicht mehr verwenden wollte. Zwar sind diese Formulierungen, also die Werbeaussagen, deren Verbot die Antragsgegnerin hinnehmen will, nicht ausformuliert. Der Antrag ist aber auslegungsfähig und dahin auszulegen, dass das Verbot in Bezug auf den Teil der Werbeaussage "für ein gesundes Immun- und Abwehrsystem" in Ziffern 1.2 und 2.2 und in Bezug auf die Aussage "Unterstützung des Immunsystems" in Ziffern 1.4 und 2.4 des Urteils nicht angegriffen werden soll, ebenso nicht die Verbote der Werbeaussagen in Ziffern 3.3 und 4.1 im Ganzen. Bei dem Verbot in Ziffer 4.2 soll folgender Teil der Aussage nicht angegriffen werden: "X4 kann hormonelle Schwankungen ausgleichen". Die Verbote in den Werbeaussagen zu Ziffern 4.3 und 4.4 sollen wieder insgesamt nicht angriffen werden. In Hinblick auf die in Ziffer 5.1 verbotene Werbeaussage soll mit dem Hauptantrag nur angegriffen werden, dass auch die Aussage "Apfelessig wird bei Lustlosigkeit und Darmträgheit eingesetzt" verboten worden ist. Bei der Werbeaussage zum Nutzen des Apfelessigs wird das Verbot von "positiver Einfluss auf den Cholesterinspiegel" und "fördert den Stoffwechsel" hingenommen. Ferner greift die Berufung das Verbot des Wortes "schlank" in Ziffer 5.4 nicht an und im Hinblick auf Ziffer 5.5 nicht das Verbot der Werbeaussagen "Schlank ... mit Apfelessig", "Reduzieren Sie ihr Gewicht vernünftig und mit der Natur ohne Jojo Effekt" und "X5 stillt den Hunger und verbrennt schnell Fettpolster". Das Verbot der Werbeaussage zu Ziffer 5.6 wird insgesamt nicht angegriffen.

b) Soweit die Antragsgegnerin aber das Verbot der im angefochtenen Urteil im Ganzen untersagten Werbeaussagen nur teilweise angreift wie bei Ziffern 1.2, 2.2, 4.2. 5.1 und 5.5, fehlt es für die Zulässigkeit an der erforderlichen Beschwer. Das Landgericht hat der Antragsgegnerin zum Beispiel untersagt, mit der Werbeaussage "Bei Stress und Erschöpfungszuständen und für ein gesundes Imun- und Abwehrsystem" für das Mittel "X" zu werben. Die Antragsgegnerin wendet sich mit dem Hauptantrag nicht dagegen, dass ihr diese Werbung, die als solche die konkrete Verletzungshandlung darstellt, untersagt wird. Sie hält aber eine Werbung für das Mittel mit der Aussage "Bei Stress und Erschöpfungszuständen" für zulässig und will in Zukunft so werben. Eine solche Werbung ist ihr mit dem angefochtenen Urteil aber nicht verboten worden, da es um diese isolierte Werbeaussage im Rechtsstreit nicht ging. Es bleibt vielmehr offen, ob eine solche Aussage wie andere umstrittene Formulierungen für sich weiterhin zulässig ist, und es bleibt der eigenverantwortlichen Prüfung der Verletzerin überlassen, ob sie in einer solchen Form zukünftig werben will. Jedenfalls darf sie in der hier verwendeten konkreten Verletzungsform nicht mehr werben (BGH GRUR 1991, 545, 548 -Tageseinnahme für Mitarbeiter).

Soweit die Antragsgegnerin mit dem Hilfsantrag auch in diesen Fällen die gesamte Werbeaussage angreift, fehlt es an der erforderlichen Berufungsbegründung. Die Antragsgegnerin hat nicht vorgetragen, wieso die Werbeaussage als Ganzes auch mit den unstreitig zu beanstandenden Passagen zulässig sein und insoweit kein Unterlassungsanspruch bestehen soll.

3) Die einstweilige Verfügung muss auch nicht schon deshalb aufgehoben werden, weil sie nicht innerhalb der Frist des § 929 Abs. 2 ZPO vollzogen worden ist. Im vorliegenden Fall ist die Beschlussverfügung vom 13. August 2002 am 23. August 2002, also innerhalb der Monatsfrist der Antragsgegnerin zugegangen, nachdem sie der Postzusteller in den Briefkasten von deren Geschäftsbetriebes eingeworfen hat. Die Antragsgegnerin macht zwar geltend, dass es sich um keine wirksame Zustellung im Sinne des § 180 ZPO gehandelt habe. Mit ihren Bedenken kann sie jedenfalls schon deshalb nicht durchdringen, weil eine unwirksame Zustellung im vorliegenden Fall nach § 189 ZPO geheilt worden wäre mit der Folge, dass der unstreitige Zugang des Schriftstückes als Zustellung gilt.

a) Es erscheint zweifelhaft, ob hier nach dem neuen abgestuften System der förmlichen Zustellung die Voraussetzungen für eine Ersatzzustellung nach § 180 ZPO vorlagen. Die in erster Linie vorgesehene Form der Ersatzzustellung in Geschäftsräumen ist die Übergabe an dort beschäftigte Personen, und zwar während der üblichen Geschäftszeiten. Nur dann, wenn eine solche Ersatzzustellung nicht nur schwierig ist, sondern als praktisch unmöglich erscheint (vgl. Baumbach/Hartmann, ZPO, 60. Auflage, § 180 Rdn. 4), kann das Schriftstück in den zum Geschäftsraum gehörenden Briefkasten eingeworfen werden. Die Antragsgegnerin hat aber glaubhaft gemacht, dass eine Übergabe zu den üblichen und dem Postzusteller bekannten Geschäftszeiten ab 8.45 Uhr am fraglichen Tag ohne weiteres möglich gewesen wäre. Selbst wenn es sich aber um eine hier unzulässige Form der förmlichen Zustellung gehandelt haben sollte, wäre dieser Mangel durch den unstreitigen Zugang des aus dem Briefkasten entnommenen Schriftstücks nach § 189 ZPO geheilt. Der Senat gibt seine bisherige Rechtsprechung auf, nach der bei Zustellungen von Beschlussverfügungen eine nachträgliche Heilung als grundsätzlich nicht möglich angesehen worden ist. Ausgangspunkt der bisherigen, eine Heilung nach § 187 S. 1 ZPO a.F. verneinenden Rechtsprechung des Senats war der Umstand, dass die Parteizustellung die einstweilige Verfügung überhaupt erst wirksam werden ließ. Es konnte aber nicht vom Ermessen des Gerichts abhängen, ob und wann das Verbot wirksam geworden ist (vgl. Pastor/Ahrens/Wedemeyer, Der Wettbewerbsprozeß. 4. Auflage, Kap. 61, Rdn. 38). Nach der Gesetzesänderung gibt es ein solches mit der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit nicht zu vereinbarendes Ermessen nicht mehr. Nach § 189 ZPO tritt die Zustellungswirkung kraft Gesetzes mit dem Zeitpunkt ein, in dem das Schriftstück dem Adressaten tatsächlich zugegangen ist. Zwar muss das Gericht nach allgemeinen Beweisgrundsätzen über einen tatsächlichen Zugang und den maßgeblichen Zeitpunkt entscheiden, wenn darüber Streit bestehen sollte. Die Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen der gesetzlich normierten Zustellungsfiktion ist aber etwas so entscheidend anderes als die Ausübung richterlichen Ermessens, dass an der früheren Rechtsprechung -insoweit auch der Intension des Gesetzgebers entsprechend- nicht mehr festgehalten werden kann. Die Zustellung gilt damit auch bei der vorliegenden Beschlussverfügung von Gesetzes wegen als an dem Tag erfolgt, an dem sie tatsächlich zugegangen ist, hier also dem 23. August 2002 (vgl. Zöller/Stüber, ZPO, 23. Auflage, § 189 Rdn.6, Zöller/Vollkommer, a.a.O. § 929 Rdn.14).

b) Einer wirksamen Zustellung steht auch nicht entgegen, dass die Abschrift des Antrages der Beschlussverfügung nicht beglaubigt worden ist. Die Antragsschrift ist als Voraussetzung für die Wirksamkeit der erlassenen Beschlussverfügung ohnehin nicht in jedem Fall zuzustellen, sondern nur, wenn diese auf sie Bezug nimmt und aus sich heraus sonst nicht verständlich wäre (Zöller/Vollkommer, a.a.O. § 929 Rdn.13). Ob diese Voraussetzungen kumulativ hier vorliegen, ist schon zweifelhaft. Das bedarf aber auch keiner abschließenden Entscheidung.

Die Abschrift der Antragsschrift ist unstreitig mit der ausgefertigten und mit einem Beglaubigungsvermerk versehenen Beschlussverfügung bei der Zustellung fest verbunden gewesen, wovon sich der Senat in der mündlichen Verhandlung selbst noch einmal überzeugt hat. Dadurch könnte der Beglaubigungsvermerk auf dem Titel erkennbar gemacht haben, dass er sich auch auf alle Seiten der verbundenen Schriftstücke beziehen sollte (Zöller/Stöber, a.a.O. § 169 Rdn.6). Selbst wenn man das anders sehen wollte, wäre aber auch in diesem Falle eine Heilung des Zustellungsmangels eingetreten. Es wäre dann ein unbeglaubigtes, aber inhaltlich richtiges Schriftstück zugestellt worden, dessen Übereinstimmung mit der Urschrift auch ohne weiteres erkennbar war (vgl. BGHZ 100, 234, 241; Zöller/Stüber, a.a.O. § 189 Rdn.6 am Ende). Darin wäre ein förmlicher Mangel der Zustellung zu sehen, der heilbar ist. Diese Art von Zustellungsmangel ist von dem Fall zu unterscheiden, in dem das unbeglaubigt zugestellte Schriftstück selbst Mängel aufweist und deshalb Zweifel aufkommen lässt, ob es richtig und vollständig wiedergegeben ist. Nur dieser Mangel kann durch den Zugang nicht geheilt werden.

4) Für den beantragten Erlass der einstweiligen Verfügung liegt auch ein Verfügungsgrund vor. Da der Antragsteller einen Verstoß gegen § 1 UWG geltend macht, wird die Dringlichkeit nach § 25 UWG vermutet. Der Antragsteller hat glaubhaft gemacht, dass er jedenfalls nicht vor dem 11. Juli 2002 von den gerügten Werbeaussagen Kenntnis erlangt hat.

5) Dem Antragsteller steht auch im Hinblick auf die noch streitigen Werbeaussagen ein Verfügungsanspruch nach § 1 UWG zu, weil die Antragsgegnerin mit ihrer Werbung gegen §§ 17 Abs.1 Nr. 5 a und c und 18 Abs. 1 Nr. 1 LMBG verstoßen hat.

a) Nach § 17 Abs. 1 Nr. 5 LMBG ist es verboten, Lebensmittel unter irreführender Bezeichnung, Angabe oder Aufmachung gewerbsmäßig in den Verkehr oder für Lebensmittel allgemein oder im Einzelfall mit irreführenden Darstellungen oder sonstigen Aussagen zu werben. Eine Irreführung liegt nach Buchstabe a) dann vor, wenn Lebensmitteln Wirkungen beigelegt werden, die ihnen nach den Erkenntnissen der Wissenschaft nicht zukommen oder die wissenschaftlich nicht hinreichend gesichert sind, und nach Buchstabe c) dann, wenn Lebensmitteln der Anschein eines Arzneimittels gegeben wird.

Nach § 18 Abs. 1 LMBG ist es unbeschadet der Vorschrift des § 17 Abs. 1 Nr. 5 LMBG verboten, im Verkehr mit Lebensmitteln oder der Werbung für Lebensmittel allgemein oder im Einzelfall Aussagen, die sich auf die Beseitigung, Linderung oder Verhütung von Krankheiten beziehen, zu verwenden. Dabei ist der Begriff der Krankheit weit auszulegen und erfasst demgemäß auch eine unerhebliche oder nur vorübergehende Störung der normalen Beschaffenheit oder der normalen Funktion des Körpers. Das Verbot krankheitsbezogener Werbung soll zum einen verhindern, dass Lebensmittel werbungsmäßig zu Zwecken eingesetzt werden, denen sie ihrer Bestimmung nach nicht dienen können, nämlich als Quasi-Arzneimittel. Zum anderen soll der Verbraucher vor dem Irrtum geschützt werden, mit einem auf solche Weise angepriesenen Lebensmittel sei eine wirksame und ausreichende Selbstbehandlung möglich (BGH WRP 1998, 505 -Gelenk-Nahrung).

b) Das Landgericht hat im einzelnen ausgeführt, warum in den Fällen, in denen es zu einem Verbot gelangt ist, ein Verstoß gegen diese gesetzlichen Voraussetzungen vorliegt. Es hat darauf verwiesen, dass den einzelnen Lebensmitteln als Hilfe gegen Kraftlosigkeit, allgemeinen Schwächezustand, Stress und Lustlosigkeit und für körperliche und geistige Stabilität und gesteigerte Energie gesundheitsbezogene Wirkungen beigelegt worden sind, die ihnen nach den Erkenntnissen der Wissenschaft nicht zukommen oder die jedenfalls nicht hinreichend gesichert sind. Der mit den einzelnen Werbeaussagen für die Mittel erweckte Eindruck entspricht dabei auch dem Gesamterscheinungsbild des vorgelegten Werbeprospektes und des Internetauftritts. Das Landgericht hat sich auch nicht in einen Widerspruch verwickelt, weil es einzelne nichtssagende Anpreisungen dabei vom Verbot ausgenommen hat. Solche Anpreisungen fallen nicht unter § 17 Abs. 1 Nr. 5 LMBG und verstoßen mangels nachprüfbarer Angaben auch nicht gegen § 3 UWG (OLG München NJWE -WettbR 1999, 854, 855). Bei der Werbeaussage zu Ziffer 5.2 hat das Landgericht den Hinweis auf den angeblichen Apotheken-Standard im Gesamtzusammenhang zutreffend dahin verstanden, dass dem beworbenen Apfelessig dadurch der Anschein eines Arzneimittels gegeben werden sollte. Diese Würdigungen und auch die mit der Werbung nach der Begründung des angefochtenen Urteils einhergehenden irreführenden Angaben hat die Antragsgegnerin auch nicht konkret im Hinblick auf ein bestimmtes Mittel und Verbot angegriffen und dabei nicht gesagt, warum welche genaue Werbeaussage doch richtig und wissenschaftlich erwiesen sein und nicht den Anschein eines Arzneimittels erwecken soll.

c) Das ausgesprochene Verbot berührt die Antragsgegnerin auch nicht in ihrem Grundrecht auf freie Meinungsäußerung (Art. 5 Abs. 1 GG). Das Grundrecht gilt nicht unbeschränkt. § 1 UWG ist als ein allgemeines Gesetz im Sinne von Art. 5 Abs. 2 GG eine zu beachtende Schranke bei der Ausübung des Grundrechts. Die Vorschrift des § 1 UWG ist hinreichend bestimmt. Ihr Regelungsziel, unzulässige Praktiken im Bereich des Wettbewerbs zu verhindern, findet sich mit der Wertordnung des Grundgesetzes vollkommen im Einklang (BVerfG NJW 2001, 3403, 3404 -Therapeutische Äquivalenz). Schutzgut ist dabei die Funktionsfähigkeit des Leistungswettbewerbs, wozu auch der Schutz der Verbraucher vor einer Werbung zählt, die Gefahren für die Gesundheit auslösen kann (§ 18 Abs. 1 Nr. 1 LMBG) oder die gegen den den Leistungswettbewerb beherrschenden Grundsatz der wahrheitsgemäßen Angaben verstößt (§ 17 Abs. 5 LMBG als besondere Ausformung des § 3 UWG). Die von der Berufung angeführten Fälle, in denen Grundrechtsverletzungen geprüft und teilweise auch angenommen worden sind, betreffen sämtlich völlig andere Sachverhalte.

d) Der Verstoß gegen die genannten lebensmittelrechtlichen Vorschriften stellt auch ohne weiteres einen Verstoß gegen § 1 UWG dar, der zudem geeignet ist, den Wettbewerb auf dem Markt für Nahrungsergänzungsmittel zu beeinträchtigen, und zwar allein schon deshalb, weil die beanstandete Aussage den sensiblen Bereich der Gesundheitswerbung betrifft (vgl. BGH a.a.O. -Gelenk-Nahrung S. 494). Daran könnte selbst die Tatsache, dass auch andere Mitbewerber und gerade auch solche, die Mitglieder des Antragstellers sind, ähnlich unzulässig geworben hätten und noch werben würden, nichts ändern. Gerade der Verstoß gegen solche Verbote, die den Schutz wichtiger Allgemeingüter zum Ziel haben, kann nicht allein dadurch wettbewerbsrechtlich zulässig werden, dass sich Verstöße dagegen häufen. Im übrigen beeinflussen die Verstöße auch deshalb den einschlägigen Markt, weil sie den Verletzern unberechtigte Vorteile gegenüber den gesetzestreuen Mitbewerbern verschaffen. Insoweit hat sich auch die Rechtsprechung des BGH nicht geändert (vgl. BGHZ 144, 255, 265 -Abgasemissionen; BGH GRUR 2000, 237, 238 -Giftnotruf-Box; BGH GRUR 2001, 1073 -Gewinn-Zertifikat).

6) Gerade weil die Werbeaussagen den Bereich der Gesundheitswerbung betreffen, ist die Werbung auch nach § 13 Abs. 2 Nr. 2 UWG geeignet, den Wettbewerb auf dem Markt der Nahrungsergänzungsmittel wesentlich zu beeinträchtigen.

7) Es liegt auch kein Verstoß gegen § 13 Abs. 5 UWG wegen einer diskriminierenden Auswahl der Antragsgegnerin vor. Ein solcher Verstoß würde voraussetzen, dass der Antragsteller etwa grundsätzlich nur gegen Außenstehende und nicht gegen eigene Mitglieder vorgehen würde, sondern deren Wettbewerbsverstöße planmäßig dulden würde (BGH GRUR 1997, 681, 683 -Produktwerbung). Diese Voraussetzung hat die Antragsgegnerin aber nicht glaubhaft gemacht. Es ist nicht Aufgabe des Senats, die von der Antragsgegnerin nicht schriftsätzlich aufbereiteten umfangreichen Anlagen auf vergleichbare Werbeverstöße von Mitgliedern des Antragstellers und damit auf eine denkbare Erheblichkeit hin durchzusehen. Außerdem sind im vorliegenden Fall ohnehin Interessen der Allgemeinheit berührt, so dass schon deshalb ein Vorgehen gegen die Antragsgegnerin nicht rechtsmissbräuchlich sein kann.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs.1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Ziffer 10, 711, 713 ZPO.






OLG Hamm:
Urteil v. 27.05.2003
Az: 4 U 29/03


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/bb884d7873a9/OLG-Hamm_Urteil_vom_27-Mai-2003_Az_4-U-29-03




Diese Seite teilen (soziale Medien):

LinkedIn+ Social Share Twitter Social Share Facebook Social Share