Verwaltungsgericht Hannover:
Urteil vom 17. Juni 2008
Aktenzeichen: 6 A 1114/07
(VG Hannover: Urteil v. 17.06.2008, Az.: 6 A 1114/07)
Ein Ausweisungsregeltatbestand des § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG ist auch weiterhin nur dann nicht gegeben, wenn ein Ausnahmefall sowohl im Hinblick auf spezialpräventive wie auch auf generalpräventive Gründe der Ausweisung vorliegt. Die einzelfallbezogene Berücksichtigung besonderer persönlicher Umstände im Leben und Verhalten des Ausländers, welche seine Ausweisung im Hinblick auf die mit ihr verfolgten Ziele als unverhältnismäßig im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Beschlüsse vom 10.5.2007 - 2 BvR 304/07 - und 10.8.2007 - 2 BvR 535/06) erscheinen lassen, hat erst bei der Anwendung der Rechtsfolge des § 56 Abs. 1 Satz 4 AufenthG stattzufinden, also im Rahmen der Prüfung, ob angesichts des Vorliegens eines Ausweisungstatbestands des § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG konkret ein Regelfall der zu verfügenden Ausweisung vorliegt
Tatbestand
Der am X. X. 1979 in H. (Irak) geborene Kläger, ein irakischer Staatsangehöriger kurdischer Abstammung, begehrt Rechtsschutz gegen seine Ausweisung aus dem Bundesgebiet.
Nachdem der Vater des Klägers, Herr I. B., im Jahre 1995 von dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt - als Asylberechtigter anerkannt worden war, reiste der Kläger Anfang 1996 im Alter von 17 Jahren in Begleitung seiner Mutter und gemeinsam mit drei Geschwistern mit einem zum Zweck der Familienzusammenführung erteilten Visum in die Bundesrepublik Deutschland ein. Diese Aufenthaltserlaubnis war zunächst befristet und am 6. März 1997 als unbefristete Aufenthaltserlaubnis verlängert worden. Das Bundesamt hat die Anerkennung des Klägers als Asylberechtigter mit Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 22. Mai 2006 bestandskräftig widerrufen, nachdem es auch die Asylberechtigung des stammberechtigten Vaters widerrufen hatte. In dem Widerrufsbescheid hat das Bundesamt festgestellt, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes - AufenthG - und Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht vorliegen. Den seit dem 1. Januar 2005 gemäß § 101 Abs. 1 Satz 1 AufenthG als Niederlassungserlaubnis fortgeltenden Aufenthaltstitel hat die Beklagte nicht widerrufen.
Während seines Aufenthaltes im Bundesgebiet ist der Kläger mehrfach strafrechtlich in Erscheinung getreten:
1. Mit Urteil des Amtsgerichts C. - vom 9. Januar 1998 - J. - wurde dem Kläger wegen vorsätzlicher Körperverletzung eine jugendrichterliche Weisung erteilt.
2. Mit Strafbefehl des Amtsgerichts K. vom 4. Juli 2002 - L. - wurde der Kläger mit einer Geldstrafe von 10 Tagessätzen wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort bestraft.
3. Mit Strafbefehl des Amtsgerichts C. vom 20. September 2004 - M. - wurde er mit einer Geldstrafe von 15 Tagessätzen wegen vorsätzlichen Fahrens eines Fahrzeugs ohne Haftpflichtversicherungsvertrag bestraft.
4. Am 6. Oktober 2006 verurteilte das Amtsgericht C. - Schöffengericht - den Kläger im Verfahren N. wegen unerlaubten gewerbsmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in vier Fällen (Kokain und Cannabis), davon in drei Fällen in Tateinheit mit unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, zu einer (Gesamt-) Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten.
Diese Verurteilung nahm die Beklagte zum Anlass, den Kläger nach erfolgter Anhörung mit Bescheid vom 18. Januar 2007 auszuweisen. In dem Bescheid kündigte sie dem Kläger die Abschiebung im Anschluss an seine Haftentlassung an. Für den Fall, dass sich die Abschiebung zu diesem Zeitpunkt nicht durchführen lasse, forderte die Beklagte den Kläger unter Fristsetzung und unter Androhung seiner Abschiebung in den Irak oder einen anderen Staat, in den er einreisen dürfe oder der zur Rücknahme verpflichtet sei, zur Ausreise auf. Zur Begründung der Ausweisungsverfügung führte die Beklagte aus:
Die Verurteilung des Klägers vom 6. Oktober 2006 begründe den Ausweisungstatbestand des § 53 Nr. 2 AufenthG. Weil der Kläger aber besonderen Ausweisungsschutz genieße, könne er nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen werden. Diese Gründe seien in der Regel in den Ausweisungsfällen des § 53 AufenthG gegeben, was auch im Fall des Klägers gelte. Durch sein Verhalten habe der Kläger schwerwiegende Belange der öffentlichen Sicherheit und Ordnung erheblich beeinträchtigt, denn die Art und Schwere seiner Straftaten lasse auf eine erhebliche kriminelle Energie schließen. Es entspreche dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, bei Verurteilungen wegen besonders schwerer Straftaten an die Wahrscheinlichkeit weiterer Straftaten nur geringe Anforderungen zu stellen und einen spezialpräventiven Anlass für die Ausweisung schon anzunehmen, wenn nur eine entfernte Möglichkeit weiterer Straftaten bestehe. Hierzu zähle auch der Handel mit Rauschgiften wie Heroin und Kokain. Unter Berücksichtigung der besonderen Gemeingefährlichkeit des illegalen Rauschgifthandels, insbesondere vor dem Hintergrund der immer noch sehr hohen Zahl von Todesfällen in der Drogenszene und der Schwierigkeit seiner Bekämpfung sowie der Erhaltung der Gesundheit der Bevölkerung und der Vermeidung von Folgeschäden für die Allgemeinheit, bestehe ein erhebliches öffentliches Interesse an der Vermeidung weiterer Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz.
Diese habe der Kläger begangen, indem er sich an dem professionellen Handel mit Marihuana und Kokain in nicht unerheblicher Weise beteiligt habe. Dabei falle insbesondere die Menge des von ihm umgesetzten Kokains, die das Maß einer nicht geringen Menge um ein Vielfaches überschritten habe, beträchtlich ins Gewicht. Erschwerend komme hinzu, dass der Kläger als Nichtabhängiger das Kokain nicht für den Eigenbedarf erworben, sondern aus Gewinnsucht gehandelt habe. Er habe sich mit dem Drogenhandel eine ständige Einnahmequelle verschaffen wollen und auf diese Weise mindestens 3.700 Euro erlangt.
Ein atypischer Fall, der es aufgrund bestimmter Umständen in der Person des Täters oder in der Tat ermögliche, von der Regelvermutung des § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG abzusehen, lasse sich weder dem Werdegang des Klägers noch den Einzelheiten der von ihm begangenen Taten entnehmen. Das Strafgericht habe nur im Fall der zweiten Straftat einen minder schweren Fall angenommen und sei in allen übrigen Fällen von dem Regelstrafrahmen ausgegangen. Insoweit unterscheide sich das Handeln des Klägers nicht von vielen anderen Fällen, in denen Ausländer in die Drogenkriminalität abglitten.
Die Ausweisung des Klägers sei aber auch aus generalpräventiven Gründen gerechtfertigt. Rauschgiftdelikte wiesen eine schwerwiegende Sozialschädlichkeit auf und gefährdeten in zunehmenden Maßen die körperliche und geistige Gesundheit insbesondere jugendlicher Bevölkerungskreise. Das Grundrecht auf Leben und Gesundheit gehöre zu den von der Verfassung und den Gesetzen besonders geschützten Rechtsgütern. Die Bekämpfung des illegalen Handels mit Betäubungsmitteln habe daher wegen der schwerwiegenden Gefahren einen hohen Rang und erfordere in den Grenzen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ein möglichst kontinuierliches Vorgehen der Ordnungsbehörden. Es bestehe aus diesem Grund ein dringendes Bedürfnis, andere Ausländer von Rechtsverstößen der genannten Art abzuschrecken und zur Einhaltung der Rechtsnormen anzuhalten. Dieses sei nur dann zu gewährleisten, wenn Ausländer wüssten, dass ihnen bei einem Verstoß gegen die Rechtsordnung die Ausweisung drohe.
Eine Befristung der Wirkung der Ausweisung könne auf Antrag des Ausländers vorgenommen werden und liege im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde.
Der Kläger hat am 22. Februar 2007 Klage erhoben.
Er vertritt die Auffassung, dass seine Ausweisung im Hinblick auf den besonderen Ausweisungsschutz des § 56 Abs. 1 AufenthG nicht zulässig sei. Es könne offen bleiben, ob in seinem Fall überhaupt ein die Ausweisung rechtfertigender schwerwiegender Grund der öffentlichen Sicherheit und Ordnung vorliege. Jedenfalls müsse eine Ausnahme von der Ausweisungsregel gemacht werden, weil er nur einmalig gegen das Betäubungsmittelgesetz verstoßen habe und im Strafverfahren geständig gewesen sei, wobei er die zuletzt bestraften Taten zutiefst bereut und sich ansonsten gesetzeskonform verhalten habe. Bis auf eine im Jahre 1997 nach Jugendstrafrecht geahndete Körperverletzung sei er zuvor im Bundesgebiet nicht aufgefallen, obwohl er als Jugendlicher in einem Alter in das Bundesgebiet einreist sei, in welchem im Normalfall mit nicht unerheblichen Anpassungsschwierigkeiten gerechnet werden müsse. Zudem sei er nach dem Besuch der Berufsschule ausweislich des vorgelegten Versicherungsverlaufs in der Zeit von September 1997 bis Dezember 2004 als Arbeitnehmer erwerbstätig gewesen.
Seine gesamte, aus seinen Eltern und vier Geschwistern bestehende Kernfamilie lebe im Bundesgebiet. Mit seiner Familie habe er seit seiner Inhaftierung wieder einen engen Umgang, nachdem dieser zu dem Zeitpunkt, als er die Rauschgiftdelikte begangen habe, gestört gewesen sei. Sein älterer Bruder, O. B., sei der Geschäftsführer eines Bistros und habe ihm einen unbefristeten Arbeitsvertrag als Servicekraft mit einem Monatsverdienst von 1.800 Euro für die Zeit nach der Haftentlassung angeboten.
Schließlich sei auch nicht belegt, dass die Abschiebung aus generalpräventiven Gründen erforderlich sei. Die Ausführungen im angefochtenen Bescheid ließen vielmehr erkennen, dass augenscheinlich die Ausweisungspraxis der Beklagten nichts daran ändere, dass die von ihr zur Rechtfertigung ihrer Ausweisung angeführte Abschreckungswirkung nicht greife. Im Übrigen habe das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 10. August 2007 - 2 BvR 535/06 - darauf hingewiesen, dass bei generalpräventiv motivierten Ausweisungen, die ihren Anlass im Bereich der Drogenkriminalität fänden, im Grundsatz nichts Anderes als bei der Würdigung der von einem Ausländer künftig ausgehenden Gefahren im Rahmen spezialpräventiv motivierter Ausweisungen gelte, es also nicht genüge, das Gewicht des für eine Ausweisung sprechenden öffentlichen Interesses allein anhand der Typisierung des Aufenthaltsgesetzes bildenden Straftaten in der Ausweisungsvorschriften des Aufenthaltsgesetzes zu bestimmen. Allein der Umstand, dass er erheblich gegen Strafvorschriften des Betäubungsmittelgesetzes verstoßen habe, rechtfertige daher noch nicht seine generalpräventive Ausweisung.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 18. Januar 2007 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen
und nimmt auf die Begründung der Ausweisungsverfügung in dem angefochtenen Bescheid Bezug.
Die Kammer hat eine Auskunft aus dem Zentralregister bei dem Bundesamt für Justiz vom 10. Juni 2008 (Bl. 57 ff. der Gerichtsakte) eingeholt. Diese weist aus, dass der Kläger über die oben genannten Bestrafungen hinaus am 3. Juli 2007 von dem Amtsgericht C. im Verfahren P. wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln (Haschisch) mit dem Tatzeitpunkt des 16. April 2007 mit einer Geldstrafe von fünf Tagessätzen bestraft worden ist.
Dem Kläger ist mit Verfügung vom 28. Mai 2008 aufgegeben worden, Fragen zu seinen persönlichen Beziehungen und seinem Werdegang in der Bundesrepublik Deutschland in der Zeit nach der Verurteilung vom 6. Oktober 2006 zu beantworten. Wegen der Beantwortung der Verfügung wird auf die schriftsätzlichen Erklärungen vom 13. Juni 2008 (Bl. 64 f. der Gerichtsakte) und die Sitzungsniederschrift vom 17. Juni 2008 verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts nimmt das Gericht auf den Inhalt der Gerichtsakte 6 A 1114/07, der Verwaltungsvorgänge der Beklagten (Beiakten A und C) sowie der Strafverfahrensakte der Staatsanwaltschaft C. - N. - (Beiakte B) Bezug. Der Inhalt dieser Akten war Gegenstand der mündlichen Verhandlung vom 17. Juni 2008.
Gründe
Die Klage ist nicht begründet.
Der Bescheid der Beklagten vom 18. Januar 2007 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger daher nicht in seinen Rechten.
Die Ausweisung des Klägers, deren Rechtmäßigkeit gemäß § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO nach Maßgabe der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts zu beurteilen ist (BVerwG, Urt. vom 15.11.2007 - BVerwG 1 C 45.06 - NVwZ 2008 S. 434 ff.), findet ihre Rechtsgrundlage in den speziellen Regelungen des § 56 Abs. 1 AufenthG, denn der Kläger genießt gemäß § 56 Abs. 1 Nr. 1 AuslG als Ausländer, der im Besitz einer Niederlassungserlaubnis ist und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat, besonderen Ausweisungsschutz.
Nach § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG wird ein erwachsener Ausländer, der besonderen Ausweisungsschutz genießt, nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen, wobei schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nach § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG tatbestandsmäßig in der Regel im Fall eines Ausweisungstatbestandes des § 53 AufenthG vorliegen.
Ein solcher Tatbestand der Regelausweisung bei besonderem Ausweisungsschutz ist im Fall des Klägers erfüllt, denn der Kläger ist am 6. Oktober 2006 wegen vier vorsätzlicher Straftaten nach dem Betäubungsmittelgesetz (BTMG) zu einer (Gesamt-) Freiheitsstrafe verurteilt und die Vollstreckung der Strafe ist nicht zur Bewährung ausgesetzt worden. Dass das Landgericht C. die Vollstreckung des Strafrestes mit Beschluss vom 21. April 2008 - Q. - gemäß § 57 Abs. 1 StGB zur Bewährung ausgesetzt hat, ändert an dem Ausweisungstatbestand nichts, denn der Wortlaut des § 53 Nr. 2 AufenthG stellt allein auf eine Aussetzung zur Bewährung bei der Verurteilung des Ausländers, nicht aber auf Entscheidungen der Gerichte während der Verbüßung der Freiheitsstrafe ab.
31Ein von dem Regeltatbestand des § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG abweichender Sachverhalt liegt nicht vor. Die im Gesetz mit der Beschreibung €in der Regel€ eröffnete Möglichkeit, von der tatsächlichen Annahme des Vorliegens schwerwiegender Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung (auch) in den Fällen der schweren Betäubungsmittelkriminalität abzuweichen, ermöglicht es, das Tatbestandsmerkmal des § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG unter Anwendung eines Regel-Ausnahme-Prinzips einzelfallbezogen zu korrigieren. Das bedeutet, dass ein Ausweisungsregeltatbestand des § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG nur dann nicht gegeben ist, wenn ein Ausnahmefall sowohl im Hinblick auf spezialpräventive wie auch auf generalpräventive Gründe der Ausweisung des Ausländers vorliegt (VGH Mannheim, Beschluss v. 20.11.2007 - 11 S 2364/07 -, InfAuslR 2008 S. 81, 83). Dagegen betrifft die einzelfallbezogene Berücksichtigung besonderer persönlicher Umstände im Leben und Verhalten des Ausländers, welche seine Ausweisung im Hinblick
auf die mit ihr verfolgten Ziele als unverhältnismäßig erscheinen lassen, den Vorgang der Abwägung zwischen dem Gewicht der rechtlich geschützten Interessen des Ausländers einerseits und dem Gewicht der mit der Ausweisungsverfügung verfolgten öffentlichen Interessen andererseits. Sie hat daher erst bei der Anwendung der in § 56 Abs. 1 Satz 4 AufenthG normierten Rechtsfolge der Ausweisungsvorschrift stattzufinden, also im Rahmen der Prüfung, ob angesichts des Vorliegens eines Ausweisungstatbestands des § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG konkret ein Regelfall der zu verfügenden Ausweisung vorliegt (ebenso: VGH Mannheim, a.a.O., S. 83; OVG Münster, Beschluss v. 17.02.2000 - 18 B 101/00 - InfAuslR 2000 S. 383, 384).
33Dieser, durch die Gesetzestechnik vorgegebene getrennte Prüfung zunächst der Tatbestands- und sodann der Rechtsfolgenseite der Norm stehen die Gründe der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 10. Mai 2007 - 2 BvR 304/07 - (InfAuslR 2007 S. 275 ff.) und 10. August 2007 - 2 BvR 535/06 - (InfAuslR 2007 S. 443 ff., AuAS 2008 S. 2 ff.) nicht entgegen. Vielmehr hat das Bundesverfassungsgericht in dem Beschluss vom 10. August 2007 (a.a.O.) ausdrücklich hervorgehoben, dass die Ausweisungsvorschriften der §§ 53 ff. AufenthG mit dem System der sog. Ist-, Regel- und Kann-Ausweisungen den Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit von Ausweisungen grundsätzlich in ausreichender Weise Rechnung tragen. Insbesondere hat das Bundesverfassungsgericht nicht die generalpräventive Zielsetzung einer Ausweisung zur Begründung eines Regelfalles des § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG für unzulässig erklärt, sondern nur hervorgehoben, dass in den Fällen besonderen Ausweisungsschutzes sowohl bei general- wie auch spezialpräventiv motivierten Ausweisungen, die ihren Anlass im Bereich der Drogenkriminalität finden, die Umstände der begangenen Tat sowie die persönlichen Verhältnisse des Ausländers sorgfältig von Amts wegen ermittelt und gewürdigt werden müssen, was regelmäßig die Einsicht in die Strafakten ebenso unerlässlich macht wie genaue Feststellungen zu den Bindungen des Betroffenen an die Bundesrepublik Deutschland und an seinen Heimatstaat (BVerfG, Beschluss vom 10.8.2007, a.a.O.). Denn dies ist Voraussetzung für eine gründliche und einzelfallbezogene Abwägung der widerstreitenden Interessen im Rahmen der Beurteilung, ob von der Ausweisungsregel nach § 56 Abs. 1 Satz 4 AufenthG abgewichen werden muss. Danach ist es entgegen der von dem Kläger vertretenen Auffassung nicht unzulässig, im Ergebnis entscheidend auf die Schwere der begangenen Straftat und die abschreckenden Wirkung der Ausweisung abzustellen. Unzulässig ist es vielmehr, die Ausweisungsvorschriften unter Hinweis auf das Regel- Ausnahme-System schematisch anzuwenden, die im Einzelfall gegen eine Ausweisung sprechenden Gründen aus dem Verhalten und den Lebensumständen des Ausländers ganz auszublenden oder mit Hinweis auf die Möglichkeit einer nachträglichen Befristung der Ausweisung nicht ausreichend zu würdigen (BverfG, Beschlüsse vom 10.5.2007 und 10.8.2007, a.a.O.).
Auch in diesem Zusammenhang gilt aber weiterhin der Grundsatz, dass sich die Worte €in der Regel€ im System der Rechtsgrundlagen für Aufenthaltstitel sowie der Ausweisungstatbestände nach ständiger Rechtsprechung auf Regelfälle beziehen, die sich nicht durch besondere Umstände von der Menge gleich liegender Fälle unterscheiden. Ausnahmefälle sind demgegenüber durch atypische Umstände gekennzeichnet, die so bedeutsam sind, dass sie das sonst ausschlaggebende Gewicht der gesetzlichen Regel beseitigen, wobei sich ein Ausnahmefall auch aus der Bedeutung eines höherrangigen Rechts oder Vorschriften der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten - EMRK - ergeben kann (BVerwG, Urteil vom 23.10.2007 - BVerwG 1 C 10.7 -, AuAS 2008 S. 28 f., m.w.N.).
Die Ausweisung des Klägers durfte danach sowohl auf spezial- wie auch auf generalpräventive Gründe gestützt werden. Die Einzelheiten der von dem Kläger begangenen Straftaten, sein Verhalten im Strafverfahren und im Strafvollzug sowie seine Lebensumständen vor und nach der Inhaftierung wegen des Betäubungsmitteldelikts lassen keine Umstände erkennen, die eine Abweichung von dem Regeltatbestand des § 56 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. Satz 2 AufenthG rechtfertigen könnten.
Das gilt zunächst für die im Hinblick auf die verwirklichten Straftaten im Zusammenhang mit Rauschgiftdelikten als schwerwiegenden Grund der öffentlichen Sicherheit und Ordnung anzusehende spezialpräventive Zielsetzung der Ausweisung des Klägers:
Die Beklagte hat in der Begründung des angefochtenen Bescheides zutreffend darauf hingewiesen, dass der Kläger bei den vier selbständigen Straftaten eine erhebliche kriminelle Energie entwickelt hat, die darauf gerichtet war, sich mit dem Rauschgifthandel eine einträgliche Einnahmequelle zu verschaffen. Er selbst hat dabei die treibende Kraft zum Abschluss der Drogengeschäfte entwickelt, denn die Angebote zum Verkauf von Kokain und Marihuana in der Gaststätte und der Wohnung des Zeugen R. gingen nicht von den Zeugen oder Endabnehmern, sondern von ihm aus. Auch die bei dem Zeugen R. aufgegebene Bestellung von 100 Gramm Kokain, welches der Kläger gewinnbringend an künftige Abnehmer in München verkaufen wollte, ging von dem Kläger aus. In seinem Geständnis vom 6. Oktober 2006 heißt es insoweit, dass er versucht habe, in das Kokain-Geschäft zu kommen, dass er aber in München keinen konkreten Kontakt (zu eventuellen Abnehmern) gehabt habe. Diese erhebliche kriminelle Energie und das mit ihr verbundenen Gewinnstreben gewinnt in Bezug auf die von dem Kläger ausgehende Gefahr eines erneuten Rückfalls in die Rauschmittelkriminalität besonderes Gericht vor dem Hintergrund, dass der Kläger weiterhin ohne ein eigenes Einkommen aus legaler Erwerbstätigkeit ist, sondern wie schon im Zeitraum der von ihm begangenen Betäubungsmitteldelikte seinen Lebensunterhalt als öffentlichen Leistungen bestreiten muss und gegenwärtig auch keine Perspektive einer eigener Sicherung des Lebensunterhalts darlegen kann. Die von ihm noch während der Zeit der Strafhaft vorgetragene Möglichkeit einer Beschäftigung in dem Bistro seines älteren Bruders O. B. ist nach seiner Erklärung im Schriftsatz vom 13. Juni 2008 und in der mündlichen Verhandlung gegenstandslos geworden. Auch vor seiner Inhaftierung am 4. August 2006 hat der Kläger keine nachhaltigen Möglichkeiten einer eigenen Sicherung des Lebensunterhalts entwickelt. Sein Vortrag, wonach er nach dem Besuch der Berufsschule ausweislich des vorgelegten Versicherungsverlaufs in der Zeit von September 1997 bis Dezember 2004 als Arbeitnehmer erwerbstätig gewesen sei, lässt sich objektiv nicht nachvollziehen. Denn der Kläger hatte nicht die Berufsschule besucht und zugleich eines Berufsausbildung aufgenommen. Vielmehr folgt aus dem Tatbestand des Urteils des Amtsgerichts C. vom 9. Januar 1998 - J. -, dass der Kläger im Jahr 1997 das Berufsvorbereitungsjahr an einer berufsbildenden Schule in C. beendet hatte, ohne einen Abschluss zu erreichen. Daran anschließend waren die Zeiten vorübergehender versicherungspflichtiger Tätigkeiten immer wieder durch längere Zeiten der Beschäftigungslosigkeit unterbrochen, und nach dem 28. Februar 2002 war der Kläger im Wesentlichen bis auf zwei mehrwöchige Beschäftigungszeiträume ohne Beschäftigung (vgl. Versicherungsverlauf Bl. 35 der Gerichtsakte).
Diese ungünstige soziale Ausgangslage, in welcher der Kläger nach der Verbüßung seiner Freiheitsstrafe nicht auf bestimmte im Arbeitsleben geknüpfte Kontakte sowie aktuelle Arbeitserfahrungen zurückgreifen kann, wird nicht dadurch ausgeglichen, dass der Kläger nach Auffassung der Beklagten in dem angefochtenen Bescheid im Zeitpunkt der Straftaten nicht selbst drogenabhängig war. Denn diese Auffassung ist nach Überzeugung der Kammer nicht zutreffend. Vielmehr geht die Kammer davon aus, dass von dem Kläger zukünftig auch eine Gefahr der erneuten Verwicklung in den Drogenhandel im Zusammenhang mit eigener Abhängigkeit ausgeht. Zwar hat das Amtsgericht C. den Kläger im Zeitpunkt der Hauptverhandlung nicht als betäubungsmittelabhängigen Täter behandelt (vgl. §§ 35 ff. BTMG). Für seine Abhängigkeit von Betäubungsmitteln sprechen aber zunächst die im Strafverfahren festgestellten Tatsachen. Der Zeuge R. hat bei seinen verantwortlichen Vernehmungen als Beschuldigter im Ermittlungsverfahren am 22. November 2005 (Bl. 61 Beiakte B) anlässlich der Identifizierung des Klägers erklärt, dass dieser durch den erheblichen Konsum von Betäubungsmitteln anders als auf dem Polizeifoto aussähe. Damit nahm der Zeuge auf seine Aussage vom 27. Juli 2005 (Bl. 18 Beiakte B) Bezug, in der er erklärt hatte, dass der Kläger €jetzt total verbraucht oder abgewrackt aussieht€ und dieser seines Wissens €voll auf harten Drogen€ sei. Auch in der Hauptverhandlung vor dem Schöffengericht hat der Zeuge R. über den Kläger ausgesagt: €Er war total fertig und sah schlimm aus.€ (Bl. 163R Beiakte B). Dies deckt sich mit der Aussage des Zeugen S.: €Der Angeklagte sah manchmal sehr fertig aus.€ (Bl. 165R Beiakte B). Auch die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts C. geht davon aus, dass der Kläger dringend einer stationären Therapie seiner Drogenabhängigkeit bedarf. Nur unter dieser Voraussetzung und untrennbar verbunden mit der in dem Beschluss vom 21. April 2008 - Q. - erteilten Weisung an den Kläger, sich unmittelbar nach seiner Haftentlassung in die im Beschlussausspruch genannte Einrichtung zu begeben und die Therapie dort nur mit Zustimmung der Kammer zu beenden, hat das Landgericht die Sozial- und Legalprognose als €eher günstig€ angesehen (Seite 6 des Beschlussabdrucks).
Dass der Kläger dieser Weisung uneingeschränkt nachkommen wird, ist aber zum gegenwärtig Zeitpunkt völlig offen, zumal der Kläger in seiner Klagebegründung vom 10. August 2007 (Bl. 28 der Gerichtsakte) vortragen lässt, nicht drogenabhängig zu sein und dass dies auch in der Vergangenheit nicht Fall gewesen sei. Danach spricht mehr gegen als für die Annahme, dass sich der Kläger uneingeschränkt einer stationären Drogentherapie stellen wird. Denn auch in der mündlichen Verhandlung war festzustellen, dass der Kläger seine Verantwortung für die der Bestrafung durch das Amtsgericht C. zugrunde liegende Tat des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln während der Strafhaft leugnet, was sich mit dem Inhalt des im Beschluss des Landgerichts C. vom 21. April 2008 wiedergegebenen Berichts der Justizvollzugsanstalt C. vom 17. Januar 2008 deckt, wonach der Kläger auch während des Vollzugs keinerlei Bereitschaft zur Mitwirkung an der Aufarbeitung seiner Suchtmittelproblematik gezeigt und im Übrigen auch seine Beteiligung an den am 6. Oktober 2006 bestraften Taten bestritten hat. Unter diesen Voraussetzungen ist das Verwaltungsgericht bei der Abschätzung des Bestehens einer Wiederholungsgefahr auch nicht an die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts C. vom 21. April 2008, die Vollstreckung der Reststrafe zur Bewährung auszusetzen, gebunden (vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 18.1.2007 - 10 ME 44/07 -, NVwZ-RR 2007 S. 348 ff.). Denn das Landgericht C. hat seine Erwartung eines zukünftig straffreien Verhaltens des Klägers ausdrücklich an den Erfolg der ihm auferlegten stationären Suchttherapie geknüpft (Seite 3 des Beschlussabdrucks), was möglicherweise im Rahmen der Erprobung nach § 57 Abs. 1 Satz 1 StGB für die unter Nebenbestimmungen verfügte Aussetzung des Strafrests ausreicht, dagegen aber nichts an den für die Legalprognose ungünstigen persönlichen Lebensumständen und Einstellungen des Klägers ändert.
Die von dem Kläger behauptete Annäherung an seine in Deutschland lebenden Familienangehörigen allein kann die Annahme einer begründeten Wiederholungsgefahr nicht entscheidend ausräumen. Dass und in welcher Form die Wiederaufnahme eines engeren Kontakts zu seinen Eltern und Geschwistern den Kläger bei der Lösung von der Suchtmittelproblematik und der Gefahr eines weiteren Rückfalls in nach dem BTMG strafbare Handlungen unterstützen könnte, hat der Kläger nicht offenbart. Insoweit lassen seine Ausführungen zur Beantwortung der gerichtlichen Hinweisverfügung vom 28. Mai 2008, die sich im Wesentlichen darauf beschränken, dass er €guten Kontakt€ zu seinen Eltern hat und jetzt bei seiner Mutter wohnt, keine Umstände erkennen, aus denen sich ableiten ließe, dass sich der Kläger jetzt im Unterschied zu seiner Situation bei der Begehung der Betäubungsmitteldelikte in grundlegend veränderten persönlichen Beziehungen zu seinen Familienangehörigen befände. Eine Distanzierung zu seinem jüngeren Bruder T. B., der ebenfalls in den strafbaren Handel mit Betäubungsmittel verwickelt war, ist ebenfalls nicht erfolgt. Vielmehr hat der Kläger zur Existenz dieses (zweiten) Bruders im Schriftsatz vom 13. Juni 2008 nichts ausgeführt, sondern vorgetragen, seine Kernfamilie bestehe aus seinen Eltern, seinen Schwestern und seinem Bruder, womit der ältere Bruder O. B. gemeint war. T. B. war aber ausweislich der Ermittlungsakte (Bl. 93 Beiakte B) im Jahre 2005 wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge rechtskräftig verurteilt worden und soll auch bei der Aushändigung einer Probe des Kokains durch den Zeugen R. anwesend gewesen sein. Unter diesen Umständen gewinnen die wieder aufgenommenen Beziehungen zu den Familienangehörigen in C. keine entscheidende Bedeutung, die gegen eine Wiederholungsgefahr spräche.
Das Geständnis des Klägers vom 6. Oktober 2006 gewinnt ebenfalls keine entscheidende Bedeutung vor dem Hintergrund der von der Ausweisung abzuwehrenden Gefahr wiederholter Straftaten nach dem BTMG. Zwar hat der Kläger in der Hauptverhandlung vor dem Schöffengericht sein Schweigen dadurch gebrochen, dass er mit einer Erklärung seines Verteidigers am 6. Oktober 2006 ein Geständnis abgelegt hat, nachdem zuvor am 4. Oktober 2006 die Beweisaufnahme durchgeführt worden war und ihr Ergebnis die wesentlichen Vorwürfe der Anklage bestätigt hatte. Allerdings hat der Kläger im Anschluss an das Geständnis keine plausible Stellungnahme zu seinen Taten abgegeben, sondern lediglich erklärt: €Das war eine Verarschung von schlechten Menschen.€ Ein €zutiefstes Bereuen€, wie es der Kläger in der Klagebegründung darstellt oder zumindest eine Einsicht in die Unrechtmäßigkeit und Sozialschädlichkeit seines Verhaltens lässt sich dieser Erklärung nicht entnehmen. Entsprechendes lässt sich auch nicht aus seinem Verhalten im Strafvollzug ableiten. Vielmehr wird der Kläger auch in dem Bericht der Justizvollzugsanstalt C. vom 17. Januar 2008 als eine Persönlichkeit beschrieben, die einerseits durch Nichteinhalten von Regeln im Strafvollzug, Verweigerung zugewiesener Arbeit, fehlende Bereitschaft zur Mitwirkung am Erfolg des Vollzugs, an schulischer und beruflicher Weiterbildung und an innervollzuglichen Behandlungs- und Freizeitangeboten aufgefallen ist und andererseits keine Einsicht in eigenes Fehlverhalten erkennen lässt.
Angesichts der Schwere der von dem Kläger begangenen und mit dem Urteil vom 6. Oktober 2006 bestraften Straftaten muss danach mit guten Gründen befürchtet werden, dass von ihm erneute schwerwiegende Gefahren für die öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgehen. Anderes wäre anzunehmen, wenn nur die entfernte Möglichkeit einer Wiederholung schwerer Straftaten bestünde (vgl. BVerwG, Urt. vom 5.5.1998 - 1 C 17/97 -, NVWZ 1999 S. 425, 426). Das lässt sich aber angesichts der dargestellten, insgesamt ungünstigen Umständen in den Lebensverhältnissen und im Verhalten des Klägers nach Überzeugung der Kammer keinesfalls annehmen. Vielmehr wird die Einschätzung eher ungünstiger Aussichten für ein künftig straffreies Verhalten des Klägers dadurch bestätigt, dass sich der Kläger von dem unerlaubten und strafrechtlich bewehrten Besitz von Betäubungsmitteln selbst in der Zeit seiner Strafhaft nicht lösen konnte, wie die Bestrafung durch das Amtsgericht C. vom 3. Juli 2007 wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln zeigt.
Davon unabhängig stellt auch die generalpräventive Zielsetzung der Ausweisungsverfügung vom 18. Januar 2007 einen schwerwiegenden Grund der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Sinne von § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG dar. Auch insoweit sind Umstände, die so bedeutsam wären, dass sie die generalpräventive Zielsetzung der zur Regel-Ausweisung herabgestuften Maßnahme im vorliegenden Fall in Zweifel ziehen könnten, nicht ersichtlich. Die Taten, wegen derer der Kläger bestraft worden ist, bleiben in ihrer Bedeutung nicht hinter den von den Strafandrohungen der §§ 29 und 29a BTMG erfassten Fällen der schweren Kriminalität des Drogenhandels zurück. Das ergibt sich bereits daraus, dass das Amtsgericht C. die Taten des Klägers jeweils als besonders schweren Fall im Sinne von § 29 Abs. 3 BTMG und zugleich qualifizierten Fall des § 29a Abs. 1 BTMG wegen unerlaubten Handeltreibens in nicht geringer Menge einordnen musste und dabei nur in einem Fall (Nr. 2) auf das Vorliegen eines minderschweren Falles im Sinne von § 29a Abs. 2 BTMG erkannt hat. Demzufolge hat das Amtsgericht den von einem bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe gesetzten Strafrahmen mit der gebildeten Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren und 6 Monaten zur Hälfte ausgeschöpft und damit deutlich gemacht, dass den zu den Fällen schwerer Kriminalität zählenden Straftaten des Klägers keine geminderte Bedeutung zukommt. Gründe, die nach den §§ 31 ff. BTMG typischerweise eine Strafmilderung, ein Absehen von der Strafverfolgung oder eine Strafaussetzung zur Bewährung rechtfertigen könnten, lagen im Zeitpunkt der Strafverfolgung des Klägers nicht vor. Insoweit unterscheiden sich die von dem Kläger verwirklichten Umstände des Ausweisungstatbestandes des § 53 Nr. 2 AufenthG nicht von dem Sachverhalt, den der Gesetzgeber im Fall des Vorliegens eines besonderen Ausweisungsschutzes in § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG als Regelfall einer generalpräventiv begründeten Ausweisung ansieht, was sich angesichts der von dem unerlaubten Umgang mit Betäubungsmitteln ausgehenden schwerwiegenden Gefahren für die Allgemeinheit grundsätzlich von Verfassung wegen nicht beanstanden lässt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 18.7.1979 - 1 BvR 650/77 - BVerfGE 50 S. 166, 175 f.; Beschluss vom 17.1.1979 - 1 BvR 241/77 - BVerfGE 51 S. 386, 397).
Den Kläger bezüglich der Schwere seiner Taten entlastende Umstände, welche die abschreckende Wirkung der Ausweisungsverfügung mindern könnten, sind nach gründlicher Durchsicht der Akten des Ermittlungs- und Strafverfahrens nicht erkennbar und von dem Kläger weder im Strafverfahren, noch im vorliegenden Klageverfahren substantiiert vorgebracht worden. Auch insoweit muss zu Lasten des Klägers berücksichtigt werden, dass er keine vereinzelte Tat begangen hat, sondern über einen längeren Zeitraum im unerlaubten Handel mit Betäubungsmitteln engagiert war. Es war auch keine Notsituation, sondern das Gewinnstreben als typische Kraft des Drogenhandels, das ihn dazu veranlasste, die Angebote zum Verkauf von Kokain und Marihuana in der Gaststätte und der Wohnung des Zeugen R. selbst abzugeben. Zielrichtung der Generalprävention ist jedoch die Unterbindung des unerlaubten Handeltreibens durch Ausländer.
Das Ziel der Generalprävention wird schließlich auch nicht durch das Geständnis des Klägers in Frage gestellt, denn das Geständnis bezieht sich ausschließlich auf die Tatvorwürfe in der Anklageschrift und ist in Gestalt einer Erklärung des Verteidigers des Klägers abgegeben worden, ohne dass der Kläger darüber hinaus umfassend zu einer Aufklärung des Sachverhalts beigetragen hätte. Das zeigt sich auch hier in seiner Äußerung €Das war eine Verarschung von schlechten Menschen€ und der Erklärung seines Verteidigers, der Kläger habe nicht früher aussagen wollen, weil er sich €verarscht€ gefühlt habe. Diese nicht näher erläuterte Erklärung lässt nicht vermuten, dass das Geständnis des Klägers aus eigener Überzeugung heraus abgegeben worden ist, sondern dass der Kläger weiterhin anderen die Schuld dafür geben wollte, dass es zu einem Strafverfahren gegen ihn gekommen war. Hierfür spricht auch die Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt C. vom 17. Januar 2008, in der es heißt, dass der Kläger die Straftaten €beharrlich leugnet€ (Seite 4 des Abdrucks des Beschlusses des Landgerichts C. vom 21.4.2008, Beiakte C).
Schließlich lässt sich die abschreckende Wirkung der Ausweisung auch nicht mit dem Argument, dass gegenwärtig eine Abschiebung des Klägers in den Irak an tatsächlichen Hindernissen scheitert, entkräften. Einerseits kann die Ausweisung ihre Wirkung, den Kläger auf Dauer vom Bundesgebiet fernzuhalten, auch nach einer freiwilligen Ausreise erreichen. Andererseits können sich die Abschiebungsmöglichkeiten jederzeit ändern. Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass der Erlass des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport vom 29. März 2007 - 42.15-12231/3-6 IRQ - (n.v.) schon jetzt im Einklang mit der von der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren am 16./17. November 2006 getroffenen Vereinbarung Rückführungen für solche Personen vorsieht, die aus den nach dem Ende des 2. Golfkrieges und dem anschließenden Kurdenaufstand von den Parteien KDP und PUK faktisch autonom verwalteten Teilen der Provinzen Dohuk, Erbil und Sulaimaniya stammen, wenn sie im Bundesgebiet rechtskräftig wegen einer oder mehrerer Straftaten zu insgesamt mehr als 50 Tagessätzen verteilt worden sind oder die innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährden. Insoweit ist es nicht grundsätzlich ausgeschlossen, dass demnächst nach entsprechenden Vereinbarungen der Bundesrepublik Deutschland mit der Republik Irak auch Rückführungen in die benachbarte Provinz At-Tamim, aus der der Kläger stammt, stattfinden.
Schließlich durfte die Beklagte den Kläger auch gemäß § 56 Abs. 1 Satz 4 AufenthG als Regelfall eines auszuweisenden Täters einer vorsätzlichen Straftat nach dem BTMG (§ 53 Nr. 2 AufenthG) ansehen und ihn ausweisen, ohne damit in unverhältnismäßiger Weise seine persönlichen (Bleibe-) Interessen des Klägers außer Acht gelassen zu haben:
Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 10. Mai 2007 - 2 BvR 304/07 - (a.a.O.) ist im Rahmen der Interessenabwägung nach § 56 Abs. 1 Satz 4 AufenthG einerseits zu prüfen, ob sich der von der Ausweisung bedrohte Ausländer auf familiäre Bindungen im Bundesgebiet berufen kann, die nach Art. 6 Abs. 1 GG in Gestalt einer tatsächlich gelebten gegenseitigen Beistands- und Schutzgemeinschaft schutzwürdig wären, was der Kläger aber - wie bereits ausgeführt - nicht dargelegt hat. Andererseits hat das Bundesverfassungsgericht auch verlangt, dass bei der Prüfung von Ausweisungsverfügungen dem von Art. 8 Abs. 1 EMRK gleichermaßen geschützten Recht auf Achtung des Privatlebens Beachtung geschenkt wird. Dabei hat das Bundesverfassungsgericht (a.a.O.) unter Hinweis auf die Rechtsprechung des EGMR den Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 EMRK dahingehend umschrieben, dass das Recht auf Achtung des Privatlebens die Summe der persönlichen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Beziehungen umfasst, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind und denen angesichts der zentralen Bedeutung dieser Bindungen für die Entfaltung der Persönlichkeit eines Menschen bei fortschreitender Dauer des Aufenthalts wachsende Bedeutung zukommt. Ergeben die Feststellungen zu den Bindungen des Betroffenen an die Bundesrepublik Deutschland und an seinen Heimatstaat, dass eine Verwurzelung in die Lebensverhältnisse im Bundesgebiet vorliegt, müssen das Gewicht des langjährigen Aufenthalts des Ausländers im Bundesgebiet, seiner Integration in die deutsche Gesellschaft, auch soweit sie keinen familiären Bezug hat, und das substantiiert vorgetragenen Fehlen tatsächlicher Bindungen an den Staat seiner Staatsangehörigkeit im Rahmen der Prüfung, ob eine von der Ausweisungsregel abweichender Sachverhalt vorliegt, berücksichtigt werden (BVerfG, Beschluss vom 10.8.2007, a.a.O. InfAuslR 2007 S. 445, AuAS 2008 S. 3). Das gilt insbesondere dann, wenn die schutzwürdigen Bindungen des Ausländers im Bundesgebiet nicht vollständig von dem Katalog des besonderen Ausweisungsschutzes in § 56 Abs. 1 Satz 1 AufenthG erfasst werden, wie dieses beispielsweise bei Ausländern der Fall ist, die seit ihrer Geburt in Deutschland leben (BVerfG, Beschluss vom 10.5.2007, a.a.O.) oder als Bürger der Europäischen Union in Deutschland geboren sind (BVerwG, Urteil vom 23.10.2007, a.a.O, S. 30).
In diesem Sinne schutzwürdige Bindungen an die Bundesrepublik Deutschland hat der Kläger bisher nur in Gestalt des persönlichen Kontakts zu seinen in C. lebenden Eltern und erwachsenen Geschwistern entwickelt. Dabei lässt es sich aber nicht feststellen, dass diese Beziehungen über reine Begegnungen hinausgingen, wie sie unter verwandten Erwachsenen üblich sind. So hatte der Kläger vor seiner Inhaftierung keine erkennbaren Beziehungen zu seinen Eltern und Geschwistern. Ausgenommen hiervon war die Beziehung zu seinem Bruder T. B., bei dem er vor seiner Inhaftierung vorübergehend gewohnt hatte und der ebenfalls in Rauschmitteldelikte verwickelt war (s.o.). Außerdem war der Kläger im Zeitpunkt des Strafverfahrens ohne festen Wohnsitz, so dass sich die gegenwärtige Wohnsitznahme bei seiner X. Jahre alten Mutter, die ihn in der Zeit zwischen seiner Haftentlassung am 4. Juni 2008 und dem Bezug des mit Bescheid vom 17. Juni 2008 bewilligten Arbeitslosengeld versorgt hat, bei objektiver Betrachtung nur als notwendig im Sinne der Sicherung des Lebensunterhalts darstellt. Über emotionale Bindungen und eigene, von ihm selbst ergriffene Initiativen zur Festigung des Kontakts mit seinen Eltern und Geschwistern hat der Kläger dagegen nichts dargelegt. Über weitere persönliche Beziehungen zu in Deutschland lebenden Personen verfügt der Kläger ausweislich seiner Beantwortung der Hinweisverfügung vom 28. Mai 2008 nicht.
Angesichts seines persönlichen Werdegangs kann auch nicht unterstellt werden, dass der Kläger durch seine persönliche Entwicklung bedingt in den hiesigen Lebensverhältnissen verwurzelt ist. Da er erst im Alter von 17 Jahren in die Bundesrepublik Deutschland eingereist ist, hat er die seine Persönlichkeit prägenden Lebensabschnitte der Kindheit und Jugend im Wesentlichen im Irak verbracht. Soweit der Kläger in der Klagebegründung vorträgt, er sei bis auf eine nach Jugendstrafrecht geahndete Körperverletzung unmittelbar nach Einreise im Jahre 1997 im Bundesgebiet nicht aufgefallen, obwohl er als Jugendlicher in einem Alter in das Bundesgebiet einreist sei, in welchem im Normalfall mit nicht unerheblichen Anpassungsschwierigkeiten gerechnet werden müsse, weist sein Vorbringen noch nicht auf eine zur Verwurzelung in die hiesigen Lebensverhältnisse führende Integrationsleistung hin. Denn der Kläger war, als er am 6. Juli 1997 die Körperverletzung beging, bereits 17 Jahre und 7 Monate alt und stand damit schon vor dem Erreichen des Erwachsenenalters. Außerdem hat er sich auch in der Folgezeit nicht straffrei geführt, wie die Bestrafung wegen der in den Jahren 2003 und 2004 begangenen Verkehrsdelikte durch die Amtsgerichte K. und C. zeigen. Schließlich betrug die tatsächliche Dauer seines Aufenthalts in Deutschland bis zum Begehen der ersten Straftat des unerlaubten Handeltreibens mit Kokain im Dezember 2003 nur sechs Jahre. Sie kann daher im Hinblick auf die mit dem Bleiberecht in Deutschland für Asylberechtigte und Flüchtlinge aus dem Irak typischerweise verbundenen Sprach- und Kulturprobleme - anders als bei in Deutschland geborenen Kindern von Asylberechtigten - noch nicht als langjährig im Sinne einer €Verwurzelung€ angesehen werden.
Darüber hinaus lässt sich auch nicht feststellen, dass der Kläger tatsächlich in seinen weiteren persönlichen Lebensumständen in Deutschland Fuß gefasst hätte. Eine Schul- und Berufsausbildung, die - ähnlich wie besondere persönliche Beziehungen - geeignet wäre, zur Verwurzelung im gesellschaftlichen Leben Deutschlands beizutragen, hat der Kläger nicht absolviert. Der Einstieg in ein Berufsleben durch Abschluss des Berufsvorbereitungsjahres ist ihm nicht gelungen, und die Zeiten seiner Erwerbstätigkeit als junger Erwachsener waren lückenhaft und haben - von zwei kurzfristigen Beschäftigungen abgesehen - im Wesentlichen mit Ablauf des Monats Februar 2002 ihr Ende gefunden. Insoweit hat der Kläger bei seiner Befragung zur Person in der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht C. am 4. Oktober 2006 im Strafverfahren angegeben, er sei ohne Einkommen, habe keinen Beruf erlernt und zuletzt in einer Fischfabrik gearbeitet. Die Behauptung in der Klagebegründung, wonach der Kläger €langjährig als Arbeitnehmer tätig€ gewesen sei, lässt sich - wie bereits ausgeführt - nicht nachvollziehen. In dem vom Kläger vorgelegten Versicherungsverlauf (Bl. 35 der Gerichtsakte) sind von Arbeitgebern gemeldete beitragspflichtige Beschäftigungszeiten im Wesentlichen vom 2. September bis 31. Oktober 1997, vom 17. August 1998 bis 29. Februar 2000, vom 31. Mai 2000 bis 31. Juli 2000, vom 1. März 2001 bis 28. Februar 2002, vom 1. November 2002 bis 13. Dezember 2002 und vom 25. April 2005 bis 17. Mai 2005 verzeichnet. Die übrigen Pflichtbeitragszeiten beruhen dagegen auf Meldungen der Bundesagentur für Arbeit im Hinblick auf die Versicherungspflicht für Zeiten des Bezugs von Arbeitslosengeld (vgl. § 3 Nr. 3 SGB III).
In Anbetracht dieser Umstände einer fehlenden Verwurzelung in der Bundesrepublik Deutschland kommt den von Art. 8 Abs. 1 EMRK erfassten persönlichen Kontakten des nunmehr 28 Jahre alten Klägers zu seinen Eltern und Geschwistern in C. kein so entscheidendes Gewicht zu, dass diese Kontakte die oben dargestellte, uneingeschränkt geeignete spezial- und generalpräventive Zielsetzung seiner Ausweisung als unverhältnismäßig oder nicht €notwendig€ im Sinne von Art. 8 Abs. 2 EMRK erscheinen ließen. Entsprechendes gilt für die Tatsache, dass der Kläger seinem Vortrag zufolge keinen Kontakt mehr zu den noch im Irak lebenden Verwandten mütterlicher- und väterlicherseits pflegt. Die schlechte Sicherheits- und Versorgungslage in bestimmten Teilen des Iraks ist dabei nicht zu berücksichtigen; dem steht die Tatbestandswirkung des bestandskräftigen Bescheids des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge mit vom 22. Mai 2006 entgegen, wonach die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG und Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG hinsichtlich einer Abschiebung in den Irak nicht vorliegen.
Unbegründet ist die Klage auch, soweit sie sich gegen die in dem Bescheid vom 18. Januar 2007 ausgesprochene Abschiebungsandrohung richtet. Da der Kläger gemäß §§ 50 Abs. 1 und 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG mit Erlass der Ausweisungsverfügung unbeschadet der aufschiebenden Wirkung der vorliegenden Klage (§ 84 Abs. 2 Satz 1 AufenthG) ausreisepflichtig geworden ist, kann ihm die Abschiebung nach Maßgabe des § 59 AufenthG angedroht werden (s.a. Nr. 59.0.2. Vorl. Nds. VV-AufenthG). Weil die Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht vorliegen, ist es rechtlich nicht zu beanstanden, dass als Abschiebungsziel der Irak oder ein anderes Land bezeichnet worden ist. Die Abschiebungsandrohung entspricht auch im Übrigen den Bestimmungen des § 59 AufenthG. Rechtsfehler sind insoweit dem vorliegenden Sachverhalt nicht zu entnehmen.
VG Hannover:
Urteil v. 17.06.2008
Az: 6 A 1114/07
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