Oberlandesgericht Karlsruhe:
Urteil vom 22. Januar 2014
Aktenzeichen: 6 U 118/13

(OLG Karlsruhe: Urteil v. 22.01.2014, Az.: 6 U 118/13)

1. Der Zugang einer Abschrift der Beschlussverfügung, die dem einen von zwei Verfügungsbeklagten zugegangen ist, kann nicht den Zustellungsmangel im Verhältnis zum anderen Verfügungsbeklagten heilen.

2. Ein Dokument, das zur wirksamen Zustellung beim "richtigen" Zustellungsempfänger nicht geeignet wäre, kann - erst recht - nicht zur Heilung einer unwirksamen Zustellung nach § 189 ZPO führen; das gilt jedenfalls dann, wenn die Mängel die Authentizität oder Amtlichkeit des zuzustellenden Dokuments fraglich erscheinen lassen.

3. Eine Heilung nach § 189 ZPO scheidet daher aus, wenn dem "richtigen" Zustellungsempfänger lediglich eine einfache Kopie oder ein Dokument zugeht, das eine ordnungsgemäße Beglaubigung der zugestellten Abschrift nicht erkennen lässt.

4. Zur Anwendung von § 531 Abs. 2 ZPO im Verfügungsverfahren.

Tenor

1. Auf die Berufung der Verfügungsbeklagten wird das Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 09.08.2013 (Az. 13 O 31/13 KfH I) im Kostenpunkt aufgehoben und im Übrigen wie folgt abgeändert:

Die einstweilige Verfügung vom 27.03.2013 (Az. 13 O 31 /13 KfH I) wird aufgehoben. Der auf ihren Erlass gerichtete Antrag wird zurückgewiesen.

2. Die Verfügungsklägerin trägt die Kosten des Verfügungsverfahrens.

Gründe

I.

Die Verfügungsklägerin (nachstehend: Klägerin) und die Verfügungsbeklagte zu 1 (nachstehend: Beklagte zu 1) sind auf dem Gebiet der Erbenermittlung tätige Unternehmen, die Verfügungsbeklagte zu 2 (nachstehend: Beklagte zu 2) ist als Genealogin in der Niederlassung der Beklagten zu 1 in Hannover tätig.

Die Beklagte zu 2 verfasste nach öffentlicher Aufforderung (Erbenaufruf) des Nachlassgerichts Karlsruhe in einer Nachlasssache v. B... ein Schreiben der Beklagten vom 25.10.2012 an das Nachlassgericht (Anlage K 3), in dem es u.a. heißt:

Da wir zu den größten und erfolgreichsten Erbenermittlern Deutschlands gehören, sind wir auch an der Klärung dieser Nachlasssache interessiert. Sie würden uns bei unserer risikobehafteten Arbeit sehr unterstützen, wenn Sie uns folgende Informationen geben könnten:

- Wie hoch ist der Nachlasswert€- Name und Anschrift des Nachlasspflegers.

Wir garantieren mit unserem Team eine kompetente und schnelle Abwicklung. Auf unserer Homepage ... können Sie sich gerne weiter informieren.

Für eine kurze Mitteilung, auch per Fax, per E-Mail oder telefonisch wären wir Ihnen sehr dankbar.

Sollten Sie Bedarf an einer erfolgreichen Erbenermittlung auch in anderen bisher noch nicht veröffentlichten Nachlassfällen haben, so sind wir jederzeit bereit, auf unser eigenes Risiko - ohne dem Nachlass Geld zu kosten - die Ermittlungen aufzunehmen.

Mit Anwaltsschreiben vom 22.02.2013 mahnte die Klägerin die Beklagten wegen der Aussagen Da wir zu den erfolgreichsten Erbenermittlern Deutschlands gehören und wir garantieren mit unserem Team ... eine schnelle Abwicklung ab und forderte sie zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung auf. Mit Schreiben an den Klägervertreter vom 01.03.2013 zeigte der Verfahrensbevollmächtigte der Beklagten die gerichtliche und außergerichtliche Vertretung beider Beklagter an. Die geforderte strafbewehrte Unterlassungserklärung wurde jedoch nicht abgegeben.

Die Klägerin hat daraufhin eine einstweilige Verfügung vom 18.03.2013 erwirkt, mit welcher den Beklagten bei Meidung der gesetzlichen Ordnungsmittel untersagt wurde,

für die Beklagten 1. mit der Behauptung da wir zu den ... erfolgreichsten Erbenermittlern Deutschlands ... gehören zu werben, wie im wiedergegebenen Schreiben vom 25.10.2012 (Anlage K 3).

Der weitergehende Antrag in Bezug auf die Behauptung wir garantieren mit unserem Team eine ... schnelle Abwicklung wurde zurückgewiesen, die gegen die ablehnende Entscheidung gerichtete Beschwerde zum OLG Karlsruhe blieb erfolglos (Senatsbeschluss vom 18.04.2013, Az. 6 W 30/13).

Auf den Widerspruch der Beklagten hat das Landgericht mit dem angefochtenen Urteil, auf das wegen aller Einzelheiten Bezug genommen wird, die einstweilige Verfügung aufrechterhalten. Die Verfügung sei nicht mangels fristgerechter Vollziehung aufzuheben. Zwar hätte die Verfügung gemäß § 172 ZPO nicht an die beiden Beklagten, sondern an deren Verfahrensbevollmächtigten zugestellt werden müssen. Dieser Mangel sei aber durch den tatsächlichen Zugang an den Beklagtenvertreter innerhalb der Vollziehungsfrist nach § 189 ZPO geheilt worden. Der Beklagtenvertreter habe im Verhandlungstermin auf Nachfrage eingeräumt, dass ihm die gegen die Beklagte zu 1 ergangene einstweilige Verfügung noch innerhalb der Vollziehungsfrist in gescannter Form zugegangen sei. Etwaige Zustellungsmängel seien dadurch nicht nur gegenüber der Beklagten zu 1, sondern auch gegenüber der Beklagten zu 2 geheilt worden, gegen die eine gleichlautende Verfügung ergangen sei. Mit Zugang der gegenüber der Beklagten zu 1 ergangenen einstweiligen Verfügung sei dem Beklagtenvertreter notwendig auch die gegenüber der Beklagten zu 2 ergangene einstweilige Verfügung zugegangen. Jedenfalls könne bei lebensnaher Betrachtung davon ausgegangen werden, dass die Beklagte zu 1 bei der Übermittlung der einstweiligen Verfügung an den Prozessbevollmächtigten zugleich für die Beklagte zu 2 gehandelt habe. Der Verfügungsanspruch folge aus §§ 3, 5 Abs. 1 Nr. 1 und 3, 8 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 3 Nr. 1 UWG. Bei der Aussage da wir zu den erfolgreichsten Erbenermittlern Deutschlands gehören handele es sich um eine nicht ausreichend belegte und daher irreführende Behauptung der Zugehörigkeit zu einer Spitzengruppe. Es handele sich schon deshalb um eine geschäftliche Handlung, weil das angegriffene Schreiben an das Nachlassgericht eine Maßnahme der mittelbaren Absatzförderung sei. Die angegriffene Aussage unterfalle nicht dem Verfahrensprivileg. Der Verfügungsgrund werde vermutet.

Mit der hiergegen gerichteten Berufung verfolgen die Beklagten ihr auf Aufhebung der einstweiligen Verfügung und Zurückweisung des entsprechenden Antrags gerichtetes Begehren weiter. Sie vertreten weiterhin die Auffassung, es fehle an einer wirksamen Vollziehung der Beschlussverfügung vom 18.03.2013. Dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten sei innerhalb der Vollziehungsfrist von der Beklagten zu 1 lediglich eine Vervielfältigung der an sie ergangenen einstweiligen Verfügung in Dateiform übermittelt worden. Wie aus dem als Anlage B-AG 1 vorgelegten Ausdruck erkennbar sei, enthalte das eingescannte Dokument keinen Beglaubigungsstempel des Gerichtsvollziehers; es handele sich um eine einfache Abschrift. Das sei zur Heilung nach § 189 ZPO nicht ausreichend. Auch genüge es nicht, dass dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten lediglich eine Abschrift der an die Beklagte zu 1 zugestellten einstweiligen Verfügung zugegangen sei.

Zudem sei ein Verfügungsanspruch nicht gegeben. Das Schreiben an das Nachlassgericht stelle keine geschäftliche Handlung dar, da es keinen funktionalen Zusammenhang zu einer geschäftlichen Entscheidung habe; das Nachlassgericht schließe keine Verträge mit Erbenermittlern. Die Spitzengruppenwerbung sei angesichts der Größe des Unternehmens der Beklagten zu 1 und angesichts der Zahl ihrer erledigten Fälle zutreffend; bei dem Begriffspaar größte und erfolgreichste handele es sich um eine Tautologie. Jeder Fachmann wisse, dass es Erfolgsquoten nicht gebe und dass sie jedenfalls nicht aussagefähig seien. Für eine hinreichende Irreführungsquote gebe es keine Anhaltspunkte.

Die Verfügungsklägerin beantragt unter Verteidigung des angefochtenen Urteils die Zurückweisung der Berufung. Sie wiederholt und vertieft ihren Standpunkt, dass § 172 ZPO nicht eingreife, weil keine Schutzschrift hinterlegt worden sei und deshalb im Zeitpunkt der Zustellung kein Prozessrechtsverhältnis begründet gewesen sei. Der Beklagtenvertreter verstoße hinsichtlich der Frage des Zuganges der einstweiligen Verfügung an ihn gegen die Pflicht zu vollständigem und wahrheitsgemäßem Vortrag. Dass die Beschlussverfügung den Verfügungsbeklagten nicht als Ausfertigung des gerichtlichen Beschlusses oder zumindest als beglaubigte Abschrift zugegangen sei, werde bestritten. Ferner werde bestritten, dass die Beklagte zu 2 ihrem Verfahrensbevollmächtigten nicht eine Abschrift der einstweiligen Verfügung übersandt habe; in diesem Fall stelle sich die Frage, ob der Beklagtenvertreter überhaupt von der Beklagten zu 2 bevollmächtigt sei, was der Vorsorge wegen in Abrede gestellt werde.

Auch die Angriffe gegen die Bejahung eines Verfügungsanspruchs gingen fehl. Eine geschäftliche Handlung liege ausweislich der Abfassung des angegriffenen Schreibens vor. Es treffe auch nicht zu, dass die Nachlassgerichte den Erbenermittlern keine Aufträge erteilten.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.II.

Die zulässige Berufung hat in der Sache Erfolg. Die einstweilige Verfügung ist aufgrund des erreichten Sach- und Streitstands schon deshalb aufzuheben, weil sie nicht innerhalb der Frist des § 929 Abs. 2 ZPO wirksam vollzogen worden ist.

1. Gemäß § 936 Abs. 2 ZPO i.V.m. § 929 Abs. 2 ZPO muss eine einstweilige Verfügung innerhalb eines Monats vollzogen werden. Dabei beginnt die Frist, wenn die einstweilige Verfügung wie hier durch Beschluss erlassen worden ist, mit ihrer Zustellung an die Partei, auf deren Gesuch sie ergangen ist. Bei einer Unterlassungsverfügung besteht die Besonderheit, dass deren Vollziehung, also ihre nicht auf Befriedigung, sondern nur auf Sicherung des Gläubigers gerichtete Vollstreckung, an sich überhaupt nicht oder zumindest so lange unmöglich ist, als der Schuldner ihr nicht zuwiderhandelt. Auch für eine ein Verbot oder Gebot aussprechende Beschlussverfügung gilt aber der sich aus § 929 Abs. 2 ZPO ergebende Grundsatz, dass sich ein Gläubiger, der in einem nur vorläufigen Eilverfahren einen Titel erwirkt hat, rasch entscheiden muss, ob er von diesem Titel Gebrauch machen will oder nicht (vgl. Senat, WRP 1992, 339; sowie Urt. v. 27.03.2013, 6 U 104/12). Die Kundgabe des Willens, von dem erstrittenen Titel Gebrauch zu machen, muss notwendigerweise vom Gläubiger ausgehen und dem Schuldner gegenüber erfolgen. Bei durch Beschluss erlassenen einstweiligen Verfügungen, die ein Verbot aussprechen, stellt diesen Akt der Willenskundgabe deren Zustellung im Parteibetrieb dar (BGH, VersR 1985, 358, 359; BGHZ 120, 73 Rn. 21 - Straßenverengung; Senat a.a.O.).

2. Zutreffend hat das Landgericht angenommen, dass die Beschlussverfügung vom 18.03.2013 nach § 172 Abs. 1 S. 1 ZPO an den Prozessbevollmächtigten der Beklagten hätte zugestellt werden müssen. Dieser hatte in seiner Antwort auf die Abmahnung (Schriftsatz vom 01.03.2013, Anlage K 7) die gerichtliche und außergerichtliche Vertretung der beiden Verfügungsbeklagten angezeigt und sich damit als Prozessbevollmächtigter bestellt im Sinne des § 172 Abs. 1 S. 1 ZPO (vgl. Zöller/Stöber, ZPO, 30. Aufl., § 172 Rn. 6 m.w.N.). Dass das Schreiben vom 01.03.2013 nur per Telefax versandt sein mag, schließt eine wirksame Bestellung entgegen der von der Klägerin im (nicht nachgelassenen) Schriftsatz vom 22.07.2013 (AS I 199 ff.) vertretenen Auffassung nicht aus; die von der Klägerin zitierte Entscheidung (BGHZ 167, 214) gibt für diese Frage nichts her.

Die Bestellung war im Zeitpunkt der Zustellung der Beschlussverfügung bereits erfolgt; in diesem Zeitpunkt bestand auch ein anhängiges Verfahren im Sinne der genannten Vorschrift, denn der Verfügungsantrag war zu diesem Zeitpunkt (naturgemäß) bereits bei Gericht eingereicht (vgl. zur Anhängigkeit Zöller/Greger, a.a.O., § 253 Rn. 4). Die Einreichung einer Schutzschrift durch den Beklagtenvertreter war daher entgegen der Auffassung der Klägerin nicht Voraussetzung für das Vorliegen eines anhängigen Verfahrens.

3. Innerhalb der Vollziehungsfrist des § 929 Abs. 2 ZPO, die am 03.05.2013 ablief, ist eine Zustellung der Beschlussverfügung an den Beklagtenvertreter im Parteibetrieb unstreitig nicht erfolgt. Allerdings kann ein Zustellungsmangel - auch im Fall der Vollziehung einer Beschlussverfügung (Ahrens/Büttner, Der Wettbewerbsprozess, 7. Aufl., Kap. 57 Rn. 40) - unter den Voraussetzungen des § 189 ZPO geheilt werden. Lässt sich die formgerechte Zustellung eines Dokuments nicht nachweisen oder ist das Schriftstück unter Verletzung zwingender Zustellungsvorschriften zugegangen, so gilt es nach dieser Vorschrift in dem Zeitpunkt als zugestellt, in dem das Dokument der Person, an die die Zustellung dem Gesetz gemäß gerichtet war oder gerichtet werden konnte, tatsächlich zugegangen ist. Die Heilungsmöglichkeit ist auf Mängel des Zustellvorgangs beschränkt; eine Heilung von Mängeln des zuzustellenden Schriftstücks scheidet schon nach dem Wortlaut, aber auch nach dem Sinn der Vorschrift sowie aus Gründen der Rechtssicherheit aus (vgl. Retzer in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, 3. Aufl., § 12 Rn. 539 m.w.N.; Zöller/Stöber, a.a.O., § 189 Rn. 8 m.w.N., auch zur Gegenansicht). Dass der richtige Zustellungsempfänger Kenntnis vom Inhalt des zuzustellenden Dokuments erhält, reicht ebenfalls für sich genommen nicht aus (OLGR Karlsruhe 2004, 361).

4. Zu Recht weisen die Beklagten darauf hin, dass danach eine Heilung des Zustellungsmangels hinsichtlich der Beklagten zu 2 von vornherein ausscheidet. Der Beklagtenvertreter hat innerhalb der Vollziehungsfrist lediglich eine Scan-Kopie desjenigen Dokuments erhalten, welches der Beklagten zu 1 im Parteibetrieb zugestellt worden ist; die der Beklagten zu 2 zugestellte Beschlussverfügung ist ihm nach seiner unwiderlegten Darstellung in keiner Form zugegangen. Das wäre aber für eine Heilung des Zustellungsmangels im Verhältnis der Klägerin zur Beklagten zu 2 erforderlich. Die Klägerin hat den Verfügungsantrag gegenüber beiden Beklagten gestellt und damit zwei Prozessrechtsverhältnisse begründet. Die Regelung der §§ 936, 929 Abs. 2 ZPO soll den Verfügungskläger zu einer Willensentschließung anhalten, ob er von der Beschlussverfügung Gebrauch machen will oder nicht. Beantragt er eine Unterlassungsverfügung gegen zwei Beklagte, so kann und muss er in beiden Prozessrechtsverhältnissen entscheiden, ob er von dem Verbot Gebrauch macht oder nicht. Deshalb und weil es nach § 189 ZPO auf den tatsächlichen Zugang des zuzustellenden Dokuments ankommt, kann der Zugang einer Beschlussabschrift, die dem einen von zwei Verfügungsbeklagten zugegangen ist, nicht den Zustellungsmangel im Verhältnis zum anderen Verfügungsbeklagten heilen. Gegen eine solche Lösung sprechen zudem entscheidend Gründe der Rechtssicherheit (vgl. OLGR Hamburg 2007, 343 juris-Rn. 71-76). Dass der Beklagtenvertreter aus dem Inhalt der gescannten Abschrift, die an die Beklagte zu 1 zugestellt worden war, ersehen konnte, dass auch gegen die Beklagte zu 2 eine inhaltsgleiche Verfügung erlassen (nicht: zugestellt) worden war, reicht entgegen der Ansicht des Landgerichts nicht aus. Denn der Beklagtenvertreter konnte aus der ihm vorliegenden Scan-Kopie nicht ersehen, dass die Klägerin ihren Vollzugswillen auch gegenüber der Beklagten zu 2 durch (wenn auch fehlerhafte) Zustellung betätigt hatte.

Dass die Klägerin die Darstellung der Beklagtenseite bestreitet, wonach dem Beklagtenvertreter keine Kopie der an die Beklagte zu 2 zugestellten Beschlussabschrift übermittelt worden sei, kann der Position der Klägerin nicht zum Erfolg verhelfen. Die Beklagtenseite hat mit der wiedergegebenen Darstellung ihrer sekundären Darlegungslast genügt; es ist mangels sonstiger Anhaltspunkte Sache der Klägerin, die sich auf die Heilung beruft, die Darstellung der Beklagten zu widerlegen.

5. Aufgrund des nunmehr erreichten Sach- und Streitstandes kann auch eine Heilung des Zustellungsmangels im Verhältnis der Klägerin zur Beklagten zu 1 nicht festgestellt werden. Wie ausgeführt, ermöglicht § 189 ZPO lediglich eine Heilung von Mängeln des Zustellungsvorgangs, nicht aber eine Heilung von Mängeln des zuzustellenden Dokuments. Ein Dokument, das zur wirksamen Zustellung beim richtigen Zustellungsempfänger nicht geeignet wäre, kann - erst recht - nicht zur Heilung einer unwirksamen Zustellung nach § 189 ZPO führen; das gilt jedenfalls dann, wenn die Mängel die Authentizität oder Amtlichkeit des zuzustellenden Dokuments fraglich erscheinen lassen (Retzer a.a.O. § 12 Rn. 539; Ahrens/Büttner, a.a.O., Kap. 57 Rn. 41). Die gegenteilige Sichtweise würde zu einem nicht hinnehmbaren Wertungswiderspruch im Zustellungsrecht führen. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH NJW 2011, 3581; NJW-RR 2011, 417 f.) und des Kammergerichts (KG WRP 2011, 612) steht dem nicht entgegen. Die Entscheidungen betreffen allein mögliche Mängel des Zustellungsvorgangs, nicht aber Mängel des zuzustellenden Dokuments, die Zweifel an der Authentizität oder Amtlichkeit des Dokuments wecken können. In der zitierten Entscheidung des Kammergerichts, die eine Heilung durch Zugang einer (Scan-) Kopie für möglich hält, spielen etwaige Mängel dieser Scan-Kopie keine Rolle. Im Streitfall dagegen scheidet eine Heilung aus, weil das Dokument, das dem Beklagtenvertreter innerhalb der Vollziehungsfrist tatsächlich zugegangen ist, seinerseits keine wirksame Zustellung bewirken konnte.

Bei der Zustellung einer einstweiligen Verfügung im Parteibetrieb hat die Partei dem Gerichtsvollzieher (§ 192 Abs. 1 ZPO) das zuzustellende Schriftstück - die dem Antragsteller erteilte Ausfertigung der Entscheidung (Zöller/Stöber, a.a.O., § 192 Rn. 5) - mit den erforderlichen Abschriften, die ggf. auch vom Gerichtsvollzieher gefertigt werden können, zu übergeben (§ 192 Abs. 2 S. 1 ZPO). Der Gerichtsvollzieher beglaubigt dann die Abschriften (§ 192 Abs. 2 S. 2 ZPO) und stellt diese beglaubigten Abschriften zu; der Beglaubigungsvermerk muss sich eindeutig auf das gesamte Schriftstück beziehen. Die Zustellung einfacher Abschriften genügt nicht für eine wirksame Vollziehung der einstweiligen Verfügung (Ahrens/Büttner, a.a.O., Kap. 57 Rn. 36; Zöller/Vollkommer, a.a.O., § 929 Rn. 13, je m.w.N.).

Das bedeutet, dass eine Heilung nach § 189 ZPO ausscheidet, wenn dem richtigen Zustellungsempfänger lediglich eine einfache Kopie oder ein Dokument zugeht, das eine ordnungsgemäße Beglaubigung der zugestellten Abschrift nicht erkennen lässt. So verhält es sich aber im Streitfall. Die Beklagten haben unter Vorlage eines Ausdrucks vorgetragen, dass dem Beklagtenvertreter von der Beklagten zu 1 eine gescannte Kopie der Beschlussausfertigung vom 27.03.2013 übermittelt wurde, auf der sich kein Beglaubigungsvermerk des Gerichtsvollziehers befindet. Ausweislich des vorgelegten Ausdrucks ist auf der ersten Seite des Dokuments Beglaubigte Fotokopie/Abschrift vermerkt; ein Beglaubigungsvermerk des Gerichtsvollziehers fehlt indessen. Ein solcher Mangel ist geeignet, die Authentizität des zugestellten Dokuments fraglich erscheinen zu lassen.

Der Vortrag der Beklagten ist - obgleich neu - in der Berufungsinstanz zu berücksichtigen. Zwar ist eine Zurückweisung neuen Vortrags gemäß § 531 Abs. 2 ZPO im Verfügungsverfahren nicht ausgeschlossen (vgl. Zöller/Heßler, a.a.O., § 531 Rn. 1); eine Zurückweisung scheidet aber aus, wenn der neue Vortrag nicht erheblich bestritten ist (Heßler a.a.O. Rn. 20 m.w.N.). Im Streitfall beschränkt sich die Stellungnahme der Klägerin auf den Vortrag, es werde bestritten, dass die Beschlussverfügung den Verfügungsbeklagten nicht als Ausfertigung des gerichtlichen Beschlusses oder zumindest als beglaubigte Abschrift zugegangen sei; der Beklagten bzw. ihr Prozessvertreter blieben die Glaubhaftmachung schuldig (Schriftsatz vom 03.01.2013, S. 4 = AS II 89). Selbst wenn dies - gegen den Wortlaut - auf den im vorliegenden Zusammenhang maßgeblichen Zugang beim Beklagtenvertreter bezogen würde, bliebe undeutlich, welche Bedeutung dieses Bestreiten angesichts des vorgelegten, augenscheinlich vollständigen Ausdrucks der beim Beklagtenvertreter eingegangenen Scan-Kopie haben soll. Damit fehlt dem Bestreiten die angesichts des Klägervortrags zu fordernde Substantiierung.

Unabhängig davon wäre der Vortrag in der Berufungsinstanz nach § 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO zuzulassen. Der Senat legt in ständiger Praxis bei einer Anwendung von § 531 Abs. 2 ZPO im Verfügungsverfahren, das von besonderer Eilbedürftigkeit und dementsprechend kurzen Reaktionsfristen gekennzeichnet ist, das Tatbestandsmerkmal der Nachlässigkeit im Sinne der Nr. 3 enger aus als im Hauptsacheverfahren. Nach diesem Maßstab kann der Umstand, dass die Beklagten in erster Instanz nicht auf das Fehlen eines Beglaubigungsvermerks auf dem übermittelten Dokument hingewiesen haben, nicht als nachlässig angesehen werden. Der Gesichtspunkt der Heilung ist erstmals in der mündlichen Verhandlung erster Instanz angesprochen worden, in der der Beklagtenvertreter ausweislich des Protokolls eingeräumt hat, eine gescannte Kopie der an die Beklagte zu 1 ergangenen Verfügung erhalten zu haben; auf diese mündliche Verhandlung ist das angefochtene Urteil ergangen. Dass die fehlende Eignung der Scankopie zur Heilung wegen des Fehlens des Beglaubigungsvermerks in der mündlichen Verhandlung nicht angesprochen wurde, rechtfertigt nicht die Zurückweisung des entsprechenden zweitinstanzlichen Vortrags wegen Nachlässigkeit. Ohne Erfolg wirft die Klägerin dem Beklagtenvertreter in diesem Zusammenhang einen Verstoß gegen die Pflicht zu vollständigen und wahrheitsgemäßen Tatsachenerklärungen (§ 138 Abs. 1 ZPO) vor. Der Beklagtenvertreter war berechtigt, zunächst - wie mit Schriftsatz vom 27.05.2013 (AS I 121 ff.) geschehen - auf die mangelnde Vollziehung wegen fehlerhafter Zustellung an die Beklagten hinzuweisen. Die Klägerin hat daraufhin den Gesichtspunkt einer möglichen Heilung durch tatsächlichen Zugang beim Beklagtenvertreter bis zum - knapp 2 Monate später stattfindenden - Verhandlungstermin nicht angesprochen; hierfür hätte das (ggf. vorsorgliche) einfache Behaupten des Zugangs oder die Aufforderung, sich hierzu zu erklären, ausgereicht. Solange das nicht geschah, hatte der Beklagtenvertreter keine Veranlassung, diesen (nach seiner Auffassung nicht durchgreifenden) Gesichtspunkt von sich aus aufzugreifen. Erst im Verhandlungstermin erster Instanz ist vom Vorsitzenden die Frage des Zugangs beim Beklagtenvertreter angesprochen worden; daraufhin hat der Beklagtenvertreter die genannte Erklärung abgegeben.

Die Beklagten sind aus den genannten Gründen auch nicht etwa nach Treu und Glauben gehindert, sich auf die mangelnde Vollziehung bzw. auf die fehlende Heilung des Zustellungsmangels zu berufen. Dabei ist bereits fraglich, ob im Zusammenhang mit der Vollziehungsfrist, die der Disposition der Parteien wie auch des Gerichts entzogen ist, eine solche einzelfallbezogene Abwägung überhaupt in Betracht kommt. Jedenfalls verstößt es nicht gegen die Grundsätze von Treu und Glauben, dass sich die Beklagten auf die fehlende Vollziehung innerhalb der Vollziehungsfrist berufen. Ebenso wenig wie der Anwalt dem Gegner seiner Partei gegenüber nach Verfahrensrecht verpflichtet ist, an der Zustellung im Verfahren nach § 195 ZPO mitzuwirken (vgl. zu § 198 ZPO a.F.: BGHZ 30, 299 = NJW 1959, 1871, 1872; RGZ 98, 241; RGZ 150, 392, 394; vgl. zu § 187 ZPO a.F.: BGH, NJW 1990, 122, 124), ist er gegenüber dem Gegner seiner Partei verpflichtet, unverzüglich auf denkbare Heilungstatbestände hinzuweisen.

Der somit berücksichtigungsfähige Vortrag der Beklagten ist durch die Vorlage des Ausdrucks, der den Mangel des dem Beklagtenvertreter übermittelten Dokuments erkennen lässt, glaubhaft gemacht. Damit scheidet eine Heilung der Zustellung auch im Verhältnis der Klägerin zur Beklagten zu 1 aus.

Die ergangene Beschlussverfügung ist daher mangels fristgerechter Vollziehung aufzuheben (§§ 929 Abs. 2, 927 ZPO) und der auf ihren Erlass gerichtete Antrag zurückzuweisen. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.






OLG Karlsruhe:
Urteil v. 22.01.2014
Az: 6 U 118/13


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