Verwaltungsgericht Berlin:
Urteil vom 14. Februar 2007
Aktenzeichen: 2 A 64.06
(VG Berlin: Urteil v. 14.02.2007, Az.: 2 A 64.06)
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen die Heranziehung zur Strukturerhebung im Dienstleistungsbereich für das Jahr 2004.
Er ist als Rechtsanwalt Mitglied einer Sozietät von Anwälten. Daneben war er in der Vergangenheit eigenständig als Rechtsanwalt tätig, und zwar als Testamentsvollstrecker für einen Nachlass, der seit Ende 2006 verteilt ist. Die Testamentsvollstreckung dauert formal noch an, weil es mit einer Erbin eine Auseinandersetzung über das Honorar gibt. Der Sozietätsvertrag sieht vor, dass - mit Ausnahme dieser Testamentsvollstreckung - sämtliche Tätigkeiten über die Sozietät abzuwickeln sind.
Der Beklagte zog den Kläger als eigenständig tätigen Rechtsanwalt bereits 2002 und 2003 sowie mit Bescheid vom 28. November 2005 erneut zur Strukturerhebung im Dienstleistungsbereich für das Jahr 2004 heran. Hiergegen legte der Kläger mit Schreiben vom 30. November 2005 Widerspruch mit der Begründung ein, er habe Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Auswahlverfahrens. Ferner sehe er keine Notwendigkeit der Heranziehung zur eigenständigen Auskunft, da die Sozietät, der er angehöre, ihrerseits ebenfalls auskunftspflichtig sei. Gleichwohl kam der Kläger seiner Auskunftspflicht im Dezember 2005 nach. Mit Schriftsatz vom 30. März 2006 bekundete er gegenüber dem Beklagten sein fortbestehendes Interesse an der Fortführung des Wiederspruchsverfahrens mit Hinweis auf künftige Heranziehungen. Mit Widerspruchsbescheid vom 4. April 2006 wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück; die Heranziehung aufgrund des Dienstleistungsstatistikgesetzes sei rechtmäßig, da der Kläger eine vom Gesetz erfasste Dienstleistung erbringe, und zwar neben der Tätigkeit in der Sozietät auch noch als Einzelbüro/Einzelpraxis.
Der Kläger hat hiergegen am 4. Mai 2006 Klage erhoben und verfolgt sein Begehren weiter. Zur Begründung führt er an, dass weder die Sozietät, der er angehöre, noch er selbst €überwiegend für Unternehmen€ tätig seien, er mithin nicht dem Gesetz unterfalle. Die Stichprobe dürfe bei höchstens 15 % der Unternehmen erfolgen, dies müsse in jedem Bundesland gelten; tatsächlich liege die Erhebung in Berlin erheblich darüber. In Bezug auf Rechtsanwälte und Notare sei es überdies problemlos möglich, von der Senatsverwaltung für Justiz aktuelle Zahlen zu erhalten. Stattdessen werde über das Unternehmensregister mit veralteten Zahlen gearbeitet. Rechtsanwaltskanzleien bilanzierten in der Regel nicht, deshalb sei die Frage 5 ausgesprochen schwer zu beantworten. Das mathematisch-statistische Verfahren sei - wie bereits in der Vergangenheit - erneut fehlerhaft vorgenommen worden.
Der Kläger beantragt,
festzustellen, dass der Bescheid des Statistischen Landesamtes Berlin vom 28. November 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides derselben Behörde vom 4. April 2006 rechtswidrig gewesen ist.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er vertieft die bereits im Vorverfahren gemachten Ausführungen und führt ergänzend an, die auch hier angewandte so genannte Stichprobenfortschreibung sei deshalb rechtmäßig, weil der Gesetzgeber das Verfahren zur Stichprobenauswahl - und damit auch die Geltungsdauer einer einmal gezogenen Stichprobe - in das pflichtgemäße Ermessen der Statistischen Landesämter gestellt habe. Die Gesetzgebungsmaterialien belegten dies. Auch seien Sinn und Zweck des Gesetzes zu berücksichtigen; bei einer jährlichen Neustichprobenziehung müssten - um eine gleiche Zuverlässigkeit wie bei dem jetzt praktizierten Verfahren zu erreichen - deutlich mehr als 15 % gezogen werden, was mit einer erhöhten Belastung für die Unternehmen und höheren Kosten verbunden wäre. Im Übrigen werde auf die Beantwortung derjenigen Frage verzichtet, hinsichtlich derer der Kläger einen erheblichen Zeitaufwand vorbringt.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf die Streitakte sowie den Verwaltungsvorgang des Beklagten (1 Heftung) und die Streitakten VG 7 A 278.01 und VG 2 A 13.07, die vorgelegen haben und - soweit wesentlich - Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Gründe
Die Klage hat keinen Erfolg.
Dahingestellt bleiben kann, ob der Kläger nach der Verteilung des Nachlasses seit Ende 2006 noch ein berechtigtes Interesse für seine Fortsetzungsfeststellungsklage im Sinne des § 113 Abs. 1 Satz 4 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - analog hat. Da der Sozietätsvertrag neben dieser Testamentsvollstreckung weitere Ausnahmen für eigenständige Tätigkeiten nicht vorsieht, könnte der Kläger Heranziehungen für statistische Erhebungen als eigenständiger Rechtsanwalt zukünftig entgegenhalten, dass er insoweit nicht mehr tätig ist (vgl. § 2 Abs. 2 DlStatG). Dies gilt jedenfalls für Heranziehungen, die das Jahr 2007 betreffen; ob für 2006 bereits eine Heranziehung durch die Behörde erfolgt ist und € wenn ja € der Kläger hiervon (erneut) betroffen war, ist der Kammer nicht bekannt. Vor diesem Hintergrund bestehen Zweifel am Vorliegen einer hinreichend konkreten Wiederholungsgefahr. Die Kammer kann jedoch nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Beschluss vom 11. November 1991 - 4 B 190.91 -, Buchholz 310, § 113 VwGO Nr. 237) von der vorrangigen Klärung von Zulässigkeitsfragen absehen, wenn die Klage aus materiellen Gründen abzuweisen ist. Dies ist hier der Fall.
Die Klage ist jedenfalls unbegründet. Denn die Heranziehung des Klägers für die jährliche Erhebung im Dienstleistungsbereich im Jahr 2004 war rechtmäßig, § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO analog.
Ermächtigungsgrundlage für die Heranziehung sind die §§ 1 Abs. 2, 2 Abs. 1 und 2, 5 des Gesetzes über Statistiken im Dienstleistungsbereich (Dienstleistungsstatistikgesetz - DlStatG -) vom 19. Dezember 2000 (BGBl. I S. 1765). Danach besteht für den Inhaber oder Leiter des Unternehmens oder der Einrichtung zur Ausübung einer freiberuflichen Tätigkeit für die jährlichen Erhebungen im Bereich der von § 2 Abs. 1 des Gesetzes erfassten Dienstleistungsbereiche eine Auskunftspflicht über bestimmte statistische Erhebungsmerkmale; die Erhebung wird als Stichprobe bei höchstens 15 % aller Erhebungseinheiten durchgeführt, wobei die Erhebungseinheiten nach einem mathematisch-statistischen Verfahren ausgewählt werden. Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Der Kläger unterfällt dem persönlichen (1.) sowie dem sachlichen Anwendungsbereich dieses Gesetzes (2.); seine Auswahl entspricht den verfahrensrechtlichen Voraussetzungen des Dienstleistungsstatistikgesetzes (3.) und ist auch nicht unverhältnismäßig (4.).
1. Auskunftspflichtig sind gemäß § 5 Satz 2 DlStatG die Inhaber oder Leiter der Unternehmen oder Einrichtungen zur Ausübung einer freiberuflichen Tätigkeit. Diese Voraussetzung erfüllte der Kläger jedenfalls im Jahre 2004 mit seiner unzweifelhaft freiberuflichen Tätigkeit als eigenständiger Rechtsanwalt.
2. Die Tätigkeit als Rechtsanwalt unterfällt dem von § 2 Abs. 1 DlStatG genannten Dienstleistungsbereich. Dieser verweist auf die Systematik der Wirtschaftszweige in der Europäischen Gemeinschaft (NACE Rev. 1) gemäß Verordnung (EWG) Nr. 3037/90 des Rates vom 9. Oktober 1990 (ABl. EG Nr. L 293 S. 1) in der jeweils geltenden Fassung, mithin derzeit auf die Fassung NACE Rev. 1.1 (Anhang der Verordnung (EG) Nr. 29/2002 der Kommission vom 19. Dezember 2001, ABl. EG Nr. L 6/4). Abschnitt K der statistischen Systematik innerhalb der Europäischen Gemeinschaft, der in § 2 Abs. 1 ausdrücklich genannt wird, hat als Überschrift €Grundstücks- und Wohnungswesen, Vermietung beweglicher Sachen, Erbringung von Dienstleistungen überwiegend für Unternehmen€ und erfasst in Abteilung 74 die €Erbringung von Dienstleistungen überwiegend für Unternehmen€; unter 74.11 wird sodann die €Rechtsberatung€ genannt. Dieser unterfällt der Kläger mit seiner Rechtsanwaltskanzlei, und zwar unabhängig davon, dass die eigenständige Tätigkeit des Klägers auf die Testamentsvollstreckung des einen Nachlasses bezogen ist. Denn eine Rechtsanwaltskanzlei ist schon deshalb dem Wirtschaftszweig €Rechtsberatung€ zuzuordnen, weil dem Rechtsanwalt das Recht zur Rechtsberatung abstrakt zugewiesen ist (vgl. § 3 BRAO). Es ist auch nichts dafür ersichtlich, dass - wie der Kläger meint - mit Rücksicht auf die Abteilungsbezeichnung €Erbringung von unternehmensbezogenen Dienstleistungen€ diejenigen Anwälte vom sachlichen Anwendungsbereich des Gesetzes ausgenommen sein sollen, die keine Dienstleistungen gegenüber Unternehmen erbringen. Im Gegenteil spricht nach Ansicht der Kammer alles dafür, dass mit der Bezeichnung €Rechtsberatung€ die Gruppe der Rechtsanwälte generell erfasst sein soll und der Oberbegriff €Erbringung von unternehmensbezogenen Dienstleistungen€ keinen einschränkenden Charakter besitzt. Dies ergibt sich bereits aus der Systematik der Anlage NACE Rev. 1.1 (ausführlich Beschluss der Kammer vom 24. Juli 2006 - 2 A 97.06 -; bestätigt von OVG Berlin- Brandenburg, Beschluss vom 16. Januar 2007 - OVG 12 S 2.07 -). Maßgeblich ist eine typisierende Sichtweise, nach der es auf die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Dienstleistungsbereich ankommt, in welchem überwiegend Dienstleistung für Unternehmen erbracht werden. Ob das dem Wirtschaftszweig angehörende Unternehmen bzw. die Einrichtung tatsächlich konkret das für die typisierende Einordnung maßgebende Kriterium erfüllt, ist hierbei unerheblich (ebenso VG Berlin, Beschluss vom 11. März 2002 - VG 7 A 278.01 - unter ausführlicher Auswertung der Gesetzgebungsmaterialien).
Deshalb kommt es nicht darauf an, dass in der deutschen Klassifikation der Wirtschaftszweige, Ausgabe 2003 (WZ 2003), die vom Statistischen Bundesamt in Wiesbaden herausgegeben worden ist und den Rang einer bloßen Verwaltungsvorschrift hat, Abschnitt K nunmehr als Überschrift trägt €Grundstücks- und Wohnungswesen, Vermietung beweglicher Sachen, Erbringung von wirtschaftlichen Dienstleistungen, anderweitig nicht genannt€ und der Unterpunkt 74 mit dem Titel €Erbringung von wirtschaftlichen Dienstleistungen, anderweitig nicht genannt€ versehen ist. Denn der Kläger unterfällt - wie gezeigt - bereits dem (maßgeblichen) Gesetzeswortlaut.
3. Methodische Fehler des mathematisch-statistischen Verfahrens zur Auswahl der Erhebungseinheiten, bei denen die Stichprobe gezogen worden ist, sind nicht festzustellen. Der Kreis derjenigen, die zur Auskunft herangezogen werden können, ist in den §§ 5 Satz 2, 2 Abs. 1 und 2 DlStatG festgelegt. Wer von diesen €potentiell Betroffenen€ tatsächlich herangezogen wird, hat das Dienstleistungsstatistikgesetz bis zur Höchstgrenze von 15 % in das pflichtgemäße Ermessen der Behörde gestellt; diese ist mithin befugt, Auswahlgrundsätze hierfür zu entwickeln (vgl. BVerwG, Beschluss vom 15. November 1989 - 1 B 136/89 -, Juris Rn 3). Da es sich um eine Bundesstatistik handelt (§ 1 Abs. 1 DlStatG), ist es nicht zu beanstanden, dass die Stichprobe lediglich auf Bundesebene 15 % nicht übersteigen darf. Dass zum Zwecke der Erlangung von bundesweit gleichermaßen tief gegliederten Befragungsergebnissen in Berlin als relativ kleinem Bundesland aus mathematisch-statistischen Gründen ein Auswahlsatz oberhalb von 15 % erforderlich ist, hat der Beklagte nachvollziehbar erläutert. Im Übrigen bestätigen die Gesetzgebungsmaterialien zum Dienstleistungsstatistikgesetz diese Vorgehensweise des Beklagten, denn dort wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass der Auswahlsatz in der räumlichen Gliederung nach Ländern und innerhalb der darzustellenden Dienstleistungszweige unterschiedlich hoch sein könne (BT- Drucks 14/4049, S. 14). Allein mit der Rüge, dass bei der hier zulässigerweise angewandten geschichteten Zufallsstichprobe in der Schicht, der seine eigenständige Rechtsanwaltstätigkeit zugeordnet wurde, ein Auswahlsatz oberhalb von 15 % vorliege, vermag der Kläger mithin keine durchgreifenden Rechtmäßigkeitszweifel zu begründen. Dass dieser erhöhte Satz unzutreffend ermittelt oder der bundesweite Auswahlsatz nicht eingehalten worden ist, wird von ihm nicht substantiiert behauptet.
Soweit der Kläger weiter damit argumentiert, es sei dem Beklagten mühelos möglich, in Bezug auf Rechtsanwälte und Notare aktuellere Daten zu erlangen, so verhilft auch dies der Klage nicht zum Erfolg. Vielmehr ist es sachgerecht, dass der Beklagte bei der Auswahl der dem Dienstleistungszweig €Rechtsberatung€ zuzuordnenden Erhebungseinheiten nicht auf aktuellere Daten zurückgreift. Denn er hat dies getan, weil nicht hinsichtlich sämtlicher bei der Erhebung zu berücksichtigender Dienstleistungszweige eine entsprechende Aktualität und demgemäß eine hinreichende Vergleichbarkeit aller in die Statistik einfließender Daten herzustellen gewesen wäre (vgl. VG Berlin, Beschluss vom 11. März 2002 - VG 7 A 278.01 -).
Die Heranziehung des Klägers im Jahre 2004 begegnet nach Ansicht der Kammer auch vor dem Hintergrund der so genannten Stichprobenfortschreibung jedenfalls für das streitgegenständliche Jahr keinen Bedenken. Dies ergibt die Auslegung des § 2 Abs. 2 DlStatG (abweichend insoweit VG Leipzig, Urteil vom 26. September 2006 - 4 K 1705/04 -; VG Berlin, Beschluss vom 11. September 2006 - 7 A 357.01 -).
Der Wortlaut und die Systematik des Gesetzes machen hinreichend deutlich, dass 15 % aller Erhebungseinheiten nach einem mathematisch-statistischen Verfahren auszuwählen sind. Denn die €Erhebungseinheiten€ im Sinne des § 1 Abs. 2 Satz 2 DlStatG sind nicht auszuwählen, sondern umfassen nach der Legaldefinition gemäß § 2 Abs. 2 DlStatG (sämtliche) Unternehmen und Einrichtungen zur Ausübung einer freiberuflichen Tätigkeit, die in den Dienstleistungsbereichen nach § 2 Abs. 1 DlStatG tätig sind. Insofern kann sich § 1 Abs. 2 Satz 2 DlStatG nur auf Satz 1 der Norm beziehen und mit den €Erhebungseinheiten€ diejenigen €15 % aller Erhebungseinheiten€ des Satzes 1 meinen. Die zeitliche Vorgabe des § 1 Abs. 2 DlStatG - €jährliche Erhebungen€ - bezieht sich wiederum nicht zwingend auf die Auswahl der 15 % nach dem mathematisch-statistischen Verfahren. Denn die jährlichen Datenerhebungen im Dienstleistungsbereich sind nach dem Wortlaut des § 1 Abs. 2 Satz 1 DlStatG €als Stichprobe bei € (Hervorhebung durch das Gericht) diesen nach dem mathematisch-statistischen Verfahren ausgewählten 15 % vorzunehmen. Die €jährlichen Erhebungen€ beziehen sich somit auf die Stichprobe €bei€ den ausgewählten 15 %, erlauben aber keine verlässlichen Rückschlüsse, innerhalb welcher Abstände diese 15 % auszuwählen sind. Dies ist im Gesetz gerade nicht geregelt worden, unterfällt mithin in der Tat, wie der Beklagte meint, dem Ermessenspielraum der Behörde - und zwar, da es sich um eine Bundesstatistik handelt, dem Statistischen Bundesamt in Wiesbaden (vgl. § 3 Abs. 1 Nr. 1 a Bundesstatistikgesetz - BStatG -). Insofern ist die Bezeichnung €Stichprobenfortschreibung€ sachlich irreführend, weil nicht die Stichprobe fortgeschrieben wird, sondern die ausgewählten 15 % der Erhebungseinheiten über einen längeren Zeitraum beibehalten werden, bei denen dann als jährliche Stichprobe Daten erhoben werden. Da es sich hier um die Heranziehung im Jahre 2004 handelt und erst im Jahr zuvor die Gruppe der 15 % neu ausgewählt worden ist, geht es um die Fortschreibung der Auswahl um ein Jahr. Jedenfalls diese (erstmalige) erneute Verwendung der ausgewählten 15 % ist nach Ansicht der Kammer nicht ermessensfehlerhaft gemäß § 114 VwGO.
Hierfür sprechen ferner Sinn und Zweck des Gesetzes. Die jährlichen Erhebungen sind die wesentliche Grundlage der amtlichen Statistiken wie der Dienstleistungsstatistik, die ihrerseits unmittelbar der aktuellen und situationsbezogenen Wirtschafts-, Sozial- und Arbeitsmarktpolitik dienen. Dieser Aufgabe können sie jedoch nur dann hinreichend Rechnung tragen, wenn die Erhebungen gesichert, dass heißt statistisch verlässlich sind. Sie wären aber nach den nachvollziehbaren Ausführungen des Beklagten im Termin zur mündlichen Verhandlung nicht annähernd in gleichem Maße gesichert, wenn jährlich eine neue Gruppe der Erhebungseinheiten auszuwählen wäre und diese auch 15 % aller Erhebungseinheiten nicht übersteigen dürfte. Vielmehr müsste zur Erzielung gleichermaßen gesicherter Daten bei jährlicher Auswahl aus der Gesamtheit der Erhebungseinheiten ein deutlich größerer Anteil als die hier vom Gesetzgeber vorgegebenen 15 % ausgewählt werden. Jedenfalls die hier allein streitige zweite Verwendung der Auswahl für die Erhebungen im Folgejahr erscheint danach nach Sinn und Zweck des Gesetzes sachgerecht und sogar geboten.
Die Gesetzgebungsmaterialien widersprechen diesem Ergebnis nicht.
Die methodischen Fehler, die der Kläger im Übrigen in Bezug auf das mathematisch-statistische Auswahlverfahren vorbringt (zum Auswahlabstand sowie zu den Größenklassen und Fehlerquoten), beziehen sich ersichtlich allein auf Fehler in der Vergangenheit. Denn er nimmt diesbezüglich im Wesentlichen Bezug auf seinen früheren Schriftsatz vom 28. Juni 2002 im Verfahren 7 A 278.01 bzw. OVG 2 S 13/02 und argumentiert mit Fehlern, die €seinerzeit€ gemacht worden sind, ohne substantiiert auf die in der Klageerwiderung gemachten Ausführungen zur streitgegenständlichen Auswahl und Stichprobe einzugehen.
4. Die Heranziehung des Klägers greift auch nicht unverhältnismäßig in seine Grundrechte aus Art. 14 Abs. 1, 12 Abs. 1, 2 Abs. 1 Grundgesetz - GG - ein. Die beanstandete Maßnahme ist insbesondere angemessen, da sie die Grenze der Zumutbarkeit nicht überschreitet. Das mit der Heranziehung verfolgte öffentliche Interesse ist von erheblichem Gewicht, denn amtliche Statistiken sind - wie dargestellt - die wesentliche Grundlage einer aktuellen und situationsbezogenen Wirtschafts-, Sozial- und Arbeitsmarktpolitik. Nur auf der Grundlage gesicherter Erhebungen dieser Art ist der daseinvorsorgende Staat in der Lage, die von ihm im politischen Bereich als notwendig empfundenen Entscheidungen und Handlungen durch die dazu berufenen Organe zum rechten Zeitpunkt und sachlich richtig zu treffen (VG Berlin, Beschluss vom 11. März 2002 - 7 A 278.01 -). Dieses gewichtige Interesse des Gemeinwohls wird nicht durch das Interesse des Klägers daran überwogen, von - mit der Heranziehung verbundenen - Kosten und Zeitaufwand verschont zu bleiben. Hieran bestehen jedenfalls keine ernsthaften Zweifel mehr, nachdem der Beklagte auf die Beantwortung derjenigen Frage verzichtet hat, hinsichtlich derer der Kläger einen erheblichen Zeitaufwand vorgebracht hat.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Berufung war nicht gemäß § 124 a Abs. 1 VwGO zuzulassen, obwohl die Frage, ob die so genannte Stichprobenfortschreibung mit dem DlStatG vereinbar ist, grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO hat. Denn es ist nicht auszuschließen, dass die Klage bereits unzulässig ist. Da in der Sache jedoch Entscheidungsreife bestand, gab es für die Kammer keine Veranlassung, allein zur Klärung der Frage, ob die Zulässigkeit der Klage gegeben ist, die Sache zu vertagen.
VG Berlin:
Urteil v. 14.02.2007
Az: 2 A 64.06
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