Hessisches Landessozialgericht:
Urteil vom 20. Juni 2011
Aktenzeichen: L 7 AS 255/10
(Hessisches LSG: Urteil v. 20.06.2011, Az.: L 7 AS 255/10)
Tenor
I. Auf die Berufung des Klägers werden der Gerichtsbescheid desSozialgerichts Frankfurt am Main vom 8. April 2009 sowie dieMinderungsbescheide der Beklagten vom 20. August 2007 und vom 23.August 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. August2007 und der Änderungsbescheid vom 21. Juli 2009 aufgehoben.
II. Die Beklagte hat dem Kläger die zur Rechtsverfolgung inbeiden Rechtszügen notwendigen Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen eine Minderung der ihm von der Beklagten bewilligten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB II) wegen zweier Meldeversäumnisse.
Der 1955 geborene Kläger erhält nach vorhergehendem Bezug von Arbeitslosenhilfe seit dem 1. Januar 2005 Arbeitslosengeld II von der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin. Zuletzt € vor dem streitigen Zeitraum € bewilligte sie mit Bescheid vom 8. Mai 2007, geändert durch Bescheid vom 2. Juni 2007, Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit vom 1. Juni 2007 bis 30. November 2007; ab 1. Juli 2007 betrug die Leistung 662,28 Euro, dabei berücksichtigte die Beklagte die Regelleistung in voller Höhe von 347,00 Euro.
Am 6. Juni 2007 lud sie den Kläger für den 4. Juli 2007 um 10:00 Uhr zum €Arbeitsberatungsgespräch nach dem SGB II" ein. In der Einladung bat sie ihn, einen aktuellen Satz Bewerbungsunterlagen sowie das Bewerbertagebuch mitzubringen, und belehrte ihn über die Rechtsfolgen, falls er nicht erscheine.
Der Kläger legte durch Schreiben vom 20. Juni 2007, eingegangen bei der Beklagten am folgenden Tag, Widerspruch gegen die Meldeaufforderung ein, den er insbesondere damit begründete, dass die Beratung ihren Zweck nicht erfülle und die notwendige Anonymität und der Schutz seiner Privatsphäre wiederholt nicht gewahrt worden seien.
Zu dem Termin am 4. Juli 2007 erschien der Kläger nicht. Vielmehr teilte er der Beklagten mit einem am gleichen Tage dort eingegangenen Fax mit, dass er am Vormittag einen dringenden Arzttermin habe. Eine Bescheinigung hierzu werde er nachreichen.
Die Beklagte lud den Kläger daraufhin noch am 4. Juli 2007 erneut zu einem Arbeitsberatungsgespräch nach dem SGB II für den 6. Juli 2007 um 12:00 Uhr ein. Das Schreiben hatte im Übrigen denselben Inhalt wie das Einladungsschreiben vom 6. Juni 2007.
Auch am 6. Juli 2007 erschien der Kläger nicht.
Noch am 6. Juli 2007 lud die Beklagte ihn erneut € nunmehr für den 3. August 2007 um 14:00 Uhr € zum Arbeitsberatungsgespräch ein. Das Schreiben hatte im Übrigen wiederum den gleichen Wortlaut wie die vorherigen Einladungen. Außerdem übersandte sie ihm zwei Anhörungsschreiben wegen der versäumten Meldetermine.
Der Kläger legte daraufhin ärztliche Bescheinigungen vor, wonach er sich am 4. Juli 2007 von 9:00 Uhr bis 10:00 Uhr und am 6. Juli 2007 von 11:00 Uhr bis 12:30 Uhr in ärztlicher Behandlung befunden habe. In einem weiteren Schreiben vom 9. Juli 2007, eingegangen bei der Beklagten am folgenden Tag, beantragte er € Bezug nehmend auf seinen Widerspruch vom 20. Juni 2007 und unter zusammengefasster Wiederholung von dessen Begründung €, den Vollzug des nächsten Meldetermins auszusetzen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 11. Juli 2007 wies die Beklagte sodann den Widerspruch vom 20. Juni 2007 gegen die Einladung für den 4. Juli 2007 zurück. Zu dem Schreiben des Klägers vom 9. Juli 2007 wies die Beklagte € nach Rechtsmittelbelehrung und Unterschrift € darauf hin, dass eine Meldeaufforderung keine Fallgestaltung nach § 86 a Abs. 3 bzw. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) darstelle. Zudem sei durch die Erteilung dieses Widerspruchsbescheids ohnehin kein Raum mehr für die Anwendung der genannten Vorschrift.
Der Kläger erhob daraufhin mit Schreiben vom 22. Juli 2007, eingegangen beim Gericht am 24. Juli 2007, Klage zum Sozialgericht Frankfurt (Az.: S 24 AS 934/07), die er im Wesentlichen mit den Argumenten aus dem Widerspruchsschreiben vom 20. Juni 2007 begründete.
Gegenüber der Beklagten nahm er unter dem 12. Juli 2007 zu den ihm vorgeworfenen Meldeversäumnissen insbesondere dahin Stellung, er gehe davon aus, dass er lediglich am 6. Juli 2007 einem Termin nicht nachgekommen sei, da dieser Termin so festgelegt worden sei, dass er als Ersatztermin für den Termin am 4. Juli 2007 angesehen werden müsse. Aber auch die Nichtwahrnehmung des Termins am 6. Juli 2007 könne nicht als Pflichtverletzung angesehen werden, da er bereits am 20. Juni 2007 Widerspruch gegen den Meldetermin eingelegt habe und dadurch gemäß § 86a Abs. 1 SGG aufschiebende Wirkung eingetreten sei. Beide Termine hätten sich nachweislich mit dringenden Arztterminen überschnitten.
Auch zum folgenden Meldetermin am 3. August 2007 erschien der Kläger nicht.
Dazu hörte die Beklagte ihn mit Schreiben vom 6. August 2007 an.
Unter dem 20. August 2007 erging sodann zum einen ein Minderungsbescheid wegen des versäumten Meldetermins am 4. Juli 2007, mit dem die Beklagte das dem Kläger zustehende Arbeitslosengeld II für die Zeit vom 1. September 2007 bis 30. November 2007 monatlich um 10 % der Regelleistung, höchstens jedoch in Höhe des ihm zustehenden Gesamtauszahlungsbetrages, absenkte. Daraus ergebe sich eine Absenkung in Höhe von maximal 35,00 € monatlich. Die ursprüngliche Bewilligungsentscheidung werde insoweit ab dem 1. September 2007 gemäß § 48 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) aufgehoben. Gründe, die gegen eine Minderung der Leistung sprächen, seien nicht ersichtlich. Mit gleichem Datum erließ die Beklagte zum anderen einen Änderungsbescheid hinsichtlich der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Danach bewilligte sie dem Kläger für die Zeit vom 1. September 2007 bis 30. November 2007 (nur noch) Arbeitslosengeld II in Höhe von 454,28 Euro unter Berücksichtigung eines Minderungsbetrags aufgrund von Sanktionen von 208,00 Euro.
Unter dem 23. August 2007 erließ sie einen weiteren hinsichtlich der Begründung im Wesentlichen gleichlautenden Minderungsbescheid wegen des versäumten Meldetermins am 3. August 2007, mit dem sie das dem Kläger bewilligte Arbeitslosengeld II für die Zeit vom 1. September 2007 bis 30. November 2007 monatlich um 30 % der Regelleistung, höchstens jedoch in Höhe des dem Kläger zustehenden Gesamtbetrages, absenkte. Der Kläger sei innerhalb von zwölf Monaten seit der vorangegangenen Sanktion (Bescheid vom 20. August 2007) wiederholt seiner Meldepflicht nicht nachgekommen. Daraus ergebe sich eine Absenkung in Höhe von 104,00 Euro monatlich. Die ursprüngliche Bewilligungsentscheidung werde insoweit ab dem 1. September 2007 gemäß § 48 Abs. 1 SGB X aufgehoben. Zudem erließ die Beklagte am gleichen Tag wiederum einen Änderungsbescheid hinsichtlich des dem Kläger zustehenden Arbeitslosengeldes II, in dem sie von einem Minderungsbetrag von 139,00 Euro ausging.
Ein vom Kläger anschließend mit Schreiben vom 23. August 2007 eingeleitetes Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes (S 45 AS 1102/07 ER) blieb erfolglos (Beschluss des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 24. September 2007).
Mit Schreiben vom 24. August 2007, eingegangen bei der Beklagten am 27. August 2007, legte der Kläger sodann Widerspruch gegen den Änderungsbescheid vom 20. August 2007 ein und machte dabei geltend, in dem Bescheid werde auf einen weiteren Bescheid vom 20. August 2007 verwiesen, den er nicht erhalten habe.
Nachdem ihn der von der Beklagten daraufhin am 23. August 2007 nochmals versandte Minderungsbescheid vom 20. August 2007 sowie die Bescheide vom 23. August 2007 erreicht hatten, beanstandete er mit Schreiben vom 27. August 2007 die Herabsetzung seiner Leistung insgesamt. Zur Begründung führte er über die bekannten Argumente hinaus im Wesentlichen aus, der Meldetermin vom 4. Juli 2007 sei erst durch den Bescheid vom 20. August 2007 sanktioniert worden. Es sei ihm damit keine Gelegenheit gegeben worden, den aus dem gleichen Grund versäumten Meldetermin am 3. August 2007 vorher rechtlich einer Überprüfung zu unterziehen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 29. August 2007 wies die Beklagte €nach Erteilung des ergänzenden Bescheids vom 23.08.2007" den Widerspruch zurück. Allerdings sei der vom Kläger angegriffene Änderungsbescheid vom 20. August 2007 überholt und als gegenstandslos zu betrachten. Gleiches gelte für den Änderungsbescheid vom 23. August 2007. Als Gegenstand des Widerspruchsverfahrens verblieben damit der Sanktionsbescheid vom 20. August 2007 mit dem Inhalt der Minderung um 10 % der Regelleistung wegen Nichterscheinens zur Meldung am 4. Juli 2007 und der Sanktionsbescheid vom 23. August 2007 mit dem Inhalt der Minderung um insgesamt 30 % wegen wiederholter Verletzung der Meldepflicht am 3. August 2007 (Minderungsbetrag insgesamt 104 Euro). Eine entsprechende teilweise Aufhebung der Leistungsbewilligung vom 8. Mai 2007 bzw. 2. Juni 2007 sei erfolgt. Den Termin am 4. Juli 2007 habe der Kläger, so führte die Beklagte zur Begründung im Wesentlichen aus, ohne wichtigen Grund nicht wahrgenommen; er habe Gelegenheit gehabt, nach dem Arzttermin bei der Beklagten vorzusprechen, um seiner Verpflichtung nachzukommen. Gleiches gelte für den Meldetermin am 3. August 2007. Diesen Termin habe der Kläger nicht wahrgenommen in der unzutreffenden Ansicht, durch seinen Widerspruch vom 20. Juni 2007 bzw. die Klage vom 24. Juli 2007 liege eine aufschiebende Wirkung bezüglich der Einladung nach § 59 SGB II in Verbindung mit § 309 SGB III vor. Nach § 336 a Satz 1 Nr. 4 SGB III hätten aber Widerspruch und Klage gerade keine aufschiebende Wirkung. Durch den Widerspruchsbescheid vom 11. Juli 2007 sei der Kläger darüber auch informiert worden.
Der Kläger hat daraufhin mit Schreiben vom 3. September 2007, eingegangen bei Gericht am 4. September 2007, Klage zum Sozialgericht Frankfurt am Main (SG) erhoben. Dabei hat er im Wesentlichen sein Vorbringen aus dem Anhörungs- und Widerspruchsverfahren wiederholt und vertieft.
Die Beklagte hat insbesondere vorgetragen, der Kläger sei in den Einladungsschreiben vom 6. Juni 2007 und 6. Juli 2007, zudem in einem Schreiben seines Vermittlers vom 25. Juni 2007 und im Widerspruchsbescheid vom 11. Juli 2007 umfassend über die Rechtsfolgen bei Nichtwahrnehmung von Meldeterminen belehrt sowie auf die verschärften Rechtsfolgen bei wiederholten Versäumnissen hingewiesen worden.
Das SG hat dann durch zwei Gerichtsbescheide vom 8. April 2009 die beiden anhängigen Klagen abgewiesen. Wegen der Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte zum Verfahren L 7 AS 205/09 Bl. 21 ff. und die Gerichtsakte zum Verfahren S 45 AS 934/07 Bl. 32 ff. Bezug genommen. Dabei hat es zur Begründung des im hiesigen Verfahren angegriffenen Gerichtsbescheides im Wesentlichen ausgeführt, die Meldeaufforderung zum 4. Juli 2007 sei rechtmäßig gewesen. Der Kläger sei auch schriftlich über die Rechtsfolgen eines Nichterscheinens belehrt worden und dennoch zum Meldetermin nicht erschienen. Einen wichtigen Grund für sein Verhalten habe er nicht nachgewiesen. Den Arztbesuch am 4. Juli 2007 sehe der Kläger € wie er in der Klageschrift vorgetragen habe € selbst nicht mehr als wichtigen Grund an. Daher müsse auf diesen Aspekt nicht näher eingegangen werden und auch nicht darauf, dass der Kläger zunächst sein Nichterscheinen zum Termin auch mit Geh- und Stehproblemen begründet habe. Auch die vom Kläger vorgetragenen Argumente der Ineffektivität der Beratung und eines Verstoßes gegen § 13 Abs. 2 Nr. 3 BDSG, die §§ 67, 84 a SGB X, § 203 StGB und § 42 SGB III könnten keine wichtigen Gründe darstellen. Die Beklagte sei damit berechtigt gewesen, in einem ersten Schritt aufgrund des Verstoßes gegen die Meldeaufforderung zum 4. Juli 2007 das Arbeitslosengeld II des Klägers um 10 % der Regelleistung abzusenken. Die Absenkung um insgesamt 30 % der Regelleistung mit Bescheid vom 23. August 2007 werde von § 31 Absätze 2 und 3 Satz 3 SGB II getragen. Auch die Meldeaufforderung zum 3. August 2007 sei € ebenso wie die zum 4. Juli 2007 € rechtmäßig gewesen. Ein wichtiger Grund fehle. Soweit der Kläger davon ausgegangen sei, dass sein Widerspruch gegen die Meldeaufforderung aufschiebende Wirkung habe, habe er sich in einem vermeidbaren Rechtsirrtum befunden, über den er durch die Beklagte spätestens in ihrem Hinweis zum Widerspruchsbescheid vom 11. Juli 2007 aufgeklärt worden sei. Er könne auch nicht mit Erfolg einwenden, dass die Höhe der Absenkung unangemessen sei, denn die Absenkungshöhe ergebe sich bei Meldeversäumnissen unmittelbar aus dem Gesetz. Nicht gehört werden könne der Kläger auch mit dem Argument, ihm sei keine Gelegenheit gegeben worden, weitere Sanktionierungen zu vermeiden. Denn aufgrund der ihm erteilten Belehrungen habe er zur Kenntnis nehmen müssen, welche Rechtsfolgen eine Verletzung der Meldepflicht nach sich ziehen würde. Hinsichtlich des zulässigen Rechtsbehelfs hat das SG darüber belehrt, der Gerichtsbescheid könne mit der Berufung angefochten werden.
Der Kläger hat dementsprechend € nach Zustellung des Gerichtsbescheides am 11. April 2009 € mit Schreiben vom 3. Mai 2009, eingegangen am 5. Mai 2009, Berufung eingelegt (Az.: L 7 AS 205/09).
Nachdem der Berichterstatter mit Schreiben vom 27. Mai 2009 auf die Unzulässigkeit der Berufung wegen des geringen Beschwerdewerts hingewiesen hatte, hat der Kläger mit Schreiben vom 5. Juni 2009, eingegangen am 8. Juni 2009, Nichtzulassungsbeschwerde erhoben, die unter dem Aktenzeichen L 7 AS 307/09 NZB geführt worden ist. Die Berufung zum Aktenzeichen L 7 AS 205/09 hat er mit Schreiben vom 5. Juli 2009 zurückgenommen.
Die Beklagte hat sodann während des anhängigen Beschwerdeverfahrens mit Bescheid vom 21. Juli 2009 der Beschwer des Klägers teilweise abgeholfen und die Minderung der Regelleistung für die Zeit vom 1. September 2007 bis 30. November 2007 auf insgesamt 70,00 Euro reduziert. Auf Grund des Meldeversäumnisses vom 3. August 2007 trete eine Absenkung der Regelleistung in Höhe von zehn Prozent ein. Der Bescheid vom 23. August 2007 über die Absenkung des Arbeitslosengeldes in Höhe von 30 % der Regelleistung sei damit gegenstandslos. Sie hat dazu ergänzend erläutert, dass auch das Meldeversäumnis am 3. August 2007 nur als erstes Meldeversäumnis behandelt werden könne. Der vorangegangene Bescheid datiere erst vom 20. August 2007; ein €wiederholtes€ Fehlverhalten mit entsprechend verschärfter Sanktion könne nicht festgestellt werden.
Da der Kläger daran festgehalten hat, eine Minderung auf Grund des zweiten Meldeversäumnisses habe gar nicht verhängt werden dürfen, die Beklagte insofern aber zu einer vollständigen Abhilfe nicht bereit gewesen ist, hat der Senat durch Beschluss vom 6. Mai 2010 die Berufung zugelassen und den Rechtsstreit als Berufungsverfahren unter dem hiesigen Aktenzeichen fortgeführt.
Zur Begründung seiner Berufung wiederholt und vertieft der Kläger sein erstinstanzliches Vorbringen. Die Kürzung wegen eines zweiten Sanktionsbescheides setze den Zugang eines ersten Bescheides vor der Pflichtverletzung voraus. Vorher könne der Hilfebedürftige nicht wissen, wie die Behörde sein Verhalten werte. Aus diesem Grunde sei in seinem Fall eine Sanktionierung allenfalls um insgesamt zehn Prozent der Regelleistung wegen des Meldeversäumnisses am 4. Juli 2007 zulässig. Jedenfalls der zweite Minderungsbescheid sei (auch nach der Teilabhilfe) rechtswidrig. Es müsse auch noch einmal darauf hingewiesen werden, dass es sich um ein und denselben Sanktionstatbestand handele: die Ablehnung der Meldepflicht wegen unzureichender Beratung. Ein Grund für eine Meldung habe zudem nicht vorgelegen. Die Beklagte habe nicht eindeutig darlegen können, dass eine akzeptable Berufsberatung an den vorhergehenden Terminen stattgefunden habe.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 8. April 2009 und die Bescheide der Beklagten vom 20. August 2007 und 23. August 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. August 2007 sowie den Änderungsbescheid vom 21. Juli 2009 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt nach der Teilabhilfe ihre Bescheide. Insbesondere sei ein weiteres Meldeversäumnis, wenn das erste noch nicht sanktioniert sei, zwar nicht als wiederholte Pflichtverletzung zu behandeln; in diesem Fall sei aber von zwei €ersten Pflichtverletzungen€ auszugehen. Diese führten zusammen zu einer Minderung des dem Kläger zustehenden Arbeitslosengeldes II um 20% der für ihn maßgeblichen Regelleistung, konkret um 70 Euro, für den streitigen Zeitraum.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten zum hiesigen wie zu dem unter dem Aktenzeichen L 7 AS 205/09 geführten Verfahren, der Akten des Sozialgerichts Frankfurt am Main zum Aktenzeichen S 45 AS 1102/07 ER und S 24 AS 934/07 sowie der zum Kläger geführten Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.
Gründe
Die Berufung ist zulässig und begründet. Der Gerichtsbescheiddes SG und die angegriffenen Bescheide der Beklagten sindaufzuheben. Wegen seines Nichterscheinens zu den Meldeterminen am4. Juli 2007 und am 3. August 2007 muss der Kläger eine Minderungseines Anspruchs auf Arbeitslosengeld II nicht hinnehmen.
I. Gegenstand des Verfahrens sind der klageabweisendeGerichtsbescheid des SG vom 8. April 2009 und die beidenMinderungsbescheide vom 20. August 2007 und vom 23. August 2007 inder Gestalt, die sie durch den Widerspruchsbescheid vom 29. August2007 gefunden haben, sowie der Änderungsbescheid vom 21. Juli 2009,nachdem die Beklagte darin der Beschwer des Klägers nichtvollständig abgeholfen hat. Letzterer ist über §§ 153 Abs. 1 i.V.m.96 SGG Gegenstand des Verfahrens geworden; der Senat hat über ihnauf Klage zu entscheiden. Hinsichtlich des erstenMinderungsbescheides vom 20. August 2007 erscheint es zwarzweifelhaft, ob die Beklagte ihn nicht anlässlich derSanktionierung des weiteren Meldeversäumnisses durch den zweitenMinderungsbescheid vom 23. August 2007 vollständig hätte ablösenmüssen (vgl. in diesem Sinne BSG, 09.11.2010 € B 4 AS 27/10R); da sie dies aber nicht getan hat, sondern imWiderspruchsbescheid vom 29. August 2007 davon ausgegangen ist, derBescheid vom 23. August 2007 ergänze den vom 20. August 2007 unddieser verbleibe Gegenstand des Widerspruchsverfahrens, konnte undmusste der Kläger sowohl den Minderungsbescheid vom 20. August 2007wie den vom 23. August 2007 mit Klage angreifen und das SG wie auchder Senat haben über beide zu entscheiden.
Die beiden Änderungsbescheide vom 20. und 23. August 2007 hatdie Beklagte demgegenüber bereits im Widerspruchsbescheid alsüberholt bezeichnet, offenbar weil sie in der Höhe € und zwarbereits nach der damaligen Rechtsauffassung der Beklagten €unzutreffend waren und sie zudem die Teilaufhebung derursprünglichen Bewilligung auch in den korrespondierendenMinderungsbescheiden vom jeweils gleichen Tag verfügt hatte, sodass gesonderte Änderungsbescheide ihr offenbar überflüssigerschienen. Die Änderungsbescheide hat sie damit aufgehoben, derKläger war durch sie nicht mehr beschwert und hat sie daher nichtmehr zum Gegenstand seiner im gerichtlichen Verfahren gestelltenAnträge gemacht.
Die Beklagte hat darüber hinaus in dem Teilabhilfebescheid vom21. Juli 2009 formuliert, der Bescheid vom 23. August 2007 seidamit gegenstandslos. Bei einer eng am Wortlaut orientiertenAuslegung ließe sich dies so verstehen, dass die Beklagte denursprünglichen Minderungsbescheid aufheben bzw. durch den neuenBescheid vollständig ersetzen wolle. Wegen der Einheit vonAusgangs- und Widerspruchsbescheid (vgl. Leitherer, in:Meyer-Ladewig/Keller/ders., SGG € Kommentar, 9. Aufl. 2008, §95 Rdnr. 2) müsste dies ggf. auch den Widerspruchsbescheiderfassen. Das Verfahren hätte sich insoweit zumindest in der Sacheerledigt; als Bescheid, der die Rechtsfolgen des Meldeversäumnissesam 3. August 2007 regelt, verbliebe nur der Bescheid vom 21. Juli2009. Der Kläger hätte seine Anträge dann sinnvollerweiseentsprechend beschränken müssen; eine Entscheidung über denursprünglichen Bescheid vom 23. August 2007 in Gestalt desWiderspruchsbescheides vom 29. August 2007 in der Sache würdedagegen ausscheiden (vgl. BSG, 14.05.2003 € B 4 RA 26/02 R;außerdem Leitherer, a.a.O., § 96 Rdnr. 7).
Unter Berücksichtigung der sonstigen Umstände ist derRegelungsgehalt des Bescheides vom 21. Juli 2009 allerdings dahinauszulegen, dass mit ihm nur die im Bescheid vom 23. August 2007 inGestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. August 2007ausgesprochene Minderung des Arbeitslosengeldes II reduziert werdensollte. Er ist insofern als Teilabhilfebescheid und damit alsÄnderungsbescheid zu den im Klageverfahren angegriffenen Bescheidenzu verstehen, ohne diese vollständig zu beseitigen. DieserGesichtspunkt der Teilabhilfe wird in dem Schreiben vom 28. Juli2009, mit dem die Beklagte den Bescheid an das Gericht übersandthat, besonders deutlich, war aber auf Grund der Einbindung in diestreitige Auseinandersetzung € die dem Klägerselbstverständlich bekannt war, aber auch aus dem Hinweis, derBescheid werde Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens deutlichwurde € auch für den Kläger aus dem Bescheid selbsterkennbar. Eine gänzliche Neuregelung unter vollständiger Aufhebungdes ursprünglichen Minderungsbescheides widersprach im Übrigen soerkennbar den Interessen der Beklagten und dem rechtlichen Kontext,in dem sie handelte, dass eine entsprechende Auslegung schwer zubegründen wäre € auch wenn man zu berücksichtigen hat, dass §33 Abs. 1 SGB X (i.V.m. § 40 SGB II) für eine Verpflichtung derBeklagten sorgt, ihre Bescheide hinreichend eindeutig zuformulieren. Eine eigenständige Regelung der Minderung für die Zeitvom 1. September 2007 bis 30. November 2007 durch den Bescheid vom21. Juli 2009 wäre nämlich als Aufhebung der ursprünglichenBewilligung nunmehr für die Vergangenheit zu verstehen, wobei dieinsoweit maßgebliche Jahresfrist aus §§ 48 Abs. 4 S. 1 i.V.m. 45Abs. 4 S. 2 SGB X (wiederum i.V.m. § 40 SGB II) inzwischen längstabgelaufen war. Der Bescheid vom 21. Juli 2009 ist im Ergebnis alseine (nur) teilweise Abhilfe und Änderung des Bescheides vom 23.August 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. August2007 zu verstehen.
Letztlich könnte dies im Übrigen sogar offenbleiben. DieBescheidlage ist jedenfalls nicht so eindeutig, dass der Klägernicht wenigstens zur Klarstellung auch die Aufhebung desMinderungsbescheides vom 23. August 2007 in Gestalt desWiderspruchsbescheides vom 29. August 2007 verlangen kann. Und dadiesem Antrag wegen der Rechtswidrigkeit der Bescheide auch zuentsprechen ist, mag auf sich beruhen, ob dem mehr alsklarstellende Bedeutung zukommt.
Die Minderungsbescheide standen schließlich in vollem Umfang zurÜberprüfung des Berufungsgerichts. Hinsichtlich desMeldeversäumnisses vom 4. Juli 2007 hat der Kläger mit Schreibenvom 22. August 2009 zwar erklärt, auf Grund der Teilabhilfe derBeklagten würde er die Nichtzulassungsbeschwerde vom 5. Juni 2009zurücknehmen, d.h., er würde die Sanktion von 10% akzeptieren.Allerdings ging der Kläger irrtümlich, als er dies schrieb, davonaus, die Beklagte habe durch den Bescheid vom 21. Juli 2009 dieMinderung wegen des Meldeversäumnisses am 3. August 2007 insgesamtbeseitigen wollen, während diese tatsächlich nur die ursprünglichzwanzigprozentige Minderung auf eine zehnprozentige reduziert hat.In dem Schreiben vom 22. August 2009 hoffte der Kläger noch aufeine baldige weitere Korrektur, weil er von einem bloßen Versehender Beklagten ausging, und machte auch die Rücknahme seinerNichtzulassungsbeschwerde und damit die Akzeptanz derzehnprozentigen Minderung wegen des Meldeversäumnisses am 4. Juli2007 davon abhängig. Das Schreiben ist insofern als -innerprozessual bedingte € Rücknahme derNichtzulassungsbeschwerde insgesamt zu sehen, wobei diese Bedingungnachfolgend nicht eingetreten ist.
Auch nachdem dem Kläger deutlich geworden war, dass die Beklagtezu einer vollständigen Abhilfe hinsichtlich des Meldeversäumnissesam 3. August 2007 nicht bereit sein würde, hat er € imSchreiben vom 13. September 2009 € allerdings inhaltlich nurbeanstandet, dass die nachträgliche Reduzierung der zweitenSanktion auf zehn Prozent nicht ausreichend sei und der Klage keineAbhilfe verschaffe. Auch dies kann indes nicht als teilweiseRücknahme seiner Nichtzulassungsbeschwerde verstanden werden. DieBeschränkung eines Rechtsbehelfs muss eindeutig, wenn auch nichtunbedingt ausdrücklich erklärt werden. Das ist hier nichtgeschehen, auch wenn der Kläger seine inhaltliche Argumentation imVerfahren vor dem Landessozialgericht € bis zur mündlichenVerhandlung € weitgehend auf das ihm vorgeworfeneMeldeversäumnis am 3. August 2007 beschränkt und zu erkennengegeben hat, dass er eine Sanktion wegen des Meldeversäumnisses am4. Juli 2007 möglicherweise (eher) akzeptieren könne. Einehinreichend eindeutige Prozesserklärung ergibt sich daraus jedochnicht, so dass auch die Minderung wegen des Meldeversäumnisses am4. Juli 2007 und die diesbezüglichen Bescheide Gegenstand desVerfahrens blieben.
II. Mit diesem Inhalt war die Berufung zulässig €insbesondere nach der Zulassung durch Beschluss vom 6. Mai 2010statthaft € und begründet. Die Voraussetzungen für eineMinderung des Anspruchs des Klägers auf Arbeitslosengeld II lagennicht vor. Das ergibt sich schon daraus, dass es sich bei denMeldeaufforderungen zum 4. Juli 2007 und zum 3. August 2007 umVerwaltungsakte handelte, die aber zum jeweiligen Meldetermin nichtvollziehbar waren, so dass der Kläger eine Befolgungspflicht nichthatte und dementsprechend die Beklagte einen Verstoß auch nichtsanktionieren durfte.
1. Bei einer Meldeaufforderung handelte es sich auch im hiermaßgeblichen Zeitraum um einen Verwaltungsakt (vgl. in diesem Sinneauch Voelzke in Hauck/Noftz, SGB II - Kommentar, § 59 Rdnr.16; Meyerhoff in: jurisPK-SGB II, 2. Aufl. 2007, § 59 Rdnr. 20;anders etwa Estelmann in ders., SGB II - Kommentar, § 59 Rdnr. 17).Dies hat der Gesetzgeber hinsichtlich der vergleichbarenMeldeaufforderung nach § 309 SGB III dadurch klargestellt, dassnach § 336a S. 1 Nr. 4 SGB III die aufschiebende Wirkung vonWiderspruch und Klage bei Meldeaufforderungen entfällt. Da einederartige Regelung voraussetzt, dass die Meldeaufforderung alsVerwaltungsakt zu qualifizieren ist, war die zuvor auch imArbeitsförderungsrecht streitige Frage nach deren Rechtscharakterseit der Einführung von § 336a SGB III zum 2. Januar 2002entschieden. Für das SGB II gilt inzwischen das Gleiche; allerdingswurde die entsprechende Vorschrift über den Wegfall deraufschiebenden Wirkung € in § 39 Nr. 4 SGB II € erstdurch das Gesetz zur Neuausrichtung der arbeitsmarktpolitischenInstrumente vom 22. Dezember 2008 (BGBl I 2008, S. 2917; imFolgenden: Neuausrichtungsgesetz) mit Wirkung zum 1. Januar 2009,also nach dem hier streitigen Zeitraum, eingeführt. DieseGesetzesänderung hatte hinsichtlich des rechtlichen Charakters derMeldeaufforderung allerdings nur klarstellende Bedeutung. DieMeldepflicht ist im SGB II durch einen in § 59 SGB II enthaltenenVerweis auf §§ 309 und 310 SGB III geregelt; auch ist einsachlicher Unterschied zwischen der Meldeaufforderung im Rahmen desSGB II zu der nach § 309 SGB III nicht zu erkennen. Da für dieseaber bereits bei Einführung des SGB II zum 1. Januar 2005gesetzlich geklärt war, dass sie als Verwaltungsakt im Sinne von §31 SGB X zu behandeln ist, musste dies von Anfang an auch für dieAufforderung nach § 59 SGB II gelten.
2. Die Meldeaufforderungen der Beklagten vom 6. Juni 2007 undvom 6. Juli 2007, mit denen sie den Kläger zum 4. Juli 2007 bzw.zum 3. August 2007 einlud, waren an den jeweiligenVorspracheterminen nicht vollziehbar.
a) Gegen die Meldeaufforderung zum 4. Juli 2007 legte der Klägermit Schreiben vom 20. Juni 2007, eingegangen bei der Beklagten amFolgetag, Widerspruch ein. Mit Schreiben vom 9. Juli 2007,eingegangen ebenfalls am Folgetag, wandte sich der Kläger gegen dieMeldeaufforderung zum 3. August 2007. Anders als bei dem Schreibenvom 20. Juni 2007 ist das Schreiben vom 9. Juli 2007 zwar nichtausdrücklich als Widerspruch formuliert. Bei der gebotenenAuslegung anhand der erkennbaren Interessen des Klägers musste dieBeklagte es dennoch in diesem Sinne verstehen. Der Kläger bat darinunter Bezugnahme auf den Widerspruch vom 20. Juni 2007 darum, denVollzug des nächsten Meldetermins auszusetzen. Eine derartigeAussetzung ist aber regelmäßig nur € oder jedenfallsrechtlich am unproblematischsten € während eines laufendenWiderspruchsverfahrens möglich (vgl. § 86a Abs. 3 S. 1 SGG). Auchwenn der Kläger eine behördliche Aussetzung nur irrtümlich fürnotwendig erachtete, weil die aufschiebende Wirkung von Gesetzeswegen eintrat (dazu sogleich), war doch daraus und aus dem Bezugauf den zuvor eingelegten Widerspruch das Ziel des Klägershinreichend eindeutig zu entnehmen. Ausgehend von dem sogenanntenMeistbegünstigungsgrundsatz und dem Gebot effektiven Rechtsschutzesaus Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) musste die Beklagte dasSchreiben daher als Widerspruch gegen die erneute Meldeaufforderungauslegen.
b) Dem Widerspruch gegen die Meldeaufforderung kam jeweilsaufschiebende Wirkung zu. Diese folgt aus § 86a Abs. 1 S. 1 SGG,wenn kein Ausnahmefall nach § 86 Abs. 2 SGG (ggf. über dessenNummer 4 i.V.m. einer spezialgesetzlichen Regelung) vorliegt. Dergesetzliche Sofortvollzug einer Meldeaufforderung ergibt sich fürdas SGB II aus § 39 Nr. 4 und gilt damit, wie bereits ausgeführt,erst seit der Änderung des SGB II durch das Neuausrichtungsgesetzund also seit dem 1. Januar 2009. Eine entsprechende Anwendung von§ 336a S. 1 Nr. 4 SGB III im Rahmen des SGB II ist nicht zubegründen; die Verweisung in § 59 SGB II auf die Regeln des SGB IIIbezieht sich nur auf §§ 309 und 310 SGB III. Bis zum 31. Dezember2008 kam daher einem Widerspruch gegen eine Meldeaufforderung€ vorbehaltlich der behördlichen Anordnung des Sofortvollzugs€ aufschiebende Wirkung zu (vgl. dazu auch Estelmann, a.a.O.,§ 31 Rdnr. 17, der aus diesem Zusammenhang allerdings den Schlusszieht, die Meldeaufforderung könne nicht als Verwaltungsakt zuverstehen sein, weil diese durch einen Widerspruch sonst allzuleicht ihrer Wirksamkeit beraubt werden könnte; diese Argumentationvom Ergebnis her überzeugt allerdings € angesichts des engenZusammenhangs mit der Meldeaufforderung nach § 309 SGB III und deraus § 336a SGB III bekannten, vom Gesetzgeber für das SGB II aberbis 31. Dezember 2008 nicht verwirklichten Lösung für diesesProblem € nicht). Von einer entsprechenden Rechtslage ging imÜbrigen auch die Gesetzesbegründung zum Neuausrichtungsgesetz aus;dort (BR-Drs. 755/08, S. 85) heißt es: €Da die Einlegungeines Widerspruchs gegen eine Meldeaufforderung eines Trägers derGrundsicherung für Arbeitsuchende bislang aufschiebende Wirkungentfaltet, haben zur Meldung Aufgeforderte die Möglichkeit, sichdauerhaft ihrer Meldepflicht zu entziehen ohne den Eintritt vonRechtsfolgen befürchten zu müssen. Mit der Neuregelung wird €ebenso wie in § 336a Satz 1 Nr. 4 SGB III € sichergestellt,dass künftig die Einlegung eines Widerspruchs gegen eineMeldeaufforderung eines SGB II-Leistungsträgers keineaufschiebende Wirkung entfaltet.€
c) Die aufschiebende Wirkung war schließlich auch nicht (wieder)entfallen. Den Sofortvollzug hatte die Beklagte nicht angeordnet.Den Widerspruchsbescheid zu der Meldeaufforderung vom 6. Juni 2007zum 4. Juli 2007 erließ die Beklagte erst mit Datum vom 11. Juli2007, also nach dem Meldetermin. Auch der Widerspruch vom 9. Juli2007 war bis zum Meldetermin am 3. August 2007 noch nichtbeschieden. Der Widerspruchsbescheid vom 11. Juli 2007 bezog sichnur auf den Widerspruch vom 20. Juni 2007 gegen den Bescheid vom 6.Juni 2007. Zu dem Schreiben vom 9. Juli 2007 enthielt er lediglichdie Mitteilung, dass eine Meldeaufforderung keine Fallgestaltungnach § 86a Abs. 3 bzw. 2 SGG darstelle. Zudem sei durch dieErteilung dieses Widerspruchsbescheides ohnehin kein Raum mehr fürdie Anwendung der genannten Vorschrift. Schon durch die Platzierungdieser Ausführungen nach Rechtsbehelfsbelehrung und Unterschrift,aber auch auf Grund der Bezeichnung als Hinweis waren dieAusführungen nicht, jedenfalls nicht hinreichend eindeutig alsErteilung eines Widerspruchsbescheides auch hinsichtlich desSchreibens vom 9. Juli 2007 zu verstehen.
Im Übrigen hat der Kläger nach Erteilung desWiderspruchsbescheides umgehend Klage erhoben. Wollte man davonausgehen, dass mit diesem auch der Widerspruch im Schreiben vom 9.Juli 2007 gegen die Meldeaufforderung zum 3. August 2007 beschiedenworden ist, würde sich die aufschiebende Wirkung aus der Klageergeben. Die im Klageschriftsatz vom 22. Juli 2007, eingegangenbeim SG am 24. Juli 2007, relativ offen formulierten Klageanträgezum Verfahren S 24/45 AS 934/07 müssten dann anhand der Interessendes Klägers entsprechend weit ausgelegt werden.
Im Ergebnis dauerte die aufschiebende Wirkung zum Zeitpunkt derMeldetermine am 4. Juli 2007 bzw. 3. August 2007 fort. Der Klägerwar daher nicht gehalten, die Meldeaufforderungen zu befolgen. Erkonnte sich vielmehr, wie es die Gesetzesbegründung zumNeuausrichtungsgesetz an der zitierten Stelle formuliert, seinerMeldepflicht €entziehen€, ohne den Eintritt ihmnachteiliger Rechtsfolgen befürchten zu müssen.
3. Die Absenkung wegen des Meldeversäumnisses am 3. August 2007kann zudem deswegen keinen Bestand haben, weil es sich um die bloßeWiederholung bzw. Bekräftigung einer Obliegenheitsverletzunghandelte, bevor diesbezüglich ein erster Minderungsbescheidergangen war. Auch wenn man das Schreiben vom 9. Juli 2007 nichtals Widerspruch gegen die Meldeaufforderung vom 6. Juli 2007auslegen wollte, müsste die Berufung daher in vollem Umfang Erfolghaben.
Vor Bekanntgabe des ersten Minderungsbescheids ist eine weitereSanktionierung, jedenfalls wenn es sich um eine wiederholte oderfortgesetzte Obliegenheitsverletzung handelt, aus systematischenGründen und im Hinblick auf den Zweck der stufenweisenSanktionierung nicht möglich, und zwar weder als wiederholtePflichtverletzung, wie die Beklagte zunächst angenommen hatte, nochals €zweite erste Pflichtverletzung€, wie die Beklagtesie dem Änderungsbescheid vom 21. Juli 2009 zu Grunde gelegt hat(vgl. ebs. BSG, 09.11.2010 € B 4 AS 27/10 R; Berlit inLPK-SGB II, 3. Aufl. 2009, § 31 Rdnr. 86; wohl auch Valgolio inHauck/Noftz, SGB II, § 31 Rdnr. 99 und 103).
Nach der Systematik des § 31 Abs. 3 SGB II in der ab 1. Januar2007 und auch im maßgeblichen Zeitpunkt geltenden Fassung von § 31Abs. 3 SGB II (im Folgenden: a.F.; ebs. heute § 31 a SGB II)differenzierte dieser hinsichtlich des Umfangs der Sanktionierungstrikt danach, ob es sich um eine erstmalige, eine erstewiederholte Obliegenheitsverletzung oder eine weitere wiederholteObliegenheitsverletzung handelt (vgl. hierzu und zum Folgenden auchBSG, 09.11.2010 € B 4 AS 27/10 R; außerdem Berlit in LPK-SGBII, 3. Aufl. 2009, § 31 Rdnr. 86; ders., Das Sanktionensystem desSGB II, ZFSH/SGB 2008, 3, 14). Daher bedarf es bei wiederholtenMeldeversäumnissen der vorangegangenen Feststellung eines anderen(ggf. bereits wiederholten) Meldeversäumnisses mit einemAbsenkungsbetrag der niedrigeren Stufe. Aus dieser Systematik wirdauch die Funktion der Regelung, nämlich den Betroffenen vor einerwiederholten Pflichtverletzung zu warnen, deutlich (vgl. auchSächs. LSG, 01.11.2007 - L 3 B 292/07 AS-ER, das von einemappellativen und edukatorischen Zweck der Vorschrift spricht).
Liegt ein wiederholtes Meldeversäumnis nicht vor, scheidet aucheine Erhöhung des Minderungsbetrags durch eine zeitgleicheAbsenkung mittels zweier (oder mehrerer) gesonderterMinderungsbescheide mit gleichem Absenkungsbetrag aus, die imErgebnis zu einer Minderung des Arbeitslosengeldes II im gleichenoder ggf. sogar höheren Umfang führen können; andernfalls würde dasgesetzgeberische Konzept der gestuften Absenkung umgangen. EinBescheid, der ein weiteres Meldeversäumnis vor Erlass einesBescheides wegen des vorangegangenen zum Gegenstand hat, kann daherauch nicht teilweise, also mit einer Minderung in gleicher Höhe wiebei dem vorangegangenen Bescheid, als rechtmäßig angesehen werden(vgl. nochmals BSG, 09.11.2010 € B 4 AS 27/10 R).
Das gilt jedenfalls, wenn € wie im hier zu entscheidendenFall € die beiden sanktionierten Meldeversäumnisse in engemZusammenhang stehen. So erscheint bereits fraglich, ob überhauptvon einer wiederholten Pflichtverletzung gesprochen werden kann,wenn der Leistungsempfänger bloß eine bereits dokumentierte Haltungbekräftigt, also z.B. das gleiche Arbeitsangebot wiederholt ablehntoder € wie hier € zu einem Meldetermin mit identischemMeldezweck und in engem zeitlichem Zusammenhang wiederholt nichterscheint (ablehnend etwa LPK-Berlit, a.a.O., § 31 Rdnr. 85; ders.,ZFSH/SGB 2008, 3, 14; Valgolio, a.a.O., § 31 Rdnr. 103; Rixen, in:Eicher/Spellbrink, SGB II € Kommentar, 2. Aufl. 2008, § 31Rdnr. 50c). Jedenfalls ist eine erneute Sanktionierung vor Erlassdes ersten Bescheides nicht möglich. Die Behörde hätte es sonst inder Hand, die einheitliche Entscheidung des Leistungsbeziehers zueinem identischen Lebenssachverhalt durch schnelles Handeln €also ein in rascher Folge wiederholtes Vermittlungsangebot odereine mit kurzer Frist wiederholte Einladung € in nahezubeliebiger Höhe zu sanktionieren.
In einer derartigen Fallkonstellation sind zudem dieWarnfunktion des ersten Sanktionsbescheides und damit der Zweck derstufenweisen Absenkung von augenfälliger Bedeutung. Gerade im Falleder Sanktionierung (nahezu) identischer bzw. fortgeführterObliegenheitsverletzungen € und ein solcher wird hier aus demVorbringen des Antragstellers erkennbar € ist die mit demSystem der gestuften Absenkung offenbar verbundene Erwartung desGesetzgebers, die erste Sanktion möge den Leistungsbezieher warnenund zu einer Änderung seines Verhaltens veranlassen, plausibel.Diese kann sich aber nur erfüllen, wenn die Beklagte das Verhaltenzunächst sanktioniert, dem Betroffenen dadurch in einem Bescheidund also nach abschließender Prüfung zu erkennen gibt, dass seinVerhalten sich aus ihrer Sicht als obliegenheitswidrig darstelltund mit Konsequenzen verbunden ist, und ihm auf diese Weise einenAnlass und Möglichkeit dafür gibt, eine weitereObliegenheitsverletzung zu vermeiden.
Gegen diese Auffassung, also die Ablehnung zweier (odermehrerer) €erster Sanktionen€, hat z.B. das SGReutlingen (30.09.2008 € S 2 AS 4133/07) eingewandt, aufdiese Weise würde die Funktion des § 31 Abs. 3 SGB II a.F. in ihrGegenteil verkehrt: § 31 Abs. 3 SGB II a.F. solle denHilfebedürftigen nicht schützen, sondern eine Härtesanktionermöglichen. Würde man § 31 Abs. 3 SGB II a.F. aber eine generelleSperrwirkung für alle mehrfachen Pflichtenverstöße zubilligen, kämedies einer zeitweisen €Immunität€ gleich, die nichtIntention des § 31 Abs. 3 SGB II a.F. sei. Diese Auffassungverfehlt jedoch den Zweck des § 31 SGB II, wonach es €jedenfalls bei einem verfassungsgemäßen Verständnis der Vorschrift€ nicht in erster Linie um eine Sanktionierung, vulgoBestrafung, des Betroffenen geht, sondern eben darum, eineVerhaltensänderung zu befördern. Unter diesem Gesichtspunkt ist derBetroffene aber im Zeitraum zwischen der Obliegenheitsverletzungund der behördlichen Reaktion darauf nicht oder jedenfalls nicht inerster Linie €immun€ gegen weitere Sanktionen, sondernes ist noch nicht erkennbar, ob die erste Minderung ihren Zweckerreichen kann oder nicht, so dass eine weitere Sanktion noch nichtgeboten ist.
Für ein entsprechendes Verständnis der Vorschrift sprichtschließlich, dass bei deren Auslegung wegen des mit der Absenkungverbundenen Eingriffs in das sozio-kulturelle ExistenzminimumVerschuldens- und Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkte vonerheblicher Bedeutung sind (vgl. pointiert in diesem SinneSchmidt-De Caluwe in Estelmann, SGB II € Kommentar, § 31Rdnr. 10). Eine €vervielfachte€ Sanktionierung für einejedenfalls im Wesentlichen einheitliche bzw. fortgesetzteObliegenheitsverletzung ist danach nur zu rechtfertigen, wenn zuvordurch den Absenkungsbescheid und die mit ihm verbundene Warnungeine Zäsur eingetreten ist.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
IV. Ein Grund, die Revision zuzulassen, besteht nicht(mehr).
Hinsichtlich der Rechtsfrage, ob ein €erstes€Meldeversäumnis, das in engem Zusammenhang mit einemvorangegangenen €zweiten€ Meldeversäumnis steht, zueiner weiteren Sanktion führen kann, ist die Klärungsbedürftigkeitentfallen; mit der Entscheidung des BSG vom 9. November 2010 (B 4AS 27/10 R) liegt inzwischen höchstrichterliche Rechtsprechungvor.
Die weitere Rechtsfrage, ob dem Widerspruch gegen eineMeldeaufforderung aufschiebende Wirkung zukommt, stellt sich fürdie aktuelle, seit 1. Januar 2009 maßgebliche Rechtslage nicht mehrbzw. nicht mehr in vergleichbarer Form. Durch dasNeuausrichtungsgesetz ist in § 39 SGB II eine Nr. 4 angefügtworden, nach der Widerspruch und Klage gegen einen Verwaltungsakt,mit dem nach § 59 SGB II in Verbindung mit § 309 SGB III zurpersönlichen Meldung bei der Agentur für Arbeit aufgefordert wird,keine aufschiebende Wirkung haben. Hinsichtlich der hier streitigenFragen ist damit die Klärungsbedürftigkeit entfallen.
Hessisches LSG:
Urteil v. 20.06.2011
Az: L 7 AS 255/10
Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/bc5773acf286/Hessisches-LSG_Urteil_vom_20-Juni-2011_Az_L-7-AS-255-10