Bundespatentgericht:
Urteil vom 10. Mai 2011
Aktenzeichen: 4 Ni 61/09

(BPatG: Urteil v. 10.05.2011, Az.: 4 Ni 61/09)

Tenor

I. Das europäische Patent 1 599 703 wird mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland für nichtig erklärt.

II. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

III. Das Urteil ist im Kostenpunkt gegen Sicherheitsleistung von 120 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des auch mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 1 599 703 (Streitpatent), das am 26. Februar 2004 unter Inanspruchnahme der Prioritäten der britischen Patentanmeldungen GB 0304358 vom 26. Februar 2003 und GB 0305175 vom 7. März 2003 angemeldet worden ist. Das Streitpatent ist in der Verfahrenssprache Englisch veröffentlicht und wird beim Deutschen Patentund Markenamt unter der Nr. 60 2004 005 427 geführt. Es betrifft eine Navigationseinrichtung mit Berührungsschirm und umfasst acht Ansprüche, die sämtlich angegriffen sind.

Die unabhängigen Patentansprüche 1 und 5 lauten in der Verfahrenssprache Englisch:

und in deutscher Sprache:

Wegen der weiteren unmittelbar oder mittelbar auf die Ansprüche 1 bzw. 5 rückbezogenen Ansprüche 2 bis 4 bzw. 6 bis 8 wird auf die Streitpatentschrift EP 1 599 703 B1 Bezug genommen.

Die Klägerin stützt ihre Klage auf fehlende Neuheit und fehlende erfinderische Tätigkeit der unabhängigen Patentansprüche 1 und 5. Die Unteransprüche 2 bis 4 und 6 bis 8 könnten keinen selbständigen Schutz begründen. Sie beruft sich auf verschiedene Druckschriften, darunter K11: TomTom Navigator, Bedienungsanleitung, 1996-2002, Palmtop B.V., The Netherlands.

Die Klägerin ist der Ansicht, dass die in Anspruch genommenen Prioritäten dem Streitpatent nicht zukämen, da das Merkmal, wonach die berührungsempfindliche Zone einen Bereich von zumindest 0,7 cm aufweise, in den Prioritätsdokumenten nicht offenbart sei. Der maßgebliche Zeitrang des Streitpatents sei folglich der Anmeldetag der WO 2004/076979, also der 26. Februar 2004.

Die Klägerin beantragt, das Patent EP 1 599 703 B1 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig zu erklären.

Der Beklagte beantragt, die Klage insgesamt, hilfsweise insoweit abzuweisen, als sie sich gegen die Patentansprüche 1 bis 8 in folgender Fassung richtet:

1. Eine tragbare Navigationseinrichtung mit einem integralen GPS-Empfänger, welche Navigationseinrichtung mit einer Kartendatenbank und Software programmiert ist, welche es ermöglicht, eine Fahrtroute zu planen und

(i)

einen normalen Navigationsmodusbildschirm, der auf einem Berührungsbildschirmdisplay angezeigt ist, bei dem die gegenwärtige Position der Einrichtung auf einer Karte zusammen mit einer grafischen Angabe über zumindest einen Teil der zu nehmenden Fahrtroute gezeigt wird, oder

(ii)

einen Menübildschirm erzeugt; wobei die Einrichtung derart ausgeführt ist, dass wenn ein Anwender das Display an einer vorher festgelegten Zone, die einen Bereich von zumindest 0,7 cm aufweist, berührt, bewirkt wird, dass der normale Navigationsmodusbildschirm durch den Menübildschirm vollständig ersetzt wird, wobei der Menübildschirm das Wählen von auf dem Menübildschirm aufgelisteten Kernnavigationsfunktionen ermöglicht, indem der Anwender ein entsprechendes Bildsymbol oder eine entsprechende Taste, das/die auf dem Berührungsbildschirmdisplay gezeigt ist, ebenfalls an einer Zone, die einen Bereich von zumindest 0,7 cm aufweist, berührt.

2.

Einrichtung gemäß Anspruch 1, wobei die Software mit einem Taschencomputer betrieben wird.

3.

Einrichtung gemäß einem der vorhergehenden Ansprüche, wobei die Einrichtung in einem Fahrzeug montiert wird.

4.

Einrichtung gemäß einem der vorhergehenden Ansprüche, wobei die Berührungszone durch ein einmaliges oder ein zweimaliges Berühren aktiviert wird.

5.

Ein Verfahren zur Anzeige von Navigationsinformationen, wobei das Verfahren in einer tragbaren Navigationseinrichtungmit einem integralen GPS-Empfänger eingesetzt wird, welche mit einer Kartendatenbank und Software programmiert wurde, die das Planen einer Fahrtroute ermöglicht; wobei das Verfahren folgende Schritte beinhaltet:

(a)

Die Einrichtung gibt auf einem Berührungsbildschirmdisplay einen normalen Navigationsmodusbildschirm an, auf dem die gegenwärtige Position der Einrichtung auf einer Karte zusammen mit einer grafischen Angabe über zumindest einen Teil der zu nehmenden Fahrtroute gezeigt wird; und

(b)

die Einrichtung funktioniert derart, dass wenn ein Anwender das Display an einer vorher festgelegten Zone, die einen Bereich von zumindest 0,7 cm aufweist, berührt, bewirkt wird, dass der normale Navigationsmodusbildschirm durch einen Menübildschirm vollständig ersetzt wird, wobei der Menübildschirm das Wählen von auf dem Menübildschirm aufgelisteten Kernnavigationsfunktionen ermöglicht, indem der Anwender ein entsprechendes Bildsymbol oder eine entsprechende Taste, das/die auf dem Berührungsbildschirmdisplay gezeigt ist, ebenfalls an einer Zone, die einen Bereich von zumindest 0,7 cm aufweist, berührt.

6.

Verfahren gemäß Anspruch 5, wobei die Software mit einem Taschencomputer betrieben wird.

7.

Verfahren gemäß Anspruch 5 oder 6, wobei die Einrichtung als ein fahrzeuginternes Navigationssystem verwendet wird.

8.

Verfahren gemäß einem der Ansprüche 5 bis 7, wobei die Berührungszone durch ein einmaliges oder ein zweimaliges Berühren aktiviert wird.

Die Beklagte ist der Ansicht, dass der Gegenstand des Patents patentfähig sei, weil keine der von der Klägerin vorgelegten Druckschriften ihn mit sämtlichen Merkmalen vorweg nehme oder nahe lege.

Der Senat hat den Parteien einen frühen gerichtlichen Hinweis nach § 83 Abs. 1 PatG zugeleitet. Auf Blatt 139 ff. und 144 ff. der Akten wird Bezug genommen.

Gründe

I.

Die Klage ist zulässig und begründet, denn der Gegenstand des Streitpatents beruht weder nach dem Hauptnoch nach dem Hilfsantrag der Beklagten auf erfinderischer Tätigkeit gegenüber dem Stand der Technik. Dies führt zur Nichtigerklärung des Streitpatents mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG, Art. 138 Abs. 1 Buchst. a, Art. 56 EPÜ).

Als Durchschnittsfachmann, auf dessen Sichtweise es im vorliegenden Fall für die Auslegung des Streitpatents und des maßgeblichen Stands der Technik ankommt, ist nach Auffassung des Senats ein mit der Entwicklung von Navigationseinrichtungen mit Berührungsbildschirmen befasster, berufserfahrener Diplom-Ingenieur der Fachrichtung Elektrotechnik anzusehen.

II.

1. Das Streitpatent betrifft eine mit einem Berührungsbildschirm gesteuerte Navigationseinrichtung, die Navigationsdaten anzeigen kann und besondere Anwendung als ein autointernes Navigationssystem finden soll.

Die Streitpatentschrift führt in Absatz [0002] aus, dass auf GPS basierende Einrichtungen gut bekannt und als autointerne Navigationssysteme weit verbreitetseien. Mit Hilfe bekannter Software könne der Anwender in einen an einen GPS-Empfänger angeschlossenen Mini-Computer (PDA) eine Startund Zieladresse eingeben, worauf die Software die Fahrtroute zwischen diesen Punkten berechne und Anweisungen zum Navigieren dieser Fahrtroute anzeige. Über die Informationen aus dem GPS-Empfänger und/oder aus einer Kartendatenbank könne die Software in regelmäßigen Abständen die aktuelle Position des PDA bestimmen und passende Navigationsanweisungen anzeigen (und sprechen). Die Navigationseinrichtung könne ein internes System zum Empfang von Standortsdaten aufweisen, wie etwa einen GPS-Empfänger, oder lediglich an einen Empfänger, der Standortsdaten empfangen könne, anschließbar sein.

Nach Absatz [0003] der Streitpatentschrift gebrauchen PDAs oft Berührungsbildschirme, wobei die Eingabe in der Regel unter Verwendung eines dünnen Stifts geschehe, weil die Größe der einzelnen Tasten oder anderen wählbaren Elemente relativ klein sei. Es gebe zwar Anwendungen, bei denen die Tasten groß genug seien, dass man sie mit dem Finger bedienen könne. Wenn jedoch eine große Anzahl von Tasten gleichzeitig angezeigt werden solle, müsse eine kleine virtuelle Tastatur verwendet werden, wobei die Tasten dann mit einem Stift angewählt werden müssten.

Ausgehend von dieser Problemstellung gibt die Streitpatentschrift in Absatz [0008] als Zusammenfassung der Erfindung an, einen Satz an Kernfunktionen zu identifizieren und es dann zu ermöglichen, dass sie alle durch eine Berührung mit dem Finger auf einer für eine verlässliche Aktivierung ausreichend großen Berührungseingabezone verlässlich gewählt bzw. aktiviert werden können. Hierbei umfassten die Kernfunktionen solche Funktionen, die nicht von demselben Bildschirm aus gewählt oder aktiviert werden könnten und daher über mehrere unterschiedliche Bildschirme hinweg vorhanden sein müssten. Dieser Ansatz des Eingriffs durch den Anwender sei einfacher, flexibler und intuitiver als die Ansätze des Stands der Technik (Abs. [0009]).

2. Ausgehend von dieser Problemstellung schlägt das Streitpatent im erteilten Patentanspruch 1 eine Vorrichtung mit folgenden Merkmalen vor:

M1 Eine tragbare Navigationseinrichtung, M1a die mit einer Kartendatenbank und Software programmiert ist, M2 welche es ermöglicht, eine Fahrtroute zu planen und M3a (i) einen normalen Navigationsmodusbildschirm, der auf einem Berührungsbildschirmdisplay angezeigt ist, bei dem die gegenwärtige Position der Einrichtung auf einer Karte zusammen mit einer grafischen Angabe über zumindest einen Teil der zu nehmenden Fahrtroute gezeigt wird, oder M3b (ii) einen Menübildschirm erzeugt;

M4 wobei die Einrichtung derart ausgeführt ist, M4a dass wenn ein Anwender das Display an einer vorher festgelegten Zone, die einen Bereich von zumindest 0,7 cm2 aufweist, berührt, M4b bewirkt wird, dass der normale Navigationsmodusbildschirm durch den Menübildschirm ersetzt wird, M4c wobei der Menübildschirm das Wählen von auf dem Menübildschirm aufgelisteten Kernnavigationsfunktionen ermöglicht, M4d indem der Anwender ein entsprechendes Bildsymbol oder einen entsprechenden Schlüssel, das/der auf dem Berührungsbildschirmdisplay gezeigt ist, ebenfalls an einer Zone, die einen Bereich von zumindest 0,7 cm2 aufweist, berührt.

Die Merkmale des Patentanspruchs 1 gemäß Hilfsantrag lassen sich wie folgt gliedern (Änderungen gegenüber dem erteilten Patentanspruch unterstrichen):

M1' Eine tragbare Navigationseinrichtung mit einem integralen GPS-Empfänger, M1a' welche Navigationseinrichtung mit einer Kartendatenbank und Software programmiert ist, M2 welche es ermöglicht, eine Fahrtroute zu planen und M3a (i) einen normalen Navigationsmodusbildschirm, der auf einem Berührungsbildschirmdisplay angezeigt ist, bei dem die gegenwärtige Position der Einrichtung auf einer Karte zusammen mit einer grafischen Angabe über zumindest einen Teil der zu nehmenden Fahrtroute gezeigt wird, oder M3b (ii) einen Menübildschirm erzeugt;

M4 wobei die Einrichtung derart ausgeführt ist, M4a dass wenn ein Anwender das Display an einer vorher festgelegten Zone, die einen Bereich von zumindest 0,7 cm2 aufweist, berührt, M4b' bewirkt wird, dass der normale Navigationsmodusbildschirm durch den Menübildschirm vollständig ersetzt wird, M4c wobei der Menübildschirm das Wählen von auf dem Menübildschirm aufgelisteten Kernnavigationsfunktionen ermöglicht, M4d indem der Anwender ein entsprechendes Bildsymbol oder eine entsprechende Taste, das/die auf dem Berührungsbildschirmdisplay gezeigt ist, ebenfalls an einer Zone, die einen Bereich von zumindest 0,7 cm2 aufweist, berührt.

III.

Der Gegenstand des erteilten Patentanspruchs 1 beruht nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit des zuständigen Fachmanns, denn er ergibt sich für ihn in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik nach der Druckschrift K11.

Aus dieser Druckschrift ist (vgl. Seite 1, erster Absatz) eine tragbare (Pocket PC) Navigationseinrichtung (Fahrzeugnavigationssystem) entsprechend Merkmal M1 bekannt, die mit einer Kartendatenbank und Software (TomTom Navigator ist mit Karten für die meisten Städte, Orte und Straßen in vielen Ländern und Staaten erhältlich, Seite 1, erster Absatz) programmiert ist (= Merkmal M1a), welche es ermöglicht, eine Fahrtroute (Seite 1, erster Absatz: "TomTom Navigator ist eine fortgeschrittene Straßenkartenund Routenplanungsanwendung"; Seite 16, letzter Satz: "Nach Auswahl eines Zielpunkts wechselt TomTom Navigator sofort in den Navigationsmodus") zu planen (= Merkmal M2) undeinen normalen Navigationsmodusbildschirm (vgl. Abschnitt 10 -Fahrzeugnavigation -Abbildungen 19 und 23: Karte im Navigationsmodus), der auf einem Berührungsbildschirm (vgl. Seite 13, vorletzter Absatz: "Um eine einfache und sichere Verwendung im Fahrzeug sicherzustellen, benötigen Sie keinen Stift, sondern können mit dem Finger auf das Navigator-Menü tippen") angezeigt ist, bei dem die gegenwärtige Position der Einrichtung auf einer Karte zusammen mit einer grafischen Angabe über zumindest einen Teil der zu nehmenden Fahrtroute (vgl. die Abbildungen 19 und 23) gezeigt wird (= Merkmal 3a), odereinen Menübildschirm (vgl. Abbildung 21: Navigator-Menü und Abbildung 22: Navigationsoptionen; Seite 13 -10. Fahrzeugnavigation -erster Aufzählungspunkt: "Im Navigationsmodus ... können Sie von der Verwendung der Karte ... zu den Navigationsanweisungen wechseln.) erzeugt (= Merkmal M3b).

Dabei ist die Einrichtung derart ausgeführt (= Merkmal M4), dass wenn ein Anwender das Display an einer vorher festgelegten Zone berührt (vgl. Seite 13, vorletzter Absatz: "Um eine einfache und sichere Verwendung im Fahrzeug sicherzustellen, benötigen Sie keinen Stift, sondern können mit dem Finger auf das Navigator-Menü tippen"), wobei der Fachmann für diese Zone zum Zweck der Berührung mit einem Finger in naheliegender Weise einen an die Größe des Fingers angepassten Bereich von zumindest 0,7 cm2 vorsehen wird (= Merkmal M4a), bewirkt wird, dass der normale Navigationsmodusbildschirm (Abbildung 19: Navigationsmodus) durch den Menübildschirm (Abbildung 21: Navigator-Menü) ersetzt wird (vgl. Seite 14, letzter Satz: "Im Navigationsmodus können Sie durch Tippen auf die Bildschirmmitte immer zum Navigator-Menü zurückkehren").

Zwischen den Parteien war strittig, ob der Bildschirm dabei vollständig oder nur teilweise ersetzt wird (wobei klar ist, dass nicht der eigentliche Bildschirm selbst, sondern lediglich der angezeigte Bildschirminhalt ersetzt wird). Nach Ansicht der Beklagten wird beim Gegenstand des erteilten Patentanspruchs 1 der Navigationsmodusbildschirm durch den Menübildschirm vollständig ersetzt (was auch in der "oder"-Alternative der Merkmale M3a und M3b zum Ausdruck komme), wohingegen beim Stand der Technik gemäß der Druckschrift K11 eine Windows-Oberfläche mit überlappenden Fenstern vorgesehen sei, wobei durch das Öffnen des neuen Fensters das zuvor geöffnete Fenster nicht vollständig, sondern nur teilweise (nämlich zu 80 %) unsichtbar werde (Abbildung 21).

Dem ist aber entgegen zu halten, dass auch bei der aus der Druckschrift K11 bekannten Windows-Oberfläche eine vollständige Überlappung ohne weiteres möglich ist (was auch die Beklagte in der mündlichen Verhandlung nicht bestritten hat), d. h. auch hier kann der Navigationsmodusbildschirm durch den Menübildschirm vollständig ersetzt werden.

Es ist für den Fachmann auch naheliegend, eine vollständige Überlappung vorzusehen, weil er dadurch -im Interesse einer möglichst bedienungsfreundlichen Display-Gestaltung -mehr Platz für die Anzeige der momentan aktiven Bildschirmoberfläche gewinnt. Auf diese Weise kann er zum einen die Lesbarkeit der Informationen auf den üblicherweise bei tragbaren Navigationseinrichtungen recht kleinen Bildschirmen verbessern und zum anderen eine größere Anzahl von Berührungszonen und somit Schaltfunktionen auf dem aktiven Bildschirm unterbringen.

Einen Hinweis, den Navigationsbildschirm durch den Menübildschirm vollständig zu ersetzen, erhält der Fachmann im Übrigen auch durch K11, Seite 17, vierter Absatz, wo angegeben ist, dass die Karte ausgeblendet werden kann, wodurch die grafischen/numerischen Anweisungen und die Textanweisungen zentriert und vergrößert werden. Dort geht es zwar nicht um die (vollständige) Ersetzung des Navigationsmodusdurch den Menübildschirm, jedoch kommt an dieser Textstelle der allgemeine Gedanke zum Ausdruck, die verfügbare Bildschirmoberfläche im Interesse einer verbesserten Lesund Bedienbarkeit für die Anzeige der momentan relevanten Informationen zur Verfügung zu stellen und dafür vorübergehend vollständig auf die Kartenanzeige zu verzichten.

Das Merkmal M4b ist dem Fachmann somit durch die Druckschrift K11 nahegelegt.

Weiterhin ermöglicht der Menübildschirm (vgl. die Seiten 15 und 16 und die Abbildungen 21 und 22) das Wählen von auf dem Menübildschirm aufgelisteten sogenannten Kernnavigationsfunktionen (z. B. "Navigieren zu"), unter denen der Fachmann häufig benutzte, wichtige Funktionen versteht, die er aus ergonomischen Gründen und zur Vereinfachung der Bedienung in naheliegender Weise bevorzugt direkt auf dem Menübildschirm, und nicht in einem Untermenü, anordnen wird (= Merkmal M4c).

Dafür berührt der Anwender ein entsprechendes Bildsymbol (vgl. die Abbildungen 21 und 22) oder eine entsprechende Taste, das/die auf dem Berührungsbildschirmdisplay gezeigt wird, an einer Zone, für die der Fachmann wegen der Berührung mit einem Finger in naheliegender Weise ebenfalls einen an die Größe des Fingers angepassten Bereich von zumindest 0,7 cm2 vorsehen wird (= Merkmal M4d).

Nach Ansicht der Beklagten stellt neben ergonomischen Gesichtspunkten auch das Bemühen um einen möglichst geringen Stromverbrauch einen Aspekt dar, der zur Begründung der erforderlichen Erfindungshöhe geeignet sei. Dem Streitpatent liege nämlich auch der Gedanke zu Grunde, dass Strom eingespart werden könne, wenn bei der Bedienung des Navigationsgeräts seltener zwischen verschiedenen Menü-Ebenen gewechselt werden müsse. Dem ist aber entgegen zu halten, dass sich weder in der Streitpatentschrift noch in den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen ein Hinweis auf eine mögliche Stromeinsparung findet. Im übrigen ist für den Senat auch nicht ersichtlich, dass der Stromverbrauch im Fall einer Überlappung von Windows-Fenstern (wie in K11) höher ist als bei einem völligen Ersetzen eines Fensters gemäß Merkmal 4b des Streitpatents.

IV.

Auch der Gegenstand des Patentanspruchs 1 gemäß Hilfsantrag beruht nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit des zuständigen Fachmanns, denn auch er ergibt sich für ihn in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik nach der Druckschrift K11.

Dieser Gegenstand unterscheidet sich von dem des erteilten Patentanspruchs 1 durch einen integralen GPS-Empfänger, den die tragbare Navigationseinrichtung aufweist (vgl. das Merkmal M1'), wobei über die konkrete technische Ausbildung dieser Maßnahme nichts ausgesagt ist.

Bei der aus der Druckschrift K11 bekannten Navigationseinrichtung (vgl. Seite 1, erster Absatz) handelt es sich um ein tragbares Gerät, das auch von Fußgängern benutzt werden kann (vgl. Seite 9, letzter Absatz: "Zu Fuß", und Seite 10, Abschnitt 7: "oder Gehanweisungen"). Ferner ist das Vorhandensein eines GPS-Empfängers unabdingbare Voraussetzung für eine Navigation und die Berechnung einer Route. Auf Seite 1, erster Absatz, der K11 ist auch eine Verbindung des TomTom Navigators mit einem GPS-Gerät erwähnt.

Die Verbindung der beanspruchten Navigationseinrichtung mit einem GPS-Empfänger war dem Fachmann demnach bekannt. Es hat für ihn aber auch nahe gelegen, den GPS-Empfänger als integralen Bestandteil der Navigationseinrichtung vorzusehen (entsprechend Merkmal M1'), und ihn nicht etwa nur separat anzuordnen. Dies ergibt sich schon aus seinem Bemühen, das tragbare Navigationsgerät in seiner Handhabbarkeit einfacher und sicherer zu machen.

Die Ergänzung "welche Navigationseinrichtung" im Merkmal M1a' beinhaltet dagegen keine inhaltliche Änderung gegenüber dem erteilten Patentanspruch 1 und das zusätzliche Merkmal "vollständig" im Merkmal M4b' wurde bereits zum erteilten Patentanspruch 1 abgehandelt.

V.

Die Anträge der Beklagten sind ausschließlich auf Aufrechterhaltung des Streitpatents in vollem Umfang bzw. (hilfsweise) nach Maßgabe der Patentansprüche 1 bis 8 gerichtet. Eine Aufrechterhaltung des Streitpatents im Umfang des erteilten Nebenanspruchs 5 oder der erteilten Unteransprüche 2 bis 4 und 6 bis 8 kommt schon deshalb nicht in Betracht. Darüber hinaus lassen diese Ansprüche, ebenso wie die Ansprüche 2 bis 8 in der Fassung des Hilfsantrags, keine den Patentschutz begründenden Maßnahmen erkennen, was die Beklagte im Übrigen auch nicht geltend gemacht hat (vgl. dazu BGH GRUR 2007, 862 ff. -Informationsübermittlungsverfahren II in Fortführung von BGH GRUR 1997, 120 ff. -elektrisches Speicherheizgerät).

Daher ist das Streitpatent in vollem Umfang für nichtig zu erklären. Hierbei kann dahinstehen, ob es die Prioritäten der britischen Patentanmeldungen zu Recht in Anspruch nimmt, nachdem die hier relevante Druckschrift K11 nicht in das Zeitintervall zwischen der älteren Priorität und dem Anmeldetag des Patents fällt.

VI.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 99 Abs. 1 PatG i. V. m. § 709 ZPO.

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BPatG:
Urteil v. 10.05.2011
Az: 4 Ni 61/09


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