Finanzgericht Münster:
Urteil vom 16. September 2015
Aktenzeichen: 7 K 781/14 AO
(FG Münster: Urteil v. 16.09.2015, Az.: 7 K 781/14 AO)
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit einer Pfändungsverfügung und hier insbesondere um die Frage, ob und ggfs. wie eine Internet-Domain gepfändet werden kann.
Die Klägerin - eine Genossenschaft - verwaltet und betreibt als Registrierungsstelle Internet-Domains, insbesondere unterhalb der X-Domain .de, und nimmt alle damit zusammenhängenden Aufgaben wahr. Dazu gehören beispielsweise die Unterhaltung der entsprechenden Anlagen, die Beratung und Schulung der Mitglieder, die Betreuung und Information der Inhaber registrierter Domains und die Wahrnehmung der genossenschaftlichen wie der Interessen der gesamten deutschen Internetgemeinschaft, § 2 Abs. 1 des Statutes der Klägerin (Blatt 182 der Gerichtsakte).
Wer eine Domain registrieren lassen will, kann sich direkt an die Klägerin oder an jeden Provider aus der Liste der Mitglieder der Klägerin wenden und bei diesem die Registrierung in Auftrag geben. Unabhängig von der Entscheidung für einen bestimmten Provider erfolgt die Domainregistrierung selbst durch die Klägerin. Daher besteht neben dem Vertragsverhältnis mit einem Provider (über den bestellten Service und die Domainverwaltung) immer auch ein Vertragsverhältnis mit der Klägerin, die allein die Registrierung vornehmen kann. Mit Abschluss des Registrierungsvertrages erhält der Anmelder einen Anspruch auf Registrierung nach Maßgabe der Registrierungsbedingungen und -richtlinien der Klägerin. Dieser Anspruch ist gerichtet auf die Eintragung der Domain in das Register der Klägerin und den Primary Nameserver. Daneben bestehen weitere Ansprüche des Domaininhabers wie z.B. die auf Anpassung des Registers an seine veränderten persönlichen Daten oder ihre Zuordnung zu einem anderen Rechner durch Änderung der IP-Nummer. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Domainrichtlinien (Blatt 194 ff der Gerichtsakte) und die Domainbedingungen der Klägerin (Blatt 201 ff der Gerichtsakte), die für den jeweiligen Domainvertrag zwischen ihr und dem einzelnen Domaininhaber gelten, verwiesen.
Aufgrund rückständiger Steuern und steuerlicher Nebenleistungen des Vollstreckungsschuldners P., der einen Online-Shop mit Unterhaltungselektronik betreibt, in Höhe von insgesamt 89.079,10 € erließ der Beklagte unter dem 15.05.2013 eine Pfändungsverfügung gegenüber der Klägerin als Drittschuldnerin. Darin pfändete der Beklagte den Anspruch des Vollstreckungsschuldners auf Aufrechterhaltung der Registrierung "P.de" als Hauptanspruch aus dem mit der Klägerin geschlossenen Registrierungsvertrag und alle weiteren sich aus dem Vertragsverhältnis ergebenden Nebenansprüche. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Pfändungsverfügung vom 15.05.2013 (Vollstreckungsakte) verwiesen.
Mit ihrem Einspruch gegen die Pfändungsverfügung berief sich die Klägerin insbesondere darauf, dass sie bei der Zwangsvollstreckung in Domains unter .de nicht Drittschuldnerin sei und daher auch nicht Adressatin einer Pfändungsverfügung sein könne. Darüber hinaus sei die Pfändungsverfügung rechtswidrig, weil sie die tragenden Rechtsvorschriften nicht hinreichend genau bezeichne und auch dem Schuldner P. nicht zugestellt worden sei.
Mit seiner Einspruchsentscheidung vom 18.02.2014 wies der Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück. Die Voraussetzungen der §§ 309 ff AO seien vorliegend gegeben. Die Steuerbescheide gegen den Schuldner P. seien sämtlich vollstreckbar und der Schuldner erfolglos zur Leistung aufgefordert worden. Die Vollstreckung erfolge auch nach § 321 AO (vergleichbar der Vorschrift des § 857 Abs. 1 ZPO), da es sich bei den Ansprüchen aus dem Domain-Vertrag um andere Vermögensrechte handele. Die Frage, ob und wie eine Domain gepfändet werden könne, sei mittlerweile durch den Bundesgerichtshof (BGH) höchstrichterlich geklärt. Nach dessen Grundsatzentscheidung, Beschluss vom 05.07.2005 VII ZB 5/05, NJW 2005, 3353 sei Gegenstand zulässiger Pfändung nach § 857 Abs. 1 ZPO in eine "Internet-Domain" die Gesamtheit der schuldrechtlichen Ansprüche, die dem Inhaber der Domain gegenüber der Vergabestelle aus dem der Domainregistrierung zugrunde liegenden Vertragsverhältnis zustünden. Entgegen der Ansicht der Klägerin sei die streitige Pfändungsverfügung auch materiell rechtmäßig, insbesondere sei die Klägerin zu Recht als Drittschuldnerin anzusehen und daher gem. § 316 AO zur Abgabe der Drittschuldnererklärung verpflichtet. Die Interessenlage sei mit derjenigen bei der Pfändung einer Geldforderung nach §§ 309 ff AO vergleichbar. Schließlich, so der Beklagte, sei der Erlass der Pfändungsverfügung angesichts der erheblichen Steuerverbindlichkeiten des Schuldners verhältnismäßig und ermessensgerecht.
Hiergegen richtet sich die Klage, mit der die Klägerin ihr Begehren nach Aufhebung der Pfändungsverfügung unter Wiederholung und Vertiefung ihres Vorbringens aus dem Verwaltungsverfahren weiterverfolgt. Sie vertritt die Ansicht, dass die Pfändungsverfügung in mehrfacher Hinsicht sowohl formell als auch materiell rechtswidrig sei.
In formeller Hinsicht liege zunächst ein Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot gem. § 119 Abs. 1 AO vor. Die Pfändungsverfügung in der Fassung, die sie durch die Einspruchsentscheidung gefunden habe, kranke daran, dass das Leistungsverbot gegenüber der Klägerin nicht mehr hinreichend bestimmt sei. Der Beklagte wolle offenbar die Klägerin nicht verpflichten, die Konnektierung der Domain aufzuheben, sondern ihr lediglich bestimmte Leistungen verbieten, wobei unklar bleibe, was genau von der Klägerin verlangt werde. Die Pfändungsverfügung sei ferner auch deshalb rechtswidrig, weil der Beklagte sich rechtsmissbräuchlich verhalte, denn er verfolge kein fiskalisches Vollstreckungsinteresse, sondern pfändungsfremde Ziele. Der Beklagte betrachte die Klägerin als verpflichtet, dafür zu sorgen, den Domainvertrag mit dem Schuldner aufrechtzuerhalten. Die Beschlagnahme durch die Pfändung erfasse jedoch nur die gepfändeten Forderungen, nicht aber das Grundverhältnis. Es liege auch eine unzulässige Leistungsforderung an den Vollstreckungsgläubiger vor. Der Beklagte wolle sein Leistungsverbot in der Einspruchsentscheidung unzulässiger Weise dahin verstanden wissen, dass die Klägerin verpflichtet sei, an ihn als Vollstreckungsgläubiger und nicht an den Vollstreckungsschuldner zu leisten. Ferner führe das Leistungsverbot zu einer unzulässigen Vernichtung des wirtschaftlichen Wertes der gepfändeten Rechte. Gegenstand der streitigen Forderungspfändung sei der Anspruch auf Aufrechterhaltung der Registrierung "P.de". Zugleich ordne die Forderungspfändung an, dass die Klägerin insoweit nicht mehr an den Vollstreckungsschuldner leisten dürfe. Da der Beklagte als Vollstreckungsgläubiger nicht Inhaber der gepfändeten Forderung sei (ihm stehe nur ein Pfändungspfandrecht daran zu), sei er nicht berechtigt, Leistung an sich zu verlangen. Die Klägerin könne dem Beklagten gegenüber nicht mit befreiender Wirkung leisten, weil Forderungsinhaber vor der Verwertung der Vollstreckungsschuldner sei. Das auf den Anspruch auf Aufrechtrechterhaltung der Registrierung "P.de" zielende Leistungsverbot des Beklagten würde die Klägerin, so sie denn als Drittschuldnerin anzusehen wäre, dazu verpflichten, die Leistung auf diesen Anspruch einzustellen, also die Registrierung der in Rede stehenden Domain aufzuheben. Schließlich liege offenbar auch keine Verwertungsabsicht des Beklagten vor. Dieser habe offensichtlich anfänglich die Vorstellung gehegt, er könne mit der Pfändung Druck auf den Schuldner ausüben, der womöglich auf die Nutzung seiner Domain wirtschaftlich angewiesen sei und deshalb seine Steuerschulden bezahlen werde. Es stelle jedoch gerade keinen zulässigen Zweck der Zwangsvollstreckung dar, dem Schuldner Unbequemlichkeiten zuzufügen, um ihn auf diese Weise zur Zahlung zu bewegen. Mit der Einspruchsentscheidung scheine der Beklagte die Vorstellung aufgegeben zu haben, die Konnektierung der Domain solle aufgehoben werden; gerade dann jedoch sei, da der Beklagte eine Verwertung offenbar nicht beabsichtige, überhaupt nicht mehr ersichtlich, dass und wie durch die Pfändung die Befriedigung der Steuerforderungen des Beklagten erreicht werden solle.
Die materielle Rechtswidrigkeit der Pfändungsverfügung folge zunächst aus der fehlenden Drittschuldnereigenschaft der Klägerin. Die Klägerin sei weder nach der Rechtsprechung zur Vollstreckung in Ansprüche aus Domain-Verträgen noch nach dem üblichen Drittschuldnerbegriff in der Vollstreckung noch nach Sinn und Zweck der Heranziehung eines Drittschuldners als Drittschuldnerin anzusehen. Insbesondere und entgegen der von dem Beklagten geäußerten Rechtsansicht habe der BGH in seiner Entscheidung vom 05.07.2005 VII ZB 5/05, NJW 2005, 3353 die Frage, ob die Klägerin im Rahmen der Pfändung von Ansprüchen aus Domainverträgen Drittschuldnerin sei, nicht bejaht, sondern ausdrücklich offen gelassen. In den Gründen dieser Entscheidung äußere sich der BGH in keiner Weise zur Drittschuldnerfrage. Auch bei einer Subsumtion der Gegebenheiten bei der Zwangsvollstreckung in domainvertragliche Ansprüche unter den anerkannten vollstreckungsrechtlichen Drittschuldnerbegriff ergebe sich, dass die Klägerin kein Dritter sei, dessen Leistung zur Ausübung des gepfändeten Rechts erforderlich sei oder dessen Rechtsstellung von der Pfändung in sonstiger Weise berührt werde. Die Klägerin sei schließlich auch nicht nach Sinn und Zweck der Heranziehung eines Drittschuldners als Drittschuldnerin anzusehen; insbesondere sei nicht jeder Vertragspartner des Vollstreckungsschuldners Drittschuldner im Sinne des Vollstreckungsrechts. Tatsächlich sei die Einbeziehung der Klägerin als Drittschuldnerin in das Pfändungsverfahren gerade unter dem Gesichtspunkt des Gläubigerschutzes nicht notwendig und darüber hinaus nicht einmal sinnvoll und stehe sonach mit dem Regelungszweck der gesetzlichen Vorschriften zur abgabenordnungsrechtlichen Vollstreckung nicht im Einklang. Schließlich sei die vom Beklagten erlassene Pfändungsverfügung auch nach § 5 AO ermessensfehlerhaft, da der Beklagte sein Ermessen nicht entsprechend dem Zweck der Ermächtigungsgrundlage ausgeübt habe. Da nicht erkennbar sei und vom Beklagten auch nicht erläutert werde, wie die von ihm betriebene Pfändung zur Befriedigung seiner Forderungen führen solle, lasse sich diese Maßnahme nicht auf die Vorschriften zur Zwangsvollstreckung stützen und sei damit ermessensfehlerhaft und materiell rechtswidrig. Schließlich - so die Klägerin - sei der Sachvortrag des Beklagten nicht auf diesen konkreten Fall bezogen, sondern stamme zumindest teilweise aus angeblich gleichgelagerten Fällen bei den Finanzgerichten Düsseldorf und Köln, weshalb der erforderliche Sachbezug nicht gegeben sei. Wegen der weiteren Einzelheiten des (umfangreichen) Vortrages der Klägerin wird vollinhaltlich auf ihre Schriftsätze vom 02.06.2014 und 06.02.2015 verwiesen.
Die Klägerin beantragt,
die Verfügung des Beklagten vom 15.05.2013 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 18.02.2014 aufzuheben;
hilfsweise für den Fall des Unterliegens oder Teilunterliegens die Revision zuzulassen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen;
hilfsweise für den Fall des Unterliegens oder Teilunterliegens die Revision zuzulassen.
Er hält an seiner bereits im Verwaltungsverfahren vertretenen Rechtsauffassung fest, wonach die Pfändungsverfügung rechtmäßig ergangen und die Klägerin zu Recht als Drittschuldnerin anzusehen sei. Rechtsgrundlage der Pfändungsverfügung sei § 321 i. V. m. §§ 309, 316 f AO. Die Vollstreckung erfolge nach § 321 AO, da es sich bei den Ansprüchen aus dem Domainvertrag um andere Vermögensrechte handele, Kruse in TK § 321 AO Tz. 8
Die Pfändungsverfügung sei entgegen der Rechtsansicht der Klägerin hinreichend bestimmt, insbesondere sei die gepfändete Forderung konkret und zweifelsfrei bezeichnet. Es liege auch weder Rechtsmissbrauch noch ein Verstoß gegen das Willkürverbot vor. Der Umstand, dass die streitgegenständliche Pfändungsverfügung keine Regelungen zur Verwertung enthalte, bedeute keineswegs, dass eine solche von ihm, dem Beklagten, nicht beabsichtigt sei. Durch die Pfändungsverfügung habe er sich zunächst lediglich das Zugriffsrecht auf die Ansprüche des Schuldners aus dem Domainvertrag gesichert. Über die Art und Weise der Verwertung werde zu einem späteren Zeitpunkt zu entscheiden sein. Die Klägerin sei entgegen ihren Ausführungen Drittschuldnerin und daher gem. § 316 AO zur Abgabe der Drittschuldnererklärung verpflichtet. Der BGH habe in seiner Entscheidung vom 05.07.2005 VII ZB 5/05, aaO, die Frage der Drittschuldnereigenschaft der Klägerin auch nicht offen gelassen, sondern bejaht. Darüber hinaus sei die Klägerin auch im Sinne des üblichen zwangsvollstreckungsrechtlichen Drittschuldnerbegriffs als Drittschuldnerin anzusehen. Schließlich habe er (der Beklagte) sein Ermessen bei Erlass der Pfändungsverfügung in rechtmäßiger Weise ausgeübt. Der Erlass der Pfändungsverfügung ziele auf die Befriedigung der Geldforderungen. Soweit die Klägerin einen fehlenden Sachbezug seines Vortrages moniere, gehe auch dieser Vorwurf fehl. Es sei zwar richtig, dass die Klageerwiderung im ersten Absatz eine Datumsverwechselung enthalte und die Ausführungen in der Sache mit einem Parallelverfahren beim Finanzgericht Köln einhergingen, das jedoch zwischenzeitlich aus anderen Gründen eingestellt worden sei. Dies ändere jedoch nichts daran, dass der Sachvortrag der Klageerwiderung sich konkret auf die hier im Streit befindliche Pfändungsverfügung vom 15.05.2013, die auch ausdrücklich benannt worden sei, beziehe. Wegen der weiteren Einzelheiten der Argumentation des Beklagten wird auf seine Schriftsätze vom 30.10.2014 und 24.03.2015 verwiesen.
Der Senat hat in der Sache am 16.09.2015 mündlich verhandelt. Auf die Sitzungsniederschrift wird verwiesen.
Gründe
Die Klage ist nicht begründet.
Die Pfändungsverfügung des Beklagten vom 15.05.2013 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 18.02.2014 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung (FGO). Die Pfändungsverfügung ist formell und materiell rechtmäßig und richtet sich insbesondere zu Recht an die Klägerin als Drittschuldnerin, § 316 AO.
Der Beklagte hat seine Pfändungsverfügung zu Recht auf die Vorschriften der §§ 309 ff AO gestützt (Vollstreckung in Forderungen und andere Vermögensrechte). Rechtsgrundlage für die angefochtene Pfändungsverfügung ist § 321 i. V. m. §§ 309, 316 f AO, da es sich bei den Ansprüchen des Vollstreckungsschuldners aus dem Domainvertrag um andere Vermögensrechte i. S. d. § 321 Abs. 1 AO handelt, vgl. Kruse in TK § 321 AO Tz. 8, Kögel in Beermann/Gosch § 321 AO Tz. 9.1, Dißars in Schwarz/Pahlke § 321 AO Tz. 5.
Der Senat geht dabei zunächst im Einklang mit dem Grundsatzbeschluss des BGH vom 05.07.2005 VII ZB 5/05, NJW 2005, 3353 davon aus, dass Gegenstand zulässiger Pfändung nach § 857 Abs. 1 ZPO, der der Regelung des § 321 AO entspricht, in eine "Internet-Domain" die Gesamtheit der schuldrechtlichen Ansprüche ist, die dem Inhaber der Domain gegenüber der Vergabestelle aus dem der Domainregistrierung zugrunde liegenden Vertragsverhältnis zustehen. Die Pfändung betrifft deshalb die Vollstreckung in Forderungen, die dem Vollstreckungsschuldner aus dem mit der Klägerin abgeschlossenen Domainvertrag zustehen.
Die schuldrechtlichen Ansprüche, die dem Inhaber einer Internet-Domain gegenüber der KL. oder einer anderen Vergabestelle zustehen, stellen ein Vermögensrecht i. S. v. § 857 Abs. 1 ZPO dar (vgl. z. B. LG Mönchengladbach, Rpfleger 2005, 38; AG Langenfeld, CR 2001, 477; Welzel, MMR 2001, 131, 132; Berger, Rpfleger 2002, 181, 182 f; Hanloser, CR 2001, 456, 458; Musielak/Becker, ZPO, 4. Aufl., § 857 Rdn. 13 a; Stein/Jonas-Brehm, ZPO, 22. Aufl., § 857 Rdn. 80).
Eine Internet-Domain als solche ist kein "anderes Vermögensrecht" i. S. v. § 857 Abs. 1 ZPO. Der Domain kommt keine etwa mit einem Patent-, Marken- oder Urheberrecht vergleichbare ausschließliche Stellung zu. Diese Rechte zeichnen sich dadurch aus, dass sie ihrem Inhaber einen Absolutheitsanspruch gewähren, der vom Gesetzgeber begründet worden ist und nicht durch Parteivereinbarung geschaffen werden kann. Eine Internet-Domain ist lediglich eine technische Adresse im Internet. Die ausschließliche Stellung, die darauf beruht, dass von der KL. eine Internet-Domain nur einmal vergeben wird, ist allein technisch bedingt. Eine derartige, rein faktische Ausschließlichkeit begründet kein absolutes Recht i. S. v. § 857 Abs. 1 ZPO (vgl. BVerfG, Beschluss vom 24. November 2004 - 1 BvR 1306/02, NJW 2005, 589; BGH, Urteil vom 22. November 2001 - I ZR 138/99, BGHZ 149, 191, 205; Kleespies, GRUR 2002, 764, 766; Berger, Rpfleger 2002, 181, 182; a. A.: Koos, MMR 2004, 359, 360 f.; Fezer, Markenrecht, 3. Aufl., § 3 MarkenG, Rdn. 301).
Die Inhaberschaft an einer "Internet-Domain" gründet sich deshalb auf die Gesamtheit der schuldrechtlichen Ansprüche, die dem Inhaber der Domain gegenüber der Vergabestelle aus dem Registrierungsvertrag zustehen (vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 24. November 2004 - 1 BvR 1306/02, NJW 2005, 589). Diese Ansprüche - und nicht die "Internet-Domain" selbst - sind Gegenstand der Pfändung nach § 857 Abs. 1 ZPO.
Mit Abschluss des Vertrages über die Registrierung einer Internet-Domain erhält der Anmelder der Domain einen Anspruch auf Registrierung nach Maßgabe der KL.-Registrierungsbedingungen und -richtlinien. Dieser Anspruch ist gerichtet auf Eintragung der Domain in das KL.-Register und den Primary Nameserver. Mit der Eintragung erlischt zwar dieser Anspruch nach § 362 Abs. 1 BGB. Aus § 7 Abs. 1 der Registrierungsbedingungen der KL. ergibt sich aber, dass der Vertrag auf Dauer geschlossen ist. Aus diesem Dauerschuldverhältnis schuldet die KL. dem Anmelder nach der erfolgten Konnektierung insbesondere die Aufrechterhaltung der Eintragung im Primary Nameserver als Voraussetzung für den Fortbestand der Konnektierung. Daneben bestehen weitere Ansprüche des Domaininhabers wie die auf Anpassung des Registers an seine veränderten persönlichen Daten oder ihre Zuordnung zu einem anderen Rechner durch Änderung der IP-Nummer, vgl. zu den vorstehenden Ausführungen BGH, Beschluss vom 05.07.2005 VII ZB 5/05 aaO. Der erkennende Senat folgt dieser Rechtsprechung des BGH zur Pfändbarkeit der Ansprüche aus dem der Domainregistrierung zugrunde liegenden Vertragsverhältnis. Hieraus ergibt sich zugleich (dazu im Einzelnen später), dass die Klägerin als Drittschuldnerin im Sinne des Vollstreckungsrechts mit entsprechender Erklärungspflicht (§ 316 AO) anzusehen ist.
Durch die streitige Pfändungsverfügung des Beklagten vom 15.05.2013 wird in Anwendung der vorstehend dargestellten Rechtsprechung des BGH gepfändet: "Der Anspruch auf Aufrechterhaltung der Registrierung ´P.de` als Hauptanspruch aus dem mit der KL. eG geschlossenen Registrierungsvertrag und alle weiteren sich aus dem Vertragsverhältnis ergebenden Nebenansprüche." Diese Verfügung entspricht exakt den Vorgaben des BGH in seiner oben angeführten Grundsatzentscheidung vom 05.07.2005 (VII ZB 5/05).
Das von der Klägerin im Hinblick auf eine angeblich fehlende hinreichende Bestimmtheit monierte Leistungsverbot lautet wie folgt: "Sie dürfen, soweit die Ansprüche, Forderungen und Rechte gepfändet sind, nicht mehr an den Vollstreckungsschuldner leisten. Der Vollstreckungsschuldner hat sich jeder Verfügung über die Ansprüche, Forderungen und Rechte, soweit sie gepfändet sind, insbesondere ihrer Einziehung zu enthalten." In der Einspruchsentscheidung vom 18.02.2014 hat der Beklagte die Bedeutung des Arrestatoriums dahingehend näher erläutert, dass das Verbot nicht bedeute, dass eine Dekonnektierung zu erfolgen hätte. Der Drittschuldner solle nur die Leistung nicht mehr an den Vollstreckungsschuldner erbringen. Seinen Verfügungen - wie Änderungen der Kontaktdaten, etc. - dürfe seitens der Klägerin nicht mehr entsprochen werden. Auf diese Weise behalte die Internet-Domain den Zustand, den sie im Zeitpunkt der Pfändung hatte. Das Arrestatorium solle eine Übertragung der Domain, und damit letztendlich eine Veränderung, Verringerung oder ein Erlöschen der Ansprüche des Schuldners verhindern.
Entgegen der Ansicht der Klägerin ist damit der Inhalt des Leistungsverbotes vom Beklagten hinreichend bestimmt erläutert worden, nämlich dahingehend, dass die Klägerin nicht mehr berechtigt ist, an den Vollstreckungsschuldner zu leisten und insbesondere seinen Verfügungen, die zu einer Veränderung oder ggf. zum Erlöschen der Domain führen würden, keine Folge leisten darf. Dem Beklagten geht es mit dem Arrestatorium um die Aufrechterhaltung des Status quo, der eine spätere Verwertung der gepfändeten Rechte ermöglichen soll. Für den Senat begegnet dies im Hinblick auf die Notwendigkeit der hinreichenden Bestimmtheit des Leistungsverbotes keinen Bedenken.
Nicht zu überzeugen vermag den Senat auch der Vortrag der Klägerin, wonach der Beklagte sich rechtsmissbräuchlich verhalte, indem er pfändungsfremde Ziele und insbesondere kein fiskalisches Vollstreckungsinteresse verfolge. Die Pfändungsverfügung des Beklagten pfändet im Einklang mit der höchstrichterlichen zivilrechtlichen Rechtsprechung des BGH den Anspruch auf Aufrechterhaltung einer konkreten Registrierung als Hauptanspruch des Vollstreckungsschuldners aus dem mit der Klägerin geschlossenen Registrierungsvertrag und alle weiteren sich aus dem Vertragsverhältnis ergebenden Nebenansprüche. Hierin liegt weder ein unzulässiges "Einfrieren" des Vertrages noch eine unzulässige Leistungsforderung an den Vollstreckungsgläubiger noch eine Vernichtung des wirtschaftlichen Wertes der Domain durch das Leistungsverbot. Der Beklagte hat sich durch die angefochtene Pfändungsverfügung vom 15.05.2013 nicht mehr und nicht weniger als das Zugriffsrecht auf die Ansprüche des Vollstreckungsschuldners aus dem Domainvertrag mit der Klägerin gesichert. Er (der Beklagte) hat ferner vorgetragen, dass über die Art und Weise der Verwertung dieser Ansprüche zu einem späteren Zeitpunkt entschieden werde und es ihm beim Erlass der Pfändungsverfügung um die Befriedigung der (gegen den Vollstreckungsschuldner gerichteten) Geldforderungen gehe. Objektive Anhaltspunkte dafür, dass der Beklagte vollstreckungsfremde Ziele verfolgt und es ihm (so die Ansicht der Klägerin) darum geht, dem Schuldner Unbequemlichkeiten (wie hier in Gestalt der Unterbindung der Domainnutzung) zuzufügen, um ihn auf diese Weise zur Zahlung zu bewegen, bestehen nicht.
Der Beklagte hat auch zu Recht die Eigenschaft der Klägerin als Drittschuldnerin bejaht. Der Begriff des Drittschuldners ist weit zu fassen. Drittschuldner ist derjenige, der dem Schuldner die Forderung (den Anspruch, das Recht) zu leisten hat, die im Wege der Zwangsvollstreckung der Befriedigung oder Sicherung des Gläubigers zugeführt werden soll. Drittschuldner ist jeder Dritte, dessen Leistung zur Ausübung einer gepfändeten Forderung (oder eines gepfändeten Rechts) erforderlich ist oder dessen Rechtsstellung von der Pfändung sonstwie berührt wird. Daher ist jede Person Drittschuldner, die an einem zu pfändenden Recht außer dem Schuldner - irgendwie - beteiligt ist, vgl. Stöber, Forderungspfändung, 16. Auflage, Bielefeld 2013, Rz. 8 mit Rechtsprechungsnachweisen. Der BGH hat in seiner bereits mehrfach genannten Grundsatzentscheidung vom 05.07.2005 VII ZB 5/05, aaO, klargestellt, dass bei der Domainpfändung die schuldrechtlichen Ansprüche des Domaininhabers gegenüber der KL. gepfändet werden. Die KL. ist nach der Rechtsprechung des BGH Schuldnerin der gepfändeten Ansprüche, mithin also Drittschuldnerin. Dies deckt sich auch mit dem vorherrschenden weiten Drittschuldnerbegriff, der jeden umfasst, dessen Rechtsstellung von der Pfändung berührt wird. Da die Pfändung unmittelbar in das Vertragsverhältnis zwischen dem Schuldner und der KL. eingreift, ist die KL. von der Pfändung betroffen und mithin als Drittschuldnerin anzusehen, vgl. Stadler, Drittschuldnereigenschaft der KL. bei der Domainpfändung, Multimedia und Recht (MMR) 2007, 71. Der Umstand, dass durch eine zunehmende Zahl solcher Pfändungen zukünftig für die Klägerin ein nicht unerheblicher Arbeits- und Verwaltungsaufwand ausgelöst werden könnte, was offenbar auch von der Klägerin befürchtet wird, ist in diesem Zusammenhang unerheblich. Bei den den Drittschuldner treffenden Pflichten, wie etwa der Erklärungspflicht gem. § 316 AO, handelt es sich um gesetzliche Pflichten, die jeden Drittschuldner (beispielsweise auch Banken) treffen. Der damit verbundene Verwaltungsaufwand ist im Interesse einer effektiven Zwangsvollstreckung hinzunehmen, denn der Gläubiger ist im Rahmen der Verfolgung seiner Ansprüche gegen den Schuldner auf die Auskünfte des Drittschuldners angewiesen.
Entgegen der Ansicht der Klägerin bestehen im Hinblick auf die angefochtene Pfändungsverfügung des Beklagten auch keine Bedenken bezüglich etwaiger Ermessensfehler. Wie bereits oben ausgeführt, kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Beklagte eine Verwertung der gepfändeten Ansprüche in Wirklichkeit gar nicht beabsichtigt und sachfremde, nicht vollstreckungsgemäße Ziele verfolgt. Der diesbezügliche Vortrag der Klägerin ist rein spekulativ und nicht durch Tatsachen gestützt. Der Beklagte hat ausdrücklich vorgetragen, dass über die Art und Weise der Verwertung zu einem späteren Zeitpunkt zu entscheiden sein werde. Dies beinhaltet zunächst einmal die Aussage, dass eine Verwertung beabsichtigt ist. Da die Klägerin bereits die Rechtmäßigkeit der Pfändung (vehement) bestreitet, ist es von Rechts wegen nicht zu beanstanden, wenn der Beklagte zunächst die gerichtliche Klärung dieser Frage abwartet und erst danach sein Vorgehen im Hinblick auf die bestmögliche Verwertung der gepfändeten Ansprüche, etwa durch die Übertragung der nicht mit einem Dispute-Eintrag versehenen Domain auf einen Dritten (§§ 2 Abs. 3, 6 Abs. 1 der KL.-Domainbedingungen) festlegt. Dieses nachvollziehbare und rechtlich zulässige Vorgehen (die Verwertung kann nach einer wirksamen Pfändung jederzeit nachgeholt werden) rechtfertigt nicht den Schluss auf eine fehlende Verwertungsabsicht des Beklagten.
Ein Ermessensfehler des Beklagten folgt auch nicht etwa mittelbar daraus, dass er sich in seiner Argumentation am Anfang seiner Klageerwiderung vom 30.10.2014 auf eine Pfändungsverfügung vom 07.12.2013 bezieht, die nicht Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits ist. Gegenstand der Einspruchsentscheidung des Beklagten vom 18.02.2014 ist die hier streitige Pfändungsverfügung vom 15.05.2013, ausschließlich zu deren Recht- und Zweckmäßigkeit verhalten sich die Ausführungen des Beklagten in seiner Einspruchsentscheidung. Der Umstand, dass sich der Beklagte zu Beginn seiner Klageerwiderung versehentlich mit der Frage der Nichtigkeit einer in einem Parallelverfahren angefochtenen Pfändungsverfügung befasst, ist unschädlich, zumal im weiteren Text der Klageerwiderung zutreffend nur noch die hier streitige Pfändungsverfügung vom 15.05.2013 behandelt wird.
Die Pfändungsverfügung des Beklagten ist nach alledem rechtmäßig.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
Die Revision wird wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zugelassen, § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO.
FG Münster:
Urteil v. 16.09.2015
Az: 7 K 781/14 AO
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