Bundespatentgericht:
Beschluss vom 16. Mai 2007
Aktenzeichen: 7 W (pat) 406/03
(BPatG: Beschluss v. 16.05.2007, Az.: 7 W (pat) 406/03)
Tenor
I. Der Antrag auf Übergang ins schriftliche Verfahren oder Vertagung wird abgelehnt.
II. Das Patent wird widerrufen.
Gründe
I.
Gegen die Erteilung des Patents 39 27 205 mit der Bezeichnung "Dichtungsanordnung für eine Sanitärarmatur", veröffentlicht am 12. Juni 2003, ist Einspruch erhoben worden. Der Einspruch ist mit Gründen versehen und auf die Behauptung gestützt, dass der Gegenstand des Patents nicht patentfähig sei.
Die Einsprechende hat zum Stand der Technik u. a. die Druckschriften DE 28 45 581 C2 und DE 32 46 734 A1 genannt und geltend gemacht, dass der Gegenstand des Patents gegenüber dem Stand der Technik zumindest nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe.
Sie stellt den Antrag, das Patent zu widerrufen.
Die Patentinhaberin legt in der mündlichen Verhandlung neue Patentansprüche 1 bis 5 nach einem Hauptantrag und neue Patentansprüche 1 bis 4 nach einem Hilfsantrag vor.
Sie stellt den Antrag, das Patent aufrecht zu erhalten mit den Patentansprüchen 1 bis 5 nach Hauptantrag, hilfsweise mit den Patentansprüchen 1 bis 4 nach Hilfsantrag, jeweils vom 16. Mai 2007, einer noch einzureichenden Beschreibung und den Zeichnungen nach der Patentschrift, weiter hilfsweise ins schriftliche Verfahren überzugehen bzw.
weiter hilfsweise zu vertagen, falls der Senat entscheidungserheblich von einem anderen Begriff der Einstückigkeit ausgeht als die Patentinhaberin.
Die Patentinhaberin vertritt die Auffassung, der entgegengehaltene Stand der Technik nehme den Patentgegenstand weder neuheitsschädlich vorweg noch lege er ihn nahe. Die Druckschrift DE 28 45 581 C2 beschreibe lediglich den Gegenstand, von dem die Erfindung gemäß Oberbegriff des Patentanspruchs 1 ausgehe. Der Inhalt der Druckschrift DE 32 46 734 A1 habe mit dem Sanitärwesen nichts zu tun, liege daher auf einem anderen Fachgebiet. Es sei in DE 32 46 734 A1 auch keine Dichtungsanordnung im Sinne des Streitpatents, schon gar nicht eine einstückige aufgezeigt. Der Fachmann, aus Sicht der Patentinhaberin ein Fachhochschulingenieur der Versorgungstechnik (Sanitärbereich), der einen Dichtungsfachmann zu Rate zieht, würde daher die Lehre der Druckschrift DE 28 45 581 C2 nicht mit der der Druckschrift DE 32 46 734 A1 verbinden.
Der Patentanspruch 1 nach Hauptantrag lautet:
"Dichtungsanordnung für eine Sanitärarmatur, welche eine wasserdichte Verbindung zwischen einer Anschlussfläche eines Armaturengehäuses und einer feststehenden Steuerscheibe herstellt, mit einer Dichtungshalterplatte aus starrem, hartem Kunststoffmaterial, die mindestens eine Wasserdurchtrittsöffnung aufweist, mit mindestens einer weichen, elastischen Dichtung, welche die Wasserdurchtrittsöffnung auf beiden Seiten der Dichtungshalterplatte überstehend umgibt, dadurch gekennzeichnet, dass jede Dichtung ebenfalls aus Kunststoff hergestellt und derart an die Dichtungshalterplatte angespritzt ist, dass die Dichtungsanordnung vollständig einstückig aus Kunststoff hergestellt ist, wobei Dichtungshalterplatte und jede Dichtung nur durch die unterschiedliche Weichheit und Elastizität der jeweils verwendeten Materialien bestimmt sind, derart, dass die Herstellung der gesamten Dichtungsanordnung in einem Arbeitsschritt erfolgt."
Der Wortlaut des Patentanspruchs 1 nach Hilfsantrag umfasst die Merkmale des Patentanspruchs 1 nach Hauptantrag sowie daran angefügt die Merkmale
"wobei (mitzulesen: die Dichtung und) die Dichtungshalterplatte aus Kunststoffen derselben grundsätzlichen Zusammensetzung bestehen, die sich nur in ihrem Gehalt an die Härte und die Elastizität bestimmenden Additive unterscheiden."
Weiterbildungen der Dichtungsanordnung nach Patentanspruch 1 sind in nachgeordneten Patentansprüchen 2 bis 5 (Hauptantrag) bzw. 2 bis 4 (Hilfsantrag) angegeben.
Die Streitpatentschrift (DE 39 27 205 C2) nennt als Aufgabe der Erfindung, eine gattungsgemäße Dichtungsanordnung derart auszugestalten, dass sie einfacher und preiswerter herzustellen ist (Abs. 0007).
II.
Über den Einspruch ist gemäß § 147 Abs. 3 Satz 1 Ziff. 1 PatG in der Fassung vom 26. November 2001 durch den Beschwerdesenat des Bundespatentgerichts zu entscheiden.
Der hier zuständige Fachmann ist ein mit der Armaturenentwicklung für sanitäre Anlagen befasster Maschinenbauingenieur, der auch Dichtungsanordnungen für Armaturen gestaltet und sich bedarfsweise Rat bei Fachleuten für Dichtungsmaterialien und deren Verarbeitung einholt.
Der frist- und formgerecht erhobene Einspruch ist zulässig. Er ist auch begründet.
Der Gegenstand des angefochtenen Patents stellt keine patentfähige Erfindung i. S. d. PatG §§ 1 bis 5 dar.
Zum Hauptantrag:
Der Gegenstand des geltenden Patentanspruchs 1 nach Hauptantrag mag zwar neu sein. Er beruht jedoch nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Unstreitig ist der Oberbegriff des Patentanspruchs 1 aus Druckschrift DE 28 45 581 C2, die in der Streitpatentschrift gewürdigt ist (Abs. 0006), bekannt. Diese Entgegenhaltung beschreibt eine Dichtungsanordnung für eine Sanitärarmatur (Fig. 1 und 2, Sp. 2 Z. 44/45) mit einer Dichtungshalterplatte 1 aus Kunststoff mit Wasserdurchtrittsöffnungen 2, 3 und 4, wobei der Fachmann aufgrund der Bezeichnung "Platte" auf ein relativ hartes Kunststoffmaterial schließt. Die Durchtrittsöffnungen sind beidseits der Dichtungshalterplatte von Nuten umgeben, in welche Dichtungsringe 5, 6 - bei Sanitärarmaturen üblicherweise relativ weiche Gummi-Dichtungsringe - eingesetzt sind (Sp. 2 Z. 65 bis 67). Als nachteilig ist hierzu in der Streitpatentschrift angegeben (StrPS Sp. 1 Z. 58 bis 63), dass die Dichtungshalterplatte und die Dichtungen als gesonderte Teile herzustellen, auf Lager zu halten und zu montieren seien, was verhältnismäßig teuer sei.
Um aufgabengemäß die Dichtungsanordnung einfacher und preiswerter herzustellen, lehrt der geltende Patentanspruch 1 nach Hauptantrag gemäß seinem kennzeichnenden Teil im Kern, die Dichtungsanordnung einstückig und in einem Arbeitsschritt aus Kunststoff herzustellen, wobei sich die Dichtungshalterplatte von den Dichtungen durch Weichheit und Elastizität der für sie jeweils verwendeten Materialien unterscheidet.
Die Patentinhaberin hat in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, dass die Kunststoffe der jeweiligen Teile nicht dieselbe grundsätzliche Zusammensetzung haben müssten. Das werde erst im Anspruch 2 geltend gemacht. Es komme auf die Einstückigkeit von Dichtungshalterplatte samt Dichtungen an, die sich dadurch auszeichne, dass nach der Herstellung in einem bzw. nur wenigen Arbeitsschritt(en) zwischen den jeweiligen Kunststoffen von Halterplatte einerseits und Dichtungen andererseits keine scharfe Phasengrenze vorliege. Demgegenüber bildeten z. B. Klebeverbindungen zwischen Kunststoffen relativ scharfe Phasengrenzen, aufgrund derer die einzelnen, zweifellos stoffschlüssig verbundenen Teile an diesen Grenzen voneinander unterscheidbar seien. Dieser Definition der streitpatentgemäßen Einstückigkeit hat auch die fachkundige Einsprechende zugestimmt.
Das Problem, das mit der Lehre des Anspruchs 1 nach Hauptantrag gelöst wird, betrifft demnach im Kern die einstückige Herstellung einer Dichtungshalterplatte samt Dichtungen, um Einsparungen bei Lagerhaltung und Montage zu erzielen. Die Verwendung der Dichtung für eine Sanitärarmatur ist offensichtlich von untergeordneter Bedeutung, spielt allenfalls hinsichtlich der zu verwendenden Materialien eine Rolle. Der Fachmann wird daher im Stand der Technik nach geeigneten Wegen für die stoffschlüssige Herstellung einer Dichtungsanordnung suchen, unabhängig von der vorgesehenen Verwendung der Dichtungsanordnung.
Fündig wird er in der Druckschrift DE 32 46 734 A1, die eine Metall- bzw. Kunststoffabdeckblende mit auf- oder angespritzter Abdichtung betrifft. Sie liegt zwar nicht auf dem Gebiet des Sanitärwesens, befasst sich aber mit Abdeckblenden oder ähnlichen Teilen mit Abdichtfunktionen und ist insoweit als Dichtungsanordnung relevant. Das wird deutlich auch durch die dort beschriebene im Wesentlichen gleiche Problematik wie beim Gegenstand des Streitpatents. So ist in dieser Entgegenhaltung ausgeführt, dass Abdeckblenden mit losen Dichtungen eine doppelte Lagerhaltung und zusätzliche Arbeitsgänge erforderten und lose Dichtungen beim Einbau sich verschieben und eine einwandfreie Abdichtung gefährden könnten (S. 3 - handschriftlich -, Abs. 2). Zur Überwindung dieser Nachteile sind gemäß Ansprüchen 1 bis 3 daher stoffschlüssige Verbindungen zwischen der Abdeckblende, die zugleich Dichtungshalterplatte ist, und der Dichtung vorgesehen.
In den Patentansprüchen 1 und 3 dieser Druckschrift sind metallische Abdeckblenden als Dichtungshalterplatte vorgegeben, an die ein geeigneter Primer oder Kleber aufgebracht, anschließend die Abdeckblende in ein Spritzgießwerkzeug eingelegt und die Kunststoff-Dichtung aufgespritzt wird. Aufgrund der Klebeschicht ist keine Einstückigkeit von Dichtungshalterplatte und Dichtung im Sinne der patentgemäßen Definition vorhanden.
Patentanspruch 2 geht jedoch von einer Abdeckblende aus Hart-PVC oder anderem Kunststoff aus und sieht ausdrücklich keinen Primer oder Kleber darauf vor. Vielmehr wird die Abdeckblende im gleichen Schwenk- oder Drehwerkzeug mittels einer Zweifarben- oder Zweikomponenten-Spritzgießmaschine mit aus z. B. Weich-PVC oder Elastomeren bestehendem Dichtungsmaterial angespritzt. Der Wegfall einer Primer- oder Klebschicht und insbesondere die Verwendung von Kunststoffen gleicher grundsätzlicher Zusammensetzung (z. B. Hart-PVC für die Platte und Weich-PVC für die Dichtung) legen die Herstellung der Dichtungsanordnung in einem Arbeitsschritt für den Fachmann nahe, wobei der eine Arbeitsschritt sowohl beim Gegenstand des Streitpatents als auch beim Gegenstand der Druckschrift DE 32 46 734 A1 zumindest Manipulationen zur Bereitstellung der unterschiedlich zusammengesetzten Kunststoffe umfasst. Der eine Arbeitsschritt, der in der Streitpatentschrift nicht näher erläutert ist, liefert insoweit keinen sachlichen Überschuss gegenüber dem ebenfalls nicht näher beschriebenen Herstellungsverfahren nach Druckschrift DE 32 46 734 A1.
Zwar ist in DE 32 46 734 A1 der Patentanspruch 2 auf den Patentanspruch 1 und der Patentanspruch 3 auf den Patentanspruch 2 zurückbezogen. Diese Rückbezüge sind aber offensichtlich unzutreffend bzw. unvereinbar, da Patentanspruch 2 sich nur mit Abdeckblenden aus Kunststoff, die anderen Ansprüche sich nur mit metallischen Abdeckblenden befassen. Auch die Beschreibung spricht den Einsatz von Haftvermittlern oder Klebern nur in Verbindung mit metallischen Abdeckblenden an (S. 4 Abs. 1 u. 2, S. 6) und stellt den metallischen Abdeckblenden diejenigen aus Kunststoff ohne jegliche Erwähnung eines Primers oder eines Klebers gegenüber (S. 4 le. Abs.).
Dem Fachmann werden durch die Druckschrift DE 32 46 734 A1 daher zwei alternative stoffschlüssige Verbindungen zur Schaffung einer Dichtungsanordnung ohne lösbare Einzelteile angeboten, von denen die ohne eine Vermittler- oder Klebschicht auskommende Variante gemäß Patentanspruch 2 eine einstückige Dichtungsanordnung im Sinne des Streitpatents ergibt. Geht es um eine wirtschaftliche Herstellung, wird der Fachmann ihr den Vorzug gegenüber den Varianten nach den Patentansprüchen 1 und 3 der DE 32 46 734 A1 geben und ihre Bauweise auch für die Schaffung einer Dichtungsanordnung bei einem Sanitärventil nach Druckschrift DE 28 45 581 C2 in Betracht ziehen, wenn die Nachteile der dort beschriebenen mehrteiligen Dichtungsanordnung mit einem wirtschaftlichen Herstellungsaufwand überwunden werden sollen. Aufgrund der Anregung aus DE 32 46 734 A1 bedurfte es somit keiner erfinderischen Tätigkeit, vor dem Anmeldetag des Streitpatents die Lehre des geltenden Patentanspruchs 1 nach Hauptantrag aufzufinden.
Dem Hauptantrag konnte daher nicht stattgegeben werden.
Zum Hilfsantrag:
Der Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag enthält neben den Merkmalen des Patentanspruchs 1 nach Hauptantrag noch die Merkmale des erteilten Patentanspruchs 2, wonach die Dichtung und die Dichtungshalterplatte aus Kunststoffen derselben grundsätzlichen Zusammensetzung bestehen, die sich nur in ihrem Gehalt an die Härte und die Elastizität bestimmenden Additive unterscheiden.
Wie zum Hauptantrag ausgeführt, lehrt Patentanspruch 2 der vorstehend gewürdigten DE 32 46 734 A1 die Verwendung von Kunststoffen gleicher grundsätzlicher Zusammensetzung, hier beispielsweise PVC, wobei für die Dichtungshalterplatte (Abdeckblende) Hart-PVC und für die an sie angespritzte Dichtung Weich-PVC wählbar sind. Dem Fachmann ist geläufig, dass die Unterschiede hinsichtlich Härte und Elastizität der Kunststoffe dabei durch Additive bewirkt werden. Somit legt der Stand der Technik nach DE 32 46 734 A1 dem Fachmann auch die zusätzlichen Merkmale des Patentanspruchs 1 nach Hilfsantrag nahe.
Dem Hilfsantrag konnte danach ebenfalls nicht stattgegeben werden.
Dass den Merkmalen der Patentansprüche 2 bis 4 nach Hilfsantrag, die den Merkmalen der erteilten Patentansprüche 3 bis 5 entsprechen, eine selbständige erfinderische Bedeutung zukommt, hat die Patentinhaberin nicht geltend gemacht und ist für den Senat auch nicht ersichtlich.
Zum Antrag auf Übergang ins schriftliche Verfahren oder auf Vertagung:
Diesen Anträgen war nicht stattzugeben, da der Senat seiner Entscheidung die Definition der Einstückigkeit durch die Patentinhaberin zugrunde gelegt hat.
BPatG:
Beschluss v. 16.05.2007
Az: 7 W (pat) 406/03
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