Bayerisches Landessozialgericht:
Beschluss vom 21. November 2008
Aktenzeichen: L 18 B 796/08 R PKH
(Bayerisches LSG: Beschluss v. 21.11.2008, Az.: L 18 B 796/08 R PKH)
Tenor
Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss desSozialgerichts Würzburg vom 21.08.2008 aufgehoben.
Der Klägerin wird Prozesskostenhilfe ohneRatenzahlungsverpflichtung ab 16.01.2008 bewilligt und RechtsanwaltM., B-Stadt beigeordnet.
Die außergerichtlichen Kosten der Klägerin für dasBeschwerdeverfahren werden auf die Staatskasse übernommen.
Gründe
I.
Die Klägerin begehrt die Aufhebung des ablehnenden Prozesskostenhilfe-Beschlusses des Sozialgerichts (SG) B-Stadt vom 21.08.2008, die Gewährung von Prozesskostenhilfe (PKH) und die Beiordnung des Rechtsanwalts M..
Die Beteiligten stritten vor dem SG in der Hauptsache darüber, ob der Klägerin eine Erwerbsminderungsrente zusteht. Die Klägerin hatte am 17.07.2006 Klage gegen die ablehnenden Rentenbescheide der Beklagten erhoben. Ihr Bevollmächtigter, der Sozialverband VdK, hat die Klage mit Schreiben vom 28.07.2006 begründet. Mit Schreiben vom 09.03.2007 hat der jetzige Bevollmächtigte, Rechtsanwalt M., mitgeteilt, die Klägerin habe ihn gebeten, das Mandat zu übernehmen. Am 19.03.2007 hat der VdK dem SG die Beendigung seines Mandates angezeigt. Am 16.01.2008 hat der Bevollmächtigte der Klägerin unter Vorlage der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlich Verhältnisse beantragt, der Klägerin Prozesskostenhilfe (PKH) zu bewilligen und ihn beizuordnen. Das SG lehnte die Gewährung von PKH mit Beschluss vom 21.08.2008 ab. Es hat eine Beschwerde für nicht statthaft gehalten, da es nur das Vorliegen der persönlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Gewährung von PKH verneint habe. Zum vorrangig einzusetzenden Vermögen gehöre dabei auch der Anspruch auf kostenlosen Rechtsschutz durch eine Verbandsvertretung. PKH sei zu versagen, wenn sich eine Antragstellerin - wie hier - durch einen Angestellten des VdK vertreten lassen könnte.
Das SG hat die Klage mit Urteil vom 25.08.2008 abgewiesen. Gegen dieses Urteil hat die Klägerin Berufung eingelegt.
Die Klägerin hat gegen den Beschluss vom 21.08.2008 am 28.08.2008 Beschwerde eingelegt und zur Begründung vorgetragen, die Mitgliedschaft im VdK könne nicht als einzusetzendes Vermögen gewertet werden. Die Klägerin habe ein Wahlrecht, ob sie sich durch einen Verbandsvertreter oder durch einen Anwalt mit PKH vertreten lasse. Sie habe die Mitgliedschaft beim VdK mittlerweile gekündigt. Auf ihre Kündigung hin habe sie vom VdK die Mitteilung erhalten, dass die Mitgliedschaft bereits durch Kündigung seitens des VdK seit 31.03.2007 beendet sei, weil fällige Mitgliedsbeiträge nicht bezahlt worden seien.
Der Senat hat die Beklagte zur Beschwerde gehört.
Ergänzend zum Sachverhalt wird auf die beigezogene Rentenakte der Beklagten, die Akte des SG Az S 14 R 4214/06, die Berufungsakte L 18 R 738/08 und die Beschwerdeakte im vorliegenden Verfahren Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde ist gemäß § 172 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft. Ein Anwendungsfall des § 172 Abs 3 Nr 2 SGG ist entgegen der Auffassung des SG nicht gegeben. Danach ist die Beschwerde gegen die Ablehnung von PKH ausgeschlossen, wenn das Gericht ausschließlich die persönlichen oder wirtschaftlichen Voraussetzungen für die PKH verneint.
Die bloße Mitgliedschaft in einer Organisation im Sinne des § 73 Abs 2 Satz 2 Nr 5ff SGG stellt noch keine vermögenswerte Position dar, die zu einer Ablehnung der PKH führt (a.A. z.B. LSG Hamburg, Beschluss vom 21.01.2008 L 5 B 256/06 PKH Al, zitiert nach juris). Warum jemand einer der in § 73 Abs 2 Satz 2 Nr 5 ff SGG genannten Organisationen beitritt, mag vielerlei Gründe haben. Eine Verpflichtung als Mitglied einer solchen Organisation sich von dieser in einem Sozialrechtsstreit vertreten zu lassen, ergibt sich aus § 73a Abs 2 SGG nicht. Dort wird lediglich bestimmt, dass PKH nicht bewilligt wird, wenn der Beteiligte durch einen Bevollmächtigten einer der in § 73 Abs 2 Satz 2 Nr 5 bis 9 SGG genannten Organisationen vertreten wird.
PKH ist zu bewilligen obwohl die Klägerin zum Zeitpunkt der Bevollmächtigung des Rechtsanwaltes M. noch Mitglied des VdK gewesen ist. Zwar wird PKH gemäß § 73a Abs 2 SGG nicht bewilligt, wenn der Beteiligte durch einen Bevollmächtigten im Sinne des § 73 Abs 2 Satz 2 Nr 5 bis 9 SGG vertreten ist. In Fällen, in denen die Verbandsvertretung - wie vorliegend - einem Kläger Geld kostet, kann aber nicht ohne weiteres eine vermögenswerte Position angenommen werden, die vor Inanspruchnahme der PKH einzusetzen ist. Insoweit ist eine erweiternde Auslegung des § 73a Abs 2 SGG nicht gerechtfertigt; vielmehr erfolgt ein Ausschluss der Gewährung von PKH nach dem Wortlaut des § 73a Abs 2 SGG nur bei tatsächlich bestehender Verbandsvertretung (BSG, Urteil vom 29.03.2007 SozR 4-1300 § 63 Nr 6). Die Klägerin hat daher die Wahl, ob sie sich - unter Gewährung von PKH - durch einen Rechtsanwalt oder - ohne Gewährung von PKH - durch einen kostenpflichtigen Bevollmächtigten im Sinne des § 73 Abs 2 Satz 2 Nrn 5 bis 9 SGG vertreten lassen will. Eine Ablehnung von PKH bei bestehender Verbandsmitgliedschaft in Fällen der vorliegenden Art würde zu einer Beeinträchtigung der Vereinigungsfreiheit führen. Die Grundrechtsgarantie des Art 9 Abs 1 Grundgesetz (GG) umfasst auch eine Gewährleistung der so genannten negativen Vereinigungsfreiheit, d.h. des Rechts, einem Verband nach freiem Belieben fernzubleiben und wieder auszutreten (Schmidt-Bleibtreu, Hofmann, Hopfau, GG, Kommentar 11. Auflage, Art 9 Rdnr 7 mwN). Art 9 GG bietet Schutz vor Beeinträchtigungen der vereinsmäßigen Betätigung. Dazu gehört auch das Verbot der staatlichen Behinderung des Beitritts oder Verbleibens in einem Verein (aaO Rdnr 13). Eine minderbemittelte Person müsste Mitglied des Verbandes bleiben, um eine Vertretung vor Gericht zu erhalten. Umgekehrt dürfte ein Minderbemittelter einem Verband nicht beitreten, um den Anspruch auf Bewilligung von PKH nicht zu verlieren. Das Bestehen einer Rechtsschutzversicherung ist mit einer Verbandszughörigkeit nicht zu vergleichen, da der Abschluss einer solchen Versicherung ausschließlich der Vertretung vor Gericht dient.
Die Beschwerde ist auch form- und fristgerecht eingelegt worden (§§ 173, 66 Abs 2 Satz 1 SGG) und daher im Übrigen zulässig.
Das Rechtsmittel erweist sich auch als begründet.
Die Bewilligung von PKH kann vorliegend erfolgen, obwohl zwischenzeitlich ein Berufungsverfahren anhängig ist. Das SG hat rechtsirrig eine Beschwerde gegen die Ablehnung der PKH für nicht statthaft gehalten. In einem solchen Fall kann auch noch nach Abschluss des erstinstanzlichen Verfahrens PKH bewilligt werden. Denn es stellt einen von Amts wegen zu beachtenden Mangel im Verfahren dar, wenn ein Gericht einem Rechtsuchenden die Möglichkeit abschneidet, seine Entscheidung, wie es vom Gesetz vorgesehen ist, durch ein Rechtsmittelgericht überprüfen zu lassen, bevor über die Sache, für deren Durchführung die Entscheidung begehrt worden ist, entschieden ist (ebenso LSG Hamburg, Urteil vom 05.01.1983 in "Die Sozialversicherung" August 1983, S 216). Nur so ist gewährleistet, dass es dem Rechtsuchenden noch möglich ist, das Verfahren durch weiteren Sachvortrag vorzubereiten. Zwar durfte das SG aus seiner Sicht der Rechtslage davon ausgehen, dass die Ablehnung der PKH nicht beschwerdefähig ist. Es musste aber damit rechnen, dass Streit über die Frage der Statthaftigkeit der Beschwerde entstehen würde. Es entsprach daher keiner fairen Prozessführung, den Antrag auf PKH-Bewilligung vom 16.01.2008 erst am 21.08.2008 abzulehnen und bereits am 25.08.2008 in der Hauptsache zu entscheiden.
Die Vorschriften der Zivilprozessordnung (ZPO) über die PKH gelten (im Sozialgerichtsrechtsstreit) entsprechend (§ 73a SGG). Eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, erhält auf Antrag PKH, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint (§ 114 ZPO). Ist eine Vertretung durch Anwälte nicht vorgeschrieben, wird der Partei auf ihren Antrag ein zur Vertretung bereiter Rechtsanwalt ihrer Wahl beigeordnet, wenn die Vertretung durch einen Rechtsanwalt erforderlich erscheint oder der Gegner durch einen Rechtsanwalt vertreten ist (§ 121 Abs 2 ZPO).
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gebietet das Grundgesetz eine weitgehende Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes (so BVerfGE 81, 347, 356 mwN) Da der Gleichheitsgrundsatz des GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip keine vollständige Gleichstellung Unbemittelter mit Bemittelten verlangt, sondern nur eine weitgehende Angleichung, ist es verfassungsrechtlich unbedenklich, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat und nicht mutwillig erscheint. PKH darf dann verweigert werden, wenn die Erfolgschance nur eine entfernte ist (BVerfGE aaO S 357).
Für die Annahme einer hinreichenden Erfolgsaussicht genügt eine gewisse Erfolgswahrscheinlichkeit (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer 9.Aufl, § 73a Rdnr 7 mwN); der Erfolg braucht nicht mit Sicherheit festzustehen. Es muss nicht abschließend abzusehen sein, ob das Rechtsmittel begründet ist, vielmehr ist die Erfolgsaussicht grundsätzlich schon dann als hinreichend anzusehen, wen sich die Notwendigkeit einer Beweisaufnahme ergibt (Peters-Sautter-Wolff 4.Aufl, § 73a S 258/8-14/21). Eine hinreichende Erfolgsaussicht kann somit vorliegen, wenn es erforderlich erscheint, Gutachten einzuholen (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer aaO, Beschluss des BayLSG vom 06.07.1987 - L 5 B 55/87.Ar und vom 22.03.1989 - L 5 B 305/88.Ar).
Dies war hier der Fall. Zur Beurteilung der Frage, ob die Klägerin erwerbsgemindert ist, hat das SG mehrere Sachverständigengutachten eingeholt.
Die Beiordnung eines Rechtsanwaltes ist auch erforderlich, insbesondere aus dem Grundsatz der "Waffengleichheit" (§ 121 Abs 2 ZPO; vgl hierzu Bundesverfassungsgericht Beschluss vom 22.06.2007 Az: 1 BvR 681/07).
Die Klägerin erfüllt die persönlichen Voraussetzungen für die Gewährung von PKH. Nach ihrem glaubhaften Sachvortrag besteht keine Bedarfsgemeinschaft mit ihrem Vermieter. Die Klägerin wohnt in Untermiete. Der Vermieter macht von seinem Wohnrecht in den übrigen Räumen der Wohnung keinen Gebrauch und wohnt andernorts (Schriftsatz des Bevollmächtigten der Klägerin vom 18.02.2008).
Die Kostenentscheidung für das Beschwerdeverfahren beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG. Die Beschwerde gegen einen Beschluss, der einen Antrag auf PKH ablehnt, ist eine besondere Angelegenheit im Sinne des § 18 Nr 5 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz vom 05.05.2004 (RVG), so dass im Beschwerdeverfahren vom Landessozialgericht (LSG) eine Kostenentscheidung zu treffen ist (ebenso LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 06.08.2007 - L 3 B 307/06 AS mwN; Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, Kommentar, 9.Auflage, § 176 Rdnr 5a). § 127 Abs 4 Zivilprozessordnung (ZPO) steht der Pflicht der Staatskasse zur Kostenerstattung nicht entgegen. Zwar bestimmt § 127 Abs 4 ZPO, dass die Kosten des Beschwerdeverfahrens nicht erstattet werden. Im PKH-Prüfungsverfahren einschließlich der Beschwerde geht es aber um staatliche Daseinsvorsorge, die Parteien stehen sich dort also nicht wie im Klageverfahren als Gegner gegenüber. In § 127 Abs 4 ZPO geht es um den Ausschluss der Erstattung von Kosten durch den Gegner im Zivilprozess (vgl OLG Hamburg, Beschluss vom 16.04.2002 in MDR 15/2002 S 910). Diese Vorschrift kann nicht über § 201 SGG entsprechend auf die Staatskasse angewendet werden. Mit dem öffentlich-rechtlichen Gebührenanspruch gemäß §§ 18 Nr 5, 45 Abs 1 RVG besteht nunmehr eine gesetzliche Grundlage, die Kosten des mit der Beschwerde beauftragen Rechtsanwaltes der Staatskasse aufzuerlegen (vgl. Gerold/Schmidt/v.Eicken/Madert, Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte -BRAGO-, Kommentar, 12.Auflage § 51 Rdnr 17; dort wird unter der Geltung der BRAGO von einer fehlenden gesetzlichen Grundlage ausgegangen und diese Ansicht wird in der 14. Auflage aaO § 51 Rdnr 18 trotz gleichzeitig geäußerter verfassungsrechtlicher Bedenken fortgeschrieben). Die gegenteilige Ansicht im Beschluss des LSG Rheinland-Pfalz vom 10.06.2008 Az: L 5 ER 91/08 AS, L 5 B 107/08 AS, zitiert nach juris, überzeugt den Senat nicht. Der 5. Senat des LSG Rheinland-Pfalz gesteht einerseits zu, dass seit dem Inkrafttreten des RVG Beschwerdeverfahren grundsätzlich zu selbstständigen Verfahren erklärt wurden, andererseits verneint er im Hinblick auf § 127 Abs 4 ZPO eine Pflicht zur Kostenerstattung und führt zur Begründung an, es gebe keinen allgemeinen Rechtsgrundsatz, dass im Falle des Erfolgs eines Beschwerdeverfahrens Kosten zu erstatten seien. Die von ihm aufgeführte Zitatstelle der 8. Auflage des SGG-Kommentars von Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer § 73a Rdnr 12a findet sich in der 9. Auflage nicht mehr, vielmehr wird jetzt die Auffassung vertreten, dass in Beschwerdeverfahren (auch in PKH-Fällen) eine eigene Verfahrensgebühr entsteht (aaO § 176 Rdnr 5a).
Dieser Beschluss ergeht kostenfrei und ist unanfechtbar, § 177 SGG.
Bayerisches LSG:
Beschluss v. 21.11.2008
Az: L 18 B 796/08 R PKH
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