Landgericht Mannheim:
Urteil vom 29. Oktober 2010
Aktenzeichen: 7 O 214/10

(LG Mannheim: Urteil v. 29.10.2010, Az.: 7 O 214/10)

1. Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Verfügung in Patentstreitigkeiten ist, dass die Verletzungsfrage ohne Schwierigkeiten zweifelsfrei beurteilt werden kann. Der Erlass einer einstweiligen Verfügung hat nicht nur dann zu unterbleiben, wenn die Subsumtion unter den Patentanspruch mit Zweifeln behaftet ist, sondern auch dann, wenn rechtlich zweifelhaft erscheint, ob das beanstandete Verhalten eine dem Patentinhaber gem. § 9 PatG vorbehaltene Handlung ist.

2. Auch im Patentrecht wird durch das bloße Ausstellen eines Produktes im Inland auf einer Messe noch keine Erstbegehungs- oder Wiederholungsgefahr dafür begründet, dass das ausgestellte Produkt (alsbald) auch angeboten oder in den Verkehr gebracht werden würde.

Tenor

1. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wird zurückgewiesen.2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Verfügungsklägerin.3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Verfügungsklägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Verfügungsbeklagte zuvor Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

Die Verfügungsklägerin sieht durch die Verfügungsbeklagte ihre Rechte aus dem deutschen Patent DE 10 2006 013 970 verletzt und begehrt im Wege der einstweiligen Verfügung Unterlassung.

Die Verfügungsklägerin und die Verfügungsbeklagte sind auf dem Gebiet der Vakuumtechnologie tätig. Die Verfügungsklägerin entwickelt und vertreibt als Teil ihrer Produktpalette Unterdruckflächengreifvorrichtungen (sog. Sauggreifer). Sie ist Inhaberin des deutschen Patents DE 10 2006 013 970 betreffend eine Unterdruckflächengreifvorrichtung. Das Patent wurde am 15.03.2006 angemeldet, die Erteilung des Patents am 14.08.2008 veröffentlicht. Das Patent steht in Kraft.

Der geltend gemachte Anspruch 1 hat (ohne Bezugsziffern) nachfolgenden Wortlaut:

Unterdruckflächengreifvorrichtung mit einem Strangpressprofil, einer parallel an das Strangpressprofil montierten Saugplatte, wenigstens einer das Strangpressprofil mit der Saugplatte verbindenden Überströmöffnung sowie einem Ejektor als Unterdruckerzeuger, wobei das Strangpressprofil eine einzige Hohlkammer aufweist, und der Ejektor in die Hohlkammer des Strangpressprofils eingeschoben ist und die Ansaugöffnung des Ejektors mit der Überströmöffnung kommuniziert.

Die Verfügungsbeklagte ist das deutsche Unternehmen der französischen Gesellschaft [A.], die ebenfalls Sauggreifer herstellt. Der Geschäftsführer der Verfügungsbeklagten ist zugleich Directeur Général und Mitglied der Geschäftsleitung der [A.].

Die Verfügungsbeklagte stellte auf der Messe Motek 2010, die vom 13.-17.09.2010 in Stuttgart stattfand, einen Sauggreifer der Serie [X.] aus (angegriffene Ausführungsform). Auf dem Messestand lagen Produktkataloge aus. Der ausgestellte Sauggreifer entsprach konstruktiv der als Anlage [&] vorgelegten Vorrichtung, die die Verfügungsbeklagte in den USA vertreibt und die die Verfügungsklägerin in den USA von dem amerikanischen Unternehmen [B.] bezogen hatte.

Nachdem die Verfügungsbeklagte das Modell im Jahr 2008 auf Messen in Chicago und Paris ausgestellt hatte, wies die Verfügungsklägerin die Verfügungsbeklagte bereits im Jahr 2008 darauf hin, dass der entsprechend konstruierte Sauggreifer nach ihrer Auffassung bei einem Vertrieb in Deutschland das deutsche Patent der Verfügungsklägerin verletzen würde.

Die Verfügungsklägerin ist der Auffassung, die Verfügungsbeklagte habe auf der Messe Motek einen patentverletzenden Sauggreifer im Inland angeboten. Die Verfügungsbeklagte habe sich - auf der Messe mit der Patentverletzung konfrontiert - nicht etwa damit verteidigt, der Sauggreifer der Serie [A.] werde im Inland gar nicht angeboten, sondern damit, die Vorrichtung sei nicht patentverletzend. Daran sei erkennbar, dass die Verfügungsbeklagte den Sauggreifer nicht nur im Sinne einer bloßen Leistungsschau auf der Messe ausgestellt habe, sondern gezielt Kunden habe ansprechen wollen. Dies ergebe sich auch daraus, dass in den am Messestand ausliegenden Katalogen auch die patentverletzenden Sauggreifer beworben und [ihnen] die Bestellnummer entnommen werden könne. Die Messe Motek richte sich in erster Linie an den deutschen Markt.

Auch in Deutschland könne die patentverletzende Vorrichtung bestellt werden, was sich daran zeige, dass auch in Deutschland Bestellungen unter der Bestellnummer der patentverletzenden Ausführung des Sauggreifers [Buchstaben/Zahlenkombination] (Hervorhebung diesseits, G2 = Vorrichtung mit einem integrierten Unterdruckerzeuger [&]) ausweislich der in der mündlichen Verhandlung übergebenen Rechnung vom 16.07.2009 ausgeführt würden, wenngleich auf die Bestellung eine patentfreie Vorrichtung mit außerhalb des Strangpressprofils liegendem Ejektor geliefert worden sei. Die Verfügungsbeklagte habe nach der Messe begonnen, das Produkt intensiv zu bewerben.

Die Verfügungsklägerin beantragt,

der Antragsgegnerin wird es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu EUR 250.000,00, ersatzweise Ordnungshaft oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, wobei die Ordnungshaft an dem gesetzlichen Vertreter der Antragsgegnerin zu vollziehen ist, untersagt in der Bundesrepublik Deutschland eine Unterdruckflächengreifvorrichtung mit einem Strangpressprofil, einer parallel an das Strangpressprofil montierten Saugplatte, wenigstens einer das Strangpressprofil mit der Saugplatte verbindenden Überströmöffnung sowie einem Ejektor als Unterdruckerzeuger, anzubieten, in den Verkehr zu bringen, zu gebrauchen oder zu genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen, sofern das Strangpressprofil eine einzige Hohlkammer aufweist, und der Ejektor in die Hohlkammer des Strangpressprofils eingeschoben ist und die Ansaugöffnung des Ejektors mit der Überströmöffnung kommuniziert. (Hauptanspruch 1 des DE 10 2006 013 970)

Die Verfügungsbeklagte beantragt,

den Verfügungsantrag vom [&] zurückzuweisen.

Die Verfügungsbeklagte ist der Auffassung, aus dem Umstand, dass eine Vorrichtung auf der Messe Motek ausgestellt worden sei, könne auf eine Angebotshandlung i.S.d. § 9 PatG nicht geschlossen werden. Die Messe wende sich an ein internationales Publikum und nicht vorwiegend an den deutschen Markt. Zudem verletze die angegriffene Ausführungsform das Patent nicht, da es an einer Verwirklichung der Merkmale 3 und 7 fehle. Die Verletzungsfrage lasse sich schließlich nicht mit hinreichender Klarheit beantworten, weshalb der Erlass einer einstweiligen Verfügung nicht in Betracht komme.

Hinsichtlich der Einzelheiten des Parteivortrags wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Protokoll über die mündliche Verhandlung verwiesen.

Gründe

Der zulässige Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung war zurückzuweisen, weil es jedenfalls an einem Verfügungsgrund fehlt.

1. Ein Verfügungsgrund ist nur dann gegeben, wenn die antragstellende Partei ein besonderes Rechtsschutzbedürfnis hat, welches nur durch einen im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes erstrittenen Vollstreckungstitel befriedigt werden kann. Anders als im Recht des unlauteren Wettbewerbs wird das Bestehen eines Verfügungsgrundes im Patentrecht nicht vermutet. Die Regelung des § 12 Abs. 2 UWG ist einer analogen Anwendung mangels planwidriger Regelungslücke nicht zugänglich (vgl. Köhler, in: Köhler/Bornkamm, UWG, 28. Aufl. 2010, § 12 Rn. 3.14).

Daher ist auf den jeweiligen Einzelfall bezogen zu prüfen, ob bei Berücksichtigung aller Umstände und unter Abwägung der Interessen der Parteien der antragstellenden Partei ein Zuwarten bis zum Abschluss des erstinstanzlichen Hauptsacheverfahrens durch Urteil nicht zugemutet werden kann.

In Patentverletzungsstreitigkeiten sind an das Vorliegen eines Verfügungsgrundes hohe Anforderungen zu stellen, da eine Unterlassungsverfügung in besonders einschneidender Weise in die gewerbliche Tätigkeit des Antragsgegners eingreift, der sich im einstweiligen Verfügungsverfahren zudem in der schwierigen Situation sieht, die Verletzungsfrage sowie die Frage der Rechtsbeständigkeit des geltend gemachten Verfügungspatents binnen sehr kurzer Zeit überprüfen zu müssen (OLG Düsseldorf InstGE 12, 114 - Harnkatheterset).

Indes dürfen vor dem Hintergrund, dass - der nicht unmittelbar anwendbare, bei der Auslegung jedoch zu beachtende (BGH GRUR 2002, 1046, 1048 - Faxkarte, BGH GRUR 2006, 962, 966 - Restschadstoffentfernung) - Art. 50 Abs.1 lit. a des Übereinkommens der handelsbezogenen Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums (TRIPS) vom 15.04.1994 (BGBl. II, S. 1730) ebenso wie die Richtlinie 2004/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums (vgl. Erwägungsgrund 22, Art. 9 Abs. 1 lit. a) und Abs. 4) die Durchsetzung von Schutzrechten auch im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes sicherstellen wollen, die Anforderungen an das Vorliegen des Verfügungsgrundes nicht überspannt werden.

Jedoch ist Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Verfügung in Patentstreitigkeiten, dass die Verletzungsfrage ohne Schwierigkeiten beurteilt werden kann, sie somit zweifelsfrei ist (OLG Karlsruhe, Urteil vom 22.09.2010 - 6 U 104/10 - Umdruck, S. 16), und sich keine durchgreifenden Zweifel an der Schutzfähigkeit des Verfügungsschutzrechts aufdrängen (a.a.O., S. 11). Ergänzend müssen die sich gegenüberstehenden Interessen der Parteien bewertet und gegeneinander abgewogen werden (OLG Karlsruhe, Urt. v. 08.07.2009 - 6 U 61/09, InstGE 11, 143).

2.a) Bei Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist die Verletzungsfrage vorliegend nicht mit hinreichender Sicherheit zu beantworten. Denn die Verletzungsfrage muss nach Auffassung der Kammer nicht nur insoweit zweifelsfrei feststehen, als die Verwirklichung sämtlicher Merkmale des geltend gemachten Anspruchs durch die angegriffene Ausführungsform offen zu Tage liegen muss. Vielmehr ist zudem erforderlich, dass zweifelsfrei eine patentverletzende Handlung nach § 9 PatG gegeben ist. Hieran fehlt es im vorliegenden Fall, weil eine einen Unterlassungsanspruch rechtfertigende Erstbegehungs- oder Wiederholungsgefahr nicht ohne jeden Zweifel bejaht werden kann.

b) Als Anknüpfungspunkt für eine patentverletzende Handlung kommt allein die Ausstellung des angegriffenen Sauggreifers auf der Messe Motek in Stuttgart in Betracht.

aa) Eine Lieferung einer patentverletzenden Ausführungsform im Inland hat die Verfügungsklägerin nicht dargetan. Sie hat lediglich in der mündlichen Verhandlung eine Rechnung vorgelegt, aus der sich zwar ergibt, dass auf ihr die Bestellnummer eines Sauggreifers mit einem integriertem Ejektor vermerkt ist (CVG620VBF G2 E, Hervorhebung diesseits) und die Lieferung an die im Inland befindliche Firma [C.] erfolgte. Indes wurde unstreitig eine Vorrichtung mit externem Ejektor geliefert (vgl. die in der mündlichen Verhandlung übergebenen Lichtbilder), die auch die Verfügungsklägerin nicht als patentverletzend ansieht.

bb) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs wird indes durch das bloße Ausstellen eines Produktes im Inland noch keine Erstbegehungs- oder Wiederholungsgefahr dafür begründet, dass das ausgestellte Produkt (alsbald) angeboten oder in den Verkehr gebracht würde (so betreffend das Markenrecht: BGH, Urt. v. 22.04.2010 - I ZR 17/05 - Pralinenform II).

cc) Vorliegend hat die Verfügungsklägerin allein dargetan, dass der von ihr als patentverletzend in Anspruch genommene Sauggreifer auf der Messe ausgestellt wurde. Sie hat indes nicht dargelegt, dass die Vorrichtung konkret Kunden zum Kauf angeboten worden wäre. Aus Sicht der Kammer kann daher nicht ausgeschlossen werden und ist angesichts des Charakters der Messe, die sich als die Internationale Leitmesse für Montage-, Handhabungstechnik und Automation darstellt, auch nicht fernliegend, dass die Verfügungsbeklagte die angegriffene Ausführungsform lediglich im Sinne einer Leistungsschau gemeinsam mit ihrer übrigen Produktpalette auf der Messe ausgestellt hat, ohne dass hierdurch auf einen Absatz des Sauggreifers im Inland abgezielt worden wäre.

Auf eine Angebotshandlung bzw. das Bevorstehen einer solchen im Inland kann nach Auffassung der Kammer auch nicht deshalb mit der für den Erlass einer einstweiligen Verfügung in Patentsachen hinreichenden Gewissheit geschlossen werden, weil die Verfügungsbeklagte an ihrem Messestand einen Produktkatalog auslegte, aus dem sich neben den Bestellnummern von patentfreien Vorrichtungen auch die Bestellnummer der von der Verfügungsklägerin als patentverletzend in Anspruch genommenen Vorrichtung entnehmen lässt.

Insoweit kann nach Auffassung der Kammer eine (bevorstehende) Angebotshandlung mit guten Gründen abgelehnt werden, weil es bei verständiger Betrachtung durchaus mit der allgemeinen Lebenserfahrung vereinbar erscheint und wirtschaftliche Gründe sogar dafür sprechen, dass die Verfügungsbeklagte auf der Messe schlicht ihren Produktkatalog ausgelegt hat, in dem ihre gesamte Produktpalette dargestellt wird, um nicht einen speziellen Messekatalog erstellen zu müssen, in dem die Bestellnummer der im Inland - möglicherweise - patentverletzenden Vorrichtung sowie entsprechende grafische Abbildungen gelöscht werden. Für ein solches Vorgehen spricht zudem, dass vorliegend Ausstellerin die Verfügungsbeklagte war und nicht die im Impressum des Katalogs genannte [B.] mit Sitz in Raleigh North Carolina, USA. Daher liegt nahe, dass sich die Verfügungsbeklagte lediglich aus Kostengründen des englischsprachigen Katalogs der [B.] bediente. Dem Umstand lässt sich aus Sicht der Kammer jedoch kein Indiz für eine (bevorstehende) Angebotshandlung im Inland entnehmen.

Dass insoweit eine andere rechtliche Würdigung vertretbar sein mag, verkennt die Kammer nicht, jedoch kann die Verletzungsfrage unter diesen Umständen nicht zweifelsfrei bejaht werden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 6, 711 ZPO.






LG Mannheim:
Urteil v. 29.10.2010
Az: 7 O 214/10


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