Bundespatentgericht:
Beschluss vom 24. November 2010
Aktenzeichen: 9 W (pat) 412/05
(BPatG: Beschluss v. 24.11.2010, Az.: 9 W (pat) 412/05)
Tenor
Das Patent wird aufrechterhalten.
Gründe
I.
Das Deutsche Patentund Markenamt hat nach Prüfung das als PCT-Anmeldung am 17. Juni 1993 unter Inanspruchnahme der schwedischen Priorität 9201893 vom 22. Juni 1992 angemeldete Patent mit der Bezeichnung
"Verfahren und Vorrichtung zur Beschleunigung der Erwärmung des Fahrzeugmotors in einem mit einem Retarder ausgestatteten Fahrzeug"
erteilt. Veröffentlichungstag der Patenterteilung ist der 16. Juni 2005. Gegen das Patent richtet sich der Einspruch der V... GmbH & Co. KG. Sie nennt pauschal die bereits im Prüfungsverfahren in Betracht gezogenen Druckschriften E 1 DE3713560C1, E2 DE3408057A1, E3 DE3147468A1, E4 GB 21 34 245 A und E 5 US 37 20 372. Darüber hinaus verweist sie auf weiteren vorveröffentlichen Stand der Technik:
E6 DE2405579A E7 DE3305560C1.
Die Einsprechende meint, das Verfahren nach Patentanspruch 1 des Streitpatents sei durch E 6 und E 7 -jeweils für sich alleine -vorweggenommen beziehungsweise nahegelegt. Das gelte ebenso für die Vorrichtung gemäß dem nebengeordneten Patentanspruch 7, der inhaltlich dieselben Aussagen enthalte wie der Patentanspruch 1. Sie beantragt, das Patent zu widerrufen.
Die Patentinhaberin beantragt, das Patent aufrecht zu erhalten.
Sie bestreitet die Zulässigkeit des Einspruchs und vertritt darüber hinaus die Auffassung, gegenüber dem in Betracht gezogenen Stand der Technik seien das streitpatentgemäße Verfahren sowie die entsprechende Vorrichtung neu und nur durch erfinderische Tätigkeit zu erreichen gewesen.
Die Patentansprüche 1 und 7 enthalten folgende, gegliederte Merkmale: Hinsichtlich des jeweiligen Anspruchswortlauts und der rückbezogenen Patentansprüche 2 bis 6 sowie 8 bis 10 wird auf die Patentschrift verwiesen.
Nr. Patentanspruch 1 Patentanspruch 7 1 Verfahren zum Beschleunigen der Erwärmung eines mit einem Retarder (2) ausgestatteten Fahrzeugmotors. Vorrichtung zum Beschleunigen der Erwärmung eines mit einem hydraulischen Retarder (2) ausgestatteten Kraftfahrzeugs.
1.1 Der Retarder besteht aus einer hydrodynamischen Zusatzbremse. Der Retarder besteht aus einer hydrodynamischen Zusatzbremse.
1.2 Die Zusatzbremse wird von einer elektrischen Steuereinheit (18) entsprechend verschiedenen Betriebsparametern gesteuert. Die Zusatzbremse wird von einer elektrischen Steuereinheit (18) entsprechend verschiedenen Betriebsparametern gesteuert.
1.3 1.4 1.5 1.6 1.7 Die Steuereinheit enthält eine Blockierfunktion, die das Fahren mit Bremsung durch den Retarder (2) und gleichzeitig betätigter Motordrosselklappe verhindert. Die Steuereinheit enthält eine Blockierfunktion, die das Fahren mit Bremsung durch den Retarder (2) und gleichzeitig betätigter Motordrosselklappe verhindert.
Das Retarderhydraulikfluid wird durch das Motorkühlmittel gekühlt. Das Retarderhydraulikfluid wird durch das Motorkühlmittel gekühlt.
Eine Heizfunktion wird so aktiviert, dass die Blockierfunktion des Retarders (2) aufgehoben wird. Die Steuereinheit (18) enthält eine Heizfunktion, die bei Aktivierung die BIockierfunktion aufhebt.
Dabei wird der Retarder so eingestellt, dass er Bremsarbeit zur gleichen Zeit leistet, wie die Motordrosselklappe betätigt wird. Die Steuereinheit ist mit einer Steuereinrichtung (40) verbunden, mit der die Bremswirkung des Retarders während der Motordrosselklappenbetätigung manuell eingestellt werden kann.
Dadurch wird die Motorlast vergrößert und die Erwärmung des Motorkühlmittels wird aufgrund der vergrößerten Motorlast, sowie aufgrund der Wärmeaufnahme aus dem Retarderhydraulikfluid beschleunigt.
II.
1.
Die Zuständigkeit des Bundespatentgerichts ist durch § 147 Abs. 3 Satz 1 PatG in den vom 1. Januar 2002 bis zum 30. Juni 2006 geltenden Fassungen begründet.
2.
Der fristund formgerecht erhobene Einspruch ist zulässig, denn der Senat ist entgegen der Auffassung der Patentinhaberin aufgrund des Einspruchsvorbringens ohne eigene Ermittlungen in der Lage, über das das Vorliegen oder Nichtvorliegen des geltend gemachten Widerrufsgrundes entscheiden zu können.
Gemäß PatG § 59 Abs. 1 Satz 4 und 5 müssen die Tatsachen, die den Einspruch rechtfertigen, im Einzelnen innerhalb der dreimonatigen Einspruchsfrist angegeben werden. Dieser Tatsachenvortrag ist dann ausreichend substantiiert, wenn er die Patentinhaberin und das Deutsche Patentund Markenamt bzw. das im vorliegenden Fall noch zuständige Bundespatentgericht in die Lage versetzt, daraus abschließende Folgerungen in Bezug auf das Vorliegen oder Nichtvorliegen eines Widerrufsgrundes ziehen zu können (st. Rspr. vgl. -Streichgarn-BGH BlPMZ 1987, 203, 204; -Tetraploide Kamille-BGH BlPMZ 1993, 439, 440; -Tabakdose-BGH BlPMZ 1998, 201, 202; -Automatisches Fahrzeuggetriebe-BGH BlPMZ 2003, 241). Diesen Anforderungen wird das innerhalb der Einspruchsfrist eingegangene Vorbringen gerecht.
Der Einspruchsschriftsatz ist datiert vom 15. September 2005 und per Fax beim Deutschen Patentund Markenamt eingegangen am 16. September 2005, dem letzten Tag der Einspruchsfrist. Die darin enthaltenen Angaben sind somit die einzigen innerhalb der gesetzlichen Einspruchsfrist vorgetragenen Tatsachen, die bei der Prüfung des Einspruchs auf dessen Zulässigkeit berücksichtigt werden können.
In dem Einspruchsschriftsatz macht die Einsprechende den Widerrufsgrund der mangelnden Patentfähigkeit (§ 21 Abs. 1 Nr. 1 PatG) geltend und zwar ausdrücklich wegen mangelnder Neuheit (§ 3 PatG) und wegen mangelnder erfinderischer Tätigkeit (§ 4 PatG). Den gegliederten Anspruchsmerkmalen sind die im Einspruchsschriftsatz vorgetragenen Tatsachen nachstehend tabellarisch gegenüber gestellt:
Merkmale PA 1 bzw. 7 Einspruchsbegründung vom 15. September 2005, eingegangen am 16. September 2005.
"Der Gegenstand von Anspruch 1 des Streitpatents ist aus E 6 und aus E 7 vorbekannt.", vgl. S. 3 Abs. 5. "Der zweite selbständige Anspruch 7 enthält ....", vgl. S. 5 Abs. 5.
1 "Bereits die Überschrift von E 6 beinhaltet die Merkmale 1 und 1.1 gemäß obiger Merkmalsanalyse", vgl. S. 3 Abs. 9. "Gleiches ergibt sich auch aus E 7. .... mit den Worten "hydrodynamische Bremse" und "Brennkraftmaschine.", vgl. S. 3 Abs. 9.
1.1 1.2 "Jeder Retarder der genannten Art dient ...... Die Bremsleistung muss somit in jedem Falle zwingend gesteuert werden, "entsprechend verschiedenen Betriebsparametern"....", vgl. S. 3 Abs. 11. "Jeder Retarder der genannten Art dient ...... Die Bremsleistung muss somit in jedem Falle zwingend gesteuert werden, "entsprechend verschiedenen Betriebsparametern"....", vgl. S. 3 Abs. 11.
1.3 "Normalerweise möchte man beim Anfahren des Motors nicht gleichzeitig bremsen, sei es ..... Solche Blockierfunktionen sind bekannt, und zwar ..... Dies ist der Fall bei E6. Siehe dort Seite 1, zweiter Absatz. Hieraus folgt, dass E6 eine Blockierfunktion aufweist.", vgl. S. 3 letzter Abs. bis S. 4 Abs. 1. "Gleiches gilt für E7, siehe dort Figur 1.", vgl. S. 4 Abs. 2.
1.4 "Das der Retarder-Kühler vom Kühlwasser des Motorkühlers durchströmt wird, ergibt "Dies ergibt sich aber auch aus E7, Spalte 3, Zeilen 17 bis 20.", sich aus E6. Siehe dort Seite 1, den ersten Absatz.", vgl. S. 4 Abs. 4. vgl. S. 4 Abs. 4.
1.5 "Wenn das Kühlwasser kalt ist, ..... Das Wasser läuft im Kurzschluss um, so dass sich der Motor möglichst schnell erwärmen kann, wenn in diesem Zustand das Bremsventil betätigt und so der Retarder 10 eingeschaltet wird.", vgl. S. 4 Abs. 10. "Befindet sich die Brennkraftmaschine 1 im Leerlauf oder Schubbetrieb ..., so wird durch Aktiveren ..... erstellt.", vgl. S. 4 Abs. 12.
1.6 1.7 "Aber auch E6 enthält dieselbe Aussage. Siehe Seite 5, Zeilen 4 ff.", vgl. S. 5 Abs. 2. "Dass die Wärme dem Aufheizen des Motors .....Siehe bereits den Oberbegriff von Anspruch 1.", vgl. S. 5 Abs. 2.
Die Gegenüberstellung weist nach, dass der erforderliche Zusammenhang zwischen sämtlichen Merkmalen der Patentansprüche 1 und 7 des Streitpatents zu dem Stand der Technik gemäß E 6 und E 7 in nachvollziehbarer Weise hergestellt worden ist. Ob dieser Tatsachenvortrag alsdann den begehrten Widerruf des Patents rechtfertigt, ist keine Frage der Zulässigkeit, sondern der Begründetheit.
3.
In der Sache hat der Einspruch keinen Erfolg, denn der Senat hält das Patent in vollem Umfang aufrecht.
4.
Das ohne Zweifel gewerblich anwendbare Verfahren gemäß Patentanspruch 1 und die ebenso zweifelsfrei gewerblich anwendbare Vorrichtung gemäß Patentanspruch 7 sind neu.
Aus der E 7 ist eine Steuerung der Heizleistung einer hydrodynamischen Zusatzbremse 7 bekannt, die in den Kühlkreislauf eines wassergekühlten Fahrzeugmotors 1 integriert ist, vgl. insb. Anspruch 1. Der Hydraulikfluidkreis 16/18 der hydrodynamischen Zusatzbremse 7 ist mit Motor-Kühlwasser befüllbar und dazu an dieLeitungen 12 und 13 des großen Kühlmittelkreislaufs 11 des Fahrzeugmotors hydraulisch angeschlossen, vgl. insb. Anspruch 8 i. V. m. nachstehender Fig. 1.
Zur Bereitstellung zusätzlicher Heizleistung ist zunächst erforderlich, durch Einschalten einer elektromagnetischen Kupplung 36 eine Antriebsverbindung zwischen dem Fahrzeugmotor 1 und der hydrodynamischen Zusatzbremse 7 herzustellen, vgl. insb. Sp. 3 Z. 55 bis 60. Bedingungen für das Einschalten der Kupplung 36 sind der E 7 nicht entnehmbar, folglich kann die Kupplung jederzeit und ohne Vorbedingung eingeschaltet werden. Nach dem Einschalten der Kupplung 36 wird die Heizleistung der hydrodynamischen Bremse 7 abhängig von der aktuellen Last des Fahrzeugmotors 1 gesteuert, vgl. insb. Anspruch 1. Am Beispiel gemäß Fig. 1 ist dies realisiert, indem eine Abhängigkeit zwischen der Fahrpedalstellung und der Stellung eines Druckregelventils 19 sowie eines Sperrventils 28 hergestellt ist. Beide Ventile sind im hydraulischen Kreislauf 16/18 der hydrodynamischen Bremse 7 angeordnet und über die Schaltkreise 24/33 und 25/34 elektrisch angesteuert. In diesen Schaltkreisen werden Schalter 22 und 23 durch die jeweilige Stellung des Fahrpedals 27 so geschaltet, dass zwischen den aktuellen Lastzuständen des Fahrzeugmotors 1 "Leerlauf", "Teillast" und "Volllast" unterschieden werden kann, vgl. insb. Ansprüche 4 bis 6 sowie Sp. 3 Z. 55 bis Sp. 4 Z. 27. Je nach dem aktuellen Lastzustand wird von der hydrodynamischen Zusatzbremse 7 drehzahlabhängig in den großen Kühlkreislauf wenig, eine mittlere Menge oder viel Heizleistung eingespeist, vgl. insb. Sp. 5 Z. 10 bis 19 i. V. m. Fig. 3. Ausschließlich im Volllastbereich ist das Fahren mit Bremsung durch den Retarder und gleichzeitig betätigter Motordrosselklappe verhindert, weil das Sperrventil 28 dann den Kühlwasserzulauf zur hydrodynamischen Bremse 7 unterbricht, vgl. insb. Sp. 4 Z. 19 bis 27. Beim Übergang vom Volllastbetrieb zum Teillastbetrieb wird die Heizfunktion aktiviert, indem das Sperrventil 28 den Kühlwasserzulauf zur hydrodynamischen Bremse 7 frei gibt. Ausschließlich im Teillastbereich ist die hydrodynamische Bremse 7 so eingestellt, dass Bremsarbeit zur gleichen Zeit geleistet wird, wie die Motordrosselklappe betätigt ist, vgl. insb. Sp. 4 Z. 8 bis 18. Dadurch wird die Motorlast vergrößert und die Erwärmung des Motorkühlwassers wird beschleunigt aufgrund der vergrößerten Motorlast sowie aufgrund der Wärmezufuhr durch das im Retarder zusätzlich erwärmte Kühlwasser.
Im Gegensatz zum Streitpatent besteht gemäß E 7 kein Unterschied zwischen dem Retarderhydraulikfluid und dem Motorkühlmittel, denn durch die direkte Einbindung der hydrodynamischen Bremse 7 in den großen Motorkühlkreislauf 11 ist das Motorkühlmittel gleichzeitig das Retarderhydraulikfluid. Dieses wird in der hydrodynamischen Bremse 7 erwärmt und nicht gekühlt, wie im streitpatentgemäßen Merkmal 1.4 vorgesehen ist.
Verschiedene Betriebsparameter, welche zur Steuerung der Zusatzbremse entsprechend Merkmal 1.2 berücksichtigt werden, sind nach der E 7 nicht vorgesehen. Gemäß Anspruch 1 der E 7 wird nämlich ausdrücklich nur die "Last der Brennkraftmaschine (1)" als einziger und ausschließlicher Betriebsparameter zur Steuerung der Heizleistung verwendet.
Aus der E 6 ist eine Dauerbremse für Kraftfahrzeuge bekannt, bei der ein Retarder 10 als hydrodynamische Kupplung ausgebildet ist, vgl. insb. Anspruch 1 i. V. m. nachstehender Fig. 1. Zum Beschleunigen der Erwärmung des kalten Fahrzeugmotors kann ein Bremsventil 12 betätigt werden, das per Druckluft über eine Regeleinheit 13 eine Befüllung des Retarders 10 in an sich bekannter Weise mit Öl bewirkt, vgl. insb. S. 2 Abs. 2, S. 4 Abs. 7 sowie S. 6 Abs. 1. Gleichzeitig wird das Thermostatventil 17 pneumatisch geöffnet, wodurch der Übergang des kalten Kühlwassers vom Kurzschluss-Kühlkreislauf 16 auf einen großen Kühlkreislauf ermöglicht wird. Über einen Wärmetauscher (Retarderkühler 14) im Wasserkasten des Kühlers 15 kann das im Retarder 10 erwärmte Öl nun seine Wärme an den großen Kühlwasserkreislauf des Fahrzeugmotors abgeben, vgl. insb. Fig. 1. Dabei wird das Retarderhydrauliköl durch das Motorkühlwasser gekühlt. Zur zeitverzögerten Umschaltung von dem kleinen auf den großen Kühlwasserkreislauf und damit zur Zuschaltung des Retarderkühlers 14 kann ein von der Öltemperatur im Retarder-Kreislauf abhängiger Temperaturschalter 26 vorgesehen sein, vgl. insb. S. 3 Abs. 2 sowie S. 6 Abs. 1 i. V. m. Fig. 3.
Eine Blockierfunktion, welche das Fahren mit Bremsung durch den Retarder und gleichzeitig betätigter Motordrosselklappe verhindert (Merkmal 1.3), ist in der E 6 nicht beschrieben. Insbesondere ein betätigungsbeschränkender Zusammenhang zwischen dem Bremsventil 12 und der jeweiligen Drosselklappenstellung ist nicht offenbart. Infolgedessen ist auch die Aktivierung der Heizfunktion nicht mit der Aufhebung einer Retarder-Blockierfunktion verbunden, wie es streitpatentgemäß vorgesehen ist (Merkmal 1.5). Das pneumatische Bremsventil 12 und die pneumatischölhydraulische Regeleinheit 13 allein dienen zur Steuerung des Retarders. Eine elektrische Steuereinheit, welche die Zusatzbremse wie beim Streitpatent entsprechend verschiedenen Betriebsparametern steuert (Merkmal 1.2), ist nicht vorgesehen. Sie ist insbesondere nicht durch den optionalen Temperaturschalter 26 verwirklicht, denn dieser verzögert lediglich das Umschalten von dem kleinen auf den großen Kühlwasserkreislauf und steuert die Zusatzbremse dabei nicht.
Die Druckschriften E 1 bis E 3 und E 5 weisen unbestritten weder ein Verfahren noch eine Vorrichtung mit sämtlichen streitpatentgemäßen Merkmalen gemäß den Patentansprüchen 1 und 7 nach.
Die in Abs. [0004] der Streitpatentschrift dargestellte E 4 GB 21 34 245 A nimmt die Priorität der vorstehend erläuterten E 7 in Anspruch und unterscheidet sich vom Streitpatent inhaltlich durch dieselben Merkmale wie die E 7.
Der Stand der Technik gemäß E 1 DE 37 13 560 C1, E 2 DE 34 08 057 A1, E 3 DE 31 47 468 A1 und E 5 US 37 20 372 ist in den Absätzen [0003], [0005], [0006] und [0007] der Streitpatentschrift zutreffend gewürdigt worden. In keiner dieser Druckschriften ist eine Blockierfunktion beschrieben, die das Fahren mit Bremsung durch den Retarder und gleichzeitig betätigter Motordrosselklappe verhindert (Merkmal 1.3). Gegenteiliges hat auch die Einsprechende nicht vorgetragen.
5. Das Verfahren gemäß Patentanspruch 1 und die Vorrichtung gemäß Patentanspruch 7 beruhen auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Als Durchschnittsfachmann, an den sich die Lehre des Streitpatents wendet und der den Stand der Technik fachgerecht auswertet, legt der Senat einen Maschinenbauingenieur zugrunde. Dieser ist als Konstrukteur für Antriebsstränge bei einem Fahrzeughersteller oder -zulieferer tätig und verfügt über mehrere Jahre Berufserfahrung, insbesondere in der Applikation von hydrodynamischen Zusatzbremsen (Retarder).
Mit der streitpatentgemäßen Aufgabenstellung, eine Verwendung des hydraulischen Retarders in einem Kraftfahrzeug zur Beschleunigung der Motorerwärmung, insbesondere beim Starten des Fahrzeugs zu ermöglichen, beschäftigt sich die E 6, vgl. insb. S. 2 Abs. 2. Wie vorstehend erläutert, schlägt die E 6 ein Verfahren bzw. eine entsprechende Vorrichtung vor, wodurch die Einspeisung von Retarderabwärme in das Kühlwasser unabhängig vom Stand der Motordrosselklappe möglich ist und die Retarderleistung nur durch die Stellung eines Bremsventils beeinflusst wird. Dabei kann dahinstehen, ob das Bremsen mittels eines Primärretarders, wie er in der E 6 beschrieben ist, und das gleichzeitige Betätigen einer Motordrosselklappe durch eine Blockierfunktion grundsätzlich immer unterbunden sein soll, wie die Einsprechende meint. Denn die E 6 erwähnt eine derartige Blockierfunktion mit keinem Wort. Selbst wenn also solche Blockierfunktionen allgemein bekannt sein sollten, entnimmt der Durchschnittsfachmann der E 6 objektiv, diese hier nicht anzuwenden, weil dies der beabsichtigten Beschleunigung der Kühlwassererwärmung durch den Retarder entgegensteht. Zu ihrer gegenteiligen Ansicht, durch fachmännische Auswertung der E 6 allein sei das Streitpatent nahegelegt, gelangt die Einsprechende daher nur in Kenntnis des Streitpatents.
Die E 7 beschreibt, wie auch die inhaltlich der E 7 entsprechende E 4, die Verwendung einer hydrodynamischen Bremse als Heizgerät im Kühlkreislauf einer Brennkraftmaschine. Das besondere Augenmerk liegt dabei auf einer Steuerung der Heizleistung der hydrodynamischen Bremse unter Berücksichtigung der zur Verfügung stehenden Antriebsleistung, vgl. insb. Sp. 2 Z. 43 bis 48 in E 7. Vorgeschlagen ist, dem Motorkühlkreislauf im Leerlauf und im Teillastbereich zusätzliche Wärme aus der hydrodynamischen Bremse zuzuführen, sofern diese eingeschaltet ist. Im Volllastbereich dagegen soll die Wärmeabfuhr von der hydrodynamischen Bremse in den Heizkreislauf unterbunden sein. Gerade diese lastabhängige Einschränkung vermittelt dem Durchschnittsfachmann unmissverständlich, dass eine Erwärmung des Kühlwassers wie beim Streitpatent, insbesondere beim Starten des Fahrzeuges nicht das vorrangige Ziel der Steuerung nach E 7 sein kann. Wäre eine vorbehaltlose Erwärmung des Kühlwassers das Ziel der E 7, würde die volllastabhängige Einschränkung dem entgegenstehen, weil sie eine Beschleunigung der Kühlwassererwärmung verlangsamt. Eine Stütze für dieses Verständnis der E 7 findet der Durchschnittsfachmann in der beispielhaft dargestellten hydraulischen Einbindung des Retarderfluidkreislaufs in den großen Kühlkreislauf der Brennkraftmaschine gemäß den erläuternden Ausführungsbeispielen, vgl. insb. Figuren 1 und 2. Aufgrund dieser Einbindung kann die Wärmezufuhr von der hydrodynamischen Bremse in den Heizkreislauf überhaupt erst dann erfolgen, wenn das Thermostatventil 6 öffnet und der große Kühlkreislauf 11 wirksam wird. Das Thermostatventil öffnet bekanntlich erst bei ~85¡C, folglich kann der Retarder in seiner Funktion als Heizgerät gemäß E 7 zur Erwärmung des Kühlwassers wie beim Streitpatent, insbesondere beim Starten des Fahrzeuges nichts beitragen. Infolgedessen führt eine ganzheitliche und unvoreingenommene technische Auswertung der E 7 eher vom Streitpatent weg als zu ihm hin. Zu ihrer gegenteiligen Ansicht gelangt die Einsprechende lediglich durch ein mosaikartiges Herausgreifen einzelner Merkmale der Steuerung nach der E 7. Diese Argumentation ist offensichtlich vom Wissen um das Streitpatent geprägt und kann den Senat nicht überzeugen. Denn für dieses Herausgreifen ist weder ein objektiver Anlass erkennbar noch wurde ein solcher von der Einsprechenden angegeben.
Aus der vorstehend wiedergegebenen Bewertung der E 6 und der E 7 folgt zwingend, dass eine Zusammenschau der Gegenstände beider Druckschriften nicht zum Streitpatent führen kann. Außerdem steht eine unbeschränkte Zufuhr von Retarderabwärme in den Kühlkreislauf im Falle der E 6 einer lastabhängig beschränkten Zufuhr von Retarderabwärme in den Kühlkreislauf im Falle der E 7 direkt entgegen. Gegen eine Zusammenschau spricht auch die ölhydraulische Retarderausbildung gemäß E 6 und die wasserhydraulische Ausbildung des Retarders gemäß E 7, denn beide Bauprinzipien eines Retarders sind grundsätzlich verschieden. Gleiches gilt für eine Zusammenschau der E 6 mit der E 4.
Die vorangegangene Neuheitsprüfung hat zudem ergeben, dass die Blockierfunktion (Merkmal 1.3) des streitpatentgemäßen Verfahrens bzw. der entsprechenden Vorrichtung im übrigen berücksichtigten Stand der Technik gemäß E 1 bis E 3 und E 5 nicht bekannt ist. Da dieses Merkmal weder platt selbstverständlich ist noch sich bei irgendeiner Zusammenschau dieser bekannten Retarderanwendungen quasi von selbst einstellen kann, führt auch die Kenntnis dieses Standes der Technik nicht zum Streitpatent.
Vor diesem Hintergrund haben die Patentansprüche 1 und 7 Bestand und mit ihnen die jeweils rückbezogenen Patentansprüche 2 bis 6 sowie 8 bis 10.
Pontzen Bork Paetzold Dr. Höchst Ko
BPatG:
Beschluss v. 24.11.2010
Az: 9 W (pat) 412/05
Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/bf5315d64b6e/BPatG_Beschluss_vom_24-November-2010_Az_9-W-pat-412-05