Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen:
Beschluss vom 14. November 2013
Aktenzeichen: 8 A 1668/13

(OVG Nordrhein-Westfalen: Beschluss v. 14.11.2013, Az.: 8 A 1668/13)

Tenor

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 10. Juni 2013 wird abgelehnt.

Der Kläger trägt die Kosten des Antragsverfahrens.

Der Streitwert wird unter Abänderung der erstinstanzlichen Streitwertfestsetzung für beide Rechtszüge auf 4.821,50 € festgesetzt.

Gründe

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.

Die Berufung ist gemäß § 124a Abs. 4 Satz 4 und Abs. 5 Satz 2 VwGO nur zuzulassen, wenn einer der Gründe des § 124 Abs. 2 VwGO innerhalb der Begründungsfrist dargelegt ist und vorliegt. Das ist hier nicht der Fall.

I. Die Antragbegründung, auf deren Prüfung der Senat im Zulassungsverfahren beschränkt ist, zeigt keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Gerichtsbescheides im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO auf. Der insoweit geltend gemachte Einwand des Klägers, das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht angenommen, dass die Beklagte ihrer Ermittlungspflicht nachgekommen sei, ist unbegründet.

1. Gemäß § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO kann die nach Landesrecht zuständige Behörde gegenüber einem Fahrzeughalter für ein oder mehrere auf ihn zugelassene oder künftig zuzulassende Fahrzeuge die Führung eines Fahrtenbuchs anordnen, wenn die Feststellung eines Fahrzeugführers nach einer Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften nicht möglich war. Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, ist  Unmöglichkeit  im Sinne des § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO anzunehmen, wenn die Bußgeldbehörde nach den Umständen des Einzelfalles nicht in der Lage war, den Täter des Verkehrsverstoßes zu ermitteln, obwohl sie alle angemessenen und zumutbaren Maßnahmen getroffen hat.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 21. Oktober 1987 - 7 B 162.87 -, NJW 1988, 1104 = juris Rn. 4.

Zu den danach angemessenen Ermittlungsmaßnahmen gehört in erster Linie, dass der Halter möglichst umgehend - im Regelfall innerhalb von zwei Wochen - von dem mit seinem Fahrzeug begangenen Verkehrsverstoß benachrichtigt wird, damit er die Frage, wer zur Tatzeit sein Fahrzeug geführt hat, noch zuverlässig beantworten kann und der Täter Entlastungsgründe vorbringen kann.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 13. Oktober 1978 - VII C 77.74 -, DÀV 1979, 408 = juris Rn. 18, sowie Beschluss vom 25. Juni 1987 - 7 B 139.87 -, DAR 1987, 393 = juris Rn. 2.

Macht der Fahrzeughalter im Rahmen der Anhörung keine Angaben im vorstehenden Sinne, entspricht es ständiger Rechtsprechung, dass es der Bußgeldbehörde regelmäßig nicht mehr zuzumuten ist, noch weitere Ermittlungen zu betreiben.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Dezember 1982 - 7 C 3.80 -, VRS 64, 466 = juris Rn. 7, sowie Beschlüsse vom 21. Oktober 1987 - 7 B 162.87 -, NJW 1988, 1104 = juris Rn. 4 f., und vom 9. Dezember 1993   11 B 113.93 -, juris Rn. 4; Dauer, in: Hentschel/König/ders., Straßenverkehrsrecht, 42. Aufl. 2013, § 31a StVZO Rn. 5; Beck/Berr, OWi-Sachen im Straßenverkehrsrecht, 6. Aufl. 2012, Rn. 325.

Dies gilt auch dann, wenn der Fahrzeughalter von einer Benennung des Täters oder zumindest des in Betracht kommenden Täterkreises unter Berufung auf ein Aussage- oder Zeugnisverweigerungsrecht absieht. Nach gefestigter Rechtsprechung kann der Halter eines Fahrzeugs nicht verlangen, von einer Fahrtenbuchauflage verschont zu bleiben, wenn er in einem Ordnungswidrigkeitsverfahren ein Zeugnis- oder Aussageverweigerungsrecht geltend gemacht hat. Ein  doppeltes Recht , nach einem Verkehrsverstoß einerseits im Ordnungswidrigkeitsverfahren die Aussage zu verweigern und zugleich trotz fehlender Mitwirkung bei der Feststellung des Fahrzeugführers auch von einer Fahrtenbuchauflage verschont zu bleiben, besteht nicht. Ein solches  Recht  widerspräche dem Zweck des § 31 a StVZO, nämlich der Sicherheit und Ordnung des Straßenverkehrs zu dienen.

Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 22. Juni 1995 - 11 B 7.95 -, BayVBl. 1996, 156 = juris Rn. 2 ff., und vom 11. August 1999 - 3 B 96.99 -, NZV 2000, 385 = juris Rn. 3; Beck/Berr, OWi-Sachen im Straßenverkehrsrecht, 6. Aufl. 2012, Rn. 334.

Die vorstehenden Grundsätze gelten dabei nicht nur für solche Aussage- und Zeugnisverweigerungsrechte, die ihren Grund in einem besonderen persönlichen Näheverhältnis des Mitwirkungspflichtigen zum Fahrzeugführer haben, sondern auch für berufsbezogene Aussage- bzw. Zeugnisverweigerungsrechte.

Vgl. Bay. VGH, Beschlüsse vom 22. April 2008   11 ZB 07.3149 -, juris Rn. 16, und vom 20. Juli 2009 - 11 ZB 08.3246 -, juris Rn. 9; VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 15. April 2009 - 10 S 584/09 -, VBlBW 2009, 356 = juris Rn. 4; Sächs. OVG, Beschluss vom 1. November 2011 - 3 A 162/11 -, juris Rn. 8; VG München, Beschluss vom 27. Januar 2000 - M 6 S 99.5081 -, juris Rn. 18; VG Köln, Urteil vom 8. Oktober 2010 - 18 K 3922/10 -, juris Rn. 20; VG Bayreuth, Beschluss vom 6. Juni 2013 - B 1 S 13.318 -, juris Rn. 25; Dauer, in: König/ders., Straßenverkehrsrecht, 42. Aufl. 2013, § 31a StVZO Rn. 7.

Entgegen der Ansicht des Klägers setzt § 31a Abs. 1 S. 1 StVZO nicht voraus, dass Grund für die Nichtfeststellbarkeit des verantwortlichen Täters einer Verkehrsordnungswidrigkeit ein rechtswidriges (oder gar schuldhaftes) Verhalten des Halters ist. Es genügt vielmehr, dass der begangene Verkehrsverstoß nicht aufklärbar war, obwohl die Behörde alle nach den Umständen des Einzelfalles angemessenen und zumutbaren Maßnahmen zur Täterermittlung getroffen hat.

Mit diesen auch vom Verwaltungsgericht zutreffend wiedergegebenen Maßstäben setzt sich die Antragsbegründung nicht näher auseinander. Sie zeigt insbesondere keine Gesichtspunkte auf, die Anlass geben könnten, die vorstehend wiedergegebenen Grundsätze in Frage zu stellen.

2. Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist das Verwaltungsgericht zu Recht davon ausgegangen, dass vorliegend die Beklagte ihrer Ermittlungspflicht mit der Anhörung des Klägers hinreichend Rechnung getragen hat und zu weitergehenden Ermittlungen nicht gehalten war, da sich der Kläger nicht zur Sache eingelassen hat.

a) Soweit der Kläger in der Antragsbegründung sinngemäß ausführt, dass er als Rechtsanwalt keine weitergehende Stellungnahme zur Sache ohne einen  Parteiverrat  habe abgeben können, da er von der Óberlassung des Fahrzeugs an seine Ehefrau erst im Rahmen seiner anwaltlichen Tätigkeit Kenntnis erlangt habe, in dem er mandatiert worden sei, werden die Ausführungen des Verwaltungsgerichts zum Zeugnisverweigerungsrecht eines Rechtsanwalts im Bußgeldverfahren (§ 46 OWiG i.V.m. § 53 Abs. 1 Nr. 2 und 3 StPO) sowie zur standes- und strafrechtliche Verschwiegenheitspflicht (§ 43a Abs. 2 BRAO, § 203 Abs. 1 Nr. 3 StGB) nicht durchgreifend in Frage gestellt.

Vgl. bereits OVG NRW, Beschluss vom 4. Januar 2011 - 8 A 2392/10 -, Abdruck S. 3 ff. m.w.N.

Es bedarf deshalb auch keiner Klärung, ob sich der Kläger zu Recht auf seine anwaltliche Verschwiegenheitspflicht beruft oder ob es sich - wie das Verwaltungsgericht näher ausgeführt hat - bei dem Óberlassen eines Kraftfahrzeugs um einen außerhalb des anwaltlichen Berufsgeheimnisses liegenden privaten Vorgang handelt.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 4. Januar 2011 - 8 A 2392/10 -, a.a.O.

b) Da der Kläger keine Angaben zur Sache gemacht hat, war die Ermittlungsbehörde nach den vorstehend dargelegten Grundsätzen nicht dazu verpflichtet, die Kanzlei oder die Wohnung des Klägers aufzusuchen, um den Kläger nochmals zu befragen oder um dort nach dem Fahrzeugführer Ausschau zu halten. Ebenso wenig war sie zu Ermittlungen im Familienkreis des Klägers verpflichtet, weil auf dem Tatfoto eine weibliche Person zu erkennen war und der Kläger sich im Rahmen seiner Anhörung auf  §§ 52, 55 StPO  berufen hat. Liegen der Ermittlungsbehörde in einem solchen Fall keine weiteren greifbaren Ermittlungsansätze bezüglich der Täterschaft einer konkreten Person vor, ist sie nicht gehalten, durch weitergehende Ermittlungen - etwa über das Einwohnermelde- oder Standesamt - den Familienkreis des Fahrzeughalters erst noch aufzuklären und in diesem Kreis einen möglichen Fahrzeugführer   etwa durch Befragungen in der Nachbarschaft oder durch einen Abgleich des Tatfotos mit erst noch beizuziehenden Passbildern mehrerer Familienmitglieder - ausfindig zu machen.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 22. Oktober 2013   8 A 666/13 -, Abdruck S. 3.

Insofern ist das Verwaltungsgericht auch zutreffend davon ausgegangen, dass es für die rechtliche Bewertung der Rechtmäßigkeit der Fahrtenbuchauflage nicht entscheidend darauf ankommt, ob bzw. wann die von der Ermittlungsbehörde protokollierten Maßnahmen tatsächlich erfolgt sind ( Letztlich kommt es hierauf nicht an... , S. 8 des Gerichtsbescheides). Mangels Entscheidungserheblichkeit kann daher dahingestellt bleiben, ob - wie der Kläger in der Antragsbegründung ausführt - entgegen dem Aktenvermerk der Beklagten im Verwaltungsvorgang tatsächlich sowohl am 17. September 2012 als auch am 17. November 2012 ein Ermittlungsversuch nicht stattgefunden hat.

II. Die Berufung ist auch nicht gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO wegen der geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zuzulassen.

Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, wenn für die Entscheidung der Vorinstanz eine grundsätzliche, bisher in der Rechtsprechung noch nicht geklärte Rechts- oder Tatsachenfrage von Bedeutung war, die auch für die Entscheidung im Berufungsverfahren von Bedeutung wäre und deren Klärung im Interesse der einheitlichen Rechtsanwendung oder der Fortbildung des Rechts geboten erscheint.

Vgl. Seibert, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Aufl. 2010, § 124 Rn. 127.

Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt. Soweit der Kläger die Frage aufwirft,

ob die Behörde auch dann, wenn sie gegebenenfalls überobligatorische Maßnahmen ergreife, diese ordentlich und sachgerecht durchführen und dokumentieren müsse, damit sie nicht gegen ihre Ermittlungspflichten verstoße,

ist schon nicht zu erkennen, dass die Beantwortung dieser Frage für die Entscheidung im Berufungsverfahren von Bedeutung wäre. Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Fahrtenbuchauflage kommt es - wie bereits unter I. ausgeführt - darauf an, ob die Bußgeldbehörde die zur Ermittlung des Fahrzeugführers  angemessenen und zumutbaren  Maßnahmen getroffen hat. Ob die Behörde darüber hinaus, etwaige ( überobligatorische ) Ermittlungsmaßnahmen, zu denen sie nicht verpflichtet wäre, ergriffen hat, ist für eine Anfechtungsklage gegen eine Fahrtenbuchauflage insofern nicht entscheidungserheblich. Damit kann es im Rahmen einer solchen Klage auch nicht darauf ankommen, wie solche  überobligatorischen  Ermittlungsmaßnahmen durchgeführt und dokumentiert werden. Aus den Ausführungen unter I. ergibt sich im Óbrigen ohne Weiteres, dass die vom Kläger aufgeworfene Frage in der Rechtsprechung geklärt ist.

III. Die Berufung ist schließlich auch nicht wegen eines Verfahrensmangels im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO zuzulassen.

Der Kläger kann nicht als Verfahrensmangel geltend machen, dass das Verwaltungsgericht nicht durch Gerichtsbescheid hätte entscheiden dürfen, weil die Voraussetzungen des § 84 Abs. 1 Satz 1 VwGO nicht vorgelegen hätten. Der Kläger ist gehindert, diesen angeblichen Verfahrensmangel mit dem Antrag auf Zulassung der Berufung geltend zu machen. Er hätte vielmehr stattdessen gemäß § 84 Abs. 2 Nr. 2 VwGO mündliche Verhandlung beantragen müssen, wenn er meint, über die Streitsache hätte nicht durch Gerichtsbescheid, sondern nur auf Grund mündlicher Verhandlung entschieden werden dürfen.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 11. Januar 2006 - 7 B 70.05 -, ZOV 2006, 282 = juris Rn. 18, sowie vom 21. Oktober 1999   8 B 307.99 -, Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 3 VwGO Nr. 24 = juris Rn. 2; Seibert, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Aufl. 2010, § 124 Rn. 196.

Dasselbe gilt für die Gehörsrüge. Mit der Rüge, das Verwaltungsgericht habe den Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, kann gegenüber einem Gerichtsbescheid nicht die Zulassung der Berufung beantragt werden; insoweit geht der Antrag auf mündliche Verhandlung vor.

Vgl. Seibert, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Aufl. 2010, § 124 Rn. 196 mit Hinweis auf Hess. VGH, Beschluss vom 4. August 2000 - 12 UZ 2595/00 -, NVwZ-RR 2001, 207 = juris Rn. 3, und OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 3. Dezember 2009 - 2 L 148/09 -, juris Rn. 6.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung und -änderung beruhen auf §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 1 und 3, 63 Abs. 3 Satz 1 GKG. Dabei legt der Senat in Anlehnung an Nr. 46.11 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (http://www.bverwg.de/medien/pdf/streitwertkatalog.pfd) für jeden Monat der Fahrtenbuchauflage einen Betrag von 400,- †zugrunde (12 x 400,- †= 4.800,- â€). Hinzu kommt der Betrag der ebenfalls angefochtenen Kostenfestsetzung (21,50 â€).

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).






OVG Nordrhein-Westfalen:
Beschluss v. 14.11.2013
Az: 8 A 1668/13


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