Bundespatentgericht:
Beschluss vom 1. Februar 2011
Aktenzeichen: 6 W (pat) 68/07

(BPatG: Beschluss v. 01.02.2011, Az.: 6 W (pat) 68/07)

Tenor

1.

Der Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse E 02 D des Deutschen Patentund Markenamts vom 07.03.2007 wird aufgehoben und das Patent mit folgenden Unterlagen erteilt:

-Patentansprüche 1 bis 9 vom 01.06.2004, eingegangen am 04.06.2004; -Beschreibung Seiten 1 bis 5 vom 01.06.2004, eingegangen am 04.06.2004; -1 Blatt Zeichnungen, Fig. 1 und 2 vom Anmeldetag.

2.

Die Rückzahlung der Beschwerdegebühr wird angeordnet.

Gründe

I.

Die Erfindung wurde am 24.07.2003 beim Deutschen Patentund Markenamt unter dem Aktenzeichen 103 33 613.3-25 angemeldet.

Mit Prüfungsbescheid vom 07.04.2004 wurde der Anmelderin mitgeteilt, dass dem Gegenstand des Patentanspruchs 1 der Inhalt der DE 195 18 830 A1 (E1) neuheitsschädlich entgegenstehe. Ferner war zum relevanten Stand der Technik noch die Druckschriften DE 101 08 602 A1 (E2), DE 102 19 862 A1 (E3), DE 101 33 122 A1 (E4) und DE 101 45 188 A1 (E5)

ermittelt worden.

Auch fehle es dem Unteranspruch 6 an einer ausführbaren Lehre.

Nachdem die Anmelderin daraufhin mit Eingabe vom 01.06.2004 unter Angabe von Gründen einen geänderten Patentanspruch 1 sowie eine entsprechend angepasste Beschreibung eingereicht hat, hat die Prüfungsstelle mit Beschluss vom 07.03.2007 die Anmeldung unter Verweis auf die E1, welche i. V. mit dem Fachwissen des Fachmanns den Gegenstand des geänderten Patentanspruchs 1 nahelege, zurückgewiesen.

Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde der Anmelderin. Sie macht geltend, dass die Entgegenhaltung E1 schon nicht die Neuheit des ursprünglichen Anmeldungsgegenstandes in Frage stellen und auch nicht den Gegenstand des geltenden Patentanspruchs 1 nahelegen konnte, da die Prüfungsstelle den Offenbarungsgehalt dieser Druckschrift klar erkennbar fehlinterpretiert habe.

Im Übrigen sei die Zurückweisung der Anmeldung erfolgt, ohne der Anmelderin Gelegenheit zu einer Stellungnahme bezüglich der Beurteilung der Patentfähigkeit aufgrund der neuen Sachlage einzuräumen.

Die Anmelderin stellt sinngemäß den Antrag, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und ein Patent mit folgenden Unterlagen zu erteilen:

-Patentansprüche 1 bis 9 vom 01.06.2004, eingegangen am 04.06.2004; -Beschreibung Seiten 1 bis 5 vom 01.06.2004, eingegangen am 04.06.2004; -1 Blatt Zeichnungen, Fig. 1 und 2 vom Anmeldetag.

Ferner beantragt sie Rückzahlung der Beschwerdegebühr.

Die Anmeldung betrifft nach dem Wortlaut des geltenden Patentanspruchs 1 ein Verfahren zur Bodenverbesserung eines Bodens (11), der unterhalb zumindest einer oberen Bodenschicht (15) mit höherer Tragfähigkeit eine Weichschicht (16) mit geringer Tragfähigkeit und großer Verformbarkeit aufweist, dadurch gekennzeichnet, dass in die Weichschicht (16) vertikale Säulen (31) eingebracht werden, die sich im wesentlichen nur über die Dicke der Weichschicht (16) erstrecken, wobei die zumindest eine obere Bodenschicht (15) mit höherer Tragfähigkeit im Wesentlichen unverändert durchfahren wird.

Hieran schließen sich rückbezogene Unteransprüche 2 bis 9 an, zu deren Wortlaut auf den Akteninhalt verwiesen wird.

II.

Die formund fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig.

Sie ist auch insoweit erfolgreich, als sie zur Erteilung eines Patents im beantragten Umfang sowie zur Rückerstattung der Beschwerdegebühr führt.

1.

Der geltende Patentanspruch 1 beruht in zulässiger Weise auf der Hinzunahme eines in der ursprünglichen Beschreibung offenbarten Merkmals, wie auch die Prüfungsstelle ausdrücklich anerkannt hat.

Die Unteransprüche 2 bis 9 sind gegenüber der ursprünglichen Fassung unverändert geblieben.

2.

Der Gegenstand des geltenden Patentanspruchs 1 ist patentfähig.

Nach Überzeugung des Senats beruht die Begründung des angefochtenen Zurückweisungsbeschlusses auf einer Fehlinterpretation der von der Prüfungsstelle als entscheidungserheblich angesehenen Druckschrift DE 195 18 830 A1 (E1), deren Inhalt den Gegenstand des geltenden Patentanspruchs 1 i. V. m. dem Fachwissen des Fachmanns nahegelegt habe.

Bei der erfindungsgemäßen Lehre kommt es nämlich entscheidend darauf an, wie die gegenseitige Lage einer relativ weichen Bodenschicht und einer tragfähigen Bodenschicht in vertikaler Richtung beschaffen ist. Im Unterschied zu den bekannten Gegebenheiten einer Schichtung der tragfähigen Schicht unterhalb des weichen Bodens, zu deren Stabilisierung der aufgezeigte Stand der Technik hinreichend Lösungen anbietet (s. die Druckschriften E1 bis E5), befasst sich die vorliegende Anmeldung mit dem Problem der Schaffung der Standfestigkeit gerade bei umgekehrten Verhältnissen, also bei Vorliegen einer tragenden Bodenschicht oberhalb der Weichschicht mit geringer Tragfähigkeit und großer Verformbarkeit. Diese Gegebenheit liegt -wie auch bei den übrigen angeführten Entgegenhaltungen -insbesondere beim Gegenstand der DE 195 18 830 A1 (E1) gerade nicht vor. Vielmehr zeigt die in dem angefochtenen Beschluss hierzu angeführte Fig. 9 ausweislich der zugehörigen Figurenbeschreibung (Spalte 5, Zeilen 40 bis 55 der E1) eine Dammaufschüttung (52) "aus relativ wenig tragfähigem Material", welche oberhalb eines festen Bodenbereichs (58) liegt. Auch die übrigen Ausführungsbeispiele in E1 lassen keine andere Interpretation der Bodenschichtung zu, wie ausdrücklich zu den Figuren 1a und 1b beschrieben (s. dort Spalte 4, Zeilen 11 bis 13). Diesbezüglich stimmt demnach der Offenbarungsgehalt der E1 mit dem der weiteren Entgegenhaltungen E2 bis E5 überein, so dass keine der aufgezeigten Druckschriften den Gegenstand des geltenden Patentanspruchs 1 nahelegen konnte. Der geltende Patentanspruch 1 ist daher gewährbar.

3.

Auch der Grund mangelnder Ausführbarkeit bezüglich des Unteranspruchs 6 steht einer Patenterteilung nicht im Wege. Der Anspruch 6 gibt dem Fachmann eine hinreichende Lehre dazu, wie die Säulen einzubringen sind, damit i. S. des Hauptanspruchs die obere Bodenschicht möglichst unverändert durchfahren wird, nämlich mittels eines hinsichtlich seines Wirkdurchmessers verstellbaren Werkzeugs. Nach Auffassung des Senats kennt der hier zuständige Fachmann, ein Bauingenieur mit einschlägiger Erfahrung im Bereich der Tiefgründungen, derartige Vorrichtungen, wie beispielsweise mit Injektionslanzen ausgestattete Bohrköpfe, welche beim Niederbringen und/oder Zurückziehen der Bohrvorrichtung das umliegende Bodenmaterial aufspülen und mit einer aushärtenden Suspension vermischen. Diese Werkzeuge weisen entsprechend der Einstellung der Injektionseinrichtung verstellbare Eindringtiefen und damit Wirkdurchmesser auf.

4.

Mit dem gewährbaren Patentanspruch 1 sind auch die auf nicht triviale Ausgestaltungen dessen Gegenstandes gerichteten Unteransprüche 2 bis 9 gewährbar.

5.

Die Beschwerdegebühr ist gemäß § 73 Abs. 3 Satz 2 PatG aus Billigkeitsgründen zurückzuzahlen, da dem Zurückweisungsbeschluss der Prüfungsstelle eine noch nicht beschiedene wesentlich geänderte Antragslage zugrunde lag.

Die Prüfungsstelle hatte zwar in dem vorangegangenen Bescheid zumindest pauschal auch die Patentfähigkeit der Gegenstände der Unteransprüche verneint. Da der daraufhin geändert eingereichte Patentanspruch 1 jedoch nicht auf einen der Unteransprüche zurückgeführt war, sondern auf der Hinzunahme eines Merkmals aus der Beschreibung beruhte, lag eine Antragslage vor, die von dem Bescheid nicht erfasst war, und auf welche die Anmelderin hätte hingewiesen werden müssen.

Dr. Lischke Guth Hildebrandt Küest Cl






BPatG:
Beschluss v. 01.02.2011
Az: 6 W (pat) 68/07


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