Bundespatentgericht:
Urteil vom 27. Oktober 2005
Aktenzeichen: 1 Ni 15/04
(BPatG: Urteil v. 27.10.2005, Az.: 1 Ni 15/04)
Tenor
1.
Das europäische Patent 0 705 204 wird mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig erklärt.
2.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3.
Das Urteil ist im Kostenpunkt gegen Sicherheitsleistung von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Die Beklagte ist Inhaberin des am 2. Juli 1994 unter Inanspruchnahme der Priorität vom 7. Juli 1993 der deutschen Voranmeldung 43 22 572 international angemeldeten (Veröffentlichungsnummer der PCT-Anmeldung WO 95/01921 A1, Anlage K11 der Klägerin), in deutscher Sprache abgefassteneuropäischen Patents 0 705 204 mit der Bezeichnung
"Beutelverpackung für flüssige Arzneimittel", das u. a. für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland erteilt worden ist und beim Deutschen Patentund Markenamt unter dem Aktenzeichen 594 10 290 geführt wird.
Das Patent umfasst gemäß der Patentschrift EP 0 705 204 B1 (Streitpatentschrift) acht Patentansprüche. Auf den Vorrichtungsanspruch 1 sind die Ansprüche 2 bis 8 rückbezogen.
Patentanspruch 1 hat folgenden Wortlaut:
Darreichungsform zur direkten oralen Einnahme eines flüssigen Arzneimittels, bestehend aus einem eine Einzeldosis des Arzneimittels enthaltenden, eine als gesiegelte Flachnaht ausgeführte Längsnaht (5) aufweisenden Dreinahtschlauchfolienbeutel (1) aus Aluminiumverbundfolie.
Die Klägerin macht die Nichtigkeitsgründe der unzulässigen Erweiterung und der mangelnden Patentfähigkeit geltend.
Sie verweist zunächst auf die Anlage K11, WO 95/01921 A1. Aus S. 1 Abs. 2 Z. 4 dieser Druckschrift gehe hervor, dass sich der in Anspruch 1 enthaltene Begriff der Darreichungsform nach den ursprünglichen Unterlagen der Anmeldung nur auf die Art der Zubereitung des Arzneimittels bezogen habe, nicht aber auf die Kombination von Beutelverpackung und Medikament. Auch durch Einfügung des Merkmals "zur direkten oralen Einnahme" gehe der Gegenstand des Streitpatents über die ursprüngliche Offenbarung der Anmeldung hinaus. Die Klägerin rügt ferner, dass in der o. a. PCT-Anmeldung in den auf den dortigen Anspruch 6 (mit dem Merkmal "Längsnaht") rückbezogenen Ansprüchen 7 und 8 eine Flachnaht und eine Taping-Naht als zwei zueinander nebengeordnete Varianten der Längsnaht beansprucht seien. Im erteilten Patent sei nur eine dieser Varianten, die Flachnaht, in den Anspruch 1 aufgenommen worden. Die Ausgestaltung nach Anspruch 8 der PCT-Anmeldung (d. h. mit einer Taping-Naht) könne demzufolge jetzt nicht Gegenstand eines Unteranspruchs (nämlich des erteilten Anspruchs 6) zu dem einen Beutel mit Flachnaht betreffenden Anspruch 1 sein. Die Ansprüche des Streitpatents seien auch aus diesem Grunde in unzulässiger Weise geändert.
Bezüglich der mangelnden Patentfähigkeit stützt die Klägerin ihre Klage u. a. auf folgende Druckschriften:
Anlage K9a: Auszug aus der schwedischen Zeitschrift Pack Marknaden Heft Mai 1991, Seiten 5, 6, 38, 39 und Titelseite, Anlage K9b: Englische Übersetzung der Seiten 38 und 39 von K9a, Anlage K14: Dietz, Lippmann -Verpackungstechnik, Hüthig Verlag, Heidelberg, 1985, S. 240-243.
Sie macht ferner mehrere offenkundige Vorbenutzungen geltend und legt dazu diverse Unterlagen vor.
Die Klägerin ist weiter der Auffassung, die Gegenstände der angegriffenen Unteransprüche seien durch den Stand der Technik vorweggenommen oder nahegelegt.
Sie beantragt, das europäische Patent 0 705 204 im vollen Umfang mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig zu erklären.
Die Beklagte hat der Klage rechtzeitig widersprochen.
Sie beantragt, die Klage abzuweisen, soweit sie sich gegen die erteilten Ansprüche 1 bis 5, 7 und 8 richtet, hilfsweise das Patent in der Fassung des 1. Hilfsantrags, weiter hilfsweise in der Fassung des 2. Hilfsantrags, beide überreicht in der mündlichen Verhandlung, beschränkt aufrecht zu erhalten.
Anspruch 1 nach dem ersten Hilfsantrag lautet:
Darreichungsform zur direkten oralen Einnahme eines flüssigen Arzneimittels, bestehend aus einem eine Einzeldosis des Arzneimittels enthaltenden, eine als gesiegelte Flachnaht ausgeführte Längsnaht (5) aufweisende Dreinahtschlauchfolienbeutel (1) aus Aluminiumverbundfolie, wobei Dreinahtschlauchfolienbeutel mit einer als Flossennaht ausgeführten Längsnaht ausgenommen sind.
Anspruch 1 gemäß zweitem Hilfsantrag lautet:
Verwendung einer Darreichungsform, bestehend aus einem eine Einzeldosis des Arzneimittels enthaltenden, eine als gesiegelte Flachnaht ausgeführte Längsnaht (5) aufweisenden Dreinahtschlauchfolienbeutel (1) aus Aluminiumverbundfolie zur direkten oralen Einnahme eines flüssigen Arzneimittels.
Die Beklagte ist der Auffassung, die geltend gemachten Nichtigkeitsgründe lägen nicht vor.
Im europäischen Prüfungsverfahren war u. a. die Druckschrift D1 EP0494582A1 berücksichtigt worden.
Wegen des Wortlauts der erteilten Unteransprüche wird auf die Streitpatentschrift, wegen des Wortlauts der jeweiligen Unteransprüche der Hilfsanträge und wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Akte verwiesen.
Gründe
I.
1.
Die zulässige Klage hat Erfolg.
2.
In Anlehnung an die Gliederung der Patentinhaberin im Schriftsatz vom 3.
Februar 2005 lässt sich der erteilte Patentanspruch 1 folgendermaßen in Merkmale gliedern:
1.1 Darreichungsform zur direkten oralen Einnahme eines flüssigen Arzneimittels, 1.2 bestehend aus einem das Arzneimittel enthaltenden Beutel, 1.3 das Arzneimittel liegt als eine Einzeldosis vor, 1.4 der Beutel ist ein Schlauchbeutel 1.5 aus Aluminiumverbundfolie, 1.6 mit drei Nähten (Dreinahtschlauchfolienbeutel (1)), 1.7 er weist eine Längsnaht (5) auf, 1.8.1 die Längsnaht (5) ist als gesiegelte Naht ausgeführt, 1.8.2 es handelt sich dabei um eine Flachnaht.
3. Der Gegenstand des Anspruchs 1 umfasst eine Längsnaht in der Form einer Flachnaht, z. B. in der Ausführungsform einer überlappenden Naht mit Überlappung einer alufreien Zone oder in der Ausführungsform einer Taping-Naht. Eine Längsnaht in Form einer Doppelnaht ist vom Anspruch 1 nicht umfasst.
3.1 Dreinahtschlauchfolienbeutel der hier beanspruchten Art werden im Zuge der Befüllung in speziellen Abfüllmaschinen hergestellt. Als Ausgangsmaterial dient bandförmige Folie. Durch Bildung einer Längsnaht, die parallel zur Längsrichtung des bandförmigen Folienmaterials verläuft, wird zunächst ein Schlauch geformt. Anschließend werden im Takt der meist intermittierend erfolgenden Befüllung des Schlauchs mit dem zu verpackenden Gut zur Schlauchachse querverlaufende Nähte in den Schlauch eingebracht. Dabei werden voneinander getrennte Schlauchabschnitte gebildet, die jeweils eine einzelne Gutportion enthalten. Durch Vereinzelung dieser Abschnitte ergeben sich separate Dreinahtschlauchfolienbeutel mit jeweils zwei endständigen, querverlaufenden Nähten -den Quernähten -und der o. a. Längsnaht. Die vorstehend beschriebenen Nähte werden üblicherweise im Siegelverfahren hergestellt.
3.2 Die Streitpatentschrift nennt verschiedene Arten von Siegel-Nähten der Dreinahtschlauchfolienbeutel. Dazu wird in Sp. 2 Z. 9ff gesagt: "Die endständigen Siegelnähte sind als Doppelnähte (innen gegen innen) ausgeführt". Von diesem Nahttyp wird die im Anspruch 1 allein angegebene gesiegelte Längsnaht (zur Verbindung der Längsränder des bandförmigen Folienausgangsmaterials) deutlich unterschieden: Diese Längsnaht kann "als Flachnaht mit Überlappung einer alufreien Zone ausgeführt werden", s. Sp. 2 Z. 16f. Sie kann auch, s. Sp. 2 Z. 12ff, als sogenannte Taping-Naht ausgeführt werden, "bei der die stumpf aneinander stoßenden Längsränder vorzugsweise von innen durch ein Siegelband verbunden sind". In Sp. 2 Z. 11f ist ausgeführt, dass diese Längsnaht "nach den dem Fachmann geläufigen Techniken hergestellt" wird. Ein Beispiel für die Geometrie einer solchen Flachnaht im Sinne der Streitpatentschrift ist in dem Fachbuch von Dietz et al nach Anlage K14 gezeigt, s. dort S. 242, zweites Bild von oben mit der Bezeichnung "Dreinahtschlauchbeutel mit überlappter Rückennaht".
3.3 Der Vortrag der Klägerin ist insoweit zutreffend, als bei einem Dreinahtschlauchfolienbeutel mit einer Längsnaht in Form einer Doppelnaht diese "flach" auf der äußeren Längsseite des Körpers des Schlauchfolienbeutels aufliegen kann. Eine flach aufliegende Doppelnaht ist in Anlage K14 auf S. 242, drittes Bild von oben, als "flossenartige Rückennaht" dargestellt. Eine solche flach aufliegende Doppelnaht ist jedoch keine Flachnaht im Sinne der Streitpatentschrift, die insoweit ihr eigenes Lexikon bildet und die die Doppelnaht, wie oben ausgeführt, eindeutig von der Flachnaht unterscheidet.
3.4 Die Patentinhaberin hat in der mündlichen Verhandlung noch einmal ausdrücklich bekräftigt, dass der im Anspruch 1 beanspruchte Gegenstand als Längsnaht keine Doppelnaht (mit einer Orientierung der Siegelränder des Bandmaterials innen gegen innen), sondern allein eine Flachnaht im Sinne der vorstehenden Ausführungen aufweist.
4.
Eine unzulässige Änderung des Gegenstands des Anspruchs 1 liegt nicht vor.
4.1 Das Merkmal "Darreichungsform ..." ist als Teil der Erfindung auf S. 2 Abs. 2 der dem Streitpatent zugehörigen PCT-Anmeldung WO 95/01921 A1 (Anlage K11) deutlich offenbart. Die von der Klägerin hervorgehobene Erläuterung der Darreichungsform auf S. 1 Abs. 2 Z. 4 der K11, die sich offensichtlich auf den vorangehenden Satzteil "flüssige Medikamente in Folienbeuteln" bezieht, ist damit im Einklang.
4.2 Die Angabe "zur direkten oralen Einnahme" in Merkmal 1.1 ist durch S. 1 Abs. 2, s. insbesondere 9. und 7. Zeile von unten, sowie S. 2, Ende des vorletzten Absatzes, der K11 gedeckt.
4.3 Der Senat sieht in der Form des erteilten Anspruchs 1 im Hinblick auf die Merkmale 1.7 bis 1.8.2 keine unzulässige Änderung. Der Aufnahme einer von zwei Varianten aus zwei zueinander nebengeordneten Unteransprüchen der ursprünglichen Anmeldung in den Hauptanspruch des erteilten Patents steht nichts entgegen. Da die Patentinhaberin den erteilten Anspruch 6 nicht mehr verteidigt, erübrigt sich ein Eingehen auf die Frage, ob im vorliegenden Fall die Rückbeziehung des die andere Variante enthaltenden Anspruchs (des erteilten Anspruchs 6) auf den die erste Variante umfassenden Hauptanspruch zulässig ist oder nicht.
5.
Der Gegenstand des Anspruchs 1 mag neu sein; er beruht jedoch nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Als Fachmann ist vorliegend ein Dipl.-Ing. (FH) des Maschinenbaus, Fachrichtung Verpackungstechnik, mit mehrjährigen Erfahrungen in der Entwicklung und Herstellung von Folienverpackungen mit Siegelfolien anzusehen. Dieser Fachmann berücksichtigt die Vorgaben eines in einer Arzneimittelfirma tätigen Pharmazeuten, der seinerseits die speziellen Anforderungen an die Verpackung hinsichtlich deren notwendigen Kompatibilität mit dem zu verpackenden Medikament und hinsichtlich der Eignung der Verpackung für die Anwendung bzw. die Einnahme des Medikaments durch die Patienten kennt.
Im Streitpatent wird einleitend im Abs. [0002] als bekannt geschildert, dass zahlreiche flüssige, oral einzunehmende Medikamente in Folienbeuteln zur Verfügung gestellt werden. Insbesondere bei Antacida, die in der Regel als Suspensionen vorliegen, habe sich diese Darreichungsform sehr bewährt. Üblicherweise würden diese Suspensionen in sogenannten Vierrand-Siegelbeuteln bereitgestellt. Unter Vierrand-Siegelbeuteln verstehe man durch Rundumversiegelung von zwei Verbundfolien gebildete Beutel. Zur Entnahme der Einzeldosis werde der Beutel aufgeschnitten oder, soweit er eine Abrisseinrichtung aufweise, aufgerissen. Der Inhalt könne sodann beispielsweise auf einen Löffel oder in ein Trinkgefäß ausgeleert und anschließend eingenommen werden. In Sp. 1 Z. 28 bis Z. 39 heißt es dann: "Viele Patienten ziehen es vor, den Inhalt des Beutels direkt in die Mundhöhle auszudrücken und/oder den Beutel auszusaugen. Da die Siegelnähte relativ scharfkantig sind, wird die direkte Entnahme aus dem Beutel in den Mund als nicht sehr angenehm empfunden. Da die seitlichen Siegelnähte im Vergleich zu den Beutelfolien relativ steif sind, ist es für viele Patienten schwierig, die gesamte Dosis ohne Verlust einzunehmen, da es anscheinend Schwierigkeiten macht, die unterschiedliche Steifigkeit der Beutelfolie im Bereich der Öffnung mit der Sensorik der Lippen korrekt zu erfühlen."
Die Klägerin hat einen Artikel über Verpackungslösungen einer schwedischen Firma Inpac in "PackMarknaden" (Anlage K9a mit englischer Übersetzung K9b) vorgelegt. "PackMarknaden" (auf deutsch etwa "PackMarkt") ist eine schwedische Fachzeitschrift, die monatlich erscheint. Anlage K9a umfasst Titelseite und vier Seiten des Hefts 5, Ausgabe Mai 1991. K9a ist somit eine vorveröffentlichte Entgegenhaltung.
Der Artikel auf S. 38, 39 beschreibt u. a. ein "Stic-Pac", wobei dieser aus dem Englischen stammende Begriff einen (kleinen) Verpackungsbeutel länglicher Gestalt mit einer Längsnaht und zwei den Beutel an den Enden verschließenden Quernähten bezeichnet, s. K9b S. 1 Sp. 2, S. 2 Sp. 2 Abs. 2.
Für einen derartigen Gegenstand war in den Anmeldeunterlagen des Streitpatents die Bezeichnung "Folienstickpack" gewählt, s. Beschreibung und Anspruch 1 in der Anlage K11. Der Begriff "Folienstickpack", dessen zweiter Wortbestandteil ganz offenbar auf die o. a. englische Bezeichnung zurückgeht, wurde im Laufe des europäischen Prüfungsverfahrens in "Dreinahtschlauchfolienbeutel" geändert.
Das Stic-Pac nach der Anlage K9a, b kommt nach Überzeugung des Senats dem beanspruchten Gegenstand näher als der in der Einleitung des Streitpatents diskutierte, aus zwei Verbundfolien durch Rundumversiegelung gebildete Vierrand-Siegelbeutel: Anlage K9 offenbart mit flüssigem Arzneimittel gefüllte Stic-Pacs, die eine Darreichungsform zur Einnahme des flüssigen Arzneimittels bilden, s. K9b S. 1 Sp. 2;
S. 2 Sp. 2 Abs. 2. Diese Darreichungsform ist ohne weiteres auch zur oralen Einnahme geeignet, vgl. Merkmal 1.1. Das Stic-Pac besteht entsprechend den Merkmalen 1.2 und 1.4 des Anspruchs 1 aus einem das Arzneimittel enthaltenden Schlauchbeutel, s. "tubebag" S. 1 Sp. 2. Es handelt sich um einen Beutel mit drei Nähten, darunter eine gesiegelte Längsnaht, gemäß Merkmalen 1.6 bis 1.8.1, s. S. 2 Sp. 2 Abs. 2 unter "back and end sealing". Merkmal 1.3 ist verwirklicht, denn das Arzneimittel liegt als eine Einzeldosis vor, s. "single dose", S. 2 Sp. 2 Abs. 2 am Ende.
Dass die Dreinahtschlauchfolienbeutel bzw. SticPacs aus Aluminiumverbundfolie hergestellt sind, vgl. Merkmal 1.5, ist in der K9 nicht beschrieben. Auch das Teilmerkmal von Merkmal 1.1 -... zur direkten oralen Einnahme -ist nicht explizit offenbart. Ferner lässt sich die von der Klägerin den Stic-Pacs nach der Anlage K9 zugeschriebene Flachnaht als Längsnaht gemäß Merkmal 1.8.2 der Entgegenhaltung nicht zweifelsfrei entnehmen. Zumindest aus den Abbildungen in den vorgelegten Kopien ist nicht erkennbar, welche Art von Längsnaht die gezeigten Stic-Pacs aufweisen.
Für das Merkmal 1.5 gab schon die Entgegenhaltung K9 aus sich heraus dem Fachmann eine Anregung, denn in den Z. 7 bis 10 in dem Abschnitt "In a similar way ..." auf S. 2 Sp. 2 der K9b ist auf die Verwendung von Aluminiumverbundfolie (PET/aluminium/PET/polyethylene) bei einer "3-Dee-Verpackung" hingewiesen. Die "3-Dee-Verpackung" ist in der K9 als weitere Verpackungslösung für Einzeldosen von Medikamenten neben dem Stic-Pac beschrieben. Dies ist der S. 1 Sp. 2 der Anlage K9b zu entnehmen, wo außerdem noch ein "section stamped bag ..." als dritte Verpackungslösung der Fa. Inpac aufgeführt ist.
Dass Dreinahtschlauchbeutel aus Aluminiumverbundfolie entsprechend Merkmal 1.5 vor dem Prio-Tag dem Fachmann geläufig waren, ergibt sich auch aus der Beschreibung der Streitpatentschrift selbst, s. dort Abs. [0003] Z. 48 f und [0004]
Z. 5ff.
Eine Flachnaht gemäß Merkmal 1.8.2 wird ebenfalls im Streitpatent als dem Fachmann vorbekannt und als gängig dargestellt, s. Streitpatentschrift Abs. [0003]
Z. 51 und [0004] Z. 11 bis 17.
Zum hiervon unabhängigen Beleg dafür, dass vor dem Prioritätstag die Verwendung einer Flachnaht im Belieben des Fachmanns lag und seinem Fachwissen zuzuordnen war, wird auf die im europäischen Prüfungsverfahren berücksichtigte Druckschrift EP 0 494 582 A1 (D1) sowie auf die Entgegenhaltung Anlage K14 verwiesen:
Die D1 zeigt und beschreibt als Beispiele für die Ausbildung einer Längsnaht einer länglichen Beutelpackung aus Verbundfolie in Form eines Dreinahtschlauchfolienbeutels in Fig. 8 i. V. m. zugehöriger Beschreibung eine Doppelnaht mit Siegelung innen gegen innen, dort "Flossennaht" genannt, und in Fig. 13, 14 i. V. m. zugehöriger Beschreibung jeweils eine Flachnaht mit Überlappung. Die Anlage K14 offenbart auf S. 242, zweites und drittes Beispiel von oben, Dreinahtschlauchbeutel mit einer Flachnaht als überlappte Rückennaht wie auch mit einer Doppelnaht als "flossenartige Rückennaht".
Der Fachmann wusste aus der Praxis, zumindest musste er aufgrund eines Hinweises des Pharmazeuten davon Kenntnis haben, dass die in Vierrand-Siegelbeuteln dargebotenen flüssigen Arzneimittel häufig direkt oral eingenommen wurden, was oft zu Schwierigkeiten führte, vgl. Sp. 1 Z. 30 der Streitpatentschrift. Als Nachteil der Vierrand-Siegelbeutel war unschwer zu erkennen, dass die abstehenden Siegelnähte dieser Beutel -es handelt sich ja hierbei um Doppelnähte am Beutelrand scharfkantig sind und daher die direkte orale Einnahme des Medikaments schwierig ist und u. U: sogar zu Verletzungen führen kann. Um diesen Nachteil der Längsnaht in Form einer seitlich abstehenden Doppelnaht zu vermeiden, war es daher für den Fachmann naheliegend, bei den Dreinahtschlauchbeuteln nach der K9 die Doppelnaht als Längsnaht zu vermeiden und statt dessen die ansonsten schon bekannte Flachnaht auszuwählen. Diese weist bekanntermaßen keine abstehenden bzw. vorstehenden Bereiche auf und dient so dazu, eine direkte orale Einnahme des Medikaments zu erleichtern und die Verletzungsgefahr zu mindern.
Die Patentinhaberin hat in der mündlichen Verhandlung auf nach ihrer Ansicht für das Vorliegen von erfinderischer Tätigkeit sprechende Indizien, nämlich Prämierung, Markterfolg und Nachahmung der beanspruchten Darreichungsform hingewiesen. Dem hat die Klägerin widersprochen. Der Senat ist der Auffassung, dass angesichts des entgegenstehenden Stands der Technik nach dem Artikel in "PackMarknaden" (Anlage K9) diese Indizien, die Richtigkeit des Vortrags der Patentinhaberin unterstellt, keinen Anlass geben können, das Vorliegen erfinderischer Tätigkeit zu bejahen.
6. Die Maßnahmen der Unteransprüche 2 bis 5, 7 und 8 sind durch den Stand der Technik nahegelegt oder einfacher handwerklicher Art:
Ansprüche 2 und 3 betreffen Bemessungen, die der Fachmann bei Bedarf auf Grund seines handwerklichen Könnens vorsieht.
Endseitig jeweils durch gesiegelte Quernähte verschlossene Dreinahtschlauchfolienbeutel entsprechend Anspruch 4 offenbart der Artikel in Pack Marknaden no. 5, s. Anlage K9b S. 2 Sp. 2 Abs. 2 unter "back and end sealing".
Zu Anspruch 5 wird auf die EP 0 494 582 A1 (D1) verwiesen. Aus dem dortigen Anspruch 8 i. V. m. z. B. Fig. 6 mit zugehöriger Beschreibung geht ein Dreinahtschlauchfolienbeutel hervor, bei dem im Bereich einer der Quernähte ein seitlicher Einschnitt zum Öffnen vorgesehen ist.
Die Maßnahmen der Ansprüche 7 und 8 sind durch die K9a vorweggenommen. Es wird auf das Bild links auf der Seite 6 mit der Darstellung von Darreichungsformen zur Einnahme eines Arzneimittels verwiesen. Jeweils ein Arzneimittel enthaltende Dreinahtschlauchfolienbeutel sind mit ihren Umverpackungen gezeigt, so u. a. die Darreichungsform des Arzneimittels Antepsin.
7.
Unteranspruch 6 fällt, da er nicht mehr verteidigt wird.
8.
Zu den Hilfsanträgen:
8.1 Zu Hilfsantrag 1: Gegen die Zulässigkeit der Ansprüche nach Hilfsantrag 1 bestehen keine Bedenken. In Anspruch 1 wurde im Wesentlichen die Angabe ", wobei Dreinahtschlauchfolienbeutel mit einer als Flossennaht ausgeführten Längsnaht ausgenommen sind" eingefügt. Die kennzeichnenden Merkmale der Ansprüche 2 bis 7 sind wortgleich mit den kennzeichnenden Merkmalen der erteilten Ansprüche 2 bis 5, 7 und 8.
Da der Senat ohnehin davon ausgeht, dass der beanspruchte Dreinahtschlauchfolienbeutel der Darreichungsformen nach den erteilten Ansprüchen eine Flachnaht und keine Doppelnaht bzw. Flossennaht als Längsnaht aufweist, ergeben sich durch die Einfügung des Disclaimers in den Wortlaut des erteilten Anspruchs 1 keine geänderten Gegenstände in der Anspruchsfassung nach dem ersten Hilfsantrag.
Das Streitpatent kann daher in der Fassung des ersten Hilfsantrags nicht aufrechterhalten werden. Es wird auf die vorstehenden Ausführungen in Abschnitt 5 verwiesen.
8.2 Zu Hilfsantrag 2: Gegen die Zulässigkeit der Ansprüche nach Hilfsantrag 2 bestehen keine Bedenken. Anspruch 1 ist auf die Verwendung einer Darreichungsform nach dem erteilten Anspruch 1 gerichtet. Ansprüche 2 bis 7 sind auf die Verwendung von Darreichungsformen nach den erteilten Ansprüchen 2 bis 5, 7 und 8 gerichtet.
In der Streitpatentschrift selbst ist in Abs. [0001] Z. 29 ff als bekannt geschildert, dass Vierrand-Siegelbeutel zur direkten Entnahme des flüssigen Arzneimittels in den Mund genommen wurden. Die Verwendung einer Darreichungsform mit Dreinahtschlauchfolienbeutel zur direkten oralen Einnahme ist daher durch die zuvor schon geübte und vorbekannte Praxis bei Vierrand-Siegelbeuteln zumindest nahegelegt.
In der Verwendung einer Darreichungsform, bestehend aus einem das flüssige Arzneimittel enthaltenden Dreinahtschlauchfolienbeutel zur direkten oralen Einnahme des Arzneimittels nach den Ansprüchen 1 bis 7, die den erteilten Ansprüchen 1 bis 5, 7 und 8 entsprechen, kann demzufolge nichts Patentfähiges gesehen werden.
Das Streitpatent kann daher auch in der Fassung des zweiten Hilfsantrags nicht aufrechterhalten werden.
9. Bei dieser Sachlage war eine weitere Aufklärung der Umstände der geltend gemachten offenkundigen Vorbenutzungen nicht geboten.
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Absatz 2 PatG in Verbindung mit § 91 Absatz 1 Satz 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 99 Absatz 1 PatG in Verbindung mit § 709 Sätze 1 und 2 ZPO.
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BPatG:
Urteil v. 27.10.2005
Az: 1 Ni 15/04
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