Bundespatentgericht:
Beschluss vom 22. Dezember 2008
Aktenzeichen: 19 W (pat) 71/07

(BPatG: Beschluss v. 22.12.2008, Az.: 19 W (pat) 71/07)

Tenor

Auf die Beschwerde der Anmelderin wird der Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse G 05 B des Deutschen Patentund Marken-

BPatG 152 amts vom 12. Oktober 2007 aufgehoben und die Sache an das Deutsche Patentund Markenamt zurückverwiesen.

Die Rückzahlung der Beschwerdegebühr wird angeordnet.

Gründe

I.

Das Deutsche Patentund Markenamt -Prüfungsstelle für Klasse G 05 B -hat die am 7. Mai 2004 mit der Bezeichnung "Verfahren und Vorrichtung zur Simulation eines Automatisierungssystems" eingereichte Anmeldung durch Beschluss vom 12. Oktober 2007 zurückgewiesen.

Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde der Anmelderin.

Im ersten Prüfungsbescheid vom 7. Februar 2007 führte die Prüfungsstelle aus, dass der Anspruch 1 wegen fehlender Neuheit nicht gewährbar sei, da aus dem nachveröffentlichten Dokument WO 2004/092928 A2 ein Verfahren zur Simulation eines Automatisierungssystems mit den Merkmalen des Anspruchs 1 bekannt sei. Sie stellte dann nach einem Merkmalsvergleich fest, dass die Merkmale in den Ansprüchen 2 bis 6 ebenfalls aus diesem Stand der Technik bekannt seien. Hinsichtlich des Anspruchs 6, der auf ein Computerprogramm zur Simulation eines Automatisierungssystems gerichtet ist, wies die Prüfungsstelle ergänzend darauf hin, dass laut § 1 (4) PatG solche Ansprüche der Patentfähigkeit entgegenstehen würden, da Computerprogramme nach gesetzgeberischem Willen durch das Urheberrecht geschützt seien. Hinsichtlich der anmeldungsgemäß gestellten Aufgabe verwies die Prüfungsstelle auf zwei weitere Druckschriften und kam zu dem Ergebnis, dass gegenüber beiden Dokumenten aus den gesamten eingereichten Anmeldeunterlagen nicht ersichtlich sei, was auf eine erfinderische Tätigkeit schließen lassen könnte.

Mit ihrer Eingabe vom 13. Juni 2007 verfolgte die Anmelderin die ursprünglichen Patentansprüche 1 bis 5 im Rahmen eines Hauptantrags weiter. Den ursprünglichen Anspruch 6 strich sie. Als Hilfsantrag legte sie einen neuen Anspruch 1 vor, der sich aus den ursprünglichen Ansprüchen 1 und 4 ergebe. Daran sollen sich die ursprünglichen Ansprüche 2 und 3 anschließen. Ferner fügte die Anmelderin einen neuen Anspruch 4 ein, dessen Inhalt auf Seite 6, Zeilen 11 bis 21 der ursprünglichen Beschreibung offenbart sei. Daran schließt sich dann noch ein nebengeordneter Anspruch 5 an. Sie meinte, die Gegenstände der Ansprüche gemäß Hauptund Hilfsantrag seien gegenüber den drei von der Prüfungsstelle genannten Dokumenten neu.

Im zweiten Prüfungsbescheid vom 28. Juni 2007 stellt die Prüfungsstelle fest, der Anspruch 1 nach Hauptantrag sei "u. a. wegen fehlender Neuheit nicht gewährbar" und verweist hierzu auf die Druckschrift (3) aus dem ersten Prüfungsbescheid. Ob der Taktgenerator als von einer Steuerungskomponente unabhängige Software ablaufe oder als Teil der Steuerungskomponente, lasse keinen technisch relevanten Unterschied zum Stand der Technik erkennen. Ein nicht technischer Beitrag reiner Softwarearchitektur als solcher bleibe bei der Beurteilung von Neuheit und erfinderischem Schritt außer Betracht. Hinsichtlich des nebengeordneten Anspruchs 5 meinte die Prüfungsstelle, für die Beurteilung der Schutzfähigkeit solcher programminterner Funktionsabläufe habe der Gesetzgeber den Prüfungsstellen des DPMA keine Kompetenz erteilt. Zum Anspruch 1 nach Hilfsantrag meinte die Prüfungsstelle, das hinzugefügte Merkmal des koordinierten Datenaustausches zwischen einzelnen Systemkomponenten lasse keine technisch prägende Änderung vorbekannter Hardware erkennen.

In ihrer Erwiderung vom 3. September 2007 legte die Anmelderin einen neuen Patentanspruch 1 vor, der sich aus den Patentansprüchen 1 und 4 gemäß Hilfsantrag vom 13. Juni 2007 ergeben soll. Die Patentansprüche 2 und 3 sollen denen des Hilfsantrags vom 13. Juni 2007 und der Patentanspruch 4 den Ansprüchen 4 und 5 des Hilfsantrags vom 13. Juni 2007 entsprechen. Die Anmelderin führte aus, die in den Ansprüchen 1 und 4 enthaltene Technik sei weder im von der Prüfungsstelle bisher genannten Stand der Technik beschrieben, noch werde sie durch eine Zusammenschau hiervon nahegelegt. Es liege auch kein Patentierungsausschluss vor, da ein konkretes technisches Problem durch den Einsatz technischer Mittel gelöst werde.

Der Anspruch 1 vom 3. September 2007 lautet:

"Verfahren zur Simulation eines Automatisierungssystems mit einer mittels einer externen Taktquelle taktbaren Steuerungskomponente (11) und wenigstens einer mittels einer externen Taktquelle taktbaren Simulationskomponente (12, 13, 14), wobei für die Steuerungskomponente (11) und die wenigstens eine Simulationskomponente (12, 13, 14) durch einen Steuerungskomponentenunabhängigen Taktkoordinator (17) ein koordiniertes Taktsystem bereitgestellt wird, gekennzeichnet durch eine zweiphasige Taktkoordination durch den Taktkoordinator (17), bei der zugleich auch der Datenaustausch zwischen einzelnen Systemkomponenten (11, 12, 13, 14) koordiniert wird,

- wobei in einer ersten Phase sämtliche Systemkomponenten (11, 12, 13, 14) getaktet werden und sich ein für jede Systemkomponente (11, 12, 13, 14) vorgesehener Zustandsvektor ändert, während ein jeweiliger Ausgangsvektor konstant gehalten wird, und - wobei in einer zweiten Phase der Zustandsvektor der einzelnen Systemkomponenten (11, 12, 13, 14) konstant gehaltenwird, während der Ausgangsvektor gemäß einer Übertragungsfunktion von dem Zustandsvektor aktualisiert wird."

Mit Beschluss vom 12. Oktober 2007 wies die Prüfungsstelle die Anmeldung zurück. Zur Begründung führte sie aus, der geltende Anspruch 1 lasse keine konkrete technische Lösung eines konkreten technischen Problems erkennen und dürfe als gewünschte Eigenschaft von Programmen für Datenverarbeitungsanlagen gemäß § 1 (3) 3 PatG nicht als Erfindung angesehen werden.

Ausgehend von allgemeinen Überlegungen zu Simulationsberechnungen technischer Systeme kam die Prüfungsstelle zu dem Schluss, dass die Problemstellung keine konkret technische des Automatisierungssystems sei, sondern eine Problemstellung der Koordination mehrerer softwarebasierter und auf Einzelrechnern ablaufender Simulationskomponenten und damit ein programminternes Problem der Datenverarbeitung als solches. In den weiteren Ausführungen wurde festgestellt, dass Datensätze in der Simulation berechnete technische Parameter abbilden können, mache aus der Semantik dieser Datensätze noch lange keine "technische" Lösung. Auch der steuerungskomponentenunabhängige Taktgenerator stelle noch lange keine "technische" Lösung dar. Die Prüfungsstelle verwies dann darauf, dass Eigentumsschutz für Simulationsprogramme für Automatisierungssysteme durch das Urheberrecht abschließend geregelt sei. Zusammenfassend stellte die Prüfungsstelle dann fest, dass das Verfahren des Anspruchs 1 folglich keine konkrete technische Lösung eines konkreten technischen Problems erkennen lasse und als gewünschte Eigenschaft von Programmen für Datenverarbeitungsanlagen gemäß § 1 (3) 3. PatG nicht als Erfindung angesehen werden dürfe. Dieser Patentierungsausschluss sei unabhängig davon festzustellen, ob der beanspruchte Gegenstand gegenüber dem der nachveröffentlichten WO 2004/092928 A2 nun neu sei (wovon die Anmelderin überzeugt sei), oder nicht (was die Prüfungsstelle bereits im Erstbescheid dargelegt habe).

Gegen diesen Zurückweisungsbeschluss legte die Anmelderin mit Schreiben vom 23. November 2007 (eingegangen am 26. November 2007) Beschwerde ein. Sie beantragt, 1.

den Beschluss über die Zurückweisung der Patentanmeldung aufzuheben und die Erteilung des Patents zu beschließen; hilfsweise 2.

einen Termin für eine mündliche Verhandlung anzuberaumen.

Sie meint, dass ein Patentierungsausschluss weder hinsichtlich § 1 Abs. 1, noch hinsichtlich § 1 Abs. 3 Nr. 3 PatG gegeben sei. Die Gegenstände der Ansprüche 1 bis 5 seien auch neu und würden nicht durch den Stand der Technik nahegelegt.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II.

Die fristund formgerecht erhobene Beschwerde der Anmelderin ist zulässig und auch begründet, denn der angefochtene Beschluss ist aufzuheben und die Sache an das Deutsche Patentund Markenamt zurückzuverweisen, da der Beschluss verfahrensfehlerhaft ergangen ist (§ 79 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 PatG).

Gemäß § 45 Abs. 2 PatG hat die Prüfungsstelle, wenn sie zu dem Ergebnis kommt, dass keine nach §§ 1 bis 5 patentfähige Erfindung vorliegt, dies der Patentsucherin unter Angabe der Gründe mitzuteilen, d. h. die Umstände oder Gründe, auf denen die spätere Entscheidung der Prüfungsstelle beruht, sind dem Anmelder vor der Entscheidung mitzuteilen. Bereits dies hat die Prüfungsstelle unterlassen. Sie hat somit der Anmelderin das rechtliche Gehör versagt.

Im ersten Bescheid vom 7. Februar 2007 geht die Prüfungsstelle u. a. auf die Merkmale der Patentansprüche 1 und 4 ein. In ihrer ersten Eingabe vom 13. Juni 2007 legte die Anmelderin im Rahmen des Hilfsantrags einen Anspruch 1 vor, der die Merkmale der früheren Ansprüche 1 und 4 zusammenfasst. Ferner legte die Anmelderin hilfsweise einen neuen Anspruch 4 vor, dessen Merkmale sie der ursprünglichen Beschreibung Seite 6 Zeilen 11 bis 21 entnahm. Im zweiten Bescheid vom 28. Juni 2007 geht die Prüfungsstelle zwar auf den Anspruch 1 des Hilfsantrags ein, aber nicht auf den neu formulierten Anspruch 4 des Hilfsantrags.

Mit ihrer zweiten Eingabe vom 3. September 2007 legte die Anmelderin wiederum einen neuen Anspruch 1 vor, der die Merkmale der Ansprüche 1 und 4 des Hilfsantrags vom 26. Juni 2007 umfasste.

Hierdurch ist eine neue Sachlage entstanden, denn zu einem derartigen Anspruchsgegenstand hat die Prüfungsstelle im Verfahren vor der Zurückweisung der Anmeldung noch nicht Stellung genommen. Auf die Merkmale des Anspruchs 4 nach Hilfsantrag vom 26. Juni 2007, die im geltenden Anspruch 1 den durch Spiegelstriche markierten Merkmalen entsprechen und der Beschreibung der Anmeldung entnommen sind, ist die Prüfungsstelle in ihrem zweiten Bescheid vom 26. Juni 2007 nicht eingegangen:

"....

-wobei in einer ersten Phase sämtliche Systemkomponenten (11, 12, 13, 14) getaktet werden und sich ein für jede Systemkomponente (11, 12, 13, 14) vorgesehener Zustandsvektor ändert, während ein jeweiliger Ausgangsvektor konstant gehalten wird, und -wobei in einer zweiten Phase der Zustandsvektor der einzelnen Systemkomponenten (11, 12, 13, 14) konstant gehalten wird, während der Ausgangsvektor gemäß einer Übertragungsfunktion von dem Zustandsvektor aktualisiert wird."

Außerdem stellte die Prüfungsstelle im ersten Bescheid fest, der damals geltende Anspruch 1 sei wegen fehlender Neuheit gegenüber der WO 2004/092928 A2 nicht gewährbar. Im zweiten Bescheid stellte sie fest, der geltende Anspruch 1 sei "u. a." wegen fehlender Neuheit gegenüber einer mit (3) bezeichneten Druckschrift nicht neu. Als Zurückweisungsgrund nennt die Prüfungsstelle dann in ihrem Beschluss: "Der geltende Anspruch 1 lässt keine konkrete technische Lösung eines konkreten technischen Problems erkennen und darf als gewünschte Eigenschaft von Programmen für Datenverarbeitungsanlagen gemäß § 1 (3) 3. PatG nicht als Erfindung angesehen werden." Dieser Zurückweisungsgrund war aber nicht Gegenstand der beiden Vorbescheide der Prüfungsstelle.

Der Hinweis am Ende des Zurückweisungsbeschlusses auf die fehlende Neuheit des Anspruchs 1 gegenüber der WO 2004/092928 A2 mit Hinweis auf den ersten Bescheid der Prüfungsstelle lässt vermuten, dass die Prüfungsstelle zwar den aktuellen Anspruch 1 in ihrem Beschluss angegeben hat, aber scheinbar der ursprüngliche Anspruch 1 (der nicht mehr Gegenstand des Prüfungsverfahrens ist) als nicht patentfähig zurückgewiesen werden sollte.

Insgesamt ist das rechtliche Gehör der Anmelderin durch die Prüfungsstelle verletzt. Den Anforderungen des § 48 Abs. 2 PatG ist somit nicht genüge geleistet worden und somit ist zugleich § 48 Abs. 1 i. V. m. § 42 Abs. 3 Satz 2 PatG verletzt worden.

III.

Die Zurückverweisung an das Deutsche Patentund Markenamt erfolgt, da bisher kein geordnetes Prüfungsverfahren hinsichtlich der vorliegenden Anmeldung durchgeführt worden ist und dies einen wesentlichen Verfahrensmangel im Sinne des § 79 Abs. 3 Nr. 2 PatG darstellt.

Die Prüfungsstelle hat bei der Zurückweisung der Anmeldung einerseits die höchstrichterliche Rechtsprechung nicht beachtet, andererseits die Auffassung vertreten, für die Beurteilung der Schutzfähigkeit von programmierten Funktionsabläufen habe der Gesetzgeber den Prüfungsstellen des DPMA keine Kompetenz erteilt, da Eigentumsschutz bei Computerprogrammen das Urheberrecht regele. Diese Ausführungen der Prüfungsstelle zum Vorrang des Urheberrechts vor dem Patentrecht beruhen auf einem falschen Verständnis des Verhältnisses beider Materien (vgl. 19 W (pat) 13/08).

Bei der Fortführung des Prüfungsverfahrens ist die Prüfung der Patentanmeldung auf der Grundlage des Patentgesetzes durchzuführen, wobei die Prüfungsstelle die in den Entscheidungen des X. Senats des BGH und des BPatG genannten Kriterien zu Technizität, Computerprogrammen als solchen und Computerprogrammprodukten anzuwenden hat. Zur Feststellung, ob ein Computerprogramm als solches vorliegt, hat sie sich mit allen Merkmalen eines Patentanspruchs auseinanderzusetzen und festzustellen, ob ein konkretes technisches Problem mit technischen Mitteln gelöst wird. Wenn verfahrensmäßigen Anweisungen der technische Charakter zuerkannt wird, betreffen hierauf Bezug nehmende Patentansprüche als Sachansprüche kein Computerprogramm als solches (BGH GRUR 2002, 143, 146 -Suche fehlerhafter Zeichenketten; BGH GRUR 2005, 749, 753 -Aufzeichnungsträger; BPatG 19 W (pat) 61/03).

Sollte nach erfolgter Prüfung kein Ausschlussgrund als vorliegend erachtet werden, dann wird umfassend Neuheit und erfinderische Qualität der beanspruchten Lehren zu prüfen sein; dies ist bisher für die geltenden Ansprüche unterblieben.

IV.

Eine Rückzahlung der Beschwerdegebühr gemäß § 80 Abs. 3 PatG ist dann veranlasst, wenn bei ordnungsgemäßer und angemessener Sachbehandlung der Erlass eines Zurückweisungsbeschlusses nicht in Betracht gekommen wäre und damit die Erhebung der Beschwerde sowie die Einzahlung der Beschwerdegebühr hätte vermieden werden können.

Wenn ein Beschluss verfahrensfehlerhaft ergangen ist, liegt ein Grund vor, der eine Rückzahlung der Beschwerdegebühr rechtfertigt (siehe auch Schulte PatG, 8. Aufl. § 73 Rdn. 120 bis 141 -jeweils mit weiteren Hinweisen).

V.

Da mit der Aufhebung des Beschlusses der Prüfungsstelle dem Antrag der Anmelderin in der Hauptsache gefolgt worden ist und über eine Patenterteilung wegen des fehlerhaften Prüfungsverfahrens noch nicht zu entscheiden war, konnte die hilfsweise beantragte mündliche Verhandlung unterbleiben.

Bertl Dr. Mayer Gutermuth Dr. Scholz Pr






BPatG:
Beschluss v. 22.12.2008
Az: 19 W (pat) 71/07


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