Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen:
Urteil vom 21. Januar 2004
Aktenzeichen: L 11 KA 179/02
(LSG Nordrhein-Westfalen: Urteil v. 21.01.2004, Az.: L 11 KA 179/02)
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 02.10.2002 wird zurückgewiesen. Der Kläger trägt die außergerichtlichen Kosten der Beklagten auch im Berufungsverfahren. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt Einsicht in die über ihn bei der Beklagten geführten Akten.
Hintergrund des Rechtsstreits ist ein Disziplinarverfahren, in dem die Beklagte dem Kläger vorwirft, er habe zu Unrecht die Behandlung gesetzlich Versicherter verweigert, weil diese nicht bereit gewesen seien, die privatärztliche Liquidation von 30,60 DM für Glaukom-Früherkennungsuntersuchungen zu zahlen, andere Kassenpatienten mit der Drohung, die Behandlung sonst abzubrechen oder gar nicht erst durchzuführen, zur Zahlung dieses Betrages veranlasst und in einigen Fällen seinen Vergütungsanspruch erst nach durchgeführter Untersuchung geltend gemacht und durchgesetzt.
Der Kläger meint, er könne nur aufgrund umfassender Einsicht in alle über ihn bei der Beklagten geführten Akten seine Rechte gegenüber der Beklagten verfolgen und nachweisen, dass die Beklagte und die Krankenkassen abgestimmt gegen ihn vorgingen und dass die Beklagte dabei verfahrenswesentliche Unterlagen pflichtwidrig zurückhalte.
Der Kläger hat vor dem Sozialgericht Düsseldorf (SG) beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, ihm vollständige Einsicht in ihre Akten zu gestatten, die sie ihn betreffend in folgenden Verfahren führt:
1.1 Eingabe der Techniker Krankenkasse vom 09.10.2000 bezüglich des Patienten Dr. L I 1.2 Eingabe der AOK Rheinland vom 19.10.2000 bezüglich der Patientin N L1 1.3 Eingabe des Patienten L2-I1 N1 vom Dezember 2000 1.4 Eingabe der Patientin N2 M vom 04.12.2000 1.5 Eingabe der Techniker Krankenkasse vom 28.02.2001 bezüglich der Patientin J W 1.6 Eingabe der Eheleute I1 S vom 12.04.2001 1.7 Eingabe der AOK Rheinland vom 15.06.2001 bezüglich der Patienten H T, L3 W1, L3 L4 1.8 Eingabe des VdAK vom 23.04.2001 bezüglich der Patientin J M1
und
2. die Beklagte weiter zu verurteilen,
ihm vollständige Auskunft zu erteilen, in welchen anderen - neben dem Klageantrag zu 1. erfassten - Angelegenheiten amtliche Informationen über ihn seit dem 01.10.1988 bei der Beklagten vorhanden sind,
und
ihm nach Erteilung dieser Auskunft volle Akteneinsicht zu gewähren in die zu diesen weiteren amtlichen Informationen über ihn geführten gesamten Verwaltungsakten der Beklagten.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das SG hat die Klage - in seinerzeitiger Ungewissheit, ob gegen den Kläger bereits förmlich ein Disziplinarverfahren eingeleitet war - abgewiesen (Urteil vom 02.10.2002). Sollte das Disziplinarverfahren bereits eingeleitet sein, sei die Klage bereits in entsprechender Anwendung des § 44a Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) unzulässig. Andernfalls sei sie unbegründet. Die Beklagte habe die Akteneinsicht in diesem Fall außerhalb eines anhängigen Verwaltungsverfahrens zu Recht abgelehnt, weil der Kläger kein berechtigtes Interesse geltend gemacht habe. § 4 Abs. 1 Informationsfreiheitsgesetz Nordrhein-Westfalen (IFG NRW) scheide als Anspruchsgrundlage zugunsten des Klägers aus, weil § 25 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) seine Ansprüche abschließend regele (§ 4 Abs. 2 IFG NRW).
Während des laufenden Berufungsverfahrens hat der Disziplinarausschuss der Beklagten im Hinblick auf die geschilderten Vorwürfe gegen ihn das Ruhen seiner Zulassung für ein Jahr angeordnet und dabei die im Klageantrag zu 1. genannten Schriftstücke mit Ausnahme des Vorwurfs betreffend die Versicherte L3 L4 - insoweit hat die Beklagte in der mündlichen Verhandlung vor dem Disziplinarausschuss den Vorwurf einer Verletzung vertragsärztlicher Pflichten zurückgezogen - verwertet (Beschluss vom 30.04.2003). Hierüber ist der Rechtsstreit S 33 KA 127/03 SG Düsseldorf anhängig.
Auf Hinweis des Senates hat die Beklagte über das Begehren des Klägers auf umfassende Akteneinsicht mit Widerspruchsbescheid vom 25.08.2003 entschieden und es (erneut) abgelehnt. Der Kläger habe kein über das Disziplinarverfahren hinaus gehendes rechtliches Interesse an einer Akteneinsicht dargelegt. Es sei zudem ein enorm hoher Arbeitsaufwand erforderlich, um sämtliche seit dem 01.10.1988 über ihn gesammelten Unterlagen, wie Arztregistereintragung, Unterlagen zum A-Stamm, Anfragen unterschiedlichster Art an Kreis-, Bezirks- und Hauptstelle mit ihren diversen Abteilungen, sämtliche Abrechnungsbescheide, Ausdrucke von Behandlungsweisen, offenzulegen, soweit sie überhaupt noch reproduzierbar seien.
Der Kläger beantragt nunmehr noch,
das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 02.10.2002 abzuändern, den Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 25.08.2003 aufzuheben und die Beklagte entsprechend Nr. 2 des erstinstanzlichen Klageantrags zu verurteilen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen sämtlicher weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den übrigen Inhalt der Gerichtsakte Bezug genomen. In der mündlichen Verhandlung haben die Verfahrensakte S 33 KA 127/03 SG Düsseldorf und die Verwaltungsakte des Disziplinarausschusses der Beklagten vorgelegen, die zum am selben Tag vor dem Senat verhandelten Verfahren L 11 KA 120/03 LSG NRW des Klägers beigezogen worden sind.
Gründe
Die Berufung, die der Kläger in zulässiger Weise auf den Klageantrag zu 2. beschränkt hat (§§ 99 Abs. 3 Nr. 2, 153 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG)), ist unbegründet. Seine Klage auf Akteneinsicht hat keinen Erfolg.
I.
Soweit es sich bei den vom Klageantrag zu 2. umfassten Unterlagen um solche handelt, die das Disziplinarverfahren betreffen, ist die Klage unzulässig, weil der Kläger sein entsprechendes Akteneinsichtsrecht bzw. dessen Verletzung durch die Beklagte in entsprechender Anwendung von § 44a Satz 1 VwGO nur im Rahmen des "Hauptsacheverfahrens" gegen den Beschluss des Disziplinarausschusses (S 33 KA 127/03 SG Düsseldorf) geltend machen kann (vgl. BSG, BB 1993, 1443 f.; BSG SozR 1500 § 144 Nr. 39; BSG SozR 3-1500 § 144 Nr. 3; jeweils m.w.N.).
Hierdurch tritt im konkreten Fall keine Verletzung seines Rechts auf effektiven Rechtsschutz (Art 19 Abs. 4 Satz 1 Grundgesetz (GG)) ein.
In die Disziplinarakte, die dem Disziplinarausschuss vorgelegen hat und die nunmehr als Beiakte zum Verfahren S 33 KA 127/03 SG Düsseldorf geführt wird, kann der Kläger unproblematisch nach § 120 Abs. 1 SGG Einsicht nehmen, zumal die Beklagte die Akteneinsicht in keiner Weise beschränkt hat.
Ernsthaft streitig kann daher allenfalls sein Anspruch auf Einsicht in solche Unterlagen sein, die einerseits das Disziplinarverfahren im Sinne von § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB X "betreffen", andererseits aber von der Beklagten nicht zur Disziplinarakte genommen worden sind. Die vom Kläger behauptete Existenz solcher Unterlagen ist - rein rechtlich betrachtet und ohne Würdigung seines tatsächlichen Vorbringens - möglich. Was zu den Akten gehört, die das Verwaltungsverfahren betreffen, ist nämlich objektiv zu beurteilen und nicht nur vom Willen der Behörde, hier der Beklagten, abhängig. Vielmehr umfasst der Begriff der Akten gemäß § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB X alle Unterlagen, die den Gegenstand des Verwaltungsverfahrens betreffen, und zwar unabhängig davon, ob die Behörde sie zu den Verwaltungsakten im engeren Sinne nimmt. Überließe man es allein ihr zu bestimmen, welche Unterlagen zu den Verwaltungsakten gehören, liefe nämlich ihre Verpflichtung leer, vollständige und wahrheitsgetreue Akten zu führen (vgl. hierzu BVerfG, NJW 1983, 2135; BVerwG, NVwZ 1988, 621). Auch wenn die Beklagte unter Verstoß gegen diese Verpflichtung "Nebenakten" führen sollte, wie der Kläger behauptet, würde es sich demnach dabei um das Verwaltungsverfahren betreffende Akten im Sinne von § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB X handeln, in die er Einsicht entsprechend § 44a Satz 1 VwGO nur innerhalb des Hauptsacheverfahrens begehren kann.
Die beschriebene Konzentration der Verteidigungsrechte des Klägers auf das Hauptsacheverfahren dient zunächst einmal nicht der Beschränkung seines Rechts auf effektiven Rechtsschutz aus Art 19 Abs. 4 Satz 1 GG, sondern vielmehr gerade dessen Gewährleistung (vgl. BSG, BB 1993, 1443, 1444 m.w.N.). Denn sie verhindert, dass sich die Wirkung dieser Verteidigungsrechte aufgrund einer Vielzahl zu ihrer Durchsetzung erforderlicher Einzelverfahren verliert. Im Hinblick darauf kommt eine Verletzung des Grundrechts aus Art 19 Abs. 4 Satz 1 GG im Einzelfall nur dann in Betracht, wenn die mit § 44a Satz 1 VwGO bezweckte Wirkung fehl schlägt, weil dem betroffenen Beteiligten die Möglichkeit genommen wird, seine rechtlichen Interessen wirkungsvoll zu vertreten (vgl. zu diesem Gedanken BVerfG SozR 3-1500 § 25 Nr. 1), d.h. der Kläger sich nicht effektiv gegen die Disziplinarvorwürfe der Beklagten verteidigen kann. Diese Gefahr besteht hier jedoch nicht.
Es steht zwischen den Beteiligten außer Zweifel, dass der Gegenstand des Disziplinarverfahrens nur durch diejenigen Vorwürfe bestimmt wird, die sich aus der Disziplinarakte ergeben. Sollten daher bei der Beklagten Unterlagen existieren, aus denen sich weitere Vorwürfe ergeben, braucht der Kläger sich im Rahmen des Disziplinarverfahrens nicht gegen sie zu verteidigen, weil die Beklagte sie nicht zum Gegenstand dieses Verfahrens gemacht hat.
Soweit der Kläger hofft, die seinem Vortrag nach bei der Beklagten existierenden weiteren Unterlagen zu seiner Verteidigung gegen die Vorwürfe nutzen zu können, die Gegenstand des Disziplinarverfahrens sind, stehen ihm und dem SG gegebenenfalls ausreichende wirkungsvolle Instrumente zur Verfügung, die Vorlage solcher Unterlagen zu erzwingen bzw. an ihre Nichtvorlage entsprechende Sanktionen zu knüpfen. So kann der Vorsitzende nach § 106 Abs. 3 Nr. 1 und 3 SGG um Mitteilung von Unterlagen ersuchen und Auskünfte einholen. Soweit die Existenz einer Urkunde oder ihr Verbleib streitig sein sollten, besteht die Möglichkeit, nach § 118 Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. §§ 425, 426 Zivilprozessordnung (ZPO), notfalls mit der Konsequenz des § 427 ZPO, vorzugehen. Falls erheblich, können überdies Dritte über die Erstellung von Urkunden bzw. ihren Verbleib als Zeugen vernommen werden. Sollte sich aus einer entsprechenden Beweisaufnahme ergeben, dass die Beklagte dem Disziplinarausschuss objektiv das Verfahren betreffende Unterlagen vorenthalten hat, kann sich dies auch auf die Beurteilung der Rechtmäßigkeit seines Beschlusses auswirken.
II.
Die Klage gegen die Verweigerung der Akteneinsicht im Übrigen, d.h. auch in solche Unterlagen, die unstreitig nicht das Disziplinarverfahren betreffen, ist inzwischen zwar zulässig, aber unbegründet.
1. Die Klage ist zulässig, nachdem die Beklagte hinsichtlich des Begehrens des Klägers auf Akteneinsicht nunmehr das nach § 78 Abs. 3 SGG erforderliche Vorverfahren durchgeführt hat. Die Versagung der Akteneinsicht ist nämlich ein Verwaltungsakt im Sinne von § 31 Satz 1 SGB X (BSG SozR 3900 § 144 Nr. 39). Das danach notwendige Widerspruchsverfahren konnte indessen bis zum Schluss der letzten Tatsacheninstanz, mithin also auch noch während des Berufungsverfahrens, nachgeholt werden.
2. Die Klage auf Auskunft, welche Akten über den Kläger bei der Beklagten geführt werden, und anschließende umfassende Einsicht in diese Akten ist jedoch unbegründet. Ein dahingehender bindender Anspruch steht dem Kläger nicht zu, und soweit er einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über sein Begehren hat, hat die Beklagte diesen Anspruch durch Erlass des Widerspruchsbescheides vom 25.08.2003 erfüllt.
a) Der Kläger hat keinen Anspruch auf umfassende Einsicht in die über ihn bei der Beklagten geführten Akten und aus diesem Grund auch keinen Anspruch auf Auskunft, um welche Akten es sich im Einzelnen handelt.
aa) Ein Anspruch aus § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB X scheidet schon deshalb aus, weil die betreffenden Akten kein "Verfahren" im Sinne von § 8 SGB X betreffen, der Kläger also insoweit Akteneinsicht außerhalb eines laufenden Verwaltungsverfahrens erstrebt.
bb) Der Kläger kann einen Anspruch auch nicht aus § 83 SGB X herleiten. Danach hat zwar jeder "Betroffene" einen Anspruch auf Auskunft über die zu seiner Person gespeicherten Sozialdaten. Sozialdaten sind aber nur solche Einzelangaben, die von einer in § 35 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) genannten Stelle gespeichert worden sind (§ 67 Abs. 1 Satz 1 SGB X). Hierzu gehören jedoch nur die in § 12 Satz 1 SGB I genannten Leistungsträger, nicht hingegen die Beklagte.
cc) Ein Anspruch aus § 19 Abs. 1 Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) kommt nicht in Betracht, weil das BDSG keine Anwendung auf öffentliche Stellen der Länder (wie die Beklagte) findet, deren Datenschutz durch Landesgesetz geregelt ist (§ 1 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. d) BDSG).
dd) Auch auf § 18 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Datenschutzgesetz Nordrhein-Westfalen (DSG NRW) kann sich der Kläger indessen nicht mit Erfolg stützen. Dabei kann dahingestellt bleiben, inwiefern es sich bei den von ihm so bezeichneten "Angelegenheiten" um personenbezogene Daten handelt. Denn der Anspruch scheitert jedenfalls an § 18 Abs. 2 DSG NRW. Danach ist Auskunft nur zu gewähren, soweit die betroffene Person Angaben macht, die das Auffinden der Daten mit angemessenem Aufwand ermöglichen. Daran fehlt es hier jedoch. Denn der Kläger hat sein Auskunftsinteresse in keiner Weise beschränkt. Angesichts der Vielzahl der von einer Kassenärztlichen Vereinigung zu erhebenden und im Rahmen des Widerspruchsbescheides beispielhaft bezeichneten Daten ist es der Beklagten daher nicht zumutbar, über sämtliche Daten seit dem 01.10.1988 Auskunft zu erteilen. Das gilt umso mehr, als der Kläger insoweit ein besonderes rechtliches Interesse nicht dargetan hat. Sein berechtigtes Interesse, sich im Disziplinarverfahren angemessen zu verteidigen, kann er zunächst einmal dadurch wahren, dass erfolgreich zu seinen Lasten nur solche Informationen verwandt werden dürfen, die dem Disziplinarausschuss vorgelegen haben und hinsichtlich derer ihm rechtliches Gehör gewährt worden ist. Soweit er erwartet, darüberhinaus aus anderen Unterlagen Verteidigungsmöglichkeiten zu gewinnen, hat er diese Unterlagen nicht mit der im Rahmen von § 18 Abs. 2 DSG NRW zu fordernden Bestimmtheit bezeichnet. Es ist jedenfalls nicht ersichtlich, inwiefern hierzu Honorarbescheide, Eintragungen ins Arztregister oder Ausdrucke von Behandlungsausweisen beitragen könnten, die jedoch sämtlich zu den von der Beklagten über den Kläger geführten "amtlichen Informationen" gehören. Das gilt umso mehr, als er über einen erheblichen Teil dieser Informationen selbst verfügt oder zumindest verfügen müsste, weil sie ihm - wie z.B. die Honorarbescheide - bekannt gemacht worden sind.
ee) Wie das SG bereits zutreffend entschieden hat, verhilft auch § 4 Abs. 1 IFG NRW dem Kläger nicht zum Erfolg. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob sich der Anwendungsvorrang des § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB X gemäß § 4 Abs. 2 IFG NRW nur auf anhängige Verwaltungsverfahren bezieht, oder ob diese Vorschrift im Anwendungsbereich des SGB X jedweden weiteren Anspruch auf Akteneinsicht gemäß § 4 Abs. 1 IFG NRW sperrt. Denn der Anspruch scheitert in jedem Fall daran, dass der Kläger seinen Antrag nicht ausreichend bestimmt gefasst hat (§ 5 Abs. 1 Satz 3 IFG NRW). Durch die Verpflichtung hierzu sollen sog. Ausforschungsanträge vermieden werden, mit denen sich der Antragsteller erst einen Überblick über das bei der Behörde vorhandene Wissen verschaffen will (Stollmann, NWVBl 2002, 216, 218 m.w.N.). Einem solchen Ausforschungsantrag entspricht jedoch das Begehren des Klägers, Auskunft über und Einsicht in sämtliche Unterlagen zu erhalten, die bei der Beklagten seit dem 01.10.1988 über ihn geführt werden.
ff) Ein Anspruch aus dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung (Art 1 Abs. 1 i.V.m. Art 2 Abs. 1 Grundgesetz (GG)) scheidet ebenfalls aus. Ein Rückgriff auf dieses Grundrecht ist nicht mehr geboten, nachdem das DSG NRW zu seiner Ausgestaltung geschaffen worden ist (§ 1 DSG NRW).
gg) Ebenso wenig folgt ein Anspruch aus dem Grundrecht auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs. 1 GG), da dieses hinsichtlich der Gewährung von Akteneinsicht durch § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB X einfachgesetzlich konkretisiert worden ist.
b) Der Kläger hat schließlich keinen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung der Beklagten über seinen Zugang zu allen bei ihr geführten Unterlagen über ihn. Auch wenn er entgegen der Auffassung der Beklagten und des SG einen solchen Anspruch gehabt haben sollte, hat die Beklagte ihn jedenfalls durch eine ermessensfehlerfreie Entscheidung mit Widerspruchsbescheid vom 25.08.2003 erfüllt.
Da § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB X sogar während des laufenden Verwaltungsverfahren die Akteneinsicht davon abhängig macht, dass sie "zur Geltendmachung oder Verteidigung ... rechtlicher Interessen" erforderlich ist, gilt dies erst recht, wenn Einsicht in solche Akten begehrt wird, die kein laufendes Verwaltungsverfahren betreffen. Zumindest ist jedoch die Darlegung eines sog. berechtigten Interesses erforderlich (vgl. zum Streitstand Krasney in KassKomm, § 25 SGB X Rdnr. 5). Inwiefern dabei im Einzelfall ein solches Interesse bestehen kann, zur wirkungsvollen Verteidigung in einem Disziplinarverfahren auch Einsicht in solche Akten zu nehmen, die dieses Verfahren nicht unmittelbar im Sinne von § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB X betreffen, braucht der Senat nicht zu entscheiden. Denn jedenfalls ist nicht erkennbar, dass es sich auf sämtliche bei der Beklagten über den Kläger geführten Unterlagen erstreckt.
Im Hinblick hierauf durfte die Beklagte den Anspruch des Klägers auf umfassende Auskunft und Akteneinsicht mit dem Argument des Schutzes vor eigener Überforderung ermessensfehlerfrei ablehnen. Zwar ist dieser Schutz in § 25 SGB X entgegen dem ursprünglichen Regierungsentwurf nicht ausdrücklich aufgenommen worden (vgl. hierzu Krasney a.a.O. Rdnr. 2). Das schließt jedoch nicht aus, ihm außerhalb des unmittelbaren Anwendungsbereichs von § 25 SGB X Rechnung zu tragen. Wie dargelegt, handelt es sich dabei um einen Gesichtspunkt, den sowohl der Bundes- als auch der Landesgesetzgeber als Schranke gegenüber allen unangemessen umfangreichen Auskunfts- und Einsichtsersuchen außerhalb laufender Verwaltungsverfahren formuliert haben.
c) Auch insoweit liegt keine Verletzung des Rechts auf effektiven Rechtsschutz aus Art 19 Abs. 4 Satz 1 GG vor. Soweit der Kläger hofft, aus Unterlagen, die nichts mit dem Disziplinarverfahren zu tun haben, in diesem Verfahren etwas zu seinen Gunsten herleiten zu können, kann er die Einbeziehung dieser Unterlagen auf dem unter I. beschriebenen Weg erreichen. Unabhängig davon ist es ihm jedoch auch nicht verwehrt, unmittelbar gegenüber der Beklagten auf der Grundlage der unter II. 2. b) im Einzelnen dargestellten Vorschriften die Einsicht in solche Unterlagen zu begehren, die er hinreichend präzise bezeichnet und hinsichtlich derer er ein berechtigtes Interesse dartut. Dass ein solches Interesse indessen nicht hinsichtlich sämtlicher bei der Beklagten über ihn geführten Unterlagen besteht, ist bereits dargelegt worden. Der Ausschluss eines so weit gehenden Anspruchs ist als Ausprägung des dem Rechtsstaatsprinzip (Art 20 Abs. 3 GG) inne wohnenden Verhältnismäßigkeitsgedankens jedoch auch mit Blick auf Art 19 Abs. 4 Satz 1 GG unproblematisch zulässig.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG in der bis zum 01.01.2002 geltenden Fassung (BSG SozR 3-2500 § 116 Nr. 24). Anlass, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), hat nicht bestanden. Die durch den Fall aufgeworfenen Rechtsfragen sind sämtlich durch das BSG bzw. das BVerfG hinreichend geklärt.
LSG Nordrhein-Westfalen:
Urteil v. 21.01.2004
Az: L 11 KA 179/02
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