Bundesgerichtshof:
Urteil vom 15. Februar 2011
Aktenzeichen: X ZR 64/09

(BGH: Urteil v. 15.02.2011, Az.: X ZR 64/09)

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des 3. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts vom 10. März 2009 abgeändert: Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Von Rechts wegen.

Tatbestand

Die Beklagte ist Inhaberin des auch mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 1 061 198 (Streitpatents), das am 9. Juni 2000 unter Inanspruchnahme einer Priorität vom 18. Juni 1999 angemeldet worden ist. Das Streitpatent betrifft ein Fenster für den Einbau in eine Dachstruktur und die Verwendung einer dazugehörigen Halterung. Die Patentansprüche 1 und 7 lauten in der Verfahrenssprache Englisch wie folgt:

"1. A window (1; 101) for installation in a roof structure, comprising a frame with a number of frame members (2; 102) and a plurality of mounting brackets (7; 107), each mounting bracket comprising a first leg (7a, 7b; 107a) for connection with the exterior side of a frame member, and a second leg (7b, 7a; 107b) substantially perpendicular to and connected with the first leg in a connection point (7c; 107c) for connection with the roof structure, and in which the exterior side of at least the frame members to be connected with mounting brackets is provided with a longitudinal marking (16; 116) extending in the longitudinal direction of the frame member, characterized in that each mounting bracket has at least one marking, each comprising a graduated scale (17, 18; 117) for cooperating with the longitudinal marking (16; 116) of the frame member.

7. Use of a mounting bracket for installation of an element, in particular a window, in a roof structure, comprising a first leg (7a, 7b; 107a) to be connected with the exterior side of the element and a second leg (7b, 7a; 107b) substantially perpendicular to and connected with the first leg in a connection point (7c; 107c) for connection with the roof structure, characterized in that each mounting bracket is provided with at least one marking, each comprising a graduated scale (17, 18; 117) for cooperating with a marking (16; 116) on the element."

Die Patentansprüche 1 und 7 haben in deutscher Übersetzung folgenden Wortlaut:

"1. Fenster (1; 101) zum Einbau in eine Dachstruktur, aufweisend einen Rahmen mit einer Anzahl von Rahmenelementen (2; 102) und mehreren Befestigungsbügeln (7; 107), von denen jeder einen ersten Schenkel (7a, 7b; 107a) zur Verbindung mit der Außenseite eines Rahmenelements und einen im Wesentlichen senkrecht dazu verlaufenden zweiten Schenkel (7b, 7a; 107b) zur Verbindung mit der Dachstruktur aufweist, der mit dem ersten Schenkel an einem Verbindungspunkt (7c; 107c) verbunden ist, und bei dem die mit den Befestigungsbügeln zu verbindende Außenseite zumindest der Rahmenelemente eine längliche Kennzeichnung (16, 116) hat, die sich in Längsrichtung des Rahmenelements erstreckt, dadurch gekennzeichnet, dass jeder Befestigungsbügel mindestens eine Kennzeichnung aufweist, die eine geteilte Skala (17, 18; 117) zum Zusammenwirken mit der länglichen Kennzeichnung (16; 116) des Rahmenelements hat.

7. Verwendung des Befestigungsbügels für den Einbau eines Elements, insbesondere eines Fensters, in eine Dachstruktur, aufweisend einen ersten Schenkel (7a, 7b; 107a) zur Verbindung mit der Außenseite des Elements und einen zweiten, im Wesentlichen senkrecht dazu verlaufenden Schenkel (7b, 7a; 107b) zur Verbindung mit der Dachstruktur, der mit dem ersten Schenkel an einem Verbindungspunkt (7c; 107c) verbunden ist, dadurch gekennzeichnet, dass jeder Befestigungsbügel zumindest eine Kennzeichnung aufweist, die eine geteilte Skala (17, 18; 117) zum Zusammenwirken mit der Kennzeichnung (16; 116) am Element hat."

Die Klägerin hat beantragt, das Streitpatent im Umfang der Patentansprüche 1, 3, 4, 7, 9 und 10 mit den entsprechenden Rückbezügen auf die vorangehenden angegriffenen Ansprüche für nichtig zu erklären. Sie hat geltend gemacht, der Gegenstand des Streitpatents sei im angegriffenen Umfang gegenüber dem druckschriftlichen Stand der Technik und insbesondere im Hinblick auf eine offenkundige Vorbenutzung durch Verwendung der Einbauanleitung für Dachfenster "Braas Junior 07/96" mangels erfinderischer Tätigkeit nicht patentfähig.

Das Patentgericht hat das Streitpatent im beantragten Umfang für nichtig erklärt.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten, der die Klägerin entgegentritt.

Gründe

I.

1. Das Streitpatent betrifft ein Fenster zum Einbau in eine Dachstruktur. Bei der Montage derartiger Fenster ist vor allem die Abdichtung zwischen dem Fenster und der dieses umgebenden Dachabdeckung sicherzustellen. Nach der Patentbeschreibung ist es dafür notwendig, die für den Einbau zu verwendenden Befestigungsbügel in Querrichtung der Rahmenelemente so zu positionieren, dass der zur Verbindung mit der Dachstruktur vorgesehene Schenkel des Befestigungsbügels sich in der gewünschten Höhe im Hinblick auf die Fensterverkleidung befindet. Die L-förmige Verkleidung, die in der Regel zusammen mit dem Fenster in einbaufertigem Zustand geliefert wird, liegt mit einem Teil an dem Seitenelement des Rahmens an, während der andere Teil die Dachabdeckung dichtend überlappt. Der ebenfalls L-förmige Befestigungsbügel muss dabei in der richtigen Position am Rahmen angebracht werden. Um dies zu erleichtern, ist an den seitlichen Rahmenelementen eine längliche Kennzeichnung, z.B. mehrere parallel zueinander angeordnete Nuten, vorgesehen, die den unterschiedlichen Abständen zwischen den Auflageflächen für die Schenkel der Befestigungsbügel und den Schenkeln der Eindeckelemente, die den Fensterrahmen vor Witterungseinflüssen schützen sollen, entspricht. Bei der Montage muss dieser Abstand in der Dachstruktur zunächst ermittelt und anschließend muss die geeignete Nut ausgewählt werden, an der dann der Befestigungsbügel angebracht wird. Bei der Ermittlung des Abstands, z.B. durch Messen mit einem Zollstock, kann es - so die Patentschrift - zu Fehlmessungen und damit zu einer falschen Anordnung der Befestigungsbügel kommen. Dieser Fehler wird häufig erst nach dem Einbau des Rahmens in die Dachstruktur bemerkt, was einen erhöhten Zeitaufwand für den Ausbau und den erneuten passgenauen Einbau erfordert.

Mit der Erfindung soll deshalb der Einbau derartiger Fenster vereinfacht und wirtschaftlicher gestaltet und gleichzeitig das Risiko fehlerhafter Messungen verringert werden.

2. Zur Lösung dieser Aufgabe wird in Patentanspruch 1 ein Fenster zum Einbau in eine Dachstruktur vorgeschlagen, das aufweist 1. einen Rahmen mit 1.1 einer Anzahl von Rahmenelementen (2; 102) und 1.2 mehreren Befestigungsbügeln (7; 107).

2. Die Außenseite zumindest der Rahmenelemente, die mit den Befestigungsbügeln zu verbinden sind, hat eine längliche Kennzeichnung (16; 116), 2.1 die sich in Längsrichtung des Rahmenelements erstreckt.

3. Jeder Befestigungsbügel weist auf 3.1 einen ersten Schenkel (7a; 7b; 107a) zur Verbindung mit der Außenseite eines Rahmenelements und 3.2 einen zweiten Schenkel (7b; 7a; 107b) zur Verbindung mit der Dachstruktur, wobei 3.2.1 der zweite Schenkel im Wesentlichen senkrecht zum ersten Schenkel verläuft und 3.2.2 mit dem ersten Schenkel an einem Verbindungspunkt (7c; 107c) verbunden ist;

3.3 mindestens eine Kennzeichnung 3.3.1 die eine geteilte Skala (17; 18; 117) zum Zusammenwirken mit der länglichen Kennzeichnung (16; 116) des Rahmenelements hat.

Die nachfolgende Figur 3 zeigt eine perspektivische Darstellung eines derartigen Befestigungsbügels.

An dieser Stelle befindet sich eine Abbildung.

Eine Schnittansicht des Fensters zeigt die nachfolgend wiedergegebene Figur 1 des Streitpatents. Bei dieser Art der Ausführung sind die Schenkel des Eindeckelements (9), also der Verkleidung, nur durch eine dünne Isolierschicht (8) von den Schenkeln des Befestigungsbügels (7a, 7b) getrennt und liegen auf einer Dachlatte (6) auf. Der Verbindungspunkt der Schenkel (7c) und damit der Nullpunkt der auf dem Befestigungsbügel angebrachten Skala befindet sich damit auf der Höhe der am Rahmen angebrachten Kennzeichnung. Der erste Schenkel (7a) des Befestigungsbügels wird bündig an der länglichen Kennzeichnung des Rahmenseitenelements angelegt und verschraubt.

An dieser Stelle befindet sich eine Abbildung.

Bei der Ausführung nach der Figur 2 liegt die Verkleidung auf dem Isoliermaterial (28) auf, das über dem Befestigungsbügel angebracht ist. Bei der Montage wird zunächst die Dicke der Isolierung (28) mittels der geteilten Skala (18) auf dem längeren Schenkel (7b) gemessen und abgelesen. Daraufhin legt man den Schenkel so am Rahmenseitenelement an, dass der abgelesene Skalenwert bündig mit der dort vorhandenen länglichen Kennzeichnung liegt und verschraubt den Schenkel mit dem Rahmenelement.

An dieser Stelle befindet scih eine Abbildung.

Bei den oben erörterten und den weiteren möglichen Ausführungsformen der Erfindung ist entscheidend, dass die Kennzeichnung auf den Schenkeln des Befestigungsbügels (Merkmal 3.3) eine geteilte Skala (Figur 3; Bezugsziffern 17 und 18) hat, um mit der länglichen Kennzeichnung am Rahmenelement, z.B. einer farbigen Nut, zusammenzuwirken (Merkmal 3.3.1). Dies bedeutet, dass ein korrektes Positionieren der Befestigungsbügel dadurch erreicht wird, dass die Teile der Dachstruktur, die zusammengefügt werden sollen, und die räumlichen Abstände, die sie zueinander einzuhalten haben, mit Hilfe der Kennzeichnung(en) am Befestigungsbügel selbst gemessen werden (Absatz 8 der Streitpatentschrift). Die Skala auf dem Befestigungsbügel dient dabei als Messinstrument, so dass beim Einbau des Fensters kein zusätzliches Messinstrument mehr nötig ist, um den Abstand zwischen dem Befestigungsbügel und der Verkleidung zu bestimmen.

II.

Das Patentgericht hat angenommen, der Gegenstand des Streitpatents beruhe gegenüber der "Einbauanleitung für Dachfenster Braas Junior 07/96" (Anlage NK18) nicht auf erfinderischer Tätigkeit. Diese Druckschrift sei der Öffentlichkeit vor dem Prioritätstag des Streitpatents zugänglich gemacht worden. Dafür spreche der Erfahrungssatz, dass die öffentliche Zugänglichkeit einer Druckschrift in unmittelbarem Anschluss an ihre Herstellung erfolge; dies gelte auch, wenn - wie hier - die Herstellung im Auftrag der Klägerin erfolgt sei. Deshalb könne man grundsätzlich davon ausgehen, dass der auf der Druckschrift angegebene Zeitpunkt mit demjenigen der öffentlichen Zugänglichkeit identisch sei. Konkrete Tatsachen, die ernsthaft für einen anderen Verlauf sprächen, habe die Beklagte nicht vorgetragen. Die Einbauanleitung zeige u.a. auf Seite 13 in den Abbildungen 3, 5 und 6 und auf Seite 14 ein Fenster zum Einbau in eine Dachstruktur, das nahezu alle Merkmale des Patentanspruchs 1 aufweise. Lediglich eine geteilte Skala auf mindestens einer Kennzeichnung des Befestigungsbügels sei nicht vorhanden. Bei dem Fenster nach der NK18 gebe es eine Kennzeichnung des Rahmenelements in Form mehrerer Rillen. Dies entspreche einer bloßen Umkehr gleichwirkender Mittel, die der Fachmann, ein Bautechniker mit langjähriger Erfahrung in der Konstruktion und Fertigung von Dachfenstern, ohne weiteres vornehme. Aus der Beschreibung und der Bebilderung der NK18 ergebe sich die Anregung, sich zur lagerichtigen Montage eines Dachfensters eine auf den zusammengehörigen Bauteilen Rahmen und Bügel jeweils aufgebrachte Kennzeichnung zunutze zu machen, wobei die Kennzeichnung eines der Elemente eine geteilte Skala aufweise. Auf welchem der beiden Elemente die skalierte Kennzeichnung angebracht sei, sei hierfür unbeachtlich. Zudem gehe das Argument der Beklagten, der Bügel mit der geteilten Skala sei auch als Messwerkzeug zu benutzen, an der Realität vorbei. In der Praxis würden Dachlatten in definierten Stärken eingesetzt, die der geübte Monteur entweder per Augenschein erkenne oder mit Hilfe des ohnehin vorhandenen Zollstocks feststelle, um dann den entsprechenden Messwert den Markierungen am Rahmenelement zuzuordnen. Im Übrigen könne auch die am Bügel aufgebrachte Skala Fehlmessungen nicht verhindern, so dass ein die erfinderische Tätigkeit begründender Unterschied zwischen der NK18 und dem Streitpatent nicht erkennbar sei.

III.

Diese Beurteilung hält der Nachprüfung im Berufungsverfahren nicht stand.

1. Die von der Beklagten in Frage gestellte öffentliche Zugänglichkeit der Einbauanleitung NK18 kann dahinstehen, da der Gegenstand des Streitpatents durch die in NK18 vorgestellte Anweisung zum Einbau des Dachfensters nicht im Sinne von Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG, Art. 138 Abs. 1 Buchst. a, Art. 52 Abs. 1, Art. 56 EPÜ nahegelegt ist.

a) Die Abbildungen 3 und 4 auf Seite 13 und die Abbildung 2 auf Seite 14 der NK18 zeigen jeweils 4 parallel verlaufende Nuten, also längliche Kennzeichnungen am Rahmenelement des einzubauenden Fensters, in die das winkelförmige Befestigungselement einzuschrauben ist. Der zu den Abbildungen gehörige Text auf Seite 13 lautet auszugsweise wie folgt: "...Vor dem Anbringen der Befestigungswinkel am Grundrahmen muss die Dachlattenstärke gemessen werden. Dieses Messergebnis ordnen Sie der Markierung zu, die auf dem Rand des Grundrahmens aufgeklebt ist. So erhalten Sie die Position, wo die Befestigungswinkel angeschraubt werden müssen...". Daraus ergibt sich, dass nur das Rahmenelement eine längliche Kennzeichnung trägt, die gegebenenfalls durch einen Aufkleber mit Zahlenangaben unterstützt ist und mit der der Befestigungswinkel durch Messen in Einklang gebracht werden muss. Der Befestigungswinkel selbst weist lediglich Lochungen auf, mit deren Hilfe er mit dem Rahmen verschraubt werden kann. Eine geteilte Skala ist auf dem Befestigungswinkel nach NK18 nicht angebracht. Dies hat auch - von der Klägerin unbeanstandet - das Patentgericht so gesehen. Um von der in der Einbauanleitung NK18 gezeigten Konstruktion ohne erfinderisches Zutun zum Patentgegenstand zu gelangen, müsste der Fachmann einen konkreten Hinweis oder eine Anregung erhalten, von der in NK18 geschilderten Vorgehensweise abzuweichen und den Befestigungsbügel mit einer Skala zu versehen (zum Vorliegen erfinderischer Tätigkeit vgl. BGH, Urteil vom 30. April 2009 - Xa ZR 92/05, BGHZ 182, 1 = GRUR 2009, 746 - Betrieb einer Sicherheitseinrichtung; Urteil vom 8. Dezember 2009 - X ZR 65/05, GRUR 2010, 407 - einteilige Öse). Eine solche Anregung ist nicht ersichtlich. Weder in dem bereits auszugsweise zitierten Text der Montageanleitung nach der NK18 noch in den dort gezeigten Abbildungen findet sich ein Hinweis auf eine auf dem Befestigungswinkel angebrachte geteilte Skala, wobei dieser mit einer länglichen Kennzeichnung zusammenwirken soll.

b) Das Patentgericht hat seine Auffassung im Wesentlichen darauf gestützt, dass es sich bei dem Anbringen der geteilten Skala auf dem Befestigungsbügel im Vergleich zu der in NK18 vorhandenen Kennzeichnung des Rahmenelements um eine bloße Umkehr gleichwirkender Mittel handle, die der Fachmann ohne weiteres vornehme. Das Patentgericht betrachtet die Kennzeichnung (Nuten) auf dem Fensterrahmen in der NK18, die dort als Markierung bezeichnet ist, ebenfalls als geteilte Skala, die vom Fachmann - ohne weiteres austauschbar - auch auf dem Befestigungsbügel angebracht werden könne. Dieser Beurteilung tritt der Senat nicht bei. Beim Streitpatent geht es nicht darum, zwei Bauteile mit Markierungen zusammenzufügen, die - zwischen den Bauteilen austauschbar - als Skala ausgestaltet sind. Insbesondere geht es nicht um eine eventuelle Schutzfähigkeit einer Skala an sich, die die Rechtsprechung grundsätzlich abgelehnt hat (vgl. BGH, Beschluss vom 21. März 1958 - I ZR 160/57, GRUR 1958, 602 - Wettschein; Beschluss vom 18. März 1975 - X ZB 9/74 - Buchungsblatt; BPatGE 4, 3; 10, 55; 13, 101). Kern der Erfindung ist das Zusammenwirken der länglichen Kennzeichnung des Rahmenelements mit der geteilten Skala des Befestigungsbügels, d.h. die Skala muss so ausgestaltet sein, dass sie ein schnelles und passgenaues Zusammenfügen der Bauteile ermöglicht, dass sie die Funktion des Zollstocks mit übernimmt und somit eine gesonderte Messung überflüssig macht. Gerade auf die gesonderte Messung ist aber in der NK18 abgestellt. Die Argumentation des Patentgerichts, der Monteur habe ohnehin den Zollstock bei sich und könne durch kurzes Anlegen desselben den einzuhaltenden Abstand feststellen, wägt lediglich die Praxistauglichkeit der Vorgehensweise nach dem Stand der Technik gegenüber der nach dem Streitpatent ab und hat keine entscheidende Auswirkung für die Beurteilung der Patentfähigkeit. Insbesondere spricht sie nicht gegen das Vorliegen erfinderischer Tätigkeit. Die vom Patentgericht geschilderte Vorgehensweise entspricht der Einbauanleitung in NK18, in der eine Messung als erforderlich bezeichnet wird. Sie ist Stand der Technik und in der Praxis üblich und realitätsnah. Dies schließt aber nicht aus, dass das mit dem Streitpatent vorgeschlagene Fenster in der Praxis angenommen wird. Wenn dem Fachmann oder, wie hier, auch dem Laien-Monteur eine Vorrichtung angeboten wird, mit der sich ein Arbeitsschritt, nämlich die Messung, erübrigt, wird er die Neuerung annehmen und verwenden.

c) Der mit einer zweigeteilten Skala versehene Befestigungswinkel des Streitpatents ist nicht als gleichwirkendes, beliebig austauschbares Mittel gegenüber der Kennzeichnung am Fensterrahmen in der NK18 anzusehen.

Das aus der NK18 bekannte Fenster mit der Kennzeichnung in Form von Nuten in Verbindung mit einem Aufkleber, der eine Zahlenreihe mit Blick auf die unterschiedliche Stärke der verwendeten Dachlatten aufweist, ist nach den Angaben der Klägerin, denen die Beklagte nicht entgegengetreten ist, einfacher zu fertigen als die durch das Streitpatent geschützte Vorrichtung. Die Klägerin hat weiter vorgetragen, dass bei dem Aufkleber, mit dem die Nuten am Fensterrahmen in der NK18 versehen sind, die Gefahr des Ablösens besteht. Wenn der Fachmann bei dieser Sachlage Abhilfe schaffen will, wird er zunächst bestrebt sein, die einfach zu fertigende Vorrichtung grundsätzlich beizubehalten. Als Maßnahme zur Verbesserung könnte er etwa versuchen, den Aufkleber fester und ablösesicher auf dem Fensterrahmen anzubringen; weiter bestünde die Möglichkeit, die Gestaltung der Kennzeichnung auf dem Fensterrahmen zu verändern und die vorhandenen Nuten etwa durch in bestimmter Weise angeordnete Bohrungen zu ersetzen. Demgegenüber zeigen die beiden unter I 2 erläuterten Ausführungsbeispiele des Streitpatents, dass es in Abhängigkeit von der Stärke des Isolierelements unterschiedliche Gestaltungsmöglichkeiten für den Befestigungswinkel gibt. Bei dieser Sachlage wird der Fachmann die Kennzeichnung mit den - aufgeklebten - Maßangaben auf dem Fensterrahmen nicht ohne weiteres in Gestalt einer Skala auf den Befestigungswinkel übertragen. Die Nuten im Rahmen haben aus der Sicht des Standes der Technik nicht die Funktion einer geteilten Skala und erhalten diese Funktion auch nicht durch den Aufkleber. Dieser dient vielmehr nur dazu, dem Monteur anzugeben, welche Nut für welche Dachlattenstärke bestimmt ist. Dies regt nicht zu einer Skalierung des Befestigungswinkels an.

Der Umstand, dass im Stand der Technik vor dem Prioritätstag Befestigungsbügel oder Montagewinkel mit geteilten Skalen im Bereich von Dacharbeiten bekannt waren - vgl. hierzu die Patentschriften US 4 089 141 (NK5), US 4 410 294 (NK6), US 3 596 941 (NK7) - steht dem nicht entgegen. Die erfinderische Leistung beim Streitpatent besteht nicht darin, Befestigungselemente mit Skalen zu versehen, sondern in dem effektiven Zusammenwirken von in bestimmter Weise gekennzeichneten Bauteilen, das die Montage des beanspruchten Dachfensters vereinfacht (vgl. oben I 2 am Ende).

2. Auch die übrigen von der Klägerin vorgelegten Unterlagen stehen der Patentfähigkeit nicht entgegen.

a) Durch die Gestaltung der Dachflächenfenster "Thermo-Plus" ist der Gegenstand des Streitpatents nicht nahegelegt. Die Fotografien in dem Anlagenkonvolut F1 bis F25 zeigen solche Fenster, teilweise mit dem Schriftzug "Thermo-Plus" versehen, mit einem Fensterrahmen mit länglicher Kennzeichnung (Nuten). Auf den Fotos F9 bis F18 ist weiter ein Aufkleber erkennbar, der eine Stricheinteilung aufweist, mit den Zahlen 0, 25, 32, 40 und 50 zur Identifizierung der Lattenstärken bedruckt und so angebracht ist, dass die Stricheinteilung den Nuten zugeordnet ist und deren Verlauf fortsetzt. An dem Rahmenelement der in F1 bis F25 gezeigten Dachfenster ist ein Befestigungsbügel angeschraubt, der dem Befestigungswinkel in der Einbauanleitung NK18 und den Befestigungswinkeln in der NK3 sowie NK4 entspricht. Die Nuten in den Rahmenelementen sind verschiedenen Einbauhöhen zugeordnet. Die Kennzeichnung durch die Nuten wird unterstützt von der in dieselbe Richtung weisenden Markierung auf dem Aufkleber. Damit ist jedoch noch nicht die Nut ausgewählt, in die der Befestigungsbügel einzuschrauben ist. Dafür ist, wie oben zur Einbauanleitung NK18 ausgeführt, eine gesonderte Messung erforderlich, die durch die Ausgestaltung des Befestigungsbügels mit einer geteilten Skala wie nach dem Streitpatent gerade vermieden wird.

b) Die in den vorgelegten Einbauanleitungen in polnischer (NK1) und niederländischer (NK2) Sprache gezeigten Fensterkonstruktion kommen in ihrer technischen Gestaltung, was auch die Klägerin nicht bestreitet, dem Streitpatent nicht näher als die in der NK18 und den Fotografien F1 bis F25 vorgestellten Dachfenster. Dies gilt auch für die Gegenstände der von der Klägerin herangezogenen Patentschriften WO 88/04348 und JP Hei 09-111977. Der daraus sich ergebende Umstand, dass gegenüber dem Stand der Technik über mehrere Jahre hinweg keine Lösung gefunden wurde, wie sie das Streitpatent vorschlägt, spricht dagegen, dass der Fachmann ohne weiteres erfinderisches Zutun die vorhandenen Mittel einfach ausgetauscht hätte.

3. Der Nebenanspruch 7 des Streitpatents, der die Verwendung eines Befestigungsbügels mit den Merkmalen nach Anspruch 1 betrifft, sowie die angegriffenen Unteransprüche haben aus den zu Patentanspruch 1 angeführten Gründen ebenfalls Bestand.

IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 PatG i.V.m. § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

Meier-Beck Keukenschrijver Mühlens Grabinski Schuster Vorinstanz:

Bundespatentgericht, Entscheidung vom 10.03.2009 - 3 Ni 73/06 (EU) -






BGH:
Urteil v. 15.02.2011
Az: X ZR 64/09


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