Oberlandesgericht Hamm:
Urteil vom 21. Februar 2013
Aktenzeichen: 4 U 135/12

(OLG Hamm: Urteil v. 21.02.2013, Az.: 4 U 135/12)

Tenor

Die Berufung des Beklagten gegen das am 05. Juni 2012 verkündete Urteil der 6. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Bielefeld wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Einbeziehung der Alternative des "auffordern zu lassen" entfällt und dass es am Schluss des Antrags heißt: "wie geschehen auf der Internetseite des Beklagten *Internetadresse* vom 11.4.2012 (Anlage B 1 zur Klageerwiderung)."

Der Beklagte trägt die Kosten der Berufung.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

I.

Der Kläger, ein Verbraucherschutzverband, wendet sich dagegen, dass der Beklagte im Internet einen Online-Kurs zur Vorbereitung auf die theoretische Prüfung für die Sportbootführerscheine See und Binnen zur Nutzung für eine Kursdauer von 24 Stunden, einem Monat, drei Monaten oder sechs Monaten mit Verlängerungsklausel anbietet, ohne die jeweiligen Interessenten auf das bei Fernabsatzgeschäften im Allgemeinen bestehende gesetzliche Widerrufsrecht hinzuweisen. Dabei streiten die Parteien insbesondere darum, ob der vom Beklagten angebotene Online-Kurs unter den Ausnahmetatbestand des § 312 b Abs. 3 Nr. 6 BGB fällt.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes bis zum Abschluss der ersten Instanz und der erstinstanzlich gestellten Anträge der Parteien wird gem. § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils verwiesen, mit dem das Landgericht den geltend gemachten Unterlassungsanspruch und den Aufwendungsersatzanspruch in voller Höhe zuerkannt hat. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, das streitgegenständliche Internetangebot des Beklagten falle nicht unter den Ausnahmetatbestand des § 312 b Abs. 3 Nr. 6 BGB. Es könne dabei offen bleiben, ob es um eine Dienstleistung im Bereich der Freizeitgestaltung gehe. Denn jedenfalls betreffe das Angebot keine Verpflichtung zur Leistungsbestimmung innerhalb eines genau angegebenen Zeitraums. Weil die Abmahnung, die auch einen weiteren Vorwurf betroffen habe, jedenfalls hinsichtlich des streitgegenständlichen Verstoßes berechtigt gewesen sei, müsse der Beklagte auch die dem Kläger im Zusammenhang damit entstandenen Aufwendungen ersetzen, und zwar in voller Höhe.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung des Beklagten, die er wie folgt begründet: Das Landgericht habe verkannt, dass die Voraussetzungen des § 312 b Abs. 3 Nr. 6 BGB vorlägen. Bei der vom Teilnehmer des Online-Kurses ausgewählten Nutzungsdauer handele es sich nicht nur um eine Regelung zur Laufzeit des Vertrages, sondern auch um eine Verpflichtung zur Leistungserbringung innerhalb eines genau angegebenen Zeitraums. Da ein verbindlicher Vertrag ausweislich der AGB des Beklagten schon mit dem Anklicken der Schaltfläche "Jetzt bitte bezahlen" und damit vor der Nutzungsdauer zustande komme, sei es falsch, dass es sich bei der Nutzungsdauer nur um Regelungen zur Laufzeit des Vertrags handele. Selbst wenn Nutzungsdauer und Laufzeit des Vertrags zeitlich zusammenfielen, lege die Nutzungsdauer in erster Linie den Anspruch des Teilnehmers auf Leistung fest. Es bestehe kein Unterschied zwischen der Nutzungsdauer bzw. Regelung zur Vertragslaufzeit und der Verpflichtung zur Leistungserbringung. Der Nutzungsdauer und damit dem Anspruch des Verbrauchers auf Leistung einerseits entspreche die Verpflichtung des Beklagten zur Leistungserbringung andererseits. Für § 312 b Abs. 3 Nr. 6 BGB sei die Verpflichtung des Unternehmers zur Leistungserbringung maßgeblich. Unerheblich sei, ob es sich bei dem genau angegebenen Zeitraum zufälligerweise auch um die Vertragslaufzeit handele. Andernfalls wären entweder sämtliche Dauerschuldverhältnisse aus dem Anwendungsbereich des § 312 b Abs. 3 Nr. 6 BGB ausgenommen oder hinge der Anwendungsbereich der Norm davon ab, ob Vertragslaufzeit und Nutzungsdauer zufällig identisch seien. Eine solche Auslegung widerspreche der Rechtsprechung des EuGH (NJW 2005, 3055), der eine Anwendbarkeit des zugrunde liegenden Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 97/7/EG auf Automietverträge bejaht habe. Auch dort ergebe sich die in § 312 b Abs. 3 Nr. 6 BGB geforderte zeitliche Befristung aus der Laufzeit des Vertrags. Die Leistungszeit müsse lediglich konkretisiert und eingrenzbar sein. Hier sei die Nutzungsdauer des Online-Kurses exakt angegeben. Das Landgericht habe den Wortlaut des Gesetzes als Grenze der Auslegung missachtet, indem es verlange, dass der Unternehmer durch die Zulassung kurzfristiger Stornierungen unangemessen belastet sein müsse. Dass eine solche Belastung im Einzelfall tatsächlich festzustellen sei, sei nicht Voraussetzung für die Anwendung der Vorschrift (OLG Frankfurt, Urteil vom 15.04.2010 - 6 U 49/09). Der europäische Gesetzgeber habe die Frage der Unzumutbarkeit in Art. 3 der Richtlinie 97/7/EG pauschal geregelt und sei davon ausgegangen, dass in den ausdrücklich aufgeführten Fällen die Anwendung der Fernabsatzvorschriften auf den Unternehmer grundsätzlich unzumutbar sei. Eine Rückausnahme, dass die Bereichsausnahmen dann nicht gälten, wenn im Einzelfall doch keine Unzumutbarkeit gegeben sei, finde sich weder in Art. 3 der Richtlinie noch in § 312 b Abs. 3 Nr. 6 BGB. Nach der Gesetzesbegründung (BT-Drucksache 14/2658, S. 33) sei Voraussetzung für den Ausnahmetatbestand, dass sich der Unternehmer bei Vertragsschluss verpflichte, die Dienstleistungen zu einem bestimmten Zeitpunkt oder innerhalb eines genau eingegrenzten Zeitraums zu erbringen. Es sei auch der Aspekt der Vermeidung einer unverhältnismäßigen Belastung des Unternehmers zu beachten. Eine solche unverhältnismäßige Belastung ergebe sich durch die Zulassung kurzfristiger Stornierungen. Innerhalb der Widerrufsfrist könnten die Teilnehmer die Leistungen 14 Tage lang konsumieren und dann kurz vor Ablauf der Widerrufsfrist den Vertrag widerrufen. Eine unverhältnismäßige Belastung folge auch aus dem Vorhalten der Server- und Netzwerkkapazitäten, um die Kursmaterialien und interaktiven Elemente des Online-Kurses allen gleichzeitig angemeldeten Teilnehmern mit zufriedenstellenden Antwortzeiten und Downloadgeschwindigkeiten verfügbar zu machen, sowie aus dem Vorhalten und Einplanen ausreichender Kapazitäten für die telefonische Betreuung der Kursteilnehmer (Mobilfunkabdeckung, Zeit zur persönlichen Betreuung). Bei Überschreiten einer bestimmten Anzahl von Kursteilnehmern müssten weitere Kapazitäten zur Verfügung gestellt werden oder das Angebot ausgesetzt werden, bis eine ausreichende Anzahl von Kursteilnehmern nicht mehr zur Nutzung des Kurses berechtigt sei. Der vorliegende Fall sei auch mit dem dem schon erwähnten Urteil des OLG Frankfurt zugrunde liegenden Sachverhalt vergleichbar. Bei dem vom Beklagten angebotenen Online-Kurs handele es sich um eine Freizeitveranstaltung iSv. § 312 b Abs. 3 Nr. 6 BGB.

Ferner sei der Beklagte nach § 12 Abs. 1 S. 2 UWG nicht zur Erstattung der Abmahnkosten verpflichtet. Allenfalls bestehe der Zahlungsanspruch nur in Höhe von 107,00 €. Das Schreiben des Klägers vom 25.01.2012 enthalte zwei voneinander unabhängige Abmahnungen. Er habe auch zur Abgabe von zwei Unterlassungserklärungen aufgefordert.

Der Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung mit der Maßgabe zurückzuweisen, dass die Einbeziehung der Alternative des "auffordern zu lassen" entfällt und dass es am Schluss des Antrags heißt: "wie geschehen auf der Internetseite des Beklagten *Internetadresse* vom 11.4.2012 (Anlage B 1 zur Klageerwiderung).

Er verteidigt das erstinstanzliche Urteil mit näheren Ausführungen. Bei Dienstleistungen, die "online" vertrieben würden, handele es sich nicht um Verträge iSv. § 312 b Abs. 3 Nr. 6 BGB. Das Landgericht sei zutreffend davon ausgegangen, dass das Tatbestandsmerkmal der Leistungserbringung "zu einem bestimmten Zeitpunkt oder innerhalb eines genau angegebenen Zeitraums" nicht erfüllt sei. Im Fall des OLG Frankfurt habe sich die Leistungszeit nicht nach dem Zeitpunkt des Vertragsschlusses bestimmt. Der Beklagte biete den Zugang zu seiner Internetplattform nicht zu einem im Voraus bestimmten Zeitraum an, sondern nur mit unterschiedlichen Laufzeiten. Die Nutzungszeit sei nicht auf die bei Vertragsschluss gewählte Mindestvertragslaufzeit beschränkt. Nach Nr. 5 der AGB verlängere sich die "Mitgliedschaft", wenn der Nutzer nicht rechtzeitig kündige. Bei § 312 b Abs. 3 Nr. 6 BGB dürfe es sich nicht um Kurse handeln, die letztlich auf Dauer angelegt seien.

Entgegen der Ansicht des Beklagten handele es sich nur um eine Abmahnung, auch wenn diese zwei Gegenstände betreffe. Die Kostenpauschale verlange der Kläger unabhängig vom Streitwert oder der Anzahl der Streitgegenstände. Die Vorbereitung von zwei unterschiedlichen Unterlassungserklärungen sei dem Umstand geschuldet, dass die Erklärungen für die Unterlassung unzulässiger AGB anders gestaltet seien als die Erklärungen für die Unterlassung sonstiger Handlungen.

II.

Die zulässige Berufung des Beklagten ist nicht begründet.

Zu Recht hat das Landgericht der Klage stattgegeben. Das Berufungsvorbringen des Beklagten führt zu keiner abweichenden Beurteilung.

1.

Die Klage ist zulässig.

a)

Der Unterlassungsantrag ist jedenfalls jetzt hinreichend bestimmt im Sinne von § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Insbesondere nimmt er Bezug auf die konkrete Verletzungsform.

b)

Der Kläger ist nach § 8 Abs. 3 Nr. 3 UWG klagebefugt, was der Beklagte nicht in Zweifel zieht.

2.

Die Klage ist auch begründet.

a)

Der Kläger hat gegen den Beklagten einen Anspruch aus §§ 8 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 3; 3 Abs. 1; 4 Nr. 11 UWG iVm. § 312 c Abs. 1 BGB, Art. 246 §§ 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 Nr. 10 EGBGB auf Unterlassung, im Rahmen geschäftlicher Handlungen auf der von ihm betriebenen Internetseite in Bezug auf den dort angebotenen Online-Kurs zur Vorbereitung auf die theoretische Prüfung für die Sportbootführerscheine See und Binnen nicht über ein Widerrufsrecht zu belehren.

Die vorgenannten Vorschriften hinsichtlich der Verpflichtung zur Erteilung einer Widerrufsbelehrung stellen Marktverhaltensregelungen im Sinne von § 4 Nr. 11 UWG dar (vgl. BGH, GRUR 2012, 643 Rn. 15 - Überschrift zur Widerrufsbelehrung). Diese Verbraucherschutzvorschriften verfügen auch über eine europarechtliche Grundlage in Gestalt der Richtlinie 97/7/EG (Fernabsatzrichtlinie).

Unzweifelhaft handelt es sich bei dem Angebot des Beklagten zur Nutzung des Online-Kurses um eine geschäftliche Handlung nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG.

Diese ist unlauter. Auf das Internetangebot des Beklagten finden die Vorschriften über Fernabsatzverträge Anwendung, so dass über das für den Verbraucher bestehende Widerrufsrecht zu belehren ist.

Der Ausnahmefall des § 312 b Abs. 3 Nr. 1 BGB ist hier nicht einschlägig. Denn es handelt sich nicht um einen Vertrag über Fernunterricht nach § 1 des Fernunterrichtsschutzgesetzes (FernUSG). Fernunterricht im Sinne des § 1 Abs. 1 FernUSG ist die auf vertraglicher Grundlage erfolgende, entgeltliche Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten, bei der der Lehrende und der Lernende ausschließlich oder überwiegend räumlich getrennt sind und der Lehrende oder sein Beauftragter den Lernerfolg überwachen. Eine solche Überwachung des Lernerfolgs findet hier nicht statt.

Auch die Ausnahmeregelung des § 312 b Abs. 3 Nr. 6 BGB greift hier nicht ein. Diese Vorschrift gilt bei Verträgen über die Erbringung von Dienstleistungen in den Bereichen Unterbringung, Beförderung, Lieferung von Speisen und Getränken sowie Freizeitgestaltung, wenn sich der Unternehmer bei Vertragsschluss verpflichtet, die Dienstleistungen zu einem bestimmten Zeitpunkt oder innerhalb eines genau angegebenen Zeitraums zu erbringen. Zwar hat das Angebot des Beklagten eine Dienstleistung zum Gegenstand. Der Begriff der Dienstleistungen im Sinne von § 312 b Abs. 3 Nr. 6 BGB ist weit zu verstehen und umfasst alle Rechtsgeschäfte, bei denen es nicht um die Lieferung einer Ware geht (Staudinger/Thüsing, Neubearbeitung 2012, § 312 b BGB Rn. 81). Hier liegt der Schwerpunkt der Leistung des Beklagten in dem Bereithalten des Kursmaterials zum beliebigen Zugriff über das Internet für die angemeldeten Kursteilnehmer während der Laufzeit des Vertrages, die unterschiedlich lang vereinbart werden kann. Das Internetangebot ist mit dem Kauf eines Skriptes über die zu vermittelnden Lerninhalte nicht zu vergleichen, weil es an einer diesbezüglichen Warenlieferung fehlt.

Die Dienstleistung des Beklagten ist auch dem Bereich der Freizeitgestaltung zuzuordnen. Der Begriff der "Freizeitgestaltung" wird im deutschen Verbraucherschutzrecht auch in § 12 Abs. 1 FernUSG verwendet und steht dem in der Richtlinie 97/7/EG ebenfalls verwendeten Begriff der "Freizeitveranstaltung" im Sinne von § 312 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BGB nahe (Junker in: jurisPK-BGB, 6. Aufl. 2012, § 312b BGB Rn. 120). Als Freizeitveranstaltung ist jede Veranstaltung anzusehen, die der Unterhaltung oder dem Zeitvertreib dient. Art und Niveau der Veranstaltung sind unerheblich. Erfasst werden Sport-, Freizeit- und kulturelle Veranstaltungen aller Art. Freizeitveranstaltungen können auch Kurse sein, wie sie etwa Volkshochschulen im Zusammenhang mit der vorgesehenen Gestaltung der Freizeit (und nicht hinsichtlich der Vorbereitung auf eine Berufstätigkeit) anbieten (vgl. Beck’scher Online-Kommentar/Schmidt-Räntsch, § 312b BGB Rn. 55). Unter den Begriff der Freizeitgestaltung fällt vor diesem Hintergrund auch die Teilnahme an einem sog. Online-Kurs zur Vorbereitung auf die theoretische Prüfung für den Sportbootführerschein. Denn der Kurs ist auf eine Gestaltung der Freizeit ausgerichtet. Dem steht es nicht entgegen, dass das Erlernen des Prüfungsstoffes nicht in Gegenwart anderer Kursteilnehmer erfolgt.

Die Dienstleistung des Beklagten ist indes nicht im Sinne von § 312 b Abs. 3 Nr. 6 BGB zu einem bestimmten Zeitpunkt oder innerhalb eines genau angegebenen Zeitraums zu erbringen. Erforderlich ist insoweit, dass die Leistungszeit konkretisiert und eingrenzbar ist (Erman/Saenger, 13. Aufl. 2011, § 312 b BGB Rn. 20). Der Kunde hat hier zwar für einen bestimmten Zeitraum Zugang zu dem Online-Kursangebot des Beklagten, nämlich für die vereinbarte Zeitdauer, die nicht allein die Laufzeit des Vertrages regelt, sondern zugleich auch, wie lange für den Nutzer zunächst (ohne eine mögliche Vertragsverlängerung) das Kursmaterial bereit gestellt wird. Der Nutzungszeitraum beginnt nach den Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Beklagten mit dem Zeitpunkt der Bezahlung bzw. dem Einlösen eines Geschenkgutscheins. Er endet mit dem Ablauf der vereinbarten Laufzeit. Zwar sind an die Konkretisierung der Leistungszeit im Sinne von § 312 b Abs. 3 Nr. 6 BGB keine überspannten Anforderungen zu stellen (Erman/Saenger, 13. Aufl. 2011, § 312 b BGB Rn. 20; MünchKomm/Wendehorst, 6. Aufl. 2012, § 312 b BGB Rn. 83). Bei der Auslegung des Begriffs des genau angegebenen Zeitraums gemäß dieser Vorschrift ist indes zu berücksichtigen, dass die Tatbestandselemente nicht völlig unabhängig voneinander zu betrachten sind, sondern in einer gewissen Wechselbeziehung zueinander stehen. Selbst wenn man im Rahmen einer zergliedernden Betrachtungsweise, wie sie der Beklagte vornimmt, zu dem Ergebnis gelangen könnte, dass alle Anspruchsvoraussetzungen für sich betrachtet vorliegen könnten, führt eine Gesamtschau hier zu einem anderen Ergebnis. Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH sind Bedeutung und Tragweite von Begriffen, die das Gemeinschaftsrecht nicht definiert, entsprechend ihrem Sinn nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch und unter Berücksichtigung des Zusammenhangs, in dem sie verwendet werden, und der mit der Regelung, zu der sie gehören, verfolgten Ziele zu bestimmen. Stehen diese Begriffe in einer Bestimmung, die eine Ausnahme von gemeinschaftsrechtlichen Verbraucherschutzvorschriften darstellt, so sind sie eng auszulegen (EuGH, NJW 2005, 3055 m. w. N.).

Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 97/7/EG, der der Vorschrift des § 312 b Abs. 3 Nr. 6 BGB zugrunde liegt, dient allerdings dem Schutz der Interessen der Anbieter bestimmter Dienstleistungen. Diese Richtlinienbestimmung ist darauf gerichtet, die Erbringer von Dienstleistungen in bestimmten Tätigkeitssektoren deshalb auszunehmen, weil die Anforderungen der Richtlinie sie in unverhältnismäßiger Weise belasten könnten, insbesondere in dem Fall, dass eine Dienstleistung bestellt worden ist und diese Bestellung kurz vor dem für die Erbringung der Dienstleistung vorgesehenen Zeitpunkt vom Verbraucher storniert wird (EuGH, NJW 2005, 3055). Diese Anbieter müssen nämlich in der Regel erhebliche Vorkehrungen treffen, um zu dem genau festliegenden Zeitpunkt oder in dem genau angegeben Zeitraum leistungsfähig zu sein. Dann stehen aber die schutzwürdigen Interessen der Anbieter solcher Dienstleistungen im Vordergrund, damit diesen keine - sonst systembedingt zu erwartenden - unverhältnismäßigen Nachteile durch die Stornierung von Bestellungen der Dienstleistungen, insbesondere kurz vor dem Zeitpunkt, zu dem sie sie zu erbringen wären, entstehen. Verbraucherschutzgesichtspunkte müssen dann zurücktreten.

Unter Berücksichtigung dieser Vorgabe liegt hier ungeachtet der formell festgelegten Leistungszeit eine in dieser Weise belastende zeitliche Festlegung der Leistung des Beklagten, die einen Vorrang seiner Interessen begründen könnte, nicht vor. Die Teilnahme an dem Internet-Kurs in Form der Möglichkeit des Abrufs der elektronisch vorgehaltenen Unterlagen ist nicht in einer solchen Weise auf einen bestimmten Zeitpunkt oder einen genau angegebenen Zeitraum festgelegt, dass der Beklagte derartige Dispositionen treffen muss, die im Falle eines Widerrufs der Vertragserklärung zu unverhältnismäßigen Nachteilen für ihn führen können. Das gilt auch in Anbetracht dessen, dass an die Konkretisierung des genauen Zeitraums keine überhöhten Anforderungen zu stellen sind. Für den Beklagten ist es offen, wann und wie oft der einzelne Nutzer von seinem Nutzungsrecht innerhalb des vereinbarten Zeitraums Gebrauch macht und sich die vorgehaltenen Unterlagen ansieht. Er weiß auch nicht, ob überhaupt und wann ein Kunde die Möglichkeit nutzt, telefonisch mit ihm Kontakt aufzunehmen. Diese Umstände stehen einer Festlegung der Leistungszeit im Sinne des § 312 b Abs. 3 Nr. 6 BGB entgegen. Es existieren lediglich unterschiedliche Vertragslaufzeiten, die dann auch unterschiedliche Zeiten für die Leistungserbringung zur Folge haben. Zudem ist die Frist, in der das Kursmaterial vorgehalten wird, jedenfalls bei einer Nutzungsdauer von sechs Monaten so lang, dass sie sich im Ungewissen verliert, zumal sich die Vertragslaufzeit nach den Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Beklagten bei Ausbleiben einer rechtzeitigen Kündigung verlängert. Für den Beklagten findet eine "Entzerrung" durch eine lange Vertragsdauer ebenso statt wie durch den jeweils unterschiedlichen Zeitlauf der Verträge. Diese Unwägbarkeiten stehen der Annahme eines genauen Zeitraums der Leistungserbringung und somit entsprechenden Dispositionen des Beklagten, die zu unverhältnismäßigen Belastungen für ihn führen könnten, entgegen. Soweit sich die Zeitdauer der Dienstleistung mangels Kündigung des Vertrags automatisch verlängert, liegt ein Fall einer dauerhaften Leistung ohne bestimmbaren Zeitrahmen vor, der ohnehin nicht von der Ausnahmebestimmung des § 312 b Abs. 3 Nr. 6 BGB erfasst wird (vgl. Beck’scher Online-Kommentar/Schmidt-Räntsch, § 312 b BGB Rn. 55). Nach alledem gebietet der Zweck der Ausnahmeregelung hier nicht in vergleichbarer Weise die Einschränkung der Verbraucherschutzrechte, wie es für andere Fälle der Dienstleistungen im Bereich der Freizeitgestaltung gilt, insbesondere für solche, die zu einem bestimmten Zeitpunkt angeboten werden. Auch wenn es nicht Voraussetzung für die Anwendung des § 312 b Abs. 3 Nr. 6 BGB ist, dass eine unverhältnismäßige Belastung des Unternehmers im Einzelfall tatsächlich festzustellen ist (OLG Frankfurt, MDR 2010, 1039), muss eine solche aber zumindest mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit entstehen können. Davon ist nach dem Vorbringen des Beklagten nicht auszugehen. Dass ein Kunde die Dienstleistung bereits ganz oder teilweise in Anspruch genommen hat, bevor er rechtzeitig seine Vertragserklärung widerruft, stellt keinen unverhältnismäßigen Nachteil für den Beklagten dar. In einem solchen Fall mag ihm ein Wertersatzanspruch zustehen. Dass er unter Umständen Schwierigkeiten haben könnte, einen solchen Anspruch zu beziffern und gegen einen Kunden durchzusetzen, bedeutet ebenfalls keinen unverhältnismäßigen Nachteil. Der Beklagte hat zudem weder hinreichend vorgetragen noch ist sonst ersichtlich, inwieweit das Vorhalten oder Ändern von Server- und Netzwerkkapazitäten von einzelnen Buchungen abhängen und zu unverhältnismäßigen Beeinträchtigungen im Fall des Widerrufs einer Vertragserklärung führen soll. Inwieweit eine telefonische Betreuung der Kursteilnehmer erforderlich ist und entsprechende Anfragen bei dem Beklagten eingehen, hat er ebenfalls nicht näher dargelegt. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Aufwendungen für solche Vorhaltemaßnahmen vergleichbar sind mit den möglichen Nachteilen, die infolge von Widerrufserklärungen entstehen, die Verträge mit Reservierungen im Rahmen eines bestimmten Kontingents betreffen.

Selbst wenn man gleichwohl davon ausginge, dass die Dienstleistung im Sinne von § 312 b Abs. 3 Nr. 6 BGB innerhalb eines genau angegebenen Zeitraums zu erbringen ist, wäre eine Dienstleistung der vom Beklagten angebotenen Art im Wege der teleologischen Reduktion aus den vorstehend dargelegten Gründen vom Anwendungsbereich des § 312 b Abs. 3 Nr. 6 BGB auszunehmen. Während bei einer solchen Vertragsgestaltung von einer unverhältnismäßigen Belastung des Beklagten im Falle eines Widerrufs nicht auszugehen ist, kann auf Seiten des von dem Angebot angesprochenen Verbrauchers nicht unberücksichtigt bleiben, dass er in der Praxis keine Möglichkeit hat, vor Abschluss des Vertrags die Eigenschaften der Dienstleistung im Einzelnen zur Kenntnis zu nehmen (vgl. den Erwägungsgrund 14 der Richtlinie 97/7/EG). Das kann gerade bei dem Angebot eines Internet-Kurses, bei dem das Kursmaterial erst nach Vertragsschluss abrufbar ist, von besonderer Bedeutung sein. Insoweit unterscheidet sich der vorliegende Fall von dem Sachverhalt, der dem Urteil des OLG Frankfurt (a. a. O.) zugrunde lag und bei dem es um den Internet-Vertrieb einer Bahnfahrkarte ging, die den Käufer innerhalb eines Zeitraums von 11 Wochen zu zwei einfachen Bahnfahrten seiner Wahl berechtigte. In einem solchen Fall ist dem Verbraucher die angebotene Dienstleistung bereits vor Vertragsschluss hinreichend bekannt.

Mithin hat der Beklagte dadurch, dass er hinsichtlich des von ihm angebotenen Online-Kurses unstreitig nicht über ein Widerrufsrecht des Verbrauchers belehrt hat, gegen § 312 c Abs. 1 BGB, Art. 246 §§ 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 Nr. 10 EGBGB verstoßen.

Der Wettbewerbsverstoß des Beklagten beinhaltet auch eine spürbare Beeinträchtigung iSv. § 3 Abs. 1 UWG, weil dieser zu einem erheblichen Wettbewerbsvorteil für ihn führen kann.

Das Bestehen einer Wiederholungsgefahr wird aufgrund des Wettbewerbsverstoßes tatsächlich vermutet. Eine strafbewehrte Unterlassungserklärung hat der Beklagte nicht abgegeben.

b)

Da die Abmahnung des Klägers bezüglich der fehlenden Belehrung über das Widerrufsrecht berechtigt war, steht ihm auch ein Anspruch gegen den Beklagten aus § 12 Abs. 1 S. 2 UWG auf Erstattung der Abmahnkosten in Höhe von 214,00 € zu. Zwar hat der Kläger mit der Abmahnung auch Verstöße betreffend die vom Beklagten verwendeten Allgemeinen Geschäftsbedingungen geltend gemacht, die er nicht weiter verfolgt hat, und dem Schreiben zwei gesonderte vorbereitete Unterlassungserklärungen beigefügt. Gleichwohl handelt es sich nur um eine Abmahnung, die sich allerdings auf zwei unterschiedliche Gegenstände erstreckt. Bei der Abmahnkostenpauschale, die von einem Verband in Rechnung gestellt werden kann, kommt keine Kürzung in Betracht; denn die Höhe der Abmahnkostenpauschale ist nicht von der Zahl der abgemahnten Verstöße abhängig. Die Kostenpauschale ist auch dann in voller Höhe zu zahlen, wenn die Abmahnung nur teilweise berechtigt war (Köhler/Bornkamm, 31. Aufl., § 12 UWG Rn. 1. 96b und 1. 99 m. w. N.).

Der Zinsanspruch folgt aus §§ 291, 288 Abs. 1 S. 2 BGB.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

Die Revision wird vom Senat nicht zugelassen. Die Voraussetzungen einer solchen Zulassung gemäß § 543 ZPO liegen nicht vor. Der Rechtsstreit hat keine grundsätzliche Bedeutung. Eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs ist auch nicht zum Zwecke der Rechtsfortbildung oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geboten. Der Senat weicht nicht von Entscheidungen anderer Oberlandesgerichte oder von einer höchstrichterlichen Rechtsprechung ab.






OLG Hamm:
Urteil v. 21.02.2013
Az: 4 U 135/12


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/c2be8606b61f/OLG-Hamm_Urteil_vom_21-Februar-2013_Az_4-U-135-12




Diese Seite teilen (soziale Medien):

LinkedIn+ Social Share Twitter Social Share Facebook Social Share