Bundespatentgericht:
Beschluss vom 23. November 2004
Aktenzeichen: 11 W (pat) 41/03
(BPatG: Beschluss v. 23.11.2004, Az.: 11 W (pat) 41/03)
Tenor
1. Auf die Beschwerde der Patentinhaberin wird der Beschluß der Patentabteilung 14 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 4. Juni 2003 aufgehoben und der Einspruch als unzulässig verworfen.
2. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
I.
Die Erteilung des Patents DE 44 31 880 mit der Bezeichnung "Vorrichtung zum Ausrichten eines Linsenrohlings" wurde am 7. Mai 1997 veröffentlicht.
Beim Deutschen Patentamt (seit dem 1. November 1998 "Deutsches Patent- und Markenamt") ist am 5. August 1997 durch Postübersendung der gegen dieses Patent gerichtete Einspruchsschriftsatz vom 4. August 1997 unvollständig, nämlich nur mit den Seiten 1 bis 5, versehentlich in Folge einer Verwechslung zusammen mit der original unterschriebenen Seite 2 eines für das Europäische Patentamt bestimmten Schriftsatzes eingegangen. Beigefügt waren zwei Kopien des gesamten unterschriebenen Einspruchsschriftsatzes mit den Seiten 1 bis 6 als Doppel. Die letzte, mit der Unterschrift versehene Originalseite 6 des Einspruchsschriftsatzes ging am 6. August 1997 beim Europäischen Patentamt ein, wurde als Irrläufer zurückgesandt und von der Einsprechenden am 23. August 1997 beim Deutschen Patentamt eingereicht.
Die Patentabteilung 14 hat durch Zwischenbescheid ihres Vorsitzenden vom 26. Februar 1998 den Antrag der Patentinhaberin, vorab über die Zulässigkeit des Einspruchs zu entscheiden, zurückgewiesen. Eine Vorab- oder Zwischenentscheidung sei nicht notwendig. Auf Grund der Verwaltungsvereinbarung zwischen dem Deutschen Patentamt und dem Europäischen Patentamt über den Zugang von Schriftstücken und Zahlungsmitteln vom 29. Juni 1981, geändert am 13. Oktober 1989, sei die fehlende und beim Europäischen Patentamt innerhalb der Einspruchsfrist eingegangene unterschriebene Seite 6 des Einspruchsschriftsatzes als im Deutschen Patentamt rechtzeitig eingegangen zu werten.
Die Patentabteilung 14 des Deutschen Patent- und Markenamts hat das Patent nach Prüfung des Einspruchs durch Beschluß vom 4. Juni 2003 widerrufen. Die Zulässigkeit des Einspruchs ist von ihr im wesentlichen mit der Begründung bejaht worden, der rechtzeitig eingegangene Einspruch erfülle das Schriftformerfordernis, weil ihm eine vom Vertreter der Einsprechenden im Original unterschriebene letzte Seite beigefügt gewesen sei. Hierbei komme es nicht auf die Schlüssigkeit des die vorletzte und letzte Seite überbrückenden Satzes an. Es könne dahingestellt bleiben, ob die beim Deutschen Patent- und Markenamt am 23. August 1997 eingegangene korrekte letzte Seite durch den fristgerechten Zugang beim Europäischen Patentamt auf Grund des Verwaltungsabkommens vom 29. Juni 1981 als rechtzeitig zugegangen gelten müsse.
Die Patentinhaberin hat gegen diesen ihr am 30. Juni 2003 zugestellten Beschluß am 25. Juli 2003 Beschwerde eingelegt.
Sie vertritt die Ansicht, der Einspruch sei unzulässig. Der Einspruchsschriftsatz genüge nicht dem Erfordernis der Schriftlichkeit, weil er nicht die eigenhändige Unterschrift der verantwortlich zeichnenden natürlichen Person trage. Die zufällig mitübersandte, unterschriebene Seite gehöre zu einem anderen, nicht das Streitpatent betreffenden Einspruch, der an das Europäische Patentamt gelangen sollte. Die nachgereichte Seite 6 des Einspruchsschriftsatzes sei beim Deutschen Patent- und Markenamt verspätet eingegangen. Für ihre Übersendung an das Europäische Patent- und Markenamt gelte die Verwaltungsvereinbarung nicht.
Die Patentinhaberin beantragt, den angefochtenen Beschluß des Patentamts aufzuheben und das Patent in vollem Umfang aufrechtzuerhalten.
Die Einsprechende beantragt sinngemäß, die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie trägt zur Zulässigkeit des Einspruchs vor, dem rechtzeitig eingegangenen Einspruch habe eine im Original unterschriebene letzte Seite beigelegen. Die fehlende Seite 6 mit Unterschrift sei in Kopie ebenfalls innerhalb der Einspruchsfrist eingegangen. Es könne allenfalls beanstandet werden, daß die nur in Kopie innerhalb der Einspruchsfrist eingegangene Seite 6 nicht rechtzeitig mit der Originalunterschrift versehen eingegangen sei. Der prozessualen Billigkeit liefe es zuwider, wenn der Einspruch auf Grund der Forderung vollkommener Formstrenge als insgesamt unzulässig angesehen würde.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Akten, insbesondere die Schriftsätze der Beteiligten, Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde der Patentinhaberin ist begründet, weil der Einspruch unzulässig ist.
Der Senat vermag der Beurteilung der Patentabteilung in dem angegriffenen Beschluß, der Einspruch sei am 5. August 1997 gemäß § 59 Abs 1 Satz 1 und 2 PatG rechtzeitig innerhalb der Einspruchsfrist schriftlich mit dem eigenhändig unterschriebenen Einspruchsschriftsatz vom 4. August 1997 beim Deutschen Patentamt frist- und formgerecht erhoben worden, nicht zu folgen.
Zur Schriftform - für den Einspruch in § 59 Abs 1 Satz 2 PatG ausdrücklich vorgeschrieben - gehört bei Einreichung als Schriftstück die eigenhändige Unterschrift der für die Erklärung verantwortlich zeichnenden natürlichen Person, die bei fristgebundenen Verfahrenshandlungen spätestens bei Fristablauf vorliegen muß (vgl Schulte, Patentgesetz, 6. Auflage 2001, § 59 Rdn 25, Vor § 34 Rdn 248 ff, 253, 254; Busse, Patentgesetz, 6. Auflage 2003, § 59 Rdn 48, 49, Vor § 34 Rdn 59, 61; Benkard, Patentgesetz, 9. Auflage 1993, § 59 Rdn 14, Vor § 35 Rdn 23; Thomas/Putzo, ZPO, 26. Auflage 2004, § 129 Rdn 5, 6; BPatGE 33, 24, 25 f = BlPMZ 1992, 427, 429; BPatGE 42, 200, 202 = GRUR 2000, 795, 796 - Eigenhändige Unterschrift). Nach ständiger Rechtsprechung ist die eigenhändige Unterschrift unerläßliche Wirksamkeitsvoraussetzung für Rechtsmittelschriften und sonstige fristwahrende bestimmende Schriftsätze. Durch die Unterschrift und die damit vorausgesetzte Schriftlichkeit der Erklärung muß insbesondere sichergestellt werden, daß es sich bei dem Schriftstück nicht nur um einen Entwurf handelt, sondern es mit Wissen und Willen des Berechtigten dem Empfänger zugeleitet worden ist (vgl BGHZ 107/1990, 129, 132; BGH GRUR 1967, 586, 587 f - Rohrhalterung).
Die Ansicht der Patentabteilung, die den Seiten 1 bis 5 des Einspruchsschriftsatzes beigefügte, vom Vertreter der Einsprechenden im Original unterschriebene letzte Seite eines anderen Schriftsatzes erfülle das Schriftformerfordernis, hält der Senat nicht für haltbar. Das Deutsche Patentamt konnte nämlich von vornherein ohne weiteres erkennen, daß die letzte unterschriebene Schriftsatzseite schon formal nicht zu den Seiten 1 bis 5 des Einspruchsschriftsatzes gehörte und verwechselt worden war. Dazu bedurfte es sicher nicht erst einer Prüfung der Schlüssigkeit der Einspruchsbegründung. Denn das mit der Unterschrift versehene Blatt war als Seite 2 gekennzeichnet und wirkte auch optisch andersartig, weil es im Gegensatz zu den Seiten 2 bis 5 des Einspruchsschriftsatzes eine unterschiedliche Papierbogenart mit einer aufgedruckten Kopfleiste aufwies, die - durch eine deutliche Linie vom darunter befindlichen Text getrennt - Angaben zum anwaltlichen Vertreter enthält. Dieser Eindruck wurde noch dadurch bestätigt, daß dieses Blatt sich offenbar an den begonnenen Satz am Ende der Seite 5 des Einspruchsschriftsatzes nicht passend anschloß und der Vergleich mit den gleichzeitig eingegangenen Kopien die Fassung der korrekte Seite 6 zeigte. Die Unterschrift auf dieser Seite 2 konnte daher schon zur Zeit des Eingangs beim Deutschen Patentamt nicht den Seiten 1 bis 5 des Einspruchsschriftsatzes zugeordnet werden. So hat das Europäische Patentamt, das die fehlende Seite 6 des Einspruchsschriftsatzes erhalten hatte, den Irrtum gleich bemerkt und den Vertreter der Einsprechenden darauf hingewiesen. Aus der maßgeblichen Sicht des Deutschen Patentamts bestand aber die Möglichkeit, daß der Vertreter der Einsprechenden die unterschriebene Seite 6 absichtlich zurückbehalten hat, etwa weil er noch keine endgültige Weisung seiner Mandantin zur Erhebung des Einspruchs erhalten hatte (vgl dazu zB Beschluß des Senats vom 9. August 2004 - 11 W (pat) 334/04 - vollmachtloser Vertreter).
Die Rechtsprechung hat zwar auch im Falle der Übersendung durch Briefpost Ausnahmen vom Unterschriftserfordernis zugelassen und das Fehlen der eigenhändigen Unterschrift für unschädlich gehalten, wenn sich aus besonderen Umständen eine der Unterschrift vergleichbare Gewähr für die Urheberschaft und den Willen ergibt, das Schriftstück in den Rechtsverkehr zu bringen. Dies ist allerdings nur dann angenommen worden, wenn ein damit zusammenhängendes anderes Schriftstück, das gleichzeitig oder zumindest fristgerecht eingereicht worden ist, unmittelbar Bezug nimmt und selbst eigenhändig unterschrieben ist (vgl BGHZ 107/1990, 129, 134; BVerwG NJW 2003, 1544; BPatGE 33, 24, 26; BPatGE 45, 14, 17; jeweils mit Beispielen und Nachweisen). Dies ist hier aber nicht der Fall. Eine Kopie der Unterschrift reicht nicht aus, so daß die als Doppel anliegenden Kopien des vollständigen Einspruchsschriftsatzes die mangelnde Originalunterschrift nicht ersetzen konnten (vgl Busse aaO Vor § 34 Rdn 61; Schulte aaO Vor § 34 Rdn 259; BPatGE 25, 41, 42).
Die notwendige eigenhändige Unterschrift kann wirksam nur innerhalb der Einspruchsfrist nachgeholt werden (vgl Schulte aaO § 59 Rdn 25; BGHZ 107, 129, 135). Die nachgereichte Seite 6 des Einspruchsschriftsatzes mit der Unterschrift im Original ging verspätet, nämlich erst am 23. August 1997 beim Deutschen Patentamt ein. Die Wiedereinsetzung in die Frist zur Erhebung des Einspruchs ist gemäß § 123 Abs 1 Satz 2 PatG ausgeschlossen.
Demnach ist der am 5. August 1977 beim Deutschen Patentamt eingereichte Einspruch zwar rechtzeitig eingegangen, aber unwirksam, da die letzte Seite 6 des Originals fehlte und der unvollständige Einspruchsschriftsatz daher nicht eigenhändig unterschrieben war.
Der Einspruch kann auch nicht deshalb als wirksam erhoben angesehen werden, weil die unterschriebene letzte Seite 6 des Einspruchsschriftsatz-Originals innerhalb der Einspruchsfrist am 6. August 1997 versehentlich beim Europäischen Patentamt einging.
Der Einspruch gegen ein deutsches Patent muß beim Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA) - früher "Deutsches Patentamt" - erhoben werden. Der Eingang beim DPMA ist Voraussetzung für einen wirksamen Einspruch (vgl Schulte aaO § 59 Rdn 21; Busse aaO Vor § 34 Rdn 65; Benkard aaO § 59 Rdn 13; BPatG BlPMZ 1992, 361, 362). Dies wird in § 59 PatG zwar nicht ausdrücklich erwähnt, ergibt sich aber bereits aus der Überschrift "Verfahren vor dem Patentamt" des Dritten Abschnitts des Patentgesetzes (§§ 34 bis 64 PatG). Ein anderer möglicher Adressat des Einspruchs ist weder durch Gesetz (vgl §§ 34 Abs 2, 35 Abs 2 Satz 1 Nr 2 PatG für Patentanmeldungen) noch durch Rechtsverordnung zugelassen worden.
Die "Verwaltungsvereinbarung zwischen dem Deutschen Patentamt und dem Europäischen Patentamt über den Zugang von Schriftstücken und Zahlungsmitteln" vom 29. Juni 1981 in der geänderten Fassung vom 13. Oktober 1989 (BlPMZ 1981, 278; BlPMZ 1989, 373; Tabu DPMA 331) - im Folgenden: Verwaltungsvereinbarung - regelt jedoch das Problem von Irrläufern. Sie soll dem Zweck dienen, "ungerechtfertigte" Rechtsverluste der Beteiligten zu vermeiden, wenn eine Eingabe versehentlich dem falschen Amt zugeht (vgl Schulte aaO, Vor § 34 Rdn 65). Auf Grund dieser Verwaltungsvereinbarung wird in der Praxis davon ausgegangen, daß das Europäische Patentamt (EPA) und das DPMA fehlgeleitete Eingaben mit Wirkung für das zutreffende Amt empfangen (vgl Schulte aaO, Vor § 34 Rdn 65).
Die Verwaltungsvereinbarung sieht in seinem Artikel 2 insbesondere vor:
(1) Die Annahmestellen des Europäischen Patentamts ... leiten an das Deutsche Patentamt gerichtete Schriftstücke, die ihnen zugehen, unmittelbar an die jeweils nächste Dienststelle des Deutschen Patentamts weiter.
(2) Auf jedem Schriftstück wird das Eingangsdatum in der beim Europäischen Patentamt üblichen Weise vermerkt....
(3) Die Schriftstücke werden vom Deutschen Patentamt im Rahmen des jeweils in der Bundesrepublik Deutschland geltenden Rechts so behandelt, als seien sie unmittelbar beim Deutschen Patentamt eingegangen. .....
Der Senat hält die mit der Verwaltungsvereinbarung beabsichtigte Regelung und Anwendung jedenfalls insoweit für rechtswidrig, als das Eingangsdatum von zunächst an das EPA fehlgeleiteten Schriftstücken, die beim DPMA einzureichen sind, nach dem Tag des Zugangs beim EPA bestimmt wird. Der 4. Senat (Juristischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts hatte in seiner Entscheidung vom 14. Januar 1991 (BlPMZ 1992, 361 ff) bereits erhebliche Bedenken gegen die Verwaltungsvereinbarung geäußert.
Bei der Verwaltungsvereinbarung handelt es sich um einen öffentlichrechtlichen Vertrag im Sinne des § 54 Satz 1 VwVfG, der ein Rechtsverhältnis auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts begründet. Als verwaltungsrechtlicher Vertrag enthält die Verwaltungsvereinbarung (in Artikel 2) eine verfahrensrechtlich erhebliche Bestimmung des Zugangsdatums von Schriftstücken beim DPMA in außergewöhnlichen Fällen (Irrläufer), durch die praktisch eine Annahmebefugnis des EPA mit Wirkung für das DPMA und die Verfahrensbeteiligten gewährt worden ist. Dabei kommt es hier nicht darauf an, ob dies rechtlich durch Zugangsfiktion entsprechend dem Wortlaut des Artikel 2 Absatz 3 Satz 1 ("Die Schriftstücke werden vom Deutschen Patentamt ... so behandelt, als seien sie unmittelbar beim Deutschen Patentamt eingegangen."), durch Postvollmacht (vgl Artikel 4 der Verwaltungsvereinbarung), Empfangsvollmacht oder ein sonstiges Besitzmittlungsverhältnis (vgl BPatG BlPMZ 1992, 361, 362) konstruiert werden sollte.
Zweifelhaft erscheint bereits, ob das DPMA - damals "Deutsches Patentamt" - als Bundesoberbehörde (im Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz) mit einer internationalen Verwaltungsbehörde europäischen Rechts überhaupt einen öffentlichrechtlichen Verwaltungsvertrag schließen durfte. Denn das Verwaltungsverfahrensgesetz, insbesondere die Regelung des öffentlichrechtlichen Vertrages in §§ 54 ff VwVfG, gilt nach § 1 VwVfG nur für innerstaatliche nationale Behörden (vgl auch Art 32, 59 GG) sowie nach § 2 Abs 2 Nr 3 VwVfG ausdrücklich nicht für Verfahren vor dem Deutschen Patent- und Markenamt. Da § 54 VwVfG als Rechtsgrundlage die Zulässigkeit des öffentlichrechtlichen Vertrages begründet, für Verfahren vor dem DPMA jedoch gemäß § 2 Abs 2 Nr 3 VwVfG gerade nicht anzuwenden ist, muß grundsätzlich davon ausgegangen werden, daß das DPMA keine öffentlichrechtlichen Verträge über Verfahrensfragen abschließen kann (vgl auch: Stelkens/Bonk, Verwaltungsverfahrensgesetz, 6. Auflage 2001, § 2 Rdn 2, 3, 86, § 54 Rnd 1, 2, 6, 90; Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Bd 1, 4. Auflage 2001, Vor § 145 Rdn 35, 36; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 13. Auflage 2000, § 14 Rdn 3, S 349).
Aber selbst dann, wenn hier unterstellt wird, daß nach allgemeinen verwaltungsrechtlichen Grundsätzen analog §§ 54 ff VwVfG öffentlichrechtliche Vereinbarungen des DPMA mit anderen Behörden über das Verfahren zulässig sein können, hat jedenfalls die inhaltliche Regelung der Anerkennung des Eingangstages beim EPA in Artikel 2 der Verwaltungsvereinbarung schon zur Zeit des Vertragsabschlusses gegen geltendes Recht verstoßen.
Öffentlichrechtliche Verträge sind nach § 54 Satz 1 VwVfG nur zulässig, soweit Rechtsvorschriften nicht entgegenstehen. Diese Bedingung der Erlaubnis mit Verbotsvorbehalt erfüllt rechtsstaatliche verfassungsrechtliche Anforderungen, insbesondere die Grundsätze der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, des Vorranges und des Vorbehalts des Gesetzes (vgl Stelkens/Bonk, VwVfG, aaO, § 54 Rdn 6, 12, 13, 90, 94 - 96). Vertragshandeln ist nur insoweit zulässig und rechtsbeständig, als materiell- und verfahrensrechtlich hinsichtlich der Tatbestands- und Rechtsfolgenseite normative (gesetzliche) Spielräume bestehen (vgl Stelkens/Bonk, aaO, § 54 Rdn 12, 90). Entgegenstehende Rechtsvorschriften iSd § 54 VwVfG sind vornehmlich Regelungen und allgemeine Rechtsprinzipien des Verfassungsrechts sowie einfachgesetzliche Regelungen in Gesetzen und Rechtsverordnungen, die ihrem Sinn und Zweck nach eine Regelung durch Vertrag ausschließen; sie können sich auf die Handlungsform des öffentlichrechtlichen Vertrages oder auf den konkreten Vertragsinhalt beziehen (vgl Stelkens/Bonk, aaO, § 54 Rdn 13, 90, 94; Maurer, aaO, § 14 Rdn 26).
Der vertraglichen Regelung des Eingangstages in Artikel 2 der Verwaltungsvereinbarung hat aber die Ermächtigungsnorm des § 28 Abs 1 PatG a.F. - vor 1981: § 22 Abs 1 PatG, seit dem 1. Januar 2002: § 28 PatG, seit dem 13. März 2004 neu gefaßt (durch Art 2 Abs 7 Nr 1 iVm Art 6 Abs 2 Satz 1 Geschmacksmusterreformgesetz BGBl 2004 Teil 1, 390 ff, 404, 413 - entgegengestanden, die lautete:
"Der Bundesminister der Justiz regelt die Einrichtung und den Geschäftsgang des Patentamts und bestimmt durch Rechtsverordnung die Form des Verfahrens, soweit nicht durch Gesetz Bestimmungen darüber getroffen sind."
Im Gesetz nicht enthaltene, weitere Bestimmungen über die Form des Verfahrens (in Patentangelegenheiten) sind also schon zur Zeit des Abschlusses der Verwaltungsvereinbarung ausschließlich einer Rechtsverordnung vorbehalten gewesen. Auf Grund dieser gesetzlichen Ermächtigung ist in § 13 DPAVO (später: DPAV, dann: DPMAV) vom 5. September 1968 - nunmehr in § 8 Abs 1 DPMAV vom 1. April 2004 (BlPMZ 2004, 296, 298) - für das DPMA vorgeschrieben worden:
"Auf den Geschäftssachen wird der Tag des Eingangs vermerkt."
Die Feststellung des Eingangstages von Schriftstücken beim DPMA gehört sicher zur "Form des Verfahrens" iSd § 28 PatG, für die es einer Rechtsverordnung bedurfte, und nicht zur Einrichtung und zum Geschäftsgang des Patentamts, die nach der früheren Fassung des § 28 PatG (bis zum 12. März 2004) der Organisationsgewalt des Präsidenten des DPMA zugerechnet werden (vgl § 12 DPAV/DPMAV a. F.; Busse, aaO, § 26 Rdn 15 - 18, § 28 Rdn 2, 3; Goebel, GRUR 1986, 494, 495 f). Denn ein Verfahren beginnt mit dem Zugang verfahrenseinleitender Schriftsätze beim DPMA (vgl zB §§ 34 Abs 1, 35 Abs 2 PatG).
Das Deutsche Patentamt war also auch gemäß § 54 Satz 1 VwVfG analog iVm § 28 Abs 1 PatG a.F. nicht befugt, im Wege der Verwaltungsvereinbarung als öffentlichrechtlichem Vertrag eine vom geltenden Recht abweichende Feststellung des Eingangsdatums zu ermöglichen, da es durch den Rechtsverordnungsvorbehalt daran gehindert war.
Außerdem muß die Verwaltungsvereinbarung inhaltlich als unwirksam angesehen werden, soweit sie mit der Anerkennung des Eingangsdatums beim EPA mit Wirkung für das DPMA einen Vertrag zu Lasten Dritter darstellt. Verträge zu Lasten Dritter sind zivilrechtlich ebenso wie auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts grundsätzlich unwirksam (vgl Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Bd 2, 4. Auflage 2001, § 328 Rdn 171; Stelkens/Bonk, VwVfG, aaO, § 58 Rdn 2, 8, 10; Wolff/Bachof, Verwaltungsrecht I, 10. Auflage 1994, § 54 Rdn 40). Diesen Grundsatz konkretisiert § 58 Abs 1 VwVfG, wonach ein öffentlichrechtlicher Vertrag, der in Rechte Dritter eingreift, erst wirksam wird, wenn der Dritte schriftlich zustimmt. Ein Eingriff setzt dabei kein bewußtes oder gewolltes Handeln voraus, sondern liegt dann vor, wenn objektiv der rechtliche Status eines Dritten verschlechtert, vermindert oder beeinträchtigt wird (vgl Stelkens/Bonk, aaO, § 58 Rdn 13). Die Verwaltungsvereinbarung bezweckt im Wesentlichen, im Falle von Irrläufern an das unzutreffende Patentamt Rechtsverluste der Antragsteller zu vermeiden, wenn der Eingangstag von Schriftstücken - insbesondere für den Anmeldetag, die Priorität oder die Einhaltung von gesetzlichen Fristen - von rechtserheblicher Bedeutung ist (vgl Schulte aaO, Vor § 34 Rdn 65). Die Regelung in Absatz 3 Satz 1 der Verwaltungsvereinbarung, nach der die versehentlich beim EPA eingegangenen Schriftstücke vom DPMA so behandelt werden, als seien sie unmittelbar beim DPMA eingegangen, greift demgemäß in vielfältiger Weise in Rechte Dritter ein. Denn danach wird in der Regel ein früherer Tag des Eingangs beim DPMA festgestellt als der tatsächliche infolge der Weiterleitung. Dies führt bei Anmeldungen zu einer Vorverlegung des Zeitranges, der Priorität, und wirkt sich zu Lasten Dritter insbesondere auf den Stand der Technik (§§ 3, 4 PatG) aus. Wird eine gesetzliche Frist nur auf Grund der Anwendung der Verwaltungsvereinbarung gewahrt, dient dies zwar dem Rechtserhalt des Antragstellers, beeinträchtigt jedoch die Rechtsposition Dritter. So kann ein eigentlich unzulässiger, aber wegen der Verwaltungsvereinbarung als zulässig angesehener Einspruch zu Lasten des Patentinhabers gemäß § 61 PatG den Widerruf oder die Beschränkung des Patents zur Folge haben. Der Gesetzgeber mißt der Einhaltung gesetzlicher Fristen sowie den Rechtsnachteilen infolge Fristüberschreitungen im Interesse der Rechtssicherheit große Bedeutung bei (vgl zB BGH GRUR 1984, 337, 338 a.E. - Schlitzwand). Für Fälle der Nichteinhaltung einer Frist hat der Gesetzgeber nämlich strenge Voraussetzungen der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vorgeschrieben (zB § 123 PatG). Die Wiedereinsetzung in die Frist zur Erhebung des Einspruchs (§ 59 Abs 1 Satz 1 PatG) ist nach § 123 Abs 1 Satz 2 PatG sogar ausgeschlossen. Soweit die Verwaltungsvereinbarung die Wahrung gesetzlicher Fristen ermöglicht, steht sie im Widerspruch zu den Vorschriften über die Wiedereinsetzung und verschafft einerseits Antragstellern einen rechtswidrigen Vorteil, der andererseits Rechtsnachteile Dritter auslöst. Eine Zustimmung der betroffenen Dritten, in deren Rechte durch die Verwaltungsvereinbarung eingegriffen wird, gemäß § 58 Abs 1 VwVfG kommt natürlich nicht in Betracht.
Die vorsorglich in Artikel 2 Absatz 3 Satz 1 der Verwaltungsvereinbarung aufgenommene Vorbehaltsklausel "im Rahmen des jeweils in der Bundesrepublik Deutschland geltenden Rechts" läßt somit der eigentlich beabsichtigten Regelung "Die Schriftstücke werden vom Deutschen Patentamt so behandelt, als seien sie unmittelbar beim Deutschen Patentamt eingegangen." keinen Raum und hebt sie zugleich auf.
Der 4. Senat (Juristischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts hat zwar bereits in seiner Entscheidung vom 14. Januar 1991 (BPMZ 1992, 361 ff) festgestellt, daß in der Verwaltungsvereinbarung der Zeitpunkt des Eingangs von an das Patentamt gerichteten, beim EPA eingegangenen fristgebundenen Schriftstücken nicht mit bindender Wirkung festgelegt und die Bewertung des Vorgangs nicht vorweggenommen werden könne. Desweiteren hat er in dieser Entscheidung dann aber angenommen, die Veröffentlichung der Verwaltungsvereinbarung habe einen Vertrauenstatbestand geschaffen, da sie bei Rechtssuchenden den Eindruck erwecke, an das Patentamt gerichtete Schriftstücke könnten allgemein fristwahrend auch beim EPA eingereicht werden. Dem müsse vom Patentamt und den Gerichten Rechnung getragen werden. Die Rechtsunsicherheit, die durch die einschränkende Bezugnahme auf das geltende Recht in der Verwaltungsvereinbarung entstanden sei, könne der Öffentlichkeit, insbesondere der Einsprechenden, nicht überbürdet werden. Im Anschluß an diese Entscheidung ist die Zugangsregelung der Verwaltungsvereinbarung in der Praxis und Rechtsprechung anscheinend nicht mehr in Frage gestellt worden.
Der erkennende Senat vermag der Rechtsauffassung, die rechtswidrige Zugangsregelung der Verwaltungsvereinbarung genieße Vertrauensschutz, nicht zu folgen. Irrläufer werden nämlich gerade nicht im Vertrauen auf die Geltung der Verwaltungsvereinbarung, sondern in Kenntnis des richtigen Adressaten versehentlich an das EPA statt an das DPMA gesandt. Die Verwaltungsvereinbarung wird in der Literatur nur selten erwähnt und dürfte nur Patentanwälten und einigen Rechtsanwälten bekannt sein, bei denen die erforderlichen Kenntnisse des geltenden Rechts vorausgesetzt werden müssen. Anwälte handelten auch sorgfaltspflichtwidrig, wenn sie nach Bemerken der Fehlleitung an das EPA auf die wiederholte Sendung (per Telefax) an das DPMA und gegebenenfalls den Antrag auf Wiedereinsetzung verzichteten. Soweit eine Wiedereinsetzung - wie bei der Einspruchsfrist - ausgeschlossen ist, müssen auch ohne Verschulden die gewöhnlichen Rechtsfolgen der Fehlleitung und des verspäteten Eingangs beim DPMA hingenommen werden. Eine rechtswidrige Privilegierung des Zugangs beim EPA läßt sich nach Ansicht des Senats nicht mit einem Vertrauensschutz hinsichtlich der eher als nichtformelles "gentlemen's agreement" erscheinenden Verwaltungsvereinbarung rechtfertigen.
Im übrigen kann auch die zitierte Rechtsprechung des 4. Senats schon deshalb keinen Vertrauensschutz begründen, weil die einzige (bekannte) diesbezügliche Entscheidung (BlPMZ 1992, 361 ff) sehr deutliche Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der Zugangsregelung der Verwaltungsvereinbarung geäußert sowie auf Rechtsunsicherheit hingewiesen hat. Seitdem besteht erhebliche Veranlassung, die Verwaltungsvereinbarung mit Skepsis anzusehen und anhand des geltenden Rechts kritisch zu überprüfen.
Der Senat hat es nach Abwägung aller Umstände nicht für erforderlich gehalten, dem Präsidenten des DPMA gemäß § 77 PatG erneut (vgl BPatG BlPMZ 1992, 361 ff) anheimzugeben, dem Beschwerdeverfahren beizutreten. Denn die Entscheidung des Senats hätte auch dann zur Feststellung der Unzulässigkeit des Einspruchs geführt, wenn von der Geltung der Zugangsregelung in der Verwaltungsvereinbarung auszugehen wäre (vgl dazu: Schulte, aaO, § 77 Rdn 7 b; Busse, aaO, § 77 Rdn 6). Bei der jedenfalls gebotenen engen Auslegung der Verwaltungsvereinbarung sind im vorliegenden Fall nämlich die Bedingungen des Artikel 2 Absatz 1 der Verwaltungsvereinbarung nicht erfüllt, daß es sich um ein an das DPMA gerichtetes Schriftstück handelt, das vom EPA unmittelbar an das DPMA weitergeleitet worden ist. Vielmehr war der zunächst irrtümlich an das EPA gelangten Originalseite 6 des Einspruchsschriftsatzes das DPMA als Adressat nicht zu entnehmen, so daß sie nicht an das DPMA weitergeleitet, sondern an die Einsprechende zurückgesandt wurde.
III.
Die Rechtsbeschwerde wird gemäß § 100 Abs 2 Nr 2 PatG zugelassen, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung bezüglich der Geltung und Anwendbarkeit der Verwaltungsvereinbarung (BlPMZ 1981, 278; 1989, 373) eine Entscheidung des Bundesgerichtshofes erfordert.
Dellinger Dr. Henkelv. Zglinitzki Skribanowitz Bb
BPatG:
Beschluss v. 23.11.2004
Az: 11 W (pat) 41/03
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