Bundespatentgericht:
Beschluss vom 5. August 2003
Aktenzeichen: 24 W (pat) 75/02

(BPatG: Beschluss v. 05.08.2003, Az.: 24 W (pat) 75/02)

Tenor

Auf die Beschwerde der Inhaberin der IR-Marke werden die Beschlüsse der Markenstelle für Klasse 3 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 15. Mai 2001 und vom 18. Dezember 2001 aufgehoben.

Gründe

I.

Für die für die Waren

"Produits de maquillage"

international registrierte Marke 715 499 TEINT PRODIGE wird um Schutz in der Bundesrepublik Deutschland nachgesucht.

Die Markenstelle für Klasse 3 des Deutschen Patent- und Markenamts hat der Marke mit zwei Beschlüssen, von denen einer durch einen Beamten des höheren Dienstes ergangen ist, den Schutz für die Bundesrepublik Deutschland verweigert, weil der Kennzeichnung jegliche Unterscheidungskraft fehle (§ 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG). Die IR-Marke setze sich erkennbar aus den französischsprachigen Substantiven "TEINT" (Gesichts-/Hautfarbe, Beschaffenheit der Gesichtshaut) und "PRODIGE" (Wunder) zusammen, die auch den angesprochenen deutschen Verkehrskreisen verständlich seien. Der Begriff "enfant prodige" (Wunderkind werde auch in deutschsprachigen Veröffentlichungen erwähnt. Auch gebe es das dem französischen Wort sehr ähnliche deutsche Adjektiv "prodigiös". Die IR-Marke sei in naheliegender Weise mit "Hautwunder" zu übersetzen und stelle damit eine ohne weiteres erkennbare werbeübliche Anpreisung der Eigenschaften und Wirkungsweise der Produkte dar. Ob das Zeichen nach französischen Sprachregeln korrekt gebildet sei, sei für die Frage der Unterscheidungskraft unerheblich. Da in der deutschen Werbesprache immer wieder sachbezogene Begriffsneubildungen mit dem Wortelement "-wunder" vorkämen, werde der deutsche Verkehr in der Wortfolge jedenfalls eine verständliche und sprachüblich gebildete Sachangabe sehen. Der Erstprüfer hat seine Entscheidung außerdem darauf gestützt, daß "TEINT PRODIGE" in mehrsprachigen Ankündigungen, Hinweisen und Gebrauchsanleitungen neben deutschen Angaben vorkommen könne und als Sachangabe für den Im- und Export in Betracht komme, so daß einer Schutzgewährung für die Bundesrepublik Deutschland auch § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG entgegenstehe.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Markeninhaberin. Zu deren Begründung wird vorgetragen, der IR-Marke in ihrer Gesamtheit fehle schon deshalb nicht die Unterscheidungskraft, weil das äußerst seltene und mehr literarisch verwendete Wort "PRODIGE", das nicht zum französischen Grundwortschatz zähle, den angesprochenen deutschen Verkehrskreisen unbekannt sei. Außerdem sei das Zeichen sprachunüblich gebildet. Sofern überhaupt noch markenrechtlich relevante Teile des Verkehrs die Bedeutung beider Substantive erkennen würden, so besäßen diese Personen vertiefte Französischkenntnisse und wüßten daher auch, daß in der französischen Sprache zusammengesetzte Substantive üblicherweise nicht durch die bloße Aneinanderreihung von Hauptwörtern gebildet würden, sondern daß das deutsche Kompositum "Hautwunder" mit "prodige de teint" und die Wortzusammensetzung "Wunderhaut" mit "teint prodigueux" zu übersetzen sei. Im übrigen handele es sich bei der Schutz suchenden Marke weder um einen Ausdruck der deutschen Alltagssprache noch um eine Angabe, die Waren der Marke konkret, eindeutig und sachbezogen beschreibe. Da die Begriffe "TEINT" und "PRODIGE" verschiedene Bedeutungen haben könnten, sei auch deren Zusammensetzung vieldeutig, wobei keine Interpretationsmöglichkeit in bezug auf die beanspruchten Waren eindeutig im Vordergrund stehe. Es handele sich bei der IR-Marke wegen der sprachregelwidrigen Bildung und Mehrdeutigkeit auch nicht um eine Angabe, die zur Beschreibung der Waren dienen könne (§ 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG).

Die Markeninhaberin beantragt sinngemäß, die angefochtenen Beschlüsse aufzuheben.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Beschwerdebegründung, auf den Inhalt der Akten und das Ergebnis einer Recherche des Senats Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde ist zulässig und in der Sache auch begründet. Die Schutz suchende Marke ist nicht gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2, § 37 Abs. 1, §§ 107, 113 MarkenG iVm Art. 5 MMA und Art. 6 quinquies B Nr. 2 PVÜ vom Schutz in der Bundesrepublik Deutschland ausgeschlossen.

1. Unterscheidungskraft im Sinne von § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG ist die einer Marke innewohnende (konkrete) Eignung, vom Verkehr als Unterscheidungsmittel für die von der Marke erfaßten Waren oder Dienstleistungen eines Unternehmens gegenüber solchen anderer Unternehmen aufgefaßt zu werden (vgl. BGH GRUR 2001, 1150 "LOOK"; GRUR 2002, 64 "INDIVIDUELLE"). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind Wortmarken nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG wegen fehlender Unterscheidungskraft von der Eintragung ausgeschlossen, wenn ihnen entweder ein im Hinblick auf die beanspruchten Waren oder Dienstleistungen im Vordergrund stehender beschreibender Sinngehalt zukommt oder es sich um ein gängiges Wort der deutschen oder einer bekannten Fremdsprache handelt, das vom Verkehr stets nur als solches und nicht als individuelles Kennzeichnungsmittel verstanden wird (st. Rspr vgl. BGH WRP 2001, 1082, 1083 "marktfrisch"; BGH GRUR 2001, 1043 "Gute Zeiten - Schlechte Zeiten"; BGH GRUR 2001, 1042 "REICH UND SCHOEN"; BGH GRUR 2002, 64 "INDIVIDUELLE"; BGH GRUR 2002, 1070 "Bar jeder Vernunft"). Abzustellen ist hierbei ausschließlich auf das Verständnis des inländischen Publikums, sodaß - wovon die Markenstelle zutreffend ausgeht - auch fremdsprachigen Wortbildungen die Unterscheidungskraft fehlen kann, die zwar im Heimatland fantasievoll sein mögen, vom deutschen Verkehr aber als beschreibende Angabe aufgefaßt werden (vgl. Ströbele/Hacker, Markengesetz, 7. Aufl., § 8 Rn 116). Dies ist hier jedoch nicht der Fall. Das französische Wort "TEINT" ist zwar in der Bedeutung "Gesichtsfarbe, Hautfarbe, Beschaffenheit der Haut" (vgl. Duden, Das große Wörterbuch der deutschen Sprache, 3. Aufl., Duden, Das große Fremdwörterbuch, 2. Auflage; Wahrig, Fremdwörterlexikon, jeweils Stichwort "Teint") in den deutschen Sprachgebrauch eingegangen. Bei dem weiteren Wortbestandteil "PRODIGE" der Schutz suchenden Marke kann jedoch nicht davon ausgegangen werden, dass er von beachtlichen Teilen des maßgeblichen inländischen Verkehrs in seiner Bedeutung verstanden wird. Er ist in den genannten umfangreichen Lexika und auch in dem online-Lexikon der Universität Leipzig (http://wortschatz.informatik.unileipzig.de), das etwa 35 Millionen Sätze mit 500 Millionen laufenden Wörtern der deutschen Gegenwartssprache enthält, weder in Alleinstellung noch in Wortkombinationen nachweisbar. Bei der von der Markenstelle festgestellten Verwendung des Ausdrucks "enfant prodige" (Wunderkind) handelt es sich um die Verwendung in einem ganz speziellen kunsthistorischen Zusammenhang, der den hier angesprochenen breiten Verkehrskreisen weitestgehend unbekannt ist, was auch dadurch belegt wird, daß dieser Begriff in den oben genannten Lexika nicht verzeichnet ist. Der Rückschluß von dem lexikalisch nachweisbaren deutschen Wort "prodigiös", das einem sehr gehobenen Sprachniveau angehört und im alltäglichen Wortschatz praktisch nicht vorkommt, erfordert schon wegen der klanglichen und schriftbildlichen Unterschiede zum Markenwort "PRODIGE" sehr tiefgehende etymologische Überlegungen, die von den hier angesprochenen breiten Publikum nicht erwartet werden können. "Prodige" (Wunder) stellt auch kein französisches Wort dar, das entscheidungserheblichen Teilen der angesprochenen deutschen Verkehrskreise von Auslandreisen her, aus der Werbung oder aus dem Französischunterricht bekannt sein könnte. So handelt es sich bei "prodige" nicht um ein Wort des französischen Grundwortschatzes, der in Deutschland gebräuchlichen Werbesprache oder des üblichen touristischen Sprachgebrauchs.

2. Nach § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG sind von der Eintragung solche Marken ausgeschlossen, die nur aus Angaben bestehen, die im Verkehr u.a. zur Bezeichnung der Art, der Beschaffenheit oder zur Bezeichnung sonstiger Merkmale der Waren oder Dienstleistungen dienen können (vgl. BGH GRUR 2002, 64 "INDIVIDUELLE"; BGH MarkenR 2000, 420 "RATIONAL SOFTWARE CORPORATION"; BGH GRUR 1999, 988, 989 "HOUSE OF BLUES"; BGH GRUR 1999, 1093, 1094 "FOR YOU). Dies ist hier ebenfalls nicht der Fall. Bei fremdsprachigen Markenwörtern, deren Bedeutung wie hier vom inländischen Verkehr nicht ohne weiteres erkannt wird, muß im einzelnen geprüft werden, ob eine freihaltungsbedürftige beschreibende Verwendung des fremdsprachigen Ausdrucks im Geltungsbereich des Markengesetzes ernsthaft in Betracht kommt. Hier ist etwa an mehrsprachige Gebrauchsanleitungen, Ankündigungen und Hinweise sowie an die beschreibende Verwendung beim Im- und Export zu denken (vgl. Ströbele/Hacker, Markengesetz, 7. Aufl., § 8 Rn 367). Die Eignung eines im Inland nicht allgemein verständlichen fremdsprachigen Ausdrucks mit der Bedeutung "Wunderhaut" oder "Hautwunder" als beschreibende Angabe ist bereits fraglich. Zwar besteht ein erhebliches Bedürfnis an einer fremdsprachigen Warenbezeichnung. Dagegen unterliegen dem deutschen Publikum nicht geläufige werbliche Anpreisungen - wie die französischen Begriffe für "Wunderhaut" oder "Hautwunder" - für den Im- und Export häufig schon deshalb keinem Freihaltungsbedürfnis im Sinne des § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG, weil die Werbung grundsätzlich erst beim Vertrieb der Waren einsetzt und dann nur dem deutschen Verkehr bekannte Begriffe verwendet werden (vgl. Ströbele, Markengesetz, 7. Aufl., § 8 Rn 369). Jedenfalls aber handelt es sich bei "TEINT PRODIGE" um keine für die Waren der IR-Marke sprachüblich beschreibende Angabe. Die angemeldete Wortzusammensetzung ist weder lexikalisch noch im Internet als Sachangabe, sondern weltweit ausschließlich als Marke der Beschwerdeführerin nachweisbar. Sie stellt auch keinen sprachüblich gebildeten zusammengesetzten Begriff mit der Bedeutung "Wunderhaut" oder "Hautwunder" dar. Im Französischen werden Begriffe, die im Deutschen aus einer bloßen Verbindung von Substantiven bestehen, entweder mit "de" oder durch eine adjektivische Nachstellung gebildet, wie folgende Komposita mit dem Substantiv "Wunder" am Wortanfang oder Wortende belegen: Wundergeschichte = histoire miraculeuse, Wunderland = pays des merveilles, Wundermittel = remède universel, Wunderwaffe = arme prodigieuse, Wunderwelt = monde merveilleux, Naturwunder = merveille de la nature; Wirtschaftswunder = miracle economique, Weltwunder = merveille du monde (vgl. Langenscheidts Handwörterbuch Französisch, 2000). Eine Kombination von "prodige" ("Wunder, Wunderwerk", aber auch "Genie"; vgl. Pons Großwörterbuch Französisch - Deutsch, 1999; Langenscheidts Großwörterbuch Französisch, 1968; Langenscheidts Handwörterbuch Französisch, 2000, jeweils Stichwort "prodige") mit einem vorangestellten Hauptwort kommt in der französischen Sprache praktisch ausschließlich beim Ausdruck "enfant prodige" sowie gelegentlich, aber äußerst selten, rein personenbezogen in "virtuose prodige" und "chanteuse prodige" vor (vgl. online-Lexikon der Universität Leipzig, aaO, französischer Teil, Stichwort "prodige"). In Pons Großwörterbuch Französisch - Deutsch, 1999, findet sich außerdem der Eintrag, daß das Substantiv "prodige" lediglich in Verbindung mit dem Substantiv "enfant" adjektivisch verwendet wird. Eine Verbindung mit dem Hauptwort "TEINT" kann dagegen nicht als dem französischen Sprachgebrauch entsprechend festgestellt werden.

Ströbele Kirschneck Guth Cl/Bb






BPatG:
Beschluss v. 05.08.2003
Az: 24 W (pat) 75/02


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