Bundesgerichtshof:
Urteil vom 18. März 2002
Aktenzeichen: II ZR 364/00
(BGH: Urteil v. 18.03.2002, Az.: II ZR 364/00)
Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 7. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Naumburg vom 24. November 2000 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen.
Tatbestand
Die Klägerin, Verwalterin in dem Gesamtvollstreckungsverfahren über das Vermögen der I. GmbH, verlangt von dem Beklagten Zahlung eines Betrages von 174.000,00 DM. Sie leitet diesen Anspruch aus dem Gesichtspunkt der Nichterfüllung einer Einlageverpflichtung her. Dem liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
Die Gesellschafter der Gemeinschuldnerin beschlossen am 21. März 1994, das Stammkapital um 600.000,00 DM auf 651.000,00 DM zu erhöhen. Der auf den Anteil des Rechtsvorgängers des Beklagten entfallende Betrag von 174.000,00 DM ist nach Darstellung der Klägerin am 22. April 1994, nach Darstellung des Beklagten bis zum 31. März 1994 auf das von der Gemeinschuldnerin bei der V.bank E. unterhaltene Konto Nr. eingezahlt worden. Dieses Konto wies zum 31. Dezember 1993 einen Debetsaldo von mindestens 641.368,79 DM, per 31. Dezember 1994 von 893.000,00 DM und per 31. Dezember 1995 von 1.166.000,00 DM auf.
Auf den Antrag vom 29. März 1995 ist die Kapitalerhöhung am 16. April 1998 in das Handelsregister eingetragen worden. Der Beklagte hat seinen Anteil, der einen Nennwert von 188.800,00 DM hat, am 26. Januar 1996 erworben.
Die Klägerin behauptet, der Betrag von 174.000,00 DM sei nicht zur freien Verfügung der Geschäftsführung der Gemeinschuldnerin geleistet worden. Der von der V.bank E. der Gemeinschuldnerin auf dem genannten Konto eingeräumte Überziehungskredit, der nach dem Schreiben vom 12. Oktober 1993 bis zum 31. Dezember 1993 befristet war, sei über diesen Zeitraum hinaus nicht verlängert worden. Die V.bank habe die Überziehung lediglich geduldet. Zudem habe der Einlagebetrag der Geschäftsführung im Zeitpunkt des Eintragungsantrages wertmäßig nicht mehr zur freien Verfügung gestanden.
Der Beklagte behauptet, der Kredit auf dem genannten Konto sei durch stillschweigende Vereinbarung der V.bank und der Gemeinschuldnerin über den 31. Dezember 1993 hinaus verlängert worden. Zudem habe die V.bank der Gemeinschuldnerin am 17. Mai 1994 auf dem Konto Nr. im Hinblick auf die aus der Kapitalerhöhung resultierende Einlage von 600.000,00 DM einen weiteren Kredit von 2 Mio. DM gewährt.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Berufungsgericht hat den Beklagten zur Zahlung des geltend gemachten Betrages verurteilt. Mit seiner Revision erstrebt der Beklagte die Wiederherstellung des Landgerichtsurteils.
Gründe
Da die Klägerin im Verhandlungstermin trotz dessen rechtzeitiger Bekanntgabe nicht vertreten war, ist über die sie betreffende Revision durch Versäumnisurteil zu entscheiden (§§ 330, 557 ZPO). Das Urteil beruht jedoch inhaltlich nicht auf der Säumnis, sondern auf einer Sachprüfung (vgl. BGHZ 37, 79, 82).
Die Revision führt zur Zurückverweisung. Die vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen tragen die Verurteilung des Beklagten zur Zahlung des aus der Kapitalerhöhung vom 21. März 1994 stammenden, auf den von dem Beklagten erworbenen Geschäftsanteil entfallenden Betrages von 174.000,00 DM nicht.
1. a) Das Berufungsgericht geht zwar zutreffend davon aus, daß die freie Verfügung der Geschäftsführung über Einlagemittel dann nicht ausgeschlossen ist, wenn mit dem Einlagebetrag ein Debetsaldo zurückgeführt wird, der die Linie eines der Gesellschaft eingeräumten Rahmenkredites nicht überschreitet. Denn in diesem Falle steht der Gesellschaft weiterhin Liquidität in Höhe des gezahlten Einlagebetrages zur Verfügung (BGH, Urt. v. 24. September 1990 -II ZR 203/89, ZIP 1990, 1400, 1401; Urt. v. 3. Dezember 1990 -II ZR 215/89, ZIP 1991, 445; vgl. auch Urt. v. 10. Juni 1996 -II ZR 98/95, ZIP 1996, 1466, 1467). Die Revision rügt jedoch zu Recht, daß das Berufungsgericht diese Voraussetzungen rechtsfehlerhaft verneint hat.
b) Es steht zwar unstreitig fest, daß die V.bank E. den Rahmenkredit bis zum 31. Dezember 1993 befristet hatte. Aus dem übereinstimmenden Vortrag der Parteien ergibt sich jedoch, daß sie der Gemeinschuldnerin die Überziehung des maßgebenden Kontos unter erheblicher Ausweitung des Kreditvolumens zumindest bis zum 31. Dezember 1995 gestattet hat. Das Berufungsgericht leitet seine Schlußfolgerung, daß der weiterhin gestatteten Überziehung lediglich eine Duldung durch die V.bank, nicht aber eine stillschweigende Vereinbarung zwischen dieser und der Gemeinschuldnerin zugrunde gelegen habe, vor allem aus dem Inhalt des Schreibens vom 12. Oktober 1993 her. In diesem Schreiben hat die V.bank den Kreditrahmen auf 600.000,00 DM erhöht und gleichzeitig ausgeführt, daß der diesen Rahmen übersteigende Sollbetrag des Kontos nach den Angaben der Gemeinschuldnerin durch die Gewinnspanne aus zwei Großprojekten in M. und F. zurückgeführt werden könne. Dem steht jedoch die zumindest bis zum 31. Dezember 1995 unter Ausweitung des Kreditvolumens gestattete Kontoüberziehung entgegen. Daraus kann eine zwischen der Gemeinschuldnerin und der V.bank stillschweigend getroffene Vereinbarung über die Verlängerung -und Erweiterung -des Kreditvolumens dann hergeleitet werden, wenn die V.bank den aus ihrem Schreiben vom 12. Oktober 1993 ersichtlichen Vorbehalt nicht aufrechterhalten hat. Ob das der Fall war, hat das Berufungsgericht nicht festgestellt. Um zu einer abschließenden Beurteilung dieser Frage kommen zu können, muß es zu den Umständen, die der über den 31. Dezember 1993 hinaus festgestellten Überziehung des Kontos zugrunde liegen, noch weitere Feststellungen treffen.
c) Der Beklagte hat unter Beweisantritt ferner vorgetragen, die V.bank habe der Gemeinschuldnerin mit Rücksicht auf die Erhöhung des Stammkapitals um 600.000,00 DM weitere Kreditzusagen gemacht. Dazu gehöre auch das am 17. Mai 1994 gewährte Investitionsdarlehen. Das Berufungsgericht hat das Bestehen eines wirtschaftlichen Zusammenhanges zwischen der Kapitalerhöhung und der Gewährung des Investitionsdarlehens als wahr unterstellt. Es meint jedoch, die Möglichkeit der Inanspruchnahme dieses Darlehens habe die freie Verfügung über den Einlagebetrag deswegen nicht gewährleistet, weil Kredittilgung und Krediteinräumung auf unterschiedlichen Konten vorgenommen worden seien. Das ist, wie die Revision zutreffend rügt, rechtsfehlerhaft.
Aus dem Vortrag des Beklagten folgt, daß die V.bank E. das Investitionsdarlehen von 2 Mio. DM der Gemeinschuldnerin deswegen gewährt hat, weil mit dem aus der Kapitalerhöhung stammenden Einlagebetrag andere Darlehensverbindlichkeiten der Gemeinschuldnerin zurückgeführt werden konnten. Dafür spricht insbesondere auch der Umstand, daß zwischen der Einlageleistung und der Zusage des Investitionsdarlehens weniger als zwei Monate gelegen haben. Erweist sich der Vortrag des Beklagten als richtig, ist davon auszugehen, daß zwischen Einlageleistung und der Darlehensgewährung ein rechtlicher und wirtschaftlicher Zusammenhang besteht. Unter dieser Voraussetzung wäre die Einlageleistung zur freien Verfügung der Geschäftsführung der Gemeinschuldnerin erbracht worden. Zwar hätte die V.bank E. mit der Einlageleistung eine Darlehensforderung verrechnet. Da die Geschäftsführung jedoch aufgrund der Darlehensgewährung anderweitig Liquidität in Höhe des Einlagebetrages ausschöpfen konnte, war sie in der Verfügung über den Einlagebetrag nicht beschränkt. Das Berufungsgericht wird daher dem Vortrag des Beklagten nachgehen und den dazu angebotenen Beweis erheben müssen, um auch zu diesem Punkt die weiterhin erforderlichen Feststellungen treffen zu können.
2. Die Leistung zur freien Verfügung der Geschäftsführung scheitert auch nicht daran, daß im Zeitpunkt des Antrages auf Eintragung der Kapitalerhöhung in das Handelsregister möglicherweise die Voraussetzung der wertgleichen Deckung des Einlagebetrages durch damit angeschaffte aktivierungsfähige Güter (vgl. BGHZ 119, 177) nicht mehr vorgelegen hat. Die Klägerin hat dazu ausgeführt, die Einlagebeträge seien zur Tilgung von Gläubigerforderungen verwendet worden, die infolge Überschuldung der Gesellschaft nicht mehr werthaltig gewesen seien. Der Beklagte hingegen behauptet, der Betrag, der ihm nach Leistung der Einlagen als Liquidität zur Verfügung gestanden habe, sei in Anlagegüter investiert worden. Auf die Entscheidung dieser Frage kommt es jedoch nicht an.
Allerdings weist die Klägerin zutreffend darauf hin, daß die Geschäftsführung einer Kapitalgesellschaft nach dem zitierten Senatsurteil über den Einlagebetrag aus einer Kapitalerhöhung vor dem Zeitpunkt des Eintragungsantrages nur unter dem Vorbehalt wertgleicher Deckung verfügen darf. Die Mittel müßten so eingesetzt werden, daß der Gesellschaft ein dem aufgewandten Betrag entsprechendes Aktivum zufließe (aaO S. 187). An dieser Rechtsprechung hält der Senat nicht mehr fest. Gegen sie ist zu Recht eingewandt worden, der Vorbehalt wertgleicher Deckung komme nur dann in Betracht, wenn Verfügungen über Einlagen, die zwischen dem Kapitalerhöhungsbeschluß und dem Antrag auf Eintragung der Kapitalerhöhung in das Handelsregister vorgenommen würden, in ähnlicher Weise das Erfordernis eines besonderen Gläubigerschutzes auslösen würden wie Verfügungen über Einlagen, die bei der Gründung zwischen der Errichtung der Gesellschaft und dem Antrag auf ihre Eintragung geleistet werden. Das ist jedoch nicht der Fall, weil bei der Kapitalerhöhung die Einlage -anders als bei der Gründung - an die bereits bestehende Gesellschaft geleistet wird und es deswegen besonderer Maßnahmen zur Gewährleistung einer ordnungsgemäßen Aufbringung des Stammkapitals nicht bedarf (Priester, ZIP 1994, 599, 602; vgl. dazu auch Karsten Schmidt, AG 1986, 106, 107 ff. und Hommelhoff/Kleindiek, ZIP 1987, 477, 482 ff.). Auch der Ansicht, der Erhöhungsbetrag müsse im Zeitpunkt der Anmeldung der Kapitalerhöhung noch durch das Reinvermögen der Gesellschaft gedeckt sein (so Ihrig, Die endgültig freie Verfügung für die Einlage von Kapitalgesellschaften 1991, S. 303 ff., ihm folgend Ulmer, GmbH-Rundschau 1993, 189, 195) vermag der Senat nicht zu folgen. Soweit sie auf die Regelung des § 210 Abs. 1 Satz 2 AktG bzw. § 57 i Abs. 1 Satz 2 GmbHG gestützt wird, nach der die eine Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln anmeldenden Organmitglieder versichern müssen, daß nach ihrer Kenntnis zwischen dem Stichtag der eingereichten Bilanz und dem Tag der Anmeldung keine die Erhöhung verhindernden Vermögensminderungen eingetreten sind, liegt dem kein allgemeines, auch für die Kapitalerhöhung gegen Einlagen maßgebendes Prinzip zugrunde. Zutreffend ist darauf hingewiesen worden, daß mit dieser Versicherung lediglich der Zeitraum überbrückt werden soll, der zwischen der das Vorhandensein der umzuwandelnden Rücklagen nachweisenden Bilanz und dem Anmeldungszeitpunkt liegt (Priester, ZIP 1994 aaO S. 603). Hüffer (ZGR 1993, 474, 482 f.) ist zwar zuzugestehen, daß sich nach dem Wortlaut des Gesetzes der Gegenstand der Leistung endgültig in der freien Verfügung der Geschäftsführung befinden muß (§ 57 Abs. 2 Satz 1 GmbHG, § 188 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 36 Abs. 2 Satz 1 AktG). Darin mag die Vorstellung des historischen Gesetzgebers zum Ausdruck kommen, der die Kapitalerhöhung als (erweiternde) Teilneugründung verstanden hat (vgl. Henze, Die treuhänderische und haftungsrechtliche Stellung des Sacheinlegers bei Kapitalerhöhungen unter besonderer Berücksichtigung der Banken 1970, S. 155 ff.). Diese Vorstellung ist jedoch überholt. Die Kapitalerhöhung gehört zwar zu den der Entscheidung durch die Hauptversammlung vorbehaltenen Grundlagengeschäften; sie führt jedoch nicht zu einer Veränderung der Kapitalgesellschaft in ihrer Eigenschaft als juristische Person, sondern führt lediglich zu einer Erweiterung des nach der gesetzlichen Konzeption dem Schutz der Gläubiger dienenden Haftkapitals. Da das Vermögen, das der Deckung der erhöhten Kapitalziffer dient, bei der Kapitalerhöhung unmittelbar der Gesellschaft zufließt, gelangt es in den Entscheidungs- und Handlungsbereich des geschäftsführenden Organs. Damit ist der Vorgang der Mittelaufbringung abgeschlossen. Von diesem Zeitpunkt an ist das geschäftsführende Organ berechtigt und verpflichtet, im Rahmen seiner unternehmerischen Entscheidungsfreiheit im Interesse der Gesellschaft über das eingebrachte Vermögen zu verfügen. Anders ist das lediglich zu beurteilen in den Fällen verdeckter Sacheinlagen, bei denen die Gesellschaft lediglich Durchgangsstation einer Leistung des Einlegers an sich selbst ist (vgl. dazu BGHZ 113, 335) sowie bei der unmittelbaren Leistung an einen Gesellschaftsgläubiger, bei der jegliche Einwirkungsmöglichkeit des Geschäftsführers ausgeschlossen wird (BGHZ 119, 177, 188 f.). Bei dieser Sachlage wohnt dem Wortlaut der angeführten Vorschriften eine überschießende Tendenz inne, die durch teleologische Reduktion auf den zutreffenden und erforderlichen Regelungsbereich zurückzuführen ist.
Danach ist davon auszugehen, daß bei der Kapitalerhöhung die Leistung der Einlage schon dann zur freien Verfügung der Geschäftsführung erbracht worden ist, wenn sie in ihren uneingeschränkten Verfügungsbereich gelangt ist. Eine zeitliche Grenze für diese Leistung wird lediglich durch das Erfordernis eines Kapitalerhöhungsbeschlusses gesetzt. Wird sie danach bis zur Eintragung der Kapitalerhöhung in das Handelsregister zu irgendeinem Zeitpunkt ordnungsgemäß ohne späteren Rückfluß an den Einleger erbracht, hat der Einleger seine Leistungspflicht erfüllt, so daß er von der Einlageverpflichtung frei wird. Die Versicherung des Geschäftsführers hat dahin zu lauten, daß der Betrag der Einzahlung zur freien Verfügung der Geschäftsführung für die Zwecke der Gesellschaft eingezahlt und auch in der Folge nicht an den Einleger zurückgezahlt worden ist. Nach alledem kann der Beklagte nicht als verpflichtet angesehen werden, die Einlage nochmals zu leisten.
3.
Die Klägerin hat behauptet, die Gesellschafter seien im Umfange der Einlageleistung von ihren zugunsten der Gemeinschuldnerin übernommenen Bürgschaftsverpflichtungen befreit worden. Schon aus diesem Grunde sei eine Leistung zur freien Verfügung der Geschäftsführung nicht erbracht worden.
Das ist unrichtig. Trifft der Vortrag der Klägerin zu, kann die Folge lediglich sein, daß die Gesellschaft einen Rechtsanspruch auf Wiedereinräumung der Bürgschaft oder auf Leistung eines entsprechenden Erstattungsbetrages hätte. Dabei kann die Frage offenbleiben, ob dieser Anspruch nur gegen den Rechtsvorgänger des Beklagten oder auch gegen diesen besteht.
4.
Der Revision des Beklagten war aufgrund dieser Umstände stattzugeben. Die Sache war an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit es -gegebenenfalls nach ergänzendem Sachvortrag durch die Parteien -Gelegenheit erhält, die für eine sachgemäße Entscheidung noch erforderlichen Feststellungen zu treffen.
BGH:
Urteil v. 18.03.2002
Az: II ZR 364/00
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