Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen:
Beschluss vom 2. März 2011
Aktenzeichen: 17 B 1505/10

(OVG Nordrhein-Westfalen: Beschluss v. 02.03.2011, Az.: 17 B 1505/10)

Tenor

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwer-deverfahrens.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 1.083,81 Euro festgesetzt.

Gründe

Die Beschwerde ist nicht begründet.

Die dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat beschränkt ist, § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO, geben keinen Anlass, den angefochtenen Beschluss zu ändern oder aufzuheben.

1. Die Annahme des Verwaltungsgerichts ist nicht zu beanstanden, dass die Einkünfte der Antragstellerin aus ihrer Tätigkeit als Vorstand einer Rechtsanwaltsaktiengesellschaft nach § 30 Abs. 2 der Satzung des Versorgungswerkes der Rechtsanwälte im Lande Nordrhein-Westfalen (SRV) als Arbeitseinkommen beitragspflichtig sind.

In der Rechtsprechung des beschließenden Gerichts ist geklärt, dass mit der Anknüpfung des § 30 Abs. 2 SVR an die Begriffe des Arbeitsentgelts im Sinne von § 14 SGB IV und des Arbeitseinkommens im Sinne von § 15 SGB IV sämtliche Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit (Arbeitsentgelt) oder aus freiberuflicher oder selbständiger Tätigkeit (Arbeitseinkommen) in die Bemessungsgrundlage eingehen. Dies gilt unabhängig davon, ob diese Tätigkeiten als anwaltstypisch einzustufen sind. Hierzu zählen auch Einkünfte aus einer Tätigkeit als Vorstandsmitglied einer Aktiengesellschaft.

Vgl. Senatsurteil vom 22. Juni 2010 - 17 A 1997/08 -, juris, mit weiteren Nachweisen.

Das Beschwerdevorbringen gibt keinen Anlass, von dieser Bewertung abzuweichen.

Der Senat merkt zunächst an: Entgegen der Beschwerde ist die Tätigkeit eines Rechtsanwalts als Vorstand eines Rechtsanwaltsaktiengesellschaft als anwaltstypische Tätigkeit einzustufen. Die Rechtsanwaltsgesellschaft in Form der Aktiengesellschaft ist lediglich eine mögliche Form der beruflichen Zusammenarbeit von Rechtsanwälten. Ihr Unternehmensgegenstand ist in Anlehnung an § 59 c Abs. 1 BRAO auf die Übernahme von Aufträgen beschränkt, die zur Berufstätigkeit von Rechtsanwälten gehören. Daneben bestehen entsprechend den Rechtsgedanken aus §§ 59 e und 59 f BRAO Besonderheiten in Bezug auf den Kreis der Aktionäre (Beschränkung des Aktionärskreises auf in der Gesellschaft beruflich tätige Rechtsanwälte und Angehörige der in § 59 a Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BRAO genannten Berufe) und den Vorstand und Aufsichtsrat (verantwortliche Führung durch Rechtsanwälte).

Vgl. BGH, Beschluss vom 10. Januar 2005 - AnwZ (B) 27/03 und 28/03 -, BGHZ 161, 376.

Die von dem Vorstand einer Rechtsanwaltsaktiengesellschaft gesteuerte Akquisition von Mandaten, die Betreuung der Mandate und die Organisation der Zusammenarbeit der für sie tätigen Rechtsanwälte unterscheidet sich nicht wesensmäßig von Tätigkeiten, die von Rechtsanwälten geleistet werden, die in anderen Organisationsformen gemeinsam ihren Beruf ausüben.

Mit der vorbehaltlosen Verweisung auf das Arbeitsentgelt (§ 14 SGB IV) und das Arbeitseinkommen (§ 15 SBG IV) in § 7 Abs. 1 RAVG NRW und § 30 Abs. 2 SVR wird klargestellt, dass sämtliche Einkünfte aus der Erwerbstätigkeit eines Rechtsanwalts in die Bemessungsgrundlage eingehen sollen. Beide Begriffe sollen Einkünfte aus einer Erwerbstätigkeit für die Beitragsbemessung lediglich handhabbar machen. Demzufolge sind die Einkünfte aus der Tätigkeit als Vorstand einer Rechtsanwaltsaktiengesellschaft für die Beitragsermittlung entweder als Arbeitsentgelt oder als Arbeitseinkommen zu erfassen. Eine - wie mit der Beschwerde reklamiert - Freistellung von der Beitragspflicht ist mit dieser Systematik nicht vereinbar.

Die Zuordnung der Einnahmen zum Arbeitsentgelt einerseits und zum Arbeitseinkommen andererseits hat allein die Funktion, die Methodik der Beitragsberechnung näher festzulegen. So ist beispielsweise beim Arbeitseinkommen das Einkommen des vorletzten Kalenderjahres, beim Arbeitsentgelt das des jeweiligen Beitragszeitraums maßgeblich, § 30 Abs. 4 Nr. 1 SVR. Der Einkommensnachweis wird für das Arbeitseinkommen durch Vorlage des Einkommensteuerbescheides für das vorletzte Kalenderjahr, für das Arbeitsentgelt durch Vorlage einer vom Arbeitgeber ausgestellten Bescheinigung über das Arbeitsentgelt für den Beitragszeitraum erbracht, § 30 Abs. 4 Nr. 4 SVR.

Der Senat hat Einnahmen aus einer Tätigkeit als Vorstand einer Aktiengesellschaft bisher dem Arbeitseinkommen zugeordnet. So hat er in seinem Urteil vom 22. Juni 2010, a.a.O., in Übereinstimmung mit dem Urteil des Bundessozialgerichts vom 14. Dezember 1999 - B 2 U 38/98 R -, juris, entschieden, dass Einkünfte aus dem Anstellungsvertrag wegen einer Tätigkeit als Vorstand einer Aktiengesellschaft als Arbeitseinkommen im Sinne des § 15 SGB IV und nicht als Arbeitsentgelt aus nichtselbständiger Arbeit im Sinne des § 14 SGB IV zu erfassen sind. Maßgeblich hierfür war die durch das Aktiengesetz im Wesentlichen als unabhängig ausgestaltete Rechtsstellung der Vorstandsmitglieder einer Aktiengesellschaft. An dieser Bewertung hält der Senat fest.

Der unter Hinweis auf den in § 15 SGB IV verankerten Grundsatz der Maßgeblichkeit des Einkommensteuerrechts erhobene Einwand, die Einkünfte aus einer Vorstandstätigkeit in einer Aktiengesellschaft seien im Einkommensteuerbescheid der Antragstellerin nicht als solche aus "selbständiger Arbeit" erfasst worden, verfängt nicht. Es trifft zwar zu, dass diese Einkünfte im Einkommensteuerbescheid als solche aus "nichtselbständiger Arbeit" qualifiziert werden, was ihre Zuordnung zum Arbeitsentgelt im Sinne des § 14 SGB IV nahelegen könnte. Der Begriff der "selbständigen Tätigkeit" im Sinne des § 15 SGB IV ist aber mit dem Begriff der "selbständigen Arbeit" im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, 18 EStG nicht deckungsgleich. Von Einkünften aus einer selbständigen Tätigkeit im Sinne des § 15 SGB IV ist auszugehen, wenn der Erwerbstätige mit Gewinnerzielungsabsicht nachhaltig auf eigene Rechnung und Gefahr am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr teilnimmt. Dementsprechend gehören etwa auch Einkünfte aus der Land- und Forstwirtschaft (§§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 13 EStG) oder Gewerbebetrieb (§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, 15 EStG) zu den Einkünften aus selbständiger Tätigkeit.

Die Qualifizierung der Einkünfte als solche aus "nichtselbständiger Arbeit" schließt eine Ermittlung des Gewinns nach den allgemeinen Gewinnermittlungsvorschriften des Einkommensteuergesetzes nicht aus, der nach § 15 Abs. 1 SGB IV für das Arbeitseinkommen maßgeblich ist. Dieser lässt sich auf der Grundlage des Einkommensteuerbescheides, gegebenenfalls in Verbindung mit der Einkommensteuererklärung nach § 4 Abs. 3 EStG im Wege einer "Überschussrechnung" ermitteln. Danach ist als Gewinn der Überschuss der Betriebseinnahmen über die Betriebsausgaben anzusetzen. Aus den vorgenannten Unterlagen lassen sich sowohl die Einnahmen aus der Vorstandstätigkeit als auch die durch die Tätigkeit veranlassten Aufwendungen ermitteln. Letztere werden bei der im Einkommensteuerbescheid vorgenommenen Qualifizierung als Einkünfte aus "nichtselbständiger Arbeit" als Werbungskosten erfasst.

In diesem Zusammenhang weist der Senat auf Folgendes hin: Wegen der gesetz- und satzungsmäßigen Einbeziehung sämtlicher Einkünfte eines Rechtsanwalts aus Erwerbstätigkeit in die Beitragsbemessungsgrundlage wären die Einkünfte aus der Vorstandstätigkeit als Arbeitsentgelt zu erfassen, wenn sie nicht als solche aus selbständiger Tätigkeit angesehen würden. Da nach § 14 Abs. 1 Satz 1 SGB IV Arbeitsentgelt alle laufenden oder einmaligen Einnahmen aus einer Beschäftigung sind und der ungekürzte Bruttolohn zugrunde zu legen ist, wäre die Höhe der Beiträge in den angegriffenen Bescheiden jedenfalls nicht günstiger festzusetzen gewesen. Die Prozessbevollmächtigten des Antragsgegners haben diesen Sachverhalt in dem Schriftsatz vom 13. Januar 2011 zutreffend dargetan.

2. Die weitere Rüge, das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht die Einbeziehung von Einkünften aus nicht anwaltlicher Tätigkeit als mit Art. 12 GG vereinbar angesehen, greift nicht durch.

Auf die diesbezüglichen Erwägungen in der angegriffenen Entscheidung (Beschlussabdruck Seiten 3 und 4) kommt es einerseits nicht an. Die Tätigkeit eines Rechtsanwalts als Vorstand einer Rechtsanwaltsaktiengesellschaft ist als anwaltstypische Tätigkeit einzustufen. Zur Begründung wird auf die Ausführungen unter 1. Bezug genommen.

Diese Erwägungen entsprechen andererseits der Senatsrechtsrechtsprechung, die das Verwaltungsgericht mit dem Verweis auf das Senatsurteil vom 22. Juni 2010, a.a.O., mit weiteren Nachweisen der Rechtsprechung, zutreffend in Bezug genommen hat.

Das Beschwerdevorbringen ist nicht geeignet, die dem Senatsurteil zugrunde liegende Auffassung in Frage zu stellen, der Landesgesetzgeber habe dem Satzungsgeber mit dem Gesetz über die Rechtsanwaltsversorgung die Schaffung einer Vollversorgung durch das Versorgungswerk ermöglicht, um über den späteren Rentenbezug den sozialen und wirtschaftlichen Status des Mitglieds zu gewährleisten.

Entgegen der Beschwerde folgt aus der Gesetzesbegründung nichts Gegenteiliges. Die darin angesprochene Garantie eines gesicherten Lebensabends lässt nicht den Rückschluss zu, mit der Altersabsicherung habe allein die Inanspruchnahme von "Fürsorgeleistungen" verhindert werden sollen. Ein Lebensabend ist auch dann gesichert, wenn durch den Rentenbezug der soziale und wirtschaftliche Status des Mitglieds erhalten bleibt.

Ebensowenig kann die Notwendigkeit einer angestrebten Vollversorgung mit der Begründung verneint werden, dass Rechtsanwälte im Gegensatz zu Beamten eine betriebliche Versorgungszusage erlangen könnten. Dies mag bei angestellten Rechtsanwälten möglich sein, trifft aber für die selbständigen Rechtsanwälte nicht zu, die die Mitgliederstruktur des Antragsgegners prägen.

Die in der Gesetzesbegründung zum Alterseinkünftegesetz erwähnte Zuordnung der gesetzlichen Rentenversicherung und der berufsständischen Versorgungseinrichtungen als gesetzliche Versorgungssysteme der ersten Stufe im dreigliedrigen System der Altersversorgung schließt es nicht aus, dass im Gegensatz zur gesetzlichen Rentenversicherung der Landesgesetzgeber dem berufsständischen Versorgungswerk die Schaffung einer Vollversorgung ermöglicht hat. Die Zuordnung zur ersten Stufe findet ihre Berechtigung in dem Umstand, dass es sich bei einem berufsständischen Versorgungswerk um ein gesetzliches Pflichtversorgungssystem handelt. Abgesehen davon ist der Landesgesetzgeber ohne Bindung an bundesgesetzliche Vorgaben für die gesetzliche Rentenversicherung zu einer autonomen Ausgestaltung der Pflichtmitgliedschaft in den berufsständischen Versorgungseinrichtungen berechtigt, zu der auch die Regelung der Beitragsbemessung und die Festlegung des Versorgungsniveaus gehören.

Auch der Hinweis auf den im Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 30. Januar 2008 erwähnten Umstand, dass die berufsständischen Versorgungswerke vergleichbare Leistungen wie die gesetzlichen Rentenversicherungen erbringen, steht der vom Antragsgegner angestrebten Vollversorgung nicht entgegen. Die Vergleichbarkeit der Leistungen ist Voraussetzung für die Befreiung von der Versicherungspflicht nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI und für die steuerliche Anerkennung der Beiträge als Sonderausgaben nach § 10 Abs. 1 Nr. 2 lit. a EStG. Die Sicherstellung dieser Zwecke bedingt aber keine vollständige Übereinstimmung mit den Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung.

Abschließend wird ergänzend darauf hingewiesen, dass die Verhältnismäßigkeit der Beitragserhebung durch eine Deckelung des Beitrags gesichert ist. So zahlen Mitglieder, deren Einkommen die Beitragsbemessungsgrenze der gesetzlichen Rentenversicherung nicht erreicht, den Beitrag nach ihrem Einkommen (Arbeitseinkommen und Arbeitsentgelt im Sinne der §§ 14, 15 SGB IV) grundsätzlich gemäß dem Beitragssatz der gesetzlichen Rentenversicherung, § 30 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 SVR.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf §§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 1 und 2, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar.






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Beschluss v. 02.03.2011
Az: 17 B 1505/10


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