Verwaltungsgericht Köln:
Urteil vom 24. November 2011
Aktenzeichen: 13 K 1549/10

(VG Köln: Urteil v. 24.11.2011, Az.: 13 K 1549/10)

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens tragen, mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, die dieser selbst trägt, die Klägerinnen zu jeweils einem Drittel.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerinnen dürfen die Vollstreckung durch die Beklagte durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in Höhe des zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Akteneinsicht nach dem Informationsfreiheitsgesetz in einem kartellrechtlichen Verfahren betreffend eine Fusionskontrolle mit folgendem Hintergrund:

Die Klägerinnen - die ehemaligen Aktionäre der E. I. AG - veräußerten im April 2008 94 % ihrer Aktien an die S. -C1. mbH, C. , und 6 % der Aktien an die F. - und U. mbH, L. ; der Kaufpreis betrug viermal einen Euro, obwohl - nach Angaben der Klägerinnen - das Kernkapital der Bank 499 Mio. EUR betragen haben soll. Die Geschäftsanteile der S. -C1. mbH werden von dem beigeladenen C2. E1. C3. e. V. - Einlagensicherungsfonds - und die Geschäftsanteile der F. - und U. mbH vom Q. E2. C3. e. V., L. , gehalten. Die Prozessbevollmächtigten des Beigeladenen meldeten für die S. -C1. mbH den Erwerb der Anteilsmehrheit an der E. I. AG mit Schreiben vom 22. April 2008 beim Bundeskartellamt zur Durchführung der Zusammenschlusskontrolle an. Das Bundeskartellamt erteilte mit Schreiben vom 23. April 2008 die Freigabe. Der Óbergang der Aktien wurde nach kartellrechtlicher Genehmigung in das Aktienbuch eingetragen.

Die Klägerin zu 1. war im April 2008 am Stammkapital der E. I. AG mit 17,51 % beteiligt. Die Klägerinnen zu 2. und 3. waren im April 2008 an der E. I. AG mit 46,26 % bzw. 36,23 % beteiligt; sie gehören der T. -Gruppe an. Die Klägerinnen halten den Verkauf und die Óbertragung der Aktien für unwirksam bzw. nichtig. Diesbezüglich haben sie vor dem Landgericht Düsseldorf erfolglos einen Zivilrechtsstreit betrieben (14e O 142/08), der sich unter anderem gegen den Beigeladenen als Erwerber der Aktienmehrheit richtete. In diesem Prozess begehrten die Klägerinnen zum einen die Feststellung, dass die dortigen Beklagten verpflichtet seien, sie wegen rechtswidriger Óbernahme der Aktien der E. I. AG zu entschädigen, zum anderen ein Verbot des Weiterverkaufs der Aktien. Mit Urteil vom 13. Januar 2010 wies das Landgericht Düsseldorf die Klage ab. Den Streitwert setzte es - entsprechend der Angaben der Klägerinnen in der Klageschrift - auf rund 500 Mio. EUR fest. Derzeit ist das Verfahren beim BGH anhängig (Az.: XI ZR 313/11).

Am 30. September 2008 beantragte die Klägerin zu 1. beim Bundeskartellamt Einsichtnahme in die Akten des Fusionskontrollverfahrens S. -C1. mbH/E. I. AG, wobei sie sich auf das Informationsfreiheitsgesetz berief. Telefonisch wurde der Antrag am 13. Oktober 2008 auf die Óbersendung des Freigabeschreibens sowie der um die Geschäftsgeheimnisse bereinigten Anmeldung des Erwerbs beschränkt. Das Freigabeschreiben wurde der Klägerin zu 1. in der Folge übersandt.

Das Bundeskartellamt gab sodann dem Beigeladenen als Anmeldendem Gelegenheit zur Stellungnahme und bat darum, Geschäftsgeheimnisse in den eingereichten Unterlagen zu kennzeichnen. Der Beigeladene sprach sich gegen die Gewährung von Akteneinsicht an die Klägerin zu 1. aus und verwies u.a. auf das laufende Gerichtsverfahren vor dem LG Düsseldorf sowie auf in den Vorgängen enthaltene Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse der S. -C1. mbH oder mit ihr verbundener Unternehmen, nämlich Angaben über die unternehmerischen Tätigkeiten des Beigeladenen (auf Seite 2 unten und 3 oben), Angaben über erzielte Umsatzerlöse des Beigeladenen oder mit ihm verbundener Unternehmen (ebenda), Angaben über die Umsatzallokation und die Umsatzerlöse der E. I. AG (in der Tabelle auf Seite 3 und in dem der Tabelle vorausgehenden Satz). Ende November 2008 übersandten die Prozessbevollmächtigten des Beigeladenen dem Bundeskartellamt eine um Geschäftsgeheimnisse bereinigte Fusionskontrollanmeldung.

Mit Bescheid vom 27. November 2008 gab das Bundeskartellamt dem Antrag der Klägerin zu 1. statt, soweit nicht Geschäftsgeheimnisse Dritter betroffen waren. Ausschlussgründe seien nicht gegeben bzw. die S. -C1. mbH könne sich nicht darauf berufen, nachdem die Antragstellerin ihr Einsichtsbegehren auf die um Geschäftsgeheimnisse bereinigte Fusionskontrollanmeldung beschränkt habe. Der Bescheid wurde von der Klägerin zu 1. nicht angefochten. Dagegen legten die Prozessbevollmächtigten des Beigeladenen Widerspruch ein, den das Bundeskartellamt mit Bescheid vom 23. März 2009 zurückwies.

Es schloss sich an u.a. das Verfahren 13 L 1173/09, in welchem das erkennende Gericht die sofortige Vollziehung des Bescheides vom 27. November 2008 anordnete.

Unter dem 29. September 2009 übersandte das Bundeskartellamt der Klägerin zu 1. eine um Geschäftsgeheimnisse bereinigte Abschrift der Anmeldung des Zusammenschlussvorhabens vom 22. April 2008.

Im Anschluss an das Verfahren 13 L 1173/09 beantragte die Klägerin zu 1. am 23. Oktober 2009, ihr im Rahmen der zu gewährenden Akteneinsicht den gesamten Akteninhalt zur Kenntnis zu bringen.

Mit Bescheid vom 2. Dezember 2009, der Klägerin zu 1. zugestellt am 3. Dezember 2009, gab das Bundeskartellamt dem Akteneinsichtsbegehren der Klägerin zu 1. insoweit statt, als dadurch keine Geschäftsgeheimnisse Dritter betroffen seien und es sich nicht um interne Unterlagen handele. Zur Begründung führte die Behörde aus, Akteneinsicht komme gemäß § 6 Satz 2 IFG nicht in Betracht, soweit die Zusammenschlussbeteiligten Angaben in ihrer Anmeldung als Geschäftsgeheimnisse gekennzeichnet und in eine Einsichtnahme nicht eingewilligt hätten. Ebenso wenig werde Akteneinsicht gewährt in das der Freigabeentscheidung der Beschlussabteilung zugrunde liegende Votum (Bl. 9 - 14 d.A). Dabei handele es sich um ein der Entscheidungsfindung dienendes internes Dokument, das nicht der Akteneinsicht unterliege. Der Bescheid enthielt eine ordnungsgemäße Rechtsmittelbelehrung.

Unter Bezugnahme auf den genannten Bescheid führte die Klägerin zu 1. in einem am 29. Dezember 2009 bei der Behörde eingegangene Anwaltsschreiben aus, sie könne nicht erkennen, welche Geschäftsgeheimnisse gemeint seien. Die Daten der E. I. AG seien ihr bekannt. § 6 Satz 2 IFG könne nicht zu Streichungen oder Kürzungen bei Bekanntgabe des Akteninhalts führen. Sobald Bestandskraft der Entscheidung der Beschlussabteilung eintrete, werde um Óbermittlung eines vollständigen Aktenauszuges gebeten. Ob die Óberlegungen der Behörde vorbehalten werden könnten, werde im Augenblick dahingestellt. Nach Durchsicht der erwarteten Kopien behalte man sich eine Àußerung in diesem Punkte vor. In einem weiteren Anwaltsschreiben vom 2. Februar 2010 bat die Klägerin zu 1. um Vorlage der Fehlblätter 1 bis 14. Eine Berufung auf Geschäftsgeheimnisse könne es nicht geben; die Vorgänge seien allen Beteiligten bekannt. Auf entsprechende Nachfrage des Bundeskartellamts stellten die Klägerin zu 1. unter dem 22. Februar 2010 klar, ihre Eingabe vom 29. Dezember 2009 sei als Widerspruch gegen die Beschränkung der Einsichtnahme zu werten. Soweit das Entscheidungsvotum nicht von der Akteneinsicht umfasst sein solle, sei darauf zu verweisen, dass das IFG einen Ausschluss der Informationsfreiheit für "interne Dokumente" nicht kenne. Insbesondere sei § 4 IFG nicht einschlägig, da das Verwaltungsverfahren inzwischen abgeschlossen sei. Auch eine Verweigerung der Einsicht nach § 3 Nr. 3 lit. b) IFG komme nicht in Betracht; der Schutz nach dieser Vorschrift sei zeitlich begrenzt und ende mit der Bekanntgabe der Entscheidung. Soweit das Vorliegen von Geschäftsgeheimnissen geltend gemacht werde, gehe die Behörde fehlerhaft davon aus, dass allein die Kennzeichnung einer Information durch den Berechtigten als Geschäftsgeheimnis ausreiche, um den Informationszugang auszuschließen. Insoweit fehle es an der erforderlichen behördlichen Óberprüfung der Einordnung der bewussten Daten als Geschäftsgeheimnisse.

Mit an alle Klägerinnen gerichtetem Bescheid vom 3. März 2010 wies das Bundeskartellamt den Widerspruch zurück. Dieser sei bereits infolge Verfristung unzulässig, soweit er sich auf die Óbersendung des Freigabevotums richte. Zwar könne das anwaltliche Schreiben der Klägerinnen vom 29. Dezember 2009 als Widerspruch ausgelegt werden. Jedoch habe sich dieser gegen die Versagung der Akteneinsicht nur insoweit gerichtet, als diese auf § 6 Satz 2 IFG (Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse) gestützt gewesen sei. Die erstmals mit Schriftsatz vom 2. Februar 2010 erfolgte Erstreckung des Widerspruchs auf das Freigabevotum sei verspätet. Die Widerspruchsfrist habe am 3. Januar 2010 geendet. Im Óbrigen sei der Widerspruch unbegründet. Akteneinsicht in Geschäftsgeheimnisse, um die es sich bei umsatzbezogenen Angaben grundsätzlich handele, werde nicht gewährt, da die Einwilligung hierzu verweigert worden sei.

Die Klägerinnen haben am 29. März 2010 Klage erhoben. Zur Begründung tragen sie vor, die Beklagte habe nach wie vor nicht nachvollziehbar begründet, wieso Geschäftsgeheimnisse in Rede stünden. Bei den Umsatzzahlen handele es sich nicht um solche. Insoweit sei zu berücksichtigen, dass die E. I. AG Mitglied des Beigeladenen sei, weshalb der Beigeladene ihr gegenüber auskunfts- und rechenschaftspflichtig sei. Es sei nicht erkennbar, welche Art der Tätigkeit des Beigeladenen ein Geschäftsgeheimnis bilden solle, zumal der Beigeladene nicht unmittelbar im Bankensektor tätig sei und seinen Mitgliedern nach seinen Statuten auch keine Konkurrenz machen dürfe. Soweit Einsicht auch in das Freigabevotum begehrt werde, sei rechtzeitig Widerspruch eingelegt worden. Der zweite Absatz des Schriftsatzes vom 29. Dezember 2009, in dem eine weitere Àußerung vorbehalten worden sei, habe klargestellt, dass eine Beschränkung des Widerspruchs nicht beabsichtigt gewesen sei. In materiellrechtlicher Hinsicht könne eine Einsicht in das Votum, bei dem es sich um eine amtliche Information im Sinne des § 2 Nr. 1 IFG handele, weder nach § 3 Nr. 1 lit. d) IFG noch nach § 3 Nr.3 lit. b) IFG oder § 4 IFG nicht verweigert werden.

Die Klägerinnen beantragen,

die Beklagte unter Abänderung des Bescheides des Bundeskartellamtes vom 2. Dezember 2009 in der Gestalt seines Widerspruchsbescheides vom 3. März 2010 zu verpflichten, ihnen unbeschränkte Einsicht in die Akten des Bundeskartellamtes betreffend das Fusionskontrollverfahren S. -C1. mbH und E. I. AG - insbesondere Blatt 1- 14 - zu geben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hält die Klage für unzulässig, soweit die Verweigerung der Herausgabe des Entscheidungsvotums in Rede steht. Hilfsweise macht sie geltend, die Klage sei insoweit auch unbegründet. Eine Einsichtnahme in das Votum könne nach § 3 Nr. 1 lit. d) IFG, der weit auszulegen sei, sowie nach § 2 Nr. 1 IFG verweigert werden. Eine Einsichtnahme in das Freigabevotum hätte zum einen nachteilige Auswirkungen auf die Wahrnehmung der Kontroll- und Aufsichtsaufgaben des Bundeskartellamtes im Rahmen der Zusammenschlusskontrolle nach dem GWB. Insbesondere das Beratungsgeheimnis sei gefährdet, wenn durch Akteneinsicht die Auffassung des jeweiligen Berichterstatters transparent werde. Insoweit seien § 299 Abs. 4 ZPO, § 100 Abs. 3 VwGO sowie § 46 Abs. 2 Satz 2 BDSG analog anzuwenden. Bei anderer Sichtweise werde früher oder später in sämtliche Freigabevoten - etwa von spezialisierten Anwaltskanzleien - Einsicht genommen, was wiederum dazu führe, dass für diese Voten - entgegen der gesetzgeberischen Wertung - ein ungleich größerer Bearbeitungsaufwand entstehe. Die Arbeitsfähigkeit des Bundeskartellamtes wäre nicht mehr gewährleistet. Im Óbrigen sei das Votum schon keine amtliche Information im Sinne des § 2 Nr. 1 IFG, sondern ein Entwurf, der nicht Bestandteil eines Vorgangs werden solle. Dass die Voten nach ständiger Verwaltungspraxis der Behörde aufbewahrt und zum Vorgang der Verwaltungsakte genommen würden, ändere hieran nichts.

Unbegründet sei die Klage auch, soweit es um Geschäftsgeheimnisse gehe. Bei den vom Beigeladenen gekennzeichneten Informationen handele es sich um Geschäftsgeheimnisse, nämlich um Angaben darüber, in welchen Tätigkeitsbereichen des Unternehmens welche Umsätze erzielt worden seien. Soweit Umsatzangaben nicht einer gesetzlichen Publizitätspflicht unterlägen oder auf freiwilliger Basis veröffentlicht würden, fehle es ihnen auch an der Offenkundigkeit. Das Geheimhaltungsinteresse des Beigeladenen sei auch schutzwürdig, da Umsatzangaben als finanzwirtschaftliche Kennzahlen eine Bewertung eines Unternehmens bzw. der unternehmerischen Leistung ermöglichten.

Der Beigeladene stellt keinen Antrag.

Er weist darauf hin, dass das - ihm nicht bekannte - Freigabevotum wahrscheinlich weitere Geschäftsgeheimnisse enthalte, in deren Offenlegung er nicht einwillige, eine Mitgliedschaft der Klägerinnen bei dem Beigeladenen - unstreitig - nie bestanden habe sowie dass er kartellrechtlich relevante Umsätze im Sinne des HGB erziele.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den sonstigen Inhalt der Gerichtsakten - auch in den Verfahren 13 K 1549/10 und 13 L 1173/09 - sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.

Gründe

Die Klage hat insgesamt keinen Erfolg.

Hinsichtlich der Klägerinnen zu 2. und 3. ist die Klage bereits unzulässig.

Zwar werden sie im Widerspruchsbescheid als Adressatinnen aufgeführt, doch ändert dieser Umstand nichts daran, dass es für die Zulässigkeit der erhobenen Verpflichtungsklage insoweit bereits am erforderlichen Antrag im Verwaltungsverfahren fehlt. Den streitgegenständlichen Antrag auf Gewährung von Einsicht in den gesamten Akteninhalt vom 23. Oktober 2009 hat nur die Klägerin zu 1. gestellt, die ja auch nur das "Vorgänger"-Verfahren (Antrag vom 30. September 2008) betrieben hat.

Nicht nachholbare Zugangsvoraussetzung für die hier erhobene Verpflichtungsklage ist aber eine Antragstellung an die Behörde vor Klageerhebung, wie sich aus § 68 Abs. 2, § 75 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) ergibt. Dies gilt selbst dann, wenn die Behörde an sich von Amts wegen tätig werden muss. Die Klage vermag den Antrag nicht zu ersetzen,

vgl. Funke-Kaiser in: Bader/Funke-Kaiser/Stuhlfauth/von Albedyll, VwGO, 5. Auflage, § 75 Rdn. 5; Kopp/Schenke, VwGO, 17. Auflage, § 75 Rdn. 7.

Soweit die Klägerinnen die Zugänglichmachung des Entscheidungsvotums des Berichterstatters begehren, ist die Klage ebenfalls - wegen fehlenden Vorverfahrens - unzulässig.

Diesbezüglich hat das Bundeskartellamt eine Gewährung von Akteneinsicht mit Bescheid vom 2. Dezember 2009 (Tenor und Ziff. 6 der Begründung) abgelehnt. Der Bescheid, der eine zutreffende Rechtsbehelfsbelehrung enthielt, ist dem Prozessbevollmächtigten der Klägerinnen gegen Empfangsbekenntnis am 3. Dezember 2009 zugestellt worden. Damit endete die Widerspruchsfrist gemäß § 70 Abs. 1 VwGO am Montag, dem 4. Januar 2010. Innerhalb dieser Frist ist Widerspruch lediglich insoweit erhoben worden, als eine Akteneinsicht im Hinblick auf Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse versagt worden ist. Als - fristgerechter - Widerspruch gegen die Versagung der Offenlegung des Votums in Betracht kommt allein das Schreiben des klägerischen Prozessbevollmächtigten vom 29. Dezember 2009 und darin wiederum der Passus:

"Sobald Bestandskraft der Entscheidung der Beschlussabteilung eintrat, bitte ich um Óbermittlung eines vollständigen Aktenauszuges in Fotokopie. Ob die Óberlegungen der Beschlussabteilung vorbehalten werden können, lasse ich im Augenblick dahin gestellt. Nach Durchsicht der erwarteten Fotokopien behalte ich mir eine Àußerung in diesem Punkte vor."

Bei der Auslegung von Anträgen und von bei einer Behörde einzulegenden Rechtsbehelfen sind ebenso wie bei der Auslegung von Prozesshandlungen die für die Auslegung von empfangsbedürftigen Willenserklärungen des bürgerlichen Rechts geltenden Rechtsgrundsätze (§§ 133, 157 BGB) anzuwenden. Danach kommt es nicht auf den inneren Willen der erklärenden Partei, sondern darauf an, wie die Erklärung aus der Sicht des Empfängers bei objektiver Betrachtungsweise zu verstehen ist. Dabei tritt der Wortlaut hinter Sinn und Zweck der Erklärung zurück. Maßgebend ist der geäußerte Wille des Erklärenden, wie er aus der Erklärung und sonstigen Umständen für den Erklärungsempfänger erkennbar wird. Maßgeblich für den Inhalt eines Antrages oder Rechtsbehelfs ist, wie die Behörde ihn unter Berücksichtigung aller ihr erkennbaren Umstände nach Treu und Glauben zu verstehen hat. Dabei muss sich die Auslegung auf den Schriftsatz in seiner Gesamtheit und das mit ihm erkennbar verfolgte Rechtsschutzziel beziehen. Bei der Ermittlung des wirklichen Willens ist nach anerkannter Auslegungsregel zugunsten des Bürgers davon auszugehen, dass er denjenigen Rechtsbehelf einlegen will, der nach Lage der Sache seinen Belangen entspricht und eingelegt werden muss, um den erkennbar angestrebten Erfolg zu erreichen. Dies gilt im Grundsatz auch für anwaltliche Anträge und Rechtsbehelfe, soweit diese auslegungsfähig und -bedürftig sind. Nur die Umdeutung nicht auslegungsfähiger, weil eindeutiger Prozesserklärungen von Rechtsanwälten ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ausgeschlossen,

vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 12. Dezember 2001 - 8 C 17/01 -, juris, m.w.N.

In Anwendung dieser Grundsätze musste hier die Behörde von einem Teil-Widerspruch, beschränkt auf die Verweigerung des Zugangs zu Geschäftsgeheimnissen, ausgehen: Ausweislich seines Schreibens vom 29. Dezember 2009, das den Begriff "Widerspruch" ohnehin nicht erwähnt, hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerinnen jedenfalls gegen die Versagung der Offenlegung des Freigabevotums gerade noch keinen Widerspruch eingelegt. Eine Àußerung dazu, ob insoweit noch später "Widerspruch" eingelegt werden solle, hat er vielmehr bewusst auf einen späteren Zeitpunkt - nämlich denjenigen nach Durchsicht der erwarteten Fotokopien - verschoben.

Die weiteren Schreiben, in denen ausdrücklich um Vorlage der Blätter 1 - 14 (die u.a. das Votum beinhalten) gebeten und der Widerspruch damit erweitert wurde, sind außerhalb des Ablaufs der Widerspruchsfrist beim Bundeskartellamt eingegangen (nämlich am 2., 5. und 22. Februar 2010). Wiedereinsetzungsgründe sind nicht ersichtlich.

Im Óbrigen ist die Klage, soweit sie sich gegen die Versagung der Offenlegung des Freigabevotums richtet, aber auch unbegründet:

Zwar steht insoweit eine amtliche Information im Sinne des § 2 Nr. 1 des Gesetzes zur Regelung des Zugangs zu Informationen des Bundes (Informationsfreiheitsgesetz - IFG -) in Rede.

Nach dieser Regelung ist amtliche Information jede amtlichen Zwecken dienende Aufzeichnung, unabhängig von der Art ihrer Speicherung. Entwürfe und Notizen, die nicht Bestandteil eines Vorgangs werden sollen, gehören nicht dazu.

Maßgeblich dafür, was Bestandteil eines Vorgangs werden soll, sind die Regeln der ordnungsgemäßen Aktenführung,

vgl. Schoch, IFG, § 2 Rdn. 49 unter Verweis auf die Gesetzesbegründung, BT-Drs. 15/4493 S. 7, 9.

Soweit die Beklagte hierzu die Ansicht vertritt, die Regeln der ordnungsgemäßen Aktenführung erforderten es nicht, einen Entscheidungsentwurf, der einem Kollegialspruchkörper mit Beratungsgeheimnis zur Beratung dienen solle, zum Vorgang zu nehmen, verfängt dies nicht. Denn ist es nach eigenem Bekunden des Bundeskartellamtes so, dass die Voten eben aktenkundig gemacht werden bzw. in der Praxis zum Vorgang der Verwaltungsakte genommen werden. Bei einer solchen Konstellation, in der der Entwurf/die Notiz - einerlei was die Regeln einer ordnungsgemäßen Aktenführung besagen mögen - tatsächlich zu den Akten genommen wird, ist die Aufzeichnung als Teil der "amtlichen Information" zu qualifizieren,

ebenso: Schoch, demzufolge die Vorschrift des § 2 Nr. 1 Satz 2 IFG nicht nur die Exemtion von Entwürfen und Notizen aus dem amtlichen Informationsbestand ermöglicht, sondern auch deren Zuführung zur "amtlichen Information" erlaubt, § 2 Rdn. 51.

Jedoch ist vorliegend der Versagungsgrund des § 3 Nr. 3 lit. b) IFG einschlägig, demzufolge der Anspruch auf Informationszugang nicht besteht, wenn und solange die notwendige Vertraulichkeit,

zur Erstreckung der Einschränkung "notwendige Vertraulichkeit" auch auf lit. b) siehe Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Urteil vom 2. November 2010 - 8 A 475/10 -, juris,

der Beratungen von Behörden beeinträchtigt wird.

Dabei muss die Vertraulichkeit der Beratung aus tragfähigen Gründen notwendig sein. Zweck des Ausschlusstatbestandes ist es, einen unbefangenen und freien Meinungsaustausch zu gewährleisten. Geschützt ist nur der eigentliche Vorgang der (inner-/zwischen-) behördlichen Entscheidungsfindung, d.h. die Besprechung, Beratschlagung, Abwägung - der Beratungsprozess im engeren Sinne -, nicht die hiervon zu unterscheidenden Tatsachengrundlagen und die Grundlagen der Willensbildung (Beratungsgegenstand) sowie das Ergebnis der Willensbildung (Beratungsergebnis),

vgl. OVG NRW, a.a.O.

In Anwendung dieser Grundsätze ist vorliegend das Entscheidungsvotum des Berichterstatters der Beschlussabteilung geschützt.

Insoweit geht es um den Beratungsprozess im engeren Sinne. Die Beschlussabteilungen des Bundeskartellamtes entscheiden justizähnlich in der Besetzung mit einer/einem Vorsitzenden und zwei Beisitzenden. Die Vorsitzenden haben gegenüber den Beisitzenden kein Weisungsrecht, wie sie zu entscheiden haben. Das widerspräche dem Kollegialprinzip, das eine Abstimmung innerhalb des Kollegiums begrifflich voraussetzt,

vgl. Klaue in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 4. Auflage, § 51 Rdn. 5, Kiecker in: Langen/Bunte, Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, 10. Auflage, § 51 Rdn. 4.

Eine offene, unabhängige und unbefangene Abfassung und Beratung über das Votum wäre aufgrund einer später drohenden Veröffentlichung bzw. der damit einhergehenden drohenden öffentlichen Diskussion erheblich erschwert. Insofern würde durch das Bekanntwerden des Votums - auch nach Abschluss der konkreten Beratung -,

vgl. hierzu: OVG NRW, a.a.O., BVerwG, Beschluss vom 18. Juli 2011 - 7 B 14.11 -,

die notwendige Vertraulichkeit der Beratung beeinträchtigt.

Soweit die Klägerinnen Einsicht in die in der Fusionsanmeldung vom 22. April 2008 geschwärzten Umsatzzahlen der E. I. aus dem Geschäftsjahr 2007 begehren, ist die Klage bereits mangels Rechtsschutzinteresses unzulässig. Denn nach den eigenen Angaben der Klägerinnen (vgl. etwa Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 29. Dezember 2009) sind ihnen - als ehemalige Eigentümerinnen der E. I. bis April 2008 - diese Zahlen aus 2007 ohnehin bekannt.

Soweit das Bundeskartellamt eine Offenlegung der in der Fusionsanmeldung genannten Umsatzzahlen des Beigeladenen (und deren 100%-iger Tochtergesellschaft S. -C1. mbH) bzw. der Tätigkeitsfelder, auf denen diese erlöst worden sind, verweigert hat, sind die angegriffenen Bescheide rechtmäßig und verletzen die Klägerinnen nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 5 VwGO.

Insoweit handelt es sich um - wie vom Bundeskartellamt angenommen - schützenswerte Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse. Da der Beigeladene bzw. die S. -C1. mbH seine/ihre Einwilligung in den Zugang verweigert hat, darf ein solcher nicht gewährt werden, § 6 Satz 2 IFG.

Nach dieser Vorschrift darf Zugang zu Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen nur gewährt werden, soweit der Betroffene eingewilligt hat.

Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse sind alle auf ein Unternehmen bezogenen Tatsachen, Umstände und Vorgänge, die nicht offenkundig, sondern nur einem begrenzten Personenkreis zugänglich sind und an deren Nichtverbreitung der Rechtsträger ein berechtigtes Interesse hat.

Hierunter fallen zunächst die Umsatzzahlen des Beigeladenen und der S. -C1. mbH. Beide haben ein berechtigtes wirtschaftliches Interesse an der Geheimhaltung des Zahlenwerkes. Zwar bestimmt § 3 a.E. der Satzung des Beigeladenen, dass dieser keinen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb bezwecke. Jedoch betätigt er sich - unstreitig - unternehmerisch, wenn auch nur in beschränktem Maße. Soweit er sich aber unternehmerisch betätigt, kommt ihm der Schutz des § 6 Satz IFG zugute. Ob die unternehmerische Betätigung "erlaubtermaßen" erfolgt - woran das Gericht allerdings keinen Zweifel hat -, ist nicht Gegenstand eines IFG-Verfahrens.

Dasselbe gilt für die Tätigkeitsbereiche des Beigeladenen, auf denen dieser seine Umsätze erzielt. Diese Daten sind ebenso vom Schutz des § 6 Satz 2 IFG erfasst. Diese Tätigkeitsfelder sind auf das Unternehmen bezogen, nicht offenkundig und derart mit den Umsatzzahlen selbst verknüpft, dass ihre Offenlegung Rückschlüsse auf die unternehmerische Leistung des Beigeladenen zuließe.

Nach alledem war die Klage insgesamt abzuweisen.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf §§ 154 Abs. 1, 159 VwGO i.V.m. § 100 Abs.1 ZPO; außergerichtliche Kosten des Beigeladenen waren nicht für erstattungsfähig zu erklären, da er keinen Antrag gestellt und sich damit keinem Kostenrisiko ausgesetzt hat, §§ 154 Abs. 3, 162 Abs. 3 VwGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.






VG Köln:
Urteil v. 24.11.2011
Az: 13 K 1549/10


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