Oberlandesgericht Hamm:
Beschluss vom 19. Juli 2012
Aktenzeichen: II-2 WF 23/12

(OLG Hamm: Beschluss v. 19.07.2012, Az.: II-2 WF 23/12)

Zur Ablehnung der Beiordnung eines Verfahrensbevollmächtigten in einem Verfahren nach § 1666 BGB bei Vorliegen widerstreitender Interessen i. S. d. § 43a Abs. 4 BRAO.

Tenor

Die so­for­ti­ge Be­schwer­de des Kin­des­va­ters Q vom 16.02.2011 gegen den Be­schluss des Amts­ge­richts - Fa­mi­lien­ge­richt - Marl vom 23.11.2011 wird zu­rück­ge­wie­sen.

Gründe

Grün­de:

I.

Der Kin­des­va­ter und Be­schwer­de­füh­rer strebt mit der Be­schwer­de die Bei­ord­nung von Rechts­an­walt T aus N im Rah­men der be­wil­lig­ten Ver­fah­rens­kos­ten­hil­fe an. In dem Ver­fah­ren geht es um den Ent­zug der el­ter­li­chen Sorge für die Kin­des­eltern nach § 1666 BGB auf An­trag des Ju­gend­am­tes.

Rechts­an­walt T ist tätig unter dem Brief­kopf "C & T". Der im Brief­kopf mit be­nann­te Rechts­an­walt und Notar C ver­trat die Kin­des­mut­ter (und spä­te­re Ehe­frau des Be­schwer­de­füh­rers) im Jahr 2007 sowie 2008 als ge­schä­dig­te Zeu­gin in einem Straf­ver­fah­ren sowie als Pro­zess­be­voll­mäch­tig­ter in einem Ge­walts­schutz­ver­fah­ren, je­weils gegen den Be­schwer­de­füh­rer. Der Be­schwer­de­füh­rer wurde in den Straf­ver­fah­ren ver­ur­teilt und das Ge­walts­schutz­ver­fah­ren en­de­te mit einem Ver­gleich am 29.04.2008, in wel­chem des Verfahrens für er­le­digt er­klärt wurde.

Am 19.04.2011 wurde die ge­mein­sa­me Toch­ter M ge­bo­ren. Am 21.07.2011 be­an­trag­te das Ju­gend­amt der Stadt N eine An­hö­rung der Kin­des­eltern wegen even­tu­el­ler Ge­fähr­dung des Kin­des­wohls. Neben die­sem Haupt­sa­che­ver­fah­ren - 20 F 311/11 - lei­te­te das Amts­ge­richt Marl zu­gleich ein einst­wei­li­ges An­ord­nungs­ver­fah­ren mit dem Ak­ten­zei­chen 20 F 312/11 (zu­gleich OLG Hamm 2 WF 24/12) ein. In bei­den Ver­fah­ren fand am 23.08.2011 eine münd­li­che Ver­hand­lung statt. Das Amts­ge­richt hat dem Be­schwer­de­füh­rer in bei­den Ver­fah­ren Ver­fah­rens­kos­ten­hil­fe be­wil­ligt und ihm Rechts­an­walt Bub bei­ge­ord­net.

Am 26.09.2011 wand­ten sich der Be­schwer­de­füh­rer und die Kin­des­mut­ter ge­mein­sam an die Rechts­an­wäl­te C & T und unter­schrie­ben beide eine Voll­macht, in denen sie als Ehe­leu­te die "Rechts­an­wäl­te & Fach­an­wäl­te C & T“ be­auf­trag­ten "in Sa­chen Q ./. AG Marl" wegen "Sor­ge­recht für das Kind M". In­so­weit wird Bezug ge­nom­men auf die be­glau­big­te Kopie der Voll­macht (Bl. 44 der Akte 2 WF 24/12).

Auf­grund die­ser Voll­macht teil­ten die Rechts­an­wäl­te C & T in bei­den Ver­fah­ren mit, dass sie die Ehe­leu­te Q ver­tre­ten wür­den. Die bis­he­ri­gen bei­ge­ord­ne­ten Ver­fah­rens­be­voll­mäch­tig­ten des Be­schwer­de­füh­rers und der Kin­des­mut­ter leg­ten da­rauf­hin die Man­da­te nie­der.

Wegen der zwi­schen­zeit­li­chen Tren­nung der Ehe­leu­te ließ sich die Kin­des­mut­ter je­doch nicht wei­ter durch Herrn Rechts­an­walt T ver­tre­ten, son­dern be­voll­mäch­tig­te mit Voll­macht vom 03.11.2011 den Rechts­an­walt J aus N.

Mit der schrift­li­chen Er­klä­rung vom 21.11.2011 be­stä­tig­te der Be­schwer­de­füh­rer, dass ihn Rechts­an­walt T aus N nach hin­rei­chen­der Be­leh­rung und Auf­klä­rung in den Ver­fah­ren wei­ter ver­tre­ten soll. Der Be­schwer­de­füh­rer hielt den An­trag auf­recht, ihm Rechts­an­walt T als Ver­fah­rens­be­voll­mäch­tig­ten in bei­den Ver­fah­ren (Haupt­sa­che und einst­wei­li­ge An­ord­nung, unter An­rech­nung der be­reits ent­stan­de­nen Ge­büh­ren bei­zu­ord­nen.

Das Amts­ge­richt hat in dem an­ge­foch­te­nen Be­schluss vom 23.11.2011 den An­trag auf Än­de­rung der Bei­ord­nung zu­rück­ge­wie­sen. So­wohl Rechts­an­walt C als auch Rechts­an­walt T aus der­sel­ben Kanz­lei könn­ten wegen Ver­sto­ßes gegen § 356 StGB nicht bei­ge­ord­net wer­den. Es sei eine Ver­tre­tung der Kin­des­mut­ter als Ne­ben­klä­ge­rin in dem frü­he­ren Straf­ver­fah­ren gegen den Be­schwer­de­füh­rer und als Klä­ge­rin in dem Zi­vil­ver­fah­ren gegen den Be­schwer­de­füh­rer er­folgt. Es han­de­le sich um die­sel­be Rechts­sa­che wie in den frü­he­ren ge­richt­li­chen Ver­fah­ren. In dem vor­lie­gen­den Ver­fah­ren auf Ent­zug der el­ter­li­chen Sorge für das ge­mein­sa­me Kind könn­ten sich beide El­tern als Geg­ner ge­gen­über­ste­hen, weil der An­lass für die Über­prü­fung der Streit der El­tern sei. Es sei auch frü­her be­reits eine Tren­nung und Ver­söh­nung er­folgt. Ge­ra­de das Be­zie­hungs­ge­flecht könne den Aus­schlag in dem Ver­fah­ren auf Sor­ge­rechts­ent­zug geben. Das Wis­sen aus der frü­he­ren Ver­tre­tung für die Kin­des­mut­ter könne der Rechts­an­walt jetzt zum Vor­teil des Be­schwer­de­füh­rers ein­set­zen.

Hier­ge­gen wen­det sich der Be­schwer­de­füh­rer mit der so­for­ti­gen Be­schwer­de. Zur Be­grün­dung ver­weist er da­rauf, dass die Kin­des­mut­ter durch Rechts­an­walt C ver­tre­ten wor­den sei zu einem Zeit­punkt, als noch keine Zu­sam­men­ar­beit zwi­schen Rechts­an­walt C und Rechts­an­walt T er­folgt sei. Auch jetzt be­ste­he keine So­zie­tät, son­dern Rechts­an­walt C sei le­dig­lich frei­be­ruf­li­cher Mit­ar­bei­ter von Rechts­an­walt T. Eine Vor­be­fas­sung liege daher nicht vor. Die Ver­tre­tung des Be­schwer­de­füh­rers sei auch auf des­sen aus­drück­li­chen Wunsch er­folgt. Eine ein­heit­li­che Rechts­sa­che liege nicht vor. Das da­ma­li­ge Straf­ver­fah­ren und das Zi­vil­ver­fah­ren hät­ten nichts mit dem ge­mein­sa­men Kind zu tun, zumal die­ses zum da­ma­li­gen Zeit­punkt noch nicht ge­bo­ren sei. Das jet­zi­ge Ver­fah­ren sei zudem von Amts wegen zu füh­ren, so dass eine In­te­res­sen­kol­li­sion nicht be­ste­he. Auf § 3 Abs. 2 BORA könne nicht ver­wie­sen wer­den, weil die­ser durch das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt für nich­tig er­klärt wor­den sei.

II.

Die zu­läs­si­ge so­for­ti­ge Be­schwer­de nach § 127 Abs. 2 ZPO ist nicht be­grün­det.

Zu Recht hat das Amts­ge­richt eine Bei­ord­nung der Rechts­an­wäl­te C und T ab­ge­lehnt. Eine wei­te­re Aus­übung des von bei­den Ehe­leu­ten Q zu­sam­men er­teil­ten Man­da­tes al­lei­ne für den Ehe­mann ver­stößt gegen § 43a Abs. 3 BRAO. Eine Bei­ord­nung kam daher und kommt nicht in Be­tracht.

1.

a)

Das Amts­ge­richt hat zu Recht da­rauf hin­ge­wie­sen, dass durch die Tren­nung der Ehe­leu­te in dem Ver­fah­ren auf Ent­zug der el­ter­li­chen Sorge wi­der­strei­ten­de In­te­res­sen ent­ste­hen kön­nen. Das dies nicht nur theo­re­tisch so ist, in­di­ziert der Wech­sel der Kin­des­mut­ter zu einem an­de­ren Be­voll­mäch­tig­ten (nach­dem zuvor ge­mein­sam der Wech­sel zu den Rechts­an­wäl­ten C und T vor­ge­nom­men wurde). Es gibt hier­für kei­nen er­sicht­li­chen an­de­ren Grund als wi­der­strei­ten­de In­te­res­sen gegen­über dem ge­trennt le­ben­den Ehe­mann.

Es liegt in der Natur der Sache, dass diese wi­der­strei­ten­den In­te­res­sen nicht so­fort of­fen­kun­dig sind oder nicht dar­ge­legt wer­den, wenn es sich um In­for­ma­tio­nen (über die Kin­des­mut­ter) han­delt, die zu deren Nach­teil ver­wen­det wer­den könn­ten. Ge­ra­de die Ver­trau­lich­keit ist aber We­sens­in­halt der an­walt­li­chen Ver­tre­tung und soll ge­schützt wer­den. § 43a Abs. 4 BRAO be­zweckt die Wah­rung des Ver­trau­ens­ver­hält­nis­ses zum ei­ge­nen Man­dan­ten und die Si­che­rung der an­walt­li­chen Un­ab­hän­gig­keit in­so­weit, als ein Rechts­an­walt, der sich zum Die­ner ge­gen­läu­fi­ger In­te­res­sen macht, jeg­li­che un­ab­hän­gi­ge Sach­wal­ter­stel­lung im Diens­te des Recht­su­chen­den ver­liert. Das Ver­bot der Ver­tre­tung wi­der­strei­ten­der In­te­res­sen dient da­rü­ber hi­naus dem Ge­mein­wohl in Ge­stalt der Rechts­pfle­ge, die auf eine Ge­rad­li­nig­keit der an­walt­li­chen Be­rufs­aus­übung an­ge­wie­sen ist, also da­rauf, dass ein An­walt nur einer Seite dient. Alle diese Be­lan­ge tre­ten ne­ben­ei­nan­der und be­din­gen ei­nan­der. Das Ver­bot, wi­der­strei­ten­den In­te­res­sen zu ver­tre­ten, ist ge­eig­net und er­for­der­lich, um im In­te­res­se der Man­dan­ten wie der Rechts­pfle­ge diese Ziele zu er­rei­chen (Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt, Nicht­an­nah­me­be­schluss vom 20.06.2006 - 1 BvR 594/06 - AnwBl 2006, 580 zu § 3 Abs. 2 S. 2 RA­Be­ruf­sO nF).

Be­tont wer­den muss in­so­weit noch ein­mal, dass den Rechts­an­wäl­ten C und T auch ein Man­dat für die vor­lie­gen­den Ver­fah­ren von der Kin­des­mut­ter er­teilt war und die­ses von den Rechts­an­wäl­ten auch über­nom­men wur­de. Dies lässt sich ohne wei­te­res der Voll­macht ent­neh­men und den Ver­tre­tungs­an­zei­gen in bei­den Ver­fah­ren. Es ist in­so­weit auch an­zu­neh­men, dass mit "wir" in der schrift­li­chen Ver­tre­tungs­an­zei­ge nicht nur Rechts­an­walt T ge­meint ist. Die Voll­macht ist zudem aus­drück­lich für beide Rechts­an­wäl­te er­teilt.

b)

Eine Recht­fer­ti­gung der Ver­tre­tung kann auch nicht damit be­grün­det wer­den, dass die Tä­tig­keits­be­rei­che zwi­schen den Rechts­an­wäl­ten C und T klar ab­ge­grenzt sind. Aus dem jet­zi­gen Ver­fah­ren zum Um­gang zwi­schen bei­den Kin­des­eltern - Amts­ge­richt Marl, 20 F 29/12 - lässt sich viel­mehr nach dem über­reich­ten Pro­to­koll vom 13.03.2012 ent­neh­men, dass der ur­sprüng­lich für die Kin­des­mut­ter tä­ti­ge Rechts­an­walt C jetzt auch für den Kin­des­va­ter die Ver­tre­tung über­nom­men hat.

c)

Die Zu­stim­mungs­er­klä­rung des Be­schwer­de­füh­rers ist in­so­weit ir­re­le­vant. Maß­ge­blich kann die Zu­stim­mung nur sein, so­weit es um das Ver­bot nach § 3 Abs. 2 RA­Be­ruf­sO (BORA) geht, d.h. so­weit es um die Tä­tig­keit an­de­rer Rechts­an­wäl­te in der­sel­ben Be­rufs­aus­übungs- oder Bü­ro­ge­mein­schaft geht und nicht so­weit Rechts­an­walt T schon selbst die Kin­des­mut­ter in der­sel­ben Rechts­sa­che ver­tre­ten hat. Das Tä­tig­keits­ver­bot nach § 43a Abs. 4 BRAO be­steht bei wi­der­strei­ten­den In­te­res­sen (für den­sel­ben Rechts­an­walt) auch bei einer Zu­stim­mung der Be­tei­lig­ten.

2.

Das Prob­lem der wi­der­strei­ten­den In­te­res­sen ver­stärkt sich da­durch, dass Rechts­an­walt C die Kin­des­mut­ter in den frü­he­ren Straf­ver­fah­ren und Ge­walts­schutz­ver­fah­ren ver­tre­ten hat und er­sicht­lich eine ge­mein­sa­me Wahr­neh­mung der Man­da­te statt­fin­det.

3.

a)

Es spricht zudem viel dafür - auch wenn dies letzt­lich offen blei­ben kann - dass auch be­reits das frü­he­re Straf­ver­fah­ren und ins­be­son­de­re das Ge­walts­schutz­ver­fah­ren mit dem jet­zi­gen Ver­fah­ren auf Ent­zug der el­ter­li­chen Sorge die­sel­be Rechts­sa­che dar­stel­len. Die Rechts­sa­che ist cha­rak­te­ri­siert durch den sach­lichrecht­li­chen Ge­halt der an­ver­trau­ten In­te­res­sen, also das an­ver­trau­te ma­te­riel­le Rechts­ver­hält­nis, das bei na­tür­li­cher Be­trach­tungs­wei­se auf ein in­ner­lich zu­sam­men­ge­hö­ri­ges, ein­heit­li­ches Le­bens­ver­hält­nis zu­rück­zu­füh­ren ist, wobei es nicht auf den ein­zel­nen An­spruch an­kommt. Dabei wird die Ein­heit­lich­keit nicht durch einen län­ge­ren Zeit­ab­lauf auf­ge­ho­ben. Die Ehe der Be­tei­lig­ten wird als ein sol­ches ein­heit­li­ches Le­bens­ver­hält­nis an­ge­se­hen (An­walts­ge­richts­hof Mün­chen, Be­schluss vom 24.4.2012 - Bay­AGH II - 16/11 - zi­tiert nach Juris). Hier­mit ist die Si­tu­a­tion beim Be­schwer­de­füh­rer und der Kin­des­mut­ter ver­gleich­bar. Die frü­he­ren Ver­fah­ren zwi­schen den Kin­des­eltern be­tra­fen deren Le­bens­ge­mein­schaft. Die Ein­heit­lich­keit des Le­bens­ver­hält­nis­ses wird nicht da­durch un­ter­bro­chen, dass die Ehe­schlie­ßung und die Ge­burt des Kin­des erst zu einem spä­te­ren Zeit­punkt er­folg­ten, zumal die Le­bens­ge­mein­schaft be­reits kurze Zeit nach dem Straf­ver­fah­ren und dem Ge­walts­schutz­ver­fah­ren fort­ge­setzt wurde.

b)

Die Zu­stim­mungs­er­klä­rung des Be­schwer­de­füh­rers än­dert nichts­ da­ran, da für § 3 Abs. 2 S. 2 BORA auch eine vor­he­ri­ge Zu­stim­mung der Kin­des­mut­ter nach um­fas­sen­der Auf­klä­rung und In­for­ma­tion er­for­der­lich ge­we­sen wäre (vgl. An­walts­ge­richts­hof Mün­chen, Be­schluss vom 24.4.2012 - Bay­AGH II - 16/11 - zi­tiert nach Juris).

c)

Der Hin­weis auf die Nich­tig­keit von § 3 Abs. 2 RA­Be­ruf­sO (BORA) greift nicht durch, da sich die ge­nann­te Ent­schei­dung BVerfG NJW 2003, 2520 auf die alte Fas­sung be­zieht. Die ent­spre­chen­de Re­ge­lung in § 3 Abs. 2 BORA wurde neu ge­fasst. In der be­reits an­ge­führ­ten Ent­schei­dung hat das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt im Rah­men der Prü­fung der Ver­hält­nis­mä­ßig­keit auf die Wer­tung in § 3 Abs. 2 S. 2 BORA nF Bezug ge­nom­men und ge­ra­de keine Ver­fas­sungs­wid­rig­keit fest­ge­stellt.






OLG Hamm:
Beschluss v. 19.07.2012
Az: II-2 WF 23/12


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