Oberlandesgericht Düsseldorf:
Urteil vom 25. Juli 2006
Aktenzeichen: I-20 U 100/00
(OLG Düsseldorf: Urteil v. 25.07.2006, Az.: I-20 U 100/00)
Tenor
Die Berufung des Beklagten gegen das am 17. März 2000 verkündete Urteil der 42. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Duisburg - 42 O 164/99 - wird hinsichtlich des in der Berufungsinstanz nach teilweiser Klage-rücknahme noch streitgegenständlichen Unterlassungsanspruchs betreffend die Bewerbung und/oder den Vertrieb der Mittel „Creatin Monohydrate“ (Lit. f des Tenors des angefochtenen Urteils) und „Carnitin Drink“ (Lit. i des Tenors des angefochtenen Urteils) zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz haben der Kläger zu 44 % und der Beklagte zu 56 % zu tragen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens haben der Beklagte zu 36 % und der Kläger zu 64 % zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Der Kläger hat den Beklagten auf Unterlassung des Vertriebs bzw. der Werbung für die im Tenor des angefochtenen Urteils, auf den Bezug genommen wird, aufgeführten Mittel mit der Begründung in Anspruch genommen, es handele sich hierbei um Arzneimittel, deren Vertrieb und Bewerbung verboten sei. Der Beklagte hat demgegenüber geltend gemacht, die in seinem Produktkatalog Nr. 11 (Anlage K 4) beworbenen, von dem Kläger beanstandeten Produkte seien als Nahrungsergänzungsmittel einzuordnen. Das Landgericht hat dem Beklagten antragsgemäß den Vertrieb bzw. die Werbung für die Mittel Mega Gain, Mega Mass 2700 Tabletten, Amino 1500 Tabletten, Mega BCAA 1500 Tabletten, Amino Liquid 500.000, Creatin Monohydrate, Gluta Pro 100, Carnitin 2400 Tabletten sowie Carnitin Drink untersagt. Nachdem der Beklagte zunächst vollumfänglich Berufung gegen dieses Urteil eingelegt hatte, hat er in der Berufungsbegründung die Berufung auf die Mittel Mega Mass 2700 Tabletten, Amino 1500 Tabletten, Mega BCAA 1500 Tabletten, Amino Liquid 500.000, Creatin-Monohydrate, Gluta Pro 100 und Carnitin Drink beschränkt.
Er macht geltend, dem Kläger fehle die Aktivlegitimation, da er nach seiner Ausstattung nicht in der Lage sei, das Wettbewerbsgeschehen zu beobachten, Verstöße selbst zu erkennen und abzumahnen sowie Prozesse zu führen. Der Kläger beschäftige keine Volljuristen. Daher sei seine personelle Ausstattung nicht ausreichend. Der Prozesskostenfond des Klägers decke nur ca. 6,17 % des Prozesskostenrisikos ab. Überdies handele es sich um ein frei verfügbares Konto. Bei den noch streitgegenständlichen Produkten handele es sich um Nahrungsergänzungsmittel, die keine pharmakologische Wirkung aufwiesen.
Der Beklagte hat zunächst beantragt,
das Urteil des Landgerichts Duisburg vom 17.03.2000 - 42 O 164/99 - insoweit abzuändern und die Klage abzuweisen, als ihm, dem Beklagten, hierdurch untersagt worden ist, im geschäftlichen Verkehr
a)
das Mittel "Mega Mass 2700 Tabletten" ohne Zulassung als Arzneimittel (gemäß § 21 AMG) zu bewerben und/oder zu vertreiben, sofern das Mittel wie folgt beworben wird:
"ist ein hochkonzentriertes Aminosäurepräparat mit einer biologischen Wertigkeit von 121. Die L-Aminosäuren in Mega Mass 2700 werden ausschließlich aus Casein- und Lactalbuminhydrolysat in einem Verhältnis, wie es natürlich in der Milch vorkommt, gewonnen.
...
Mega Mass 2700 wird schonend mit Hilfe von enzymatischer Hydrolyse gewonnen, ... Mega Mass ist ein klassisches, schon jahrelang bewährtes Produkt, mit dem schon viele Sportler große Erfolge feiern durften",
b)
das Mittel "Amino 1500 Tabletten" ohne Zulassung als Arzneimittel (gemäß § 21 AMG) zu bewerben und/oder zu vertreiben, sofern das Mittel wie folgt beworben wird:
"ist ein Aminosäurepräparat aus 100 % reinem Lactalbumin, das eine wesentlich höhere biologische Wertigkeit als ein Vollei hat",
c)
das Mittel "Mega BCAA 1500 Tabletten" ohne Zulassung als Arzneimittel (gemäß § 21 AMG) zu bewerben und/oder zu vertreiben, sofern das Mittel wie folgt beworben wird:
"ist ein Aminosäureprodukt aus den verzweigtkettigen Aminosäuren L-Leucin, L-Valin und L-Isoleucin.
d)
das Mittel "Amino Liquid 500.000" ohne Zulassung als Arzneimittel (gemäß § 21 AMG) zu bewerben und/oder zu vertreiben, sofern das Mittel wie folgt beworben wird:
"Eine Portion Amino Liquid 500.000 enthält 11.500 mg Aminosäuren. Das in Amino Liquid 500.000 enthaltene Protein wird schonend durch enzymatische Hydrolyse gewonnen",
e)
das Mittel "Creatin Monohydrate" ohne Zulassung als Arzneimittel (gemäß § 21 AMG) zu bewerben und/oder zu vertreiben, sofern das Mittel wie folgt beworben wird:
"ist ein zu 100 % reines Produkt ...",
f)
das Mittel "Carnitin-Drink" ohne Zulassung als Arzneimittel (gemäß § 21 AMG) zu bewerben und/oder zu vertreiben, sofern das Mittel wie folgt beworben wird:
"Eine Flasche enthält 500 mg L-Carnitin ...".
Der Kläger hat zunächst beantragt,
die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.
Nachdem der Senat durch Einholung eines Sachverständigengutachtens Beweis erhoben hatte, hat der Kläger im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 30. Mai 2006 die Klage hinsichtlich der in bezug auf die Produkte "Mega Mass 2700 Tabletten", "Amino 1500 Tabletten", "Mega BCAA 1500 Tabletten" sowie "Amino Liquid 500.000" geltend gemachten Unterlassungsansprüche zurückgenommen und beantragt nunmehr,
die hinsichtlich der Mittel "Creatin Monohydrate" und "Carnitin-Drink" aufrechterhaltenen Berufungsanträge des Beklagten zurückzuweisen.
Der Kläger macht geltend, das vom Beklagten vertriebene Mittel "Carnitin-Drink" sei als Arzneimittel anzusehen, da der Inhaltsstoff L-Carnitin in einer Dosierung von 500 mg pharmakologische Wirkung entfalte. Hierunter sei auch eine Einflussnahme auf den Stoffwechsel, also eine metabolische Wirkung zu verstehen. Diese habe der Sachverständige Dr. S. in einem Gutachten, das er als gerichtlicher Sachverständiger in einem Rechtsstreit vor dem Oberlandesgericht Hamm - 4 U 143/97 - erstattet habe, bei L-Carnitin in einer Konzentration von 500 mg festgestellt. Auch das Produkt "Creatin-Monohydrate" sei als Arzneimittel anzusehen. Dies ergebe sich aus der durch die Zufuhr von Creatin erreichten Wassereinlagerung in den Muskeln mit der Folge einer sehr kurzfristigen Leistungssteigerung und den hierdurch hervorgerufenen Gesundheitsgefahren wie Nierenschädigungen und Muskelkrämpfen.
Der Beklagte verweist demgegenüber auf ein in Kopie vorgelegtes Schreiben des Amtes für Kommunalen Umweltschutz D., in dem zum Zwecke der Ausführung eines Präparats in den Libanon bestätigt wird, dass das Produkt "Explosiv Line "Creatine-Monohydrate" nach den deutschen lebensmittelrechtlichen Vorschriften für den menschlichen Verzehr geeignet sei. Von dem Laboratorium für Lebensmittel-Analytik Dr. Thöle sei ihm, dem Beklagten, unter dem 18.05.2005 bescheinigt worden, dass die dort aufgeführten Nahrungsergänzungsmittel, u.a. Creatin Monohydrate 500 mg und Carnitin Liquid 500 ml nach den deutschen lebensmittelrechtlichen Vorschriften für den menschlichen Verzehr geeignet seien. Auf den Flaschen des streitbefangenen "Carnitin-Drink" sei keine Dosierungsempfehlung angegeben. Die Flaschen seien nie im Verkauf eingesetzt worden. Sie seien "als solche wenn schon überhaupt" "eingestanzt" worden. Auch bei dem Mittel "Creatin Monohydrate" sei keine Dosis für den Tagesverzehr angegeben. Auf dem beiliegenden Etikett sei angegeben worden, dass ein Teelöffel = 2 g eingerührt werden solle. Die zuständigen Lebensmittelüberwachungsämter in D. und dem Kreis W. hätten die damaligen Produkte des Beklagten als Lebensmittel eingestuft. Er bezieht sich ferner auf die (privat-) gutachterliche Stellungnahme eines Dr. W. vom 10.02.2003.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf die zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen Prof. Dr. S.. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die in diesem und im Parallelverfahren 20 U 46/00 - die Verfahrensakten waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung - vorgelegten Gutachten Bezug genommen.
Gründe
Die zulässige Berufung hat hinsichtlich der nach teilweiser Klagerücknahme des Klägers in der Berufungsinstanz noch streitgegenständlichen Ansprüche betreffend die Produkte "Carnitin-Drink" und "Creatin Monohydrate" in der Sache keinen Erfolg.
Der geltend gemachte Unterlassungsanspruch ist gemäß §§ 3, 4 Nr. 11 UWG, § 8 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 2 UWG in Verbindung mit §§ 2, 21 AMG sowie § 3 a HWG begründet.
1.
Der Kläger kann als rechtsfähiger Verband zur Förderung gewerblicher oder selbständiger beruflicher Interessen seiner Mitglieder im Sinne des § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG den Unterlassungsanspruch geltend machen. Dass der Kläger, der Herausgeber der Zeitschrift "M." ist, die Voraussetzungen dieser Vorschrift erfüllt, insbesondere nach seiner personellen, sachlichen und finanziellen Ausstattung imstande ist, seine satzungsgemäßen Aufgaben tatsächlich wahrzunehmen, ist nicht nur vom Senat, sondern auch vom BGH in den Leitentscheidungen betreffend die vorliegende Materie bis in die jüngste Zeit immer wieder anerkannt worden (BGH NJW 2002, 3469 - Muskelaufbaupräparate; GRUR 2004, 793 - Sportlernahrung II; Senat, Urteil vom 16.11.2004 - 20 U 46/00 sowie 20 U 79/01). Die noch in der Berufungsinstanz geltend gemachten Einwände des Beklagten greifen nicht durch. Dass der Kläger nach seiner personellen Ausstattung in der Lage ist, das relevante Wettbewerbsgeschehen zu beobachten und zu bewerten, damit er mindestens typische Wettbewerbsverstöße, deren rechtliche Bewertung keine besonderen Schwierigkeiten aufweist, auch ohne anwaltlichen Rat erkennen kann, steht aufgrund seiner umfassenden Prozesstätigkeit außer Zweifel. Die Beschäftigung eines Volljuristen ist hierzu nicht erforderlich, es genügt die durch die Berufserfahrung eines Laien erworbene fachliche Qualifikation (BGH GRUR 2000, 1093, 1095 - Fachverband). Die Angriffe betreffend die finanzielle Ausstattung des Klägers, die aufgrund seiner bisherigen, dem Senat bekannten Prozesstätigkeit keinen Bedenken unterliegt, sind durch den Einwand der Beklagten, der Kläger unterhalte keinen "Prozesskostenfonds", nicht in Frage gestellt. Ein solcher "Fonds" ist zur Sicherung etwaiger gegnerischer Kostenerstattungsansprüche nicht erforderlich.
2.
Der Beklagte hat durch das Angebot der Mittel "Creatin-Monohydrate" und "Carnitin-Drink" gegen § 21 AMG sowie § 3 a HWG verstoßen. Bei den streitgegenständlichen Erzeugnissen handelt es sich um (Funktions-) Arzneimittel im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 5 AMG, die ohne arzneimittelrechtliche Zulassung in Deutschland nicht vertrieben (§ 21 Abs. 1 AMG) und beworben werden dürfen (§ 3 a HWG).
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs - vor Inkrafttreten der Richtlinie 2004/27/EG mit Ablauf der Umsetzungsfrist am 30.10.2005 - ist für die Einordnung eines Produkts als Arznei- oder Lebensmittel seine an objektive Merkmale anknüpfende überwiegende Zweckbestimmung entscheidend, wie sie sich für einen durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Verbraucher darstellt. Die Verkehrsauffassung knüpft regelmäßig an eine schon bestehende Auffassung über den Zweck vergleichbarer Mittel und ihrer Anwendung an, die wiederum davon abhängt, welche Verwendungsmöglichkeiten solche Mittel ihrer Art nach haben. Die Vorstellung des Verbrauchers von der Zweckbestimmung des Produkts kann weiter durch die Auffassung der pharmazeutischen oder medizinischen Wissenschaft, durch ihm beigefügte oder in Werbeprospekten enthaltene Indikationshinweise und Gebrauchsanweisungen sowie durch die Aufmachung, in der das Mittel dem Verbraucher entgegentritt, beeinflusst sein (BGH, Urteil vom 30.03.2006, IZR 24/03 mit weiteren Nachweisen). Diese Abgrenzung steht im Einklang mit der Rechtsprechung des EuGH zum gemeinschaftsrechtlichen Arzneimittelbegriff nach der Richtlinie 2001/83/EG vom 06.11.2001 (BGH, a.a.O.; BGH GRUR 2004, 793, 796 - Sportlernahrung II; EUGH WRP 2005, 863/HLH Warenvertriebs GmbH).
Durch Artikel 1 Nr. 1 der Richtlinie 2004/27/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31.03.2004 zur Änderung der Richtlinie 2001/83/EG zur Erschaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel ist der Arzneimittelbegriff neu definiert worden. Nach Artikel 1 Nr. 1 lit. b der Richtlinie 2004/27/EG sind danach Arzneimittel alle Stoffe oder Stoffzusammensetzungen, die im oder am menschlichen Körper verwendet oder einem Menschen verabreicht werden können, um entweder die menschlichen physiologischen Funktionen durch eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung wieder herzustellen, zu korrigieren oder zu beeinflussen oder eine medizinische Diagnose zu erstellen. Durch die neu in die Begriffsbestimmung des Funktionsarzneimittels aufgenommenen Wirkungen (pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung) stellt der Arzneimittelbegriff jedenfalls in größerem Umfang als die zuvor maßgebliche Definition des Artikel 1 Nr. 2 Abs. 2 der Richtlinie 2001/83/EG auf objektive Merkmale des Produkts ab (BGH, I ZR 42/03, Urteil vom 30.03. 2006). Mit der Bestimmung des Begriffs des Arzneimittels in Artikel 1 Nr. 1 lit. b der Richtlinie 2004/27/EG vom 31.03.2004 ist nunmehr anders als unter Geltung des Arzneimittelbegriffs nach Artikel 1 Nr. 2 in der ursprünglichen Fassung der Richtlinie 2001/83/EG vom 06.11.2001 von einem einheitlichen europäischen Begriff des Funktionsarzneimittels und einer Vollharmonisierung in diesem Bereich auszugehen (BGH a.a.O. mit weiteren Nachweisen; Gröning, WRP 2005, 709, 710). Nach Ablauf der Umsetzungsfrist gemäß Artikel 3 der Richtlinie 2004/27/EG vom 31.03.2004 am 30.10.2005 ist die Bestimmung des § 2 AMG, die den nationalen Arzneimittelbegriff regelt, richtlinienkonform im Sinne des neugefassten europarechtlichen Arzneimittelbegriffs auszulegen (BGH a.a.O.). Dabei ist für die Abgrenzung zwischen Arzneimittel und Lebensmittel auch die Definition des Lebensmittels heranzuziehen. Denn Arzneimittel sind nach § 2 Abs. 3 Nr. 1 AMG nicht Lebensmittel im Sinne von § 2 Abs. 2 LFGB. Nach § 2 Abs. 2 LFGB sind Lebensmittel alle Stoffe oder Erzeugnisse, die dazu bestimmt sind oder von denen nach vernünftigem Ermessen erwartet werden kann, dass sie in verarbeitetem, teilweise verarbeitetem oder unverarbeitetem Zustand von Menschen aufgenommen werden.
Sowohl unter Zugrundelegung des Arzneimittelbegriffs der Richtlinie 2001/83/EG vom 06.11.2001 in der ursprünglichen Fassung als auch in der durch die Richtlinie 2004/27/EG vom 31.03.2004 geänderten Fassung, die nunmehr die Auslegung der Bestimmung des § 2 AMG bestimmt, steht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme zur Überzeugung des Senats fest, dass es sich bei den von dem Beklagten angebotenen Präparaten "Carnitin-Drink" und "Creatin-Monohydrate" um Arzneimittel handelt.
a)
Wie zwischen den Parteien unstreitig ist, enthält die 500 ml-Flasche, in welcher der Beklagte in seinem Verkaufskatalog das Produkt "Carnitin-Drink" angeboten wird, 500 mg L-Carnitin. Da sich die von dem Beklagten in seinem "Produktkatalog Nr. 11" angebotenen Produkte insbesondere an Sportler richten und im Hinblick darauf, dass die von dem Kläger in seinem nachgelassenen Schriftsatz vom 20. Juni 2006 angesprochene Vitaminbeimischung des "Carnitin-Drink" erst bei Verzehr der ganzen Flasche den Tagesbedarf der aufgeführten Vitamine abdeckt, ist davon auszugehen, dass der Verbraucher die 500 ml-Flasche an einem Tag verzehrt. Da es sich bei dem "Carnitin-Drink" nicht etwa um ein einzurührendes Pulver handelt, sondern dieses als "Erfrischungsgetränk" - so der Aufdruck auf der Produktverpackung - in einer Flasche angeboten wird, entspricht der Verzehr einer 500 ml-Flasche am Tag dann, wenn von dem Hersteller keine anderweitige Empfehlung gegeben wird, dem typischen Verbraucherverhalten.
Wie der Sachverständige S. in seinem schriftlichen Gutachten vom 03.10.2002 ausgeführt hat, liegt eine Menge von 500 mg Carnitin pro Tag um ein Vielfaches über der durchschnittlichen Zufuhr dieses Stoffes mit der Nahrung. Hieraus ist der Schluss zu ziehen, dass Carnitin in einer Menge von 500 mg überwiegend anderen Zwecken als der Ernährung dient. Nur eine tägliche Gesamtzufuhr bis zu 300 mg Carnitin kann nach den Ausführungen des Sachverständigen noch als physiologisch betrachtet werden, da diese - gerade noch - bei einem starken Fleischkonsum (300 g Rindfleisch entsprechen ca. 200 mg Carnitin) erreicht werden kann. Bei einer Dosierung von 500 mg hat Carnitin nach den weiteren Ausführungen des Sachverständigen eine metabolische Wirkung. Ausweislich seines vor dem Oberlandesgericht Hamm erstatteten Gutachtens vom 26.09.2001, das der Kläger vorgelegt hat und dessen Inhalt von dem Beklagten nicht bestritten worden ist, wird als metabolische Wirkung eine Änderung von für die normale Körperfunktion notwendigen Prozessen angesehen, die den Start, die Veränderung der Geschwindigkeit oder eine Blockade dieser chemischen Vorgänge verursacht. Eine solche metabolische Wirkung ist bei einer künstlichen Zufuhr von 500 mg Carnitin darin zu sehen, dass - anders als bei einer als physiologisch einzuordnenden Zufuhr von Carnitin etwa durch den Verzehr einer fleischhaltigen Mahlzeit - ein Einfluss auf die Carnitin-Konzentration im Blutplasma feststellbar ist. Bei dieser Dosierung kommt es zu einer unphysiologischen Erhöhung des freien Carnitins (Seiten 11, 12 des im vorliegenden Verfahren eingeholten Gutachtens vom 03.10. 2002). Aufgrund dessen stellt der Senat, wie bereits in seinem Urteil vom 16.11. 2004 in dem Verfahren 20 U 79/01 - die Verfahrensakten waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung - fest, dass Carnitin in einer Dosierung ab 500 mg metabolische Wirkung hat. Ein Ernährungszweck ist nicht gegeben, vielmehr steht die Manipulation des Stoffwechsels durch Erhöhung der Konzentration des freien Carnitins im Vordergrund.
Der damit aufgrund der überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen vorzunehmenden Einordnung des "Carnitin-Drinks" als Arzneimittel steht nicht entgegen, dass der "Carnitin-Drink" von einem Laboratorium für Lebensmittel-Analytik als für den menschlichen Verzehr nach den deutschen lebensmittelrechtlichen Vorschriften geeignet angesehen wurde. Der Umstand, dass es keine Normen gibt, die die Verwendung von L-Carnitin in Lebensmitteln beschränken, steht der Einordnung des Erzeugnisses als Arzneimittel nicht entgegen. Dass bestimmte Stoffe Lebensmitteln zugesetzt werden dürfen, bedeutet lediglich, wie der Sachverständige S. bei seiner Anhörung in dem Verfahren 20 U 79/01 erläutert hat, dass man von geringer toxischer Wirkung solcher Stoffe ausgeht. Eine metabolische Wirkung von L-Carnitin, wie sie der Sachverständige bejaht hat, ist damit jedoch nicht ausgeschlossen. Diese wird auch in dem vom Kläger vorgelegten Privatgutachten des Lebensmittelchemikers Dr. W. nicht in Abrede gestellt, der den fehlenden Arzneimittelcharakter ebenfalls allein daraus herleiten will, dass Carnitin Produkten für besondere Ernährungszwecke beigefügt werden dürfe. Dies schließt aber nicht aus, dass Carnitin in einer unphysiologisch hohen Dosierung ab 500 mg metabolische Wirkung entfaltet. Der Nachweis einer gesundheitlichen Gefahr ist nicht in jedem Fall Voraussetzung der Qualifizierung eines Produkts als Arzneimittel. Der Arzneimittelbegriff der Richtlinie 2004/27/EG vom 31.03.2004 stellt gerade nicht auf eine gesundheitsschädigende Wirkung ab, sondern lässt eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung genügen.
b)
Auch bei dem Produkt "Creatin Monohydrate" handelt es sich um ein Arzneimittel.
Nach den Ausführungen des Sachverständigen S. auf Seite 15 seines im vorliegenden Verfahren eingeholten Gutachtens vom 03.10.2002 sind Creatin und Phospho-Creatin physiologische Stoffwechselprodukte des Körpers. Bei der Einnahme von Creatin-Monohydraten nimmt der Phospho-Creatin (PK)- Gehalt im Muskel zu. Auf den Seiten 17 ff. seines Gutachtens beschreibt der Sachverständige, dass die Gabe von Creatin zu einer Wassereinlagerung im Muskel führt. Dies kann Muskelkrämpfe und Dehydration verursachen. Im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat in der Sache 20 U 79/01 vom 28.09.2004 hat der Sachverständige weiter darauf hingewiesen, dass die durch die Zufuhr von Creatin erreichte Wassereinlagerung in den Muskeln nur sehr kurzfristige Wirkung habe und eine Leistungssteigerung z.B. beim Schwimmen nur bei einer Strecke von 50 m oder beim Gewichtheben nur bei den ersten beiden Versuchen erreicht werden könne.
Aufgrund dieser Feststellungen - insbesondere zu den negativen Wirkungen von Creatin - Muskelkrämpfe und Dehydration - hält der Senat an der im Urteil vom 16.11.2004 (20 U 79/01) ausgeführten Auffassung fest, dass die künstliche Zufuhr von Creatin pharmakologische Wirkung hat und das Produkt deshalb als Arzneimittel einzuordnen ist. Zwar weist eine die Muskeln aufbauende und deren Zellvolumen erweiternde Wirkung eines Mittels nicht stets und zwangsläufig auf einen arzneilichen Anwendungszweck hin. In Betracht kommt vielmehr auch, dass ein solches Mittel der Befriedigung besonderer physiologischer Bedürfnisse und sich daraus ergebender Ernährungserfordernisse einer speziellen Personengruppe dient und damit ein diätetisches Lebensmittel im Sinne von § 1 Abs. 2 Nr. 1 lit. b DiätVO darstellt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass eine Steigerung der körperlichen Leistungsfähigkeit zunehmend als Zweck einer Ernährung anerkannt wird. Der Aufbau von Muskelgewebe kann daher unter Umständen auch den physiologischen Bedürfnissen bestimmter Personengruppen Rechnung tragen (BGH GRUR 2004, 793 bis 797 - Sportlernahrung II). Einen derartigen Ernährungszweck hat das Produkt des Beklagten "Creatin-Monohydrate" jedoch nicht. Denn hiermit wird allenfalls ein ganz kurzfristiger Muskelaufbaueffekt durch die künstliche Einlagerung von Wasser erreicht, damit kann die körperliche Leistungsfähigkeit nicht insgesamt gesteigert werden. Die körperlichen Funktionen sollen für wenige Minuten manipuliert werden, was nach den Ausführungen des Sachverständigen S. nicht unerhebliche Gesundheitsgefahren mit sich bringt. Hinsichtlich der von dem Beklagten vorgelegten Bescheinigungen/ Privatgutachten gilt das vorstehend zu dem Produkt "Carnitin-Drink" Ausgeführte entsprechend; diese sind nicht geeignet, die pharmakologische Wirkung und damit den Arzneimittelcharakter in Abrede zu stellen.
3.
Das Inverkehrbringen und Bewerben von Arzneimitteln ohne Zulassung stellt ein nach § 4 Nr. 11 UWG unlauteres Marktverhalten dar, das, da insoweit die Gesundheit der Verbraucher berührt ist, auch gemäß § 3 UWG erheblich ist (BGH GRUR 2005, 778, 780 - Atemtest).
4.
Ob der Beklagte den "Carnitin-Drink" "im Verkauf eingesetzt" hat, was er in Abrede stellt, kann offen bleiben, da durch das Angebot dieses Produkts in seinem "Produktkatalog Nr. 4" und das von ihm nicht bestrittene Vorhalten des Produkts für den Verkauf zumindest eine Erstbegehungsgefahr auch bezüglich des Vertriebs begründet wird. Diese ist durch das angebliche "Einstanzen" eines bestimmten Vorrats an Flaschen nicht beseitigt worden.
5.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1, § 269 Abs. 3 Satz 2, § 97 Abs. 1, § 516 Abs. 3 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 708 Nr. 10, §§ 711, 713 ZPO.
Der Streitwert für die Berufungsinstanz beträgt
bis zum 26.7.2000: 25.000,- Euro,
ab dem 27.7.2000 bis zum 29.5.2006: 16668,- Euro und
ab dem 30.5.2006: 5556,- Euro.
Für die Zulassung der Revision besteht kein begründeter Anlass.
B. Dr. M. H.
OLG Düsseldorf:
Urteil v. 25.07.2006
Az: I-20 U 100/00
Link zum Urteil:
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