Bundespatentgericht:
Beschluss vom 1. April 2004
Aktenzeichen: 5 W (pat) 422/03
(BPatG: Beschluss v. 01.04.2004, Az.: 5 W (pat) 422/03)
Tenor
1. Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Deutschen Patent- und Markenamts - Gebrauchsmusterabteilung I - vom 3. Dezember 2002 aufgehoben.
2. Das Gebrauchsmuster 295 22 278 wird im Umfang der eingetragenen Schutzansprüche 1 bis 3 gelöscht.
3. Die Kosten beider Rechtszüge trägt die Antragsgegnerin.
Gründe
I Die Beschwerdegegnerin ist Inhaberin des am 8. März 2001 beim Deutschen Patent- und Markenamt unter der Bezeichnung "Anordnung zur Messung des Füllstands eines Füllguts in einem Behälter" mit 20 Schutzansprüchen in das Gebrauchsmusterregister eingetragenen Gebrauchsmusters 295 22 278 (Streitgebrauchsmuster). Das Schutzrecht ist durch die am 26. Oktober 2000 erklärte Teilung aus der Gebrauchsmusteranmeldung 295 22 252.2 hervorgegangen, welche ihrerseits am 14. Februar 1995 unter Inanspruchnahme der inneren Priorität der DE 44 05 238 vom 18. Februar 1994 angemeldet worden war. Die Schutzdauer ist auf zehn Jahre verlängert.
Die eingetragenen Schutzansprüche 1 bis 20 haben folgenden Wortlaut:
"1. Füllstandsmeßgerät (20) zur kontinuierlichen Messung des Füllstands (F) eines Füllguts (12) in einem Behälter (10), das einen Füllstandssensor (22) aufweist, der von einer oberhalb des höchsten vorkommenden Füllstands liegenden Stelle aus Wellen auf die Oberfläche (19) des Füllguts (12) richtet, der die an der Füllgutoberfläche (19) reflektierten Echowellen empfängt und der ein die Echowellen darstellendes elektrisches Ausgangssignal liefert, und das eine Meßschaltung (24) aufweist, die aus dem Ausgangssignal des Füllstandssensors (22) das an der Füllgutoberfläche (19) reflektierte Nutzecho ermittelt und den Meßwert des Füllstands aus der Laufzeit des Nutzechos bestimmt, wobei die Meßschaltung (24) über eine Zweidrahtleitung (28) mit einer entfernten Auswertestelle verbunden ist, wobei die Meßschaltung (24) über die Zweidrahtleitung (28) das den Füllstand anzeigende elektrische Meßsignal liefert und wobei die Versorgung des Füllstandsmeßgeräts (20) mit elektrischer Energie über die gleiche Zweidrahtleitung (28) von der Auswertestelle her erfolgt.
2. Füllstandsmeßgerät nach Anspruch 1, wobei es sich bei dem elektrischen Meßsignal um ein zwischen 4 und 20 mA veränderliches Stromsignal handelt.
3. Füllstandsmeßgerät nach Anspruch 1 oder 2, wobei es sich bei den Wellen um kurze elektromagnetische Wellen (Mikrowellen) oder um Ultraschallwellen handelt.
4. Füllstandsmeßgerät nach Anspruch 1, 2 oder 3, wobei an dem Behälter (10) wenigstens ein Grenzwertgeber (32, 34, 36, 38; 40) angeordnet ist, der ein elektrisches Signal liefert, das anzeigt, ob der Füllstand (F) im Behälter (10) über oder unter einer von dem Grenzwertgeber zu überwachenden Höhe liegt, die einem Füllstand entspricht, der zwischen dem minimalen und dem maximalen Füllstand des Behälters (10) liegt, wobei die Meßschaltung (24) das Ausgangssignal des bzw. jedes Grenzwertgebers (32, 34, 36, 38; 40) empfängt und zur Kontrolle des vom Füllstandsmeßgerät (20) ermittelten Füllstands-Meßwerts verwendet.
5. Füllstandsmeßgerät nach Anspruch 4, wobei am Behälter (10) mehrere Grenzwertgeber (32, 34, 36, 38) zur Überwachung unterschiedlicher Höhen des Füllstands (F) angeordnet sind und wobei die Meßschaltung (24) bei jeder Zustandsänderung des Ausgangssignals eines Grenzwertgebers (32, 34, 36, 38), die auftritt, wenn der Füllstand (F) die von diesem Grenzwertgeber zu überwachende Höhe erreicht, den gleichzeitig vom Füllstandsmeßgerät (20) gelieferten Füllstands-Meßwert mit dieser Höhe vergleicht, um die Richtigkeit der vom Füllstandsmeßgerät (20) durchgeführten Messung zu kontrollieren.
6. Füllstandsmeßgerät nach Anspruch 5, wobei die Meßschaltung (24) aus dem Ausgangssignal des Füllstandssensors (22) eine Echofunktion (E) bildet, die die Echoamplituden als Funktion der Entfernung über den gesamten Meßbereich darstellt, und wobei jede aktuelle Echofunktion mit einer bei leerem Behälter (10) aufgenommenen, gespeicherten Leerechofunktion vergleicht, um das Netzecho (N) zu ermitteln, das den an der Füllgutoberfläche (19) reflektierten Echowellen entspricht.
7. Füllstandsmeßgerät nach Anspruch 6, wobei die Meßschaltung (24) jedesmal dann, wenn der Höhenvergleich einen über einer vorgegebenen Fehlergrenze liegenden Meßfehler ergibt, die Leerechofunktion von oben bis zu der Höhe aktualisiert, die von dem Grenzwertgeber (32, 34, 36, 38) zu überwachen ist, dessen Ausgangssignal seinen Zustand geändert hat.
8. Füllstandsmeßgerät nach Anspruch 6, wobei die Meßschaltung (24) die gespeicherte Leerechofunktion unabhängig von dem Ergebnis des Höhenvergleichs jedesmal dann, wenn das Ausgangssignal eines Grenzwertgebers (32, 34, 36, 38) seinen Zustand ändert, von oben bis zu der von diesem Grenzwertgeber zu überwachenden Höhe aktualisiert.
9. Füllstandsmeßgerät nach Anspruch 6, wobei die Meßschaltung (24) die gespeicherte Leerechofunktion in vorbestimmten Zeitintervallen im Bereich der Grenzwertgeber (32, 34, 36, 38), deren Ausgangssignale anzeigen, daß der Füllstand (F) unter den von ihnen zu überwachenden Höhen liegt, aktualisiert.
10. Füllstandsmeßgerät nach Anspruch 6 bis 9, wobei die Meßschaltung (24) zur Ermittlung des Nutzechos (N) nur den Teil der aktuellen Echofunktion auswertet, der in dem Bereich zwischen den von zwei Grenzwertgebern (32, 34, 36, 38) zu überwachenden Höhen liegt, von denen der eine Grenzwertgeber anzeigt, daß der Füllstand über der von ihm zu überwachenden Höhe liegt, und der andere Grenzwertgeber anzeigt, daß der Füllstand unter der von ihm zu überwachenden Höhe liegt.
11. Füllstandsmeßgerät nach Anspruch 5 bis 10, wobei die Meßschaltung (24) prüft, ob der vom Füllstandsmeßgerät (20) gelieferte Füllstands-Meßwert in dem Bereich zwischen den von zwei Grenzwertgebern (32, 34, 36, 38) zu überwachenden Höhen liegt, von denen der eine Grenzwertgeber ein Signal abgibt, das anzeigt, daß der Füllstand über der von ihm zu überwachenden Höhe liegt, und der andere Grenzwertgeber ein Signal abgibt, das anzeigt, daß der Füllstand unter der von ihm zu überwachenden Höhe liegt.
12. Füllstandsmeßgerät nach Anspruch 4, wobei am Behälter (10) ein Grenzwertgeber (40) angeordnet ist und die Meßschaltung (24) bei jeder Zustandsänderung des Ausgangssignals des Grenzwertgebers (40), die auftritt, wenn der Füllstand die von dem Grenzwertgeber (40) zu überwachenden Höhe erreicht, den gleichzeitig vom Füllstandsmeßgerät (20) gelieferten Füllstands-Meßwert mit dieser Höhe vergleicht, um die Richtigkeit der vom Füllstandsmeßgerät (20) durchgeführten Messung zu kontrollieren.
13. Füllstandsmeßgerät nach Anspruch 12, wobei die Meßschaltung (24) aus dem Ausgangssignal des Füllstandssensors (22) eine Echofunktion (E) bildet, die die Echoamplituden als Funktion der Entfernung über den gesamten Meßbereich darstellt, und jede aktuelle Echofunktion mit einer bei leerem Behälter (10) aufgenommenen, gespeicherten Leerechofunktion vergleicht, um das Nutzecho (N) zu ermitteln, das den an der Füllgutoberfläche (19) reflektierten Echowellen entspricht.
14. Füllstandsmeßgerät nach Anspruch 13, wobei die Meßschaltung (24) jedesmal dann, wenn der Höhenvergleich einen über einer vorgegebenen Fehlergrenze liegenden Meßfehler ergibt, die Leerechofunktion von oben bis zu der Höhe aktualisiert, die von dem Grenzwertgeber (40) zu überwachen ist.
15. Füllstandsmeßgerät nach Anspruch 13, wobei die Meßschaltung (24) die gespeicherte Leerechofunktion unabhängig von dem Ergebnis des Höhenvergleichs jedesmal dann, wenn das Ausgangssignal des Grenzwertgebers (40) seinen Zustand ändert, von oben bis zu der von dem Grenzwertgeber (40) zu überwachenden Höhe aktualisiert.
16. Füllstandsmeßgerät (20) zur kontinuierlichen Messung des Füllstands (F) eines Füllguts (12) in einem Behälter (10), das einen Füllstandssensor (22) aufweist, der von einer oberhalb des höchsten vorkommenden Füllstands liegenden Stelle aus Wellen auf die Oberfläche (19) des Füllguts (12) richtet, der die an der Füllgutoberfläche (19) reflektierten Echowellen empfängt und der ein die Echowellen darstellendes elektrisches Ausgangssignal liefert, und das eine Meßschaltung (24) aufweist, die aus den empfangenen Echowellen die Echofunktion bildet und anhand der Echofunktion das an der Füllgutoberfläche (19) reflektierte Nutzecho ermittelt, indem sie den Meßwert des Füllstands aus der Laufzeit des Nutzechos bestimmt, wobei die Meßschaltung (24) über eine Zweidrahtleitung (28) mit einer entfernten Auswertestelle verbunden ist, wobei die Meßschaltung (24) über die Zweidrahtleitung (28) das den Füllstand anzeigende elektrische Meßsignal liefert und wobei die Versorgung des Füllstandsmeßgeräts (20) mit elektrischer Energie über die gleiche Zweidrahtleitung (28) von der Auswertestelle her erfolgt.
17. Füllstandsmeßgerät nach Anspruch 16, wobei die Meßschaltung die Echofunktion digital speichert.
18. Füllstandsmeßgerät nach Anspruch 16 oder 17, wobei die Meßschaltung die Echofunktion bei leerem Behälter, das sog. Leerechoprofil, aufnimmt.
19. Füllstandsmeßgerät nach Anspruch 18, wobei die Meßschaltung durch Vergleich der aktuellen Echofunktion mit dem gespeicherten Leerechoprofil das Nutzecho bestimmt.
20. Füllstandsmeßgerät nach Anspruch 16, wobei das Füllstandsmeßgerät entweder nach dem Prinzip der kontinuierlichen Wellenaussendung oder nach dem Puls-Laufzeit-Prinzip arbeitet."
Die Beschwerdeführerin hat mit ihrem am 28. November 2001 beim Patentamt eingegangenen Schriftsatz die Teillöschung des Gebrauchsmusters im Umfang der Schutzansprüche 1 bis 3 wegen fehlender Schutzfähigkeit beantragt. Die Beschwerdegegnerin hat dem Antrag zunächst mit Schriftsatz vom 7. Februar 2002 uneingeschränkt widersprochen. Auf den Bescheid der Gebrauchsmusterabteilung I vom 25. Juli 2002 hin, wonach mit Rücksicht auf folgenden Stand der Technik
(1) US 5 207 101
(2) US 5 254 846
(3) Hugo Lang, Wolfgang Lubcke: Smart Transmitter using Microwave Pulses to measure the Level of Liquids and Solids in Process Applications, 1993
(4) DE 39 04 824 A1
(5) DE 43 07 635 A1
(6) DE 41 26 063 A1
(7) DE 38 12 293 C2 sowie die amtsseitig ermittelte
(8) DE 36 32 840 A 1 mit einer Teillöschung des Schutzrechts zu rechnen sei, hat die Gebrauchsmusterinhaberin das angegriffene Schutzrecht im Umfang der mit Schriftsatz vom 8. November 2002 eingereichten neuen Schutzansprüche 1 und 2 gemäß Hauptantrag bzw. des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag - wegen des jeweiligen Anspruchswortlauts wird auf die Akten Bezug genommen - beschränkt verteidigt. Nach einer weiteren Änderung in der mündlichen Verhandlung vor der Gebrauchsmusterabteilung I vom 3. Dezember 2002 (Ersetzung der Angabe "kurze elektromagnetische Wellen (Mikrowellen)" durch die Angabe: "Mikrowellen") lauteten die Schutzansprüche 1 und 2 gemäß Hauptantrag wie folgt:
"1. Füllstandsmeßgerät (20) zur kontinuierlichen Messung des Füllstands (F) eines Füllguts (12) in einem Behälter (10), das einen Füllstandssensor (22) aufweist, der von einer oberhalb des höchsten vorkommenden Füllstands liegenden Stelle aus Mikrowellen auf die Oberfläche (19) des Füllguts (12) richtet, der die an der Füllgutoberfläche (19) reflektierten Echowellen empfängt und der ein die Echowellen darstellendes elektrisches Ausgangssignal liefert, und das eine Meßschaltung (24) aufweist, die aus dem Ausgangssignal des Füllstandssensors (22) das an der Füllgutoberfläche (19) reflektierte Nutzecho ermittelt und den Meßwert des Füllstands aus der Laufzeit des Nutzechos bestimmt, wobei die Meßschaltung (24) über eine Zweidrahtleitung (28) mit einer entfernten Auswertestelle verbunden ist, wobei die Meßschaltung (24) über die Zweidrahtleitung (28) das den Füllstand anzeigende elektrische Meßsignal liefert und wobei die Versorgung des Füllstandsmeßgeräts (29) mit elektrischer Energie über die gleiche Zweidrahtleitung (28) von der Auswertestelle her erfolgt."
"2. Füllstandsmeßgerät nach Anspruch 1, wobei es sich bei dem elektrischen Meßsignal um ein zwischen 4 und 20 mA veränderliches Stromsignal handelt."
Mit Beschluss vom 3. Dezember 2002, den Beteiligten jeweils zugestellt am 3. Februar 2003, hat die Gebrauchsmusterabteilung I das Gebrauchsmuster im Umfang der eingetragenen Schutzansprüche 1 bis 3 gelöscht, soweit es über die Schutzansprüche 1 und 2 gemäß Hauptantrag hinausgeht. Den weitergehenden Löschungsantrag hat sie zurückgewiesen.
Gegen diese teilweise Zurückweisung ihres Teillöschungsbegehrens richtet sich die Beschwerde der Antragstellerin vom 27. Februar 2003. Unter Verweis auf die weiteren Dokumente
(9) VEGA-Prospekt "PULS-RADAR" betreffend das Radarfüllstandsmessgerät "VEGAPLUS"
(10) Technische Daten KROHNE Level-Radar BM 70, 03/92, und
(11) DE 93 12 251 U1 macht sie im Wesentlichen geltend, der Gegenstand der Schutzansprüche in der verteidigten Fassung beruhe gegenüber dem aus den Druckschriften (10) und (1) bekannten Stand der Technik nicht auf einem erfinderischen Schritt. Gehe man jedoch davon aus, dass die geschützte Füllstandsmessvorrichtung dem Fachmann nicht nahegelegt gewesen sei, fehle es jedenfalls an der Ausführbarkeit, da nicht angegeben sei, wie die Stromversorgung und die Messwertübertragung über eine einzige Zweidrahtleitung bei einem mit Mikrowellen arbeitenden Gerät verwirklicht werden könne. Der Stand der Technik zeige nämlich solche Zweidrahtleitungen nur bei Ultraschallmessgeräten, die mit einer wesentlich kleineren Frequenz arbeiteten.
Die Beschwerdeführerin beantragt daher, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und das Gebrauchsmuster 295 22 278 im Umfang der Schutzansprüche 1 bis 3 zu löschen.
Die Gebrauchsmusterinhaberin beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen, hilfsweisedie angegriffenen Ansprüche in der Fassung des in der mündlichen Verhandlung übergebenen Hilfsantrags aufrechtzuerhalten.
Dieser Hilfsantrag umfasst einen Schutzanspruch mit folgenden Wortlaut:
"1. Füllstandsmeßgerät (20) zur kontinuierlichen Messung des Füllstands (F) eines Füllguts (12) in einem Behälter (10), das einen Füllstandssensor (22) aufweist, der von einer oberhalb des höchsten vorkommenden Füllstands liegenden Stelle aus Mikrowellen auf die Oberfläche (19) des Füllguts (12) richtet, der die an der Füllgutoberfläche (19) reflektierten Echowellen empfängt und der ein die Echowellen darstellendes elektrisches Ausgangssignal liefert, und das eine Meßschaltung (24) aufweist, die aus dem Ausgangssignal des Füllstandssensors (22) das an der Füllgutoberfläche (19) reflektierte Nutzecho ermittelt und den Meßwert des Füllstands aus der Laufzeit des Nutzechos bestimmt, wobei die Meßschaltung (24) über eine Zweidrahtleitung (28) mit einer entfernten Auswertestelle verbunden ist, wobei die Meßschaltung (24) über die Zweidrahtleitung (28) das den Füllstand anzeigende elektrische Meßsignal liefert, wobei es sich bei dem elektrischen Meßsignal um ein zwischen 4 und 20 mA veränderliches Stromsignal handelt, und wobei die Versorgung des Füllstandsmeßgeräts (20) mit elektrischer Energie über die gleiche Zweidrahtleitung (28) von der Auswertestelle her erfolgt."
Die Beschwerdegegnerin verteidigt ihr Schutzrecht insoweit nicht, als die eingetragenen Ansprüche 1 bis 3 über die Schutzansprüche 1 und 2 in der Fassung des Beschlusses der Gebrauchsmusterabteilung I des Patentamts vom 3. Dezember 2002 hinausgehen. Sie ist jedoch der Ansicht, der Gegenstand des Schutzanspruchs 1 in der Fassung des genannten Beschlusses beruhe auf einem erfinderischen Schritt. Im übrigen sei nicht nachgewiesen, dass die Druckschrift (10) vor dem Prioritätstag des Streitgebrauchsmusters der Öffentlichkeit zugänglich gewesen sei. Die Druckschrift (3), die auf eine Ausarbeitung der Gebrauchsmusterinhaberin zurückgehe und deren Inhalt erstmals im September 1993 publiziert worden sei, dürfe zwar nicht zur Beurteilung des erfinderischen Schritts herangezogen werden; hinsichtlich der Frage der Ausführbarkeit sei sie jedoch als Stand der Technik zu berücksichtigen. Bei Kenntnis dieser Druckschrift sei der Gegenstand des Schutzanspruchs 1 in der in erster Linie verteidigten Fassung des angefochtenen Beschlusses für den Fachmann ausführbar.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Die Beschwerdeführerin hat angeregt, zu der Frage, ob die Druckschrift (3) zum Fachwissen des Fachmanns gehöre und daher die Ausführbarkeit der beanspruchten Lehre stützen könne, die Rechtsbeschwerde zuzulassen.
II Die zulässige Beschwerde der Antragstellerin ist begründet: Über die im Beschluss der Gebrauchsmusterabteilung I des Patentamts vom 3. Dezember 2002 nach § 17 Abs. 1 S. 2 GebrMG ausgesprochene Teillöschung hinaus - die die Beschwerdeführerin (bei verständiger Würdigung ihres Antrags) als sie begünstigend nicht angefochten hat und bei der es daher sein Bewenden hat - war das angegriffene Schutzrecht im gesamten Umfang der eingetragenen Ansprüche 1 bis 3 zu löschen. Denn der Gegenstand dieser Schutzansprüche beruht, auch in der zuletzt (primär bzw hilfsweise) verteidigten Fassung, nicht auf einem erfinderischen Schritt, so dass dem mit der Beschwerde verfolgten weitergehenden Teillöschungsantrag der Beschwerdeführerin nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 GebrMG unter dem Gesichtspunkt mangelnder Schutzfähigkeit zu entsprechen war.
1. Das Streitgebrauchsmuster betrifft ein Füllstandsmessgerät zur kontinuierlichen Messung des Füllstands (F) eines Füllguts in einem Behälter.
Nach der Beschreibung sind kontinuierlich messende Vorrichtungen, die den Füllstand in einem Behälter durch eine nach dem Laufzeitverfahren arbeitende Abstandsmessung bestimmen, in verschiedenen Ausformungen bekannt. Soweit sie, wie der Gegenstand des Streitgebrauchsmusters, von einer oberhalb der Füllgutoberfläche angebrachten Quelle aus Wellen durch die Luft auf die Füllgutoberfläche richten und die von dort reflektierten Echowellen empfangen, können nach den Ausführungen in der Beschreibung (S 4 Z 16 ff.) Störungen bei der erforderlichen eindeutigen Identifizierung des Nutzechos aus der Gesamtheit der empfangenen Echowellen auftreten.
Vor diesem Hintergrund formuliert die Gebrauchsmusterschrift die Aufgabe, bei einer Anordnung, die für eine kontinuierliche Messung des Füllstands in einem Behälter nach dem Laufzeitverfahren unabhängig von der Größe des Behälters und der Art und Eigenschaften des Füllguts geeignet ist, eine automatische Kontrolle des Messergebnisses und gegebenenfalls die Behebung eines Messfehlers zu ermöglichen.
2. Schutzanspruch 1 in der Fassung des Hauptantrags beschreibt demgemäß ein Füllstandsmessgerät zur kontinuierlichen Messung des Füllstands (F) eines Füllguts in einem Behälter, welches einen Füllstandssensor aufweist, der von einer oberhalb des höchsten vorkommenden Füllstands liegenden Stelle aus Mikrowellen auf die Oberfläche des Füllguts richtet, der des weiteren die an der Füllgutoberfläche reflektierten Echowellen empfängt und der schließlich ein die Echowellen darstellendes Ausgangssignal liefert. Das Gerät weist weiter eine Messschaltung auf, die aus dem (die Echowellen darstellenden) Ausgangssignal des Füllstandssensors das an der Füllgutoberfläche reflektierte Nutzecho ermittelt und den Messwert des Füllstands aus der Laufzeit dieses Nutzechos bestimmt. Die Messschaltung ist über eine Zweidrahtleitung mit einer entfernten Auswertestelle verbunden, an die sie - über die Zweidrahtleitung - das den Füllstand anzeigende elektrische Messsignal liefert. Über dieselbe Zweidrahtleitung erfolgt schließlich auch die Versorgung des Füllstandsmessgeräts mit elektrischer Energie von der Auswertestelle her.
Der Gegenstand des Schutzanspruchs 1 gemäß Hauptantrag mag zwar neu und auch gewerblich anwendbar sein, §§ 1 Abs. 1, 3 Abs. 1 und 3 GebrMG. Er beruht indes nicht auf einem erfinderischen Schritt, § 1 Abs. 1 GebrMG. Denn er war dem Fachmann - einem Physiker oder Ingenieur mit Hochschulabschluss, der über Berufserfahrung in der Entwicklung von auf der Laufzeitmethode beruhenden Füllstandsmessgeräten verfügt - durch Druckschrift (10) unter Berücksichtigung seines - durch Druckschrift (1) belegten - Fachwissens nahegelegt.
a. Entgegen den von der Beschwerdegegnerin geäußerten Zweifeln steht zur Überzeugung des Senats fest, dass die Druckschrift (10) vor dem Prioritätszeitpunkt des Streitgebrauchsmusters (14. Februar 1994) der Öffentlichkeit zugänglich war und damit als relevanter Stand der Technik zu berücksichtigen ist. Denn nicht nur hat der langjährige Mitarbeiter der Beschwerdeführerin, der als Zeuge angebotene Herr B..., in seiner Erklärung vom 21. Januar 2004 an Ei-
des statt versichert, dass diese Firmenbroschüre, in der das Gerät "Level-Radar-BM 70" nach Aufbau, Funktionsprinzip und technischen Daten en detail vorgestellt wird, bereits im Jahr 1992 potentiellen Kunden wie auch Verwendern des Geräts "Level-Radar BM 70" ohne jede Geheimhaltungsverpflichtung überlassen worden ist - eine Angabe, die durch die Aufmachung der Entgegenhaltung (10) bestätigt wird: So belegt beispielsweise der dort auf Seite 3 hervorgehoben aufgedruckte Warnhinweis, wonach die "Verantwortung hinsichtlich Eignung und bestimmungsgemäßer Verwendung <der> Geräte allein beim Besteller" liegt, dass der Prospekt offensichtlich nicht an betriebsinterne Personen wie etwa Konstrukteure, sondern an potentielle Erwerber und damit an außenstehende Dritte gerichtet ist. Vielmehr spricht nach der Lebenserfahrung auch der Druckvermerk "03/92" dafür, dass die Schrift für Interessierte schon damals, d.h. kurz nach Drucklegung im März oder April 1992, zur Verfügung stand (vgl Rechtsprechungsnachweise zu Druckvermerken bei Busse/Keukenschrijver, Patentgesetz, 6. Aufl, § 3 Rdnr 240, Fn 704). Soweit die Antragsgegnerin diesem Datum keinerlei Bedeutung beimessen möchte und vage mutmaßt, die Broschüre könne nach Herstellung auch weggeworfen worden oder jedenfalls seinerzeit nicht auf den Markt gekommen sein, entbehrt eine solche - theoretische - Überlegung jeglicher Plausibilität. Denn es liefe vernünftigem, von wirtschaftlichen Erwägungen geprägtem kaufmännischen Gebaren diametral zuwider, Ressourcen für Entwurf (vgl den Vermerk S 8 des Prospekts "DESIGN KIEFER") und Druck einer - der Vermarktung des Geräts dienenden - Produktbeschreibung aufzuwenden, um diese dann potentiellen Interessenten vorzuenthalten und sie statt dessen mehr als zehn Jahre lang in der Schublade zu verwahren. Besondere Umstände, die eine vom üblichen Geschehensablauf (Verteilung der Broschüre kurz nach dem Druck 03/93) derart abweichende Handhabung nach der Lebenserfahrung ausnahmsweise als nachvollziehbar erscheinen ließen - wie etwa die unvorhergesehene Einstellung von Produktion und Verkauf des "Laser-Radar BM 70" in der in der Broschüre beschriebenen Ausgestaltung - hat die Antragsgegnerin denn auch nicht dargetan. Damit stellt sich ihr Bestreiten der öffentlichen Zugänglichkeit der Entgegenhaltung noch vor dem Prioritätstag des Streitgebrauchsmusters als unsubstantiiert, mithin als rechtlich unerheblich dar - mit der Folge, dass der Senat von der Vorveröffentlichung der Druckschrift (10) auszugehen hat. Demnach ist diese Entgegenhaltung bei der Beurteilung des erfinderischen Schritts auch als Stand der Technik i.S.d. § 3 Abs. 1 S. 2 GebrMG zu berücksichtigen.
b. Die Druckschrift (10) zeigt ein Füllstandsmessgerät zur kontinuierlichen Messung des Füllstands eines Füllguts in einen Behälter (S 2, li Sp Abs Beschreibung). Es weist einen Füllstandssensor auf (S 2 Fig unten li, dort als "Antenne" bezeichnet), der von einer oberhalb des höchsten vorkommenden Füllstands liegenden Stelle aus Mikrowellen auf die Oberfläche des Füllguts richtet, der die an der Füllgutoberfläche reflektierten Echowellen empfängt und der ein die Echowellen darstellendes elektrisches Ausgangssignal liefert ("Mischer-Ausgangssignal": S 2, li Sp, Abs Funktionsprinzip, sowie Fig unten Mitte). Eine Messschaltung ermittelt aus dem Ausgangssignal des Füllstandssensors das an der Füllgutoberfläche reflektierte Nutzecho und bestimmt den Messwert des Füllstands aus der Laufzeit des Nutzechos (S 2 Fig unten re). Die Messschaltung ist über eine Zweidrahtleitung (RS 485) mit einer entfernten Auswertestelle verbunden, wobei die Messschaltung über die Zweidrahtleitung das den Füllstand anzeigende elektrische Messsignal liefert (S 7 Kommunikations-Konzept).
Das aus der Druckschrift (10) bekannte Füllstandsmessgerät unterscheidet sich vom Gegenstand nach Anspruch 1 des Streitgebrauchsmusters in der Fassung des Hauptantrags allein dadurch, dass bei dem bekannten Gerät "Level-Radar-BM 70" die Messwertübertragung und die Versorgung des Füllstandssensors mit elektrischer Energie über verschiedene Leitungen erfolgen - ein Umstand, der vergleichsweise hohe Kosten bei der Verkabelung des Messgeräts verursacht, die besonders dann ins Gewicht fallen, wenn sich die Auswertestelle weit entfernt von dem Füllstandssensor befindet und demnach lange Kabelverbindungen notwendig sind. Der Fachmann hatte daher Veranlassung, die Verkabelung des Messgeräts zu vereinfachen.
Es gehörte bereits im Prioritätszeitpunkt des Streitgebrauchsmusters zum allgemeinen Kenntnisstand des Durchschnittsfachmanns, dass die Versorgung des Sensors mit elektrischer Energie und die Messwertübertragung über eine einzige Zweidrahtleitung durchgeführt werden kann. Dieses Fachwissen ist beispielsweise durch Druckschrift (1) belegt, die ebenfalls ein Füllstandsmessgerät zur kontinuierlichen Messung des Füllstands eines Füllguts in einem Behälter mittels der Laufzeitmethode betrifft und demnach dem gleichen Fachgebiet angehört. Dort ist in Spalte 4, Zeilen 6 - 18, der Einsatz einer Zweidrahtleitung sowohl zur Energieversorgung als auch zur Messwertübertragung beschrieben. Damit war es dem Fachmann nahegelegt, auch bei dem Gegenstand gemäß Druckschrift (10) die Versorgung des Sensors mit elektrischer Energie und die Messwertübertragung über dieselbe Zweidrahtleitung vorzunehmen. Er konnte demgemäß allein aufgrund seines Fachwissens und ohne erfinderischen Schritt zum Gegenstand des Schutzanspruchs 1 gelangen, der mithin nicht schutzfähig ist.
3. Das zusätzliche Merkmal nach Anspruch 2 gemäß Hauptantrag, wonach es sich bei dem den Füllstand anzeigenden elektrischen Messsignal um ein zwischen 4 und 20 mA veränderliches Stromsignal handelt, kann keine abweichende Beurteilung begründen. Denn diese Angabe ist ebenfalls aus der Druckschrift (10), dort Seite 3 Technische Daten - Stromausgang, bzw. Seite 7 Kommunikations-Konzept, bekannt.
4. Nichts anderes kann für den Gegenstand des Schutzanspruchs 1 in der Fassung des Hilfsantrags gelten. Denn gegenüber der Fassung von Anspruch 1 des Hauptantrags weist er lediglich die zusätzliche Angabe eines zwischen 4 und 20 mA veränderlichen Messsignals auf, deckt sich also mit Anspruch 2 gemäß Hauptantrag. Zur Begründung der mangelnden Schutzfähigkeit kann daher auf die Ausführungen oben, Ziffer 3 und 2, verwiesen werden.
5. Ist die begehrte Teillöschung des Streitgebrauchsmusters bereits deshalb auszusprechen, weil sein Gegenstand nicht auf einem erfinderischen Schritt beruht, kann die Frage, ob auch der Löschungsgrund mangelnder Schutzfähigkeit (§ 15 Abs 1 Nr 1 GebrMG) unter dem - im Gesetz nicht eigens erwähnten - Gesichtspunkt fehlender Ausführbarkeit (vgl Busse/Keukenschrijver, aaO, § 15 GebrMG Rdnr 4) gegeben ist, als nicht entscheidungserheblich dahinstehen. Für die seitens der Beschwerdeführerin angeregte Zulassung der Rechtsbeschwerde zu der Frage, ob die Druckschrift (3) bei der Beurteilung der Ausführbarkeit als Stand der Technik zu berücksichtigen ist, besteht daher keine Veranlassung.
6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 18 Abs. 2 S. 2 GebrMG iVm § 84 Abs. 2 S. 2 PatG, § 91 ZPO. Billigkeitsgründe, die eine abweichende Kostenverteilung erforderten, sind weder dargetan noch sonst ersichtlich.
Hübner Dr. Hartung Zehendner Be
BPatG:
Beschluss v. 01.04.2004
Az: 5 W (pat) 422/03
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