Bundesgerichtshof:
Beschluss vom 31. Mai 2010
Aktenzeichen: AnwZ (B) 55/09

(BGH: Beschluss v. 31.05.2010, Az.: AnwZ (B) 55/09)

Tenor

Die sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des 1. Senats des Anwaltsgerichtshofs Nordrhein-Westfalen vom 23. Januar 2009 wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen und der Antragsgegnerin die ihr im Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen außergerichtlichen Auslagen zu erstatten.

Der Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 50.000 € festgesetzt.

Gründe

I.

Der am 7. Mai 1946 geborene Antragsteller ist seit 1983 als Rechtsanwalt zugelassen. Mit Bescheid vom 10. Juli 2008 widerrief die Antragsgegnerin die Zulassung des Antragstellers zur Rechtsanwaltschaft wegen Vermögensverfalls. Den hiergegen gerichteten Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat der Anwaltsgerichtshof zurückgewiesen. Dagegen wendet sich der Antragsteller mit seiner sofortigen Beschwerde.

II.

Das Rechtsmittel ist zulässig (§ 215 Abs. 3 BRAO, § 42 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 4 BRAO a.F.), hat in der Sache jedoch keinen Erfolg. Die Zulassung des Antragstellers ist mit Recht widerrufen worden.

Nach § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO ist die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zu widerrufen, wenn der Rechtsanwalt in Vermögensverfall geraten ist, es sei denn, die Interessen der Rechtsuchenden sind hierdurch nicht gefährdet. Diese Voraussetzungen für den Widerruf waren bei Erlass des angefochtenen Bescheids der Antragsgegnerin gegeben und bestehen fort.

1. Ein Vermögensverfall liegt vor, wenn der Rechtsanwalt in ungeordnete, schlechte finanzielle Verhältnisse geraten ist, die er in absehbarer Zeit nicht ordnen kann, und außerstande ist, seinen Verpflichtungen nachzukommen. Beweisanzeichen hierfür sind das Erwirken von Schuldtiteln und Vollstreckungsmaßnahmen gegen den Rechtsanwalt (st. Rspr.; vgl. etwa Senatsbeschluss vom 5. Dezember 2005 - AnwZ (B) 13/05, NJW-RR 2006, 559, Tz. 5 m.w.N.). Zudem besteht nach § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO eine gesetzliche Vermutung für den Eintritt eines Vermögensverfalls, wenn der Rechtsanwalt in das vom Insolvenzgericht oder vom Vollstreckungsgericht zu führende Verzeichnis (§ 26 Abs. 2 InsO, § 915 ZPO) eingetragen ist.

Der gesetzliche Vermutungstatbestand war zum Zeitpunkt des Erlasses des Widerrufsbescheids erfüllt. Das Amtsgericht B. lehnte mit Beschluss vom 7. April 2008 (97 IN ) die vom Finanzamt A. am 10. Juli 2007 beantragte Eröffnung des Involvenzverfahrens über das Vermögen des Antragstellers mangels Masse ab. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde wies das Landgericht B. mit Beschluss vom 28. Mai 2008 (6 T ) zurück. Dementsprechend ist der Antragsteller seit dem Frühjahr 2008 in das Insolvenzverzeichnis beim Amtsgericht B. eingetragen (97 IN ). Die dadurch begründete Vermutung für den Vermögensverfall des Antragstellers hat dieser nicht widerlegt.

Auch die unabhängig von der gesetzlichen Vermutung für seinen Vermögensverfall sprechenden Beweisanzeichen hat der Antragsteller nicht entkräftet. Ausweislich eines Berichts des Finanzamts A. vom 12. April 2007, dem eine detaillierte Forderungsaufstellung beigefügt war, waren die im Zeitraum von 1989 bis 1996 bestandskräftig gewordenen Steuerforderungen gegen den Antragsteller auf insgesamt 358.345,85 € angewachsen. Das Finanzamt teilte weiter mit, der Antragsteller sei nach eigenen Angaben zur Begleichung der Außenstände nicht in der Lage, die eingeleiteten Pfändungsmaßnahmen seien erfolglos geblieben und vorhandenes Inventar stehe nachweislich im Sicherungseigentum Dritter. Zum 14. April 2008 hatten sich die Steuerrückstände auf 406.810,89 € erhöht. Hinzu kamen offene Forderungen anderer Gläubiger in Höhe von knapp 10.000 €, hinsichtlich deren allerdings keine Zwangsvollstreckungsmaßnahmen betrieben wurden.

Der Antragsteller konnte eine Tilgung der Steuerverbindlichkeiten nicht in Aussicht stellen. Er hat aber geltend gemacht, diese seien überwiegend nicht berechtigt, weil das Finanzamt von einer unzutreffenden Rechtslage ausgegangen und unzulässige Zinsen und Säumniszuschläge erhoben habe. Die von ihm hiergegen angestrengte Klage beim Finanzamt K. (5 K ) werde zu einer Korrektur der Steuerschuld führen. Ein Termin war in dieser Sache aber bis zum Zeitpunkt des Widerrufs noch nicht anberaumt worden. Zudem teilte der Antragsteller mit Schreiben vom 6. Juli 2008 mit, dass er über kein verwertbares Vermögen mehr verfüge, allerdings Wohnungs- und Kanzleiräume unentgeltlich nutzen könne. Letztlich bilde die Kanzlei, mit der er im Jahr 2007 einen Gewinn von rund 12.000 € erzielt habe, seine einzige Existenzgrundlage. In Anbetracht dieser Vermögensverhältnisse sind die Antragsgegnerin und der Anwaltsgerichtshof mit Recht davon ausgegangen, dass der Antragsteller bei Erlass der Widerrufsverfügung in Vermögensverfall geraten war.

2. Der Vermögensverfall ist auch nicht nach Erlass der Widerrufsverfügung weggefallen. Eine nachträgliche Konsolidierung der Vermögensverhältnisse des Antragstellers wäre zwar im gerichtlichen Verfahren zu berücksichtigen (BGHZ 75, 356, 357; 84, 149, 150), ist aber nicht festzustellen. Die gesetzliche Vermutung für den Vermögensverfall des Antragstellers besteht fort, da er nach wie vor in das beim Amtsgericht B. geführte Insolvenzverzeichnis eingetragen ist (§ 26 Abs. 2 InsO). Der Antragsteller hat auch die unabhängig von der fortbestehenden gesetzlichen Vermutung für seinen Vermögensverfall sprechenden Beweisanzeichen nicht ausgeräumt. Er hat zwar vor dem Anwaltsgerichtshof geltend gemacht, bei den gegen ihn gerichteten Steuerverbindlichkeiten handele es sich allein um Steuerschulden wegen tatsächlich nicht geflossener Gelder. Das Finanzamt habe bei einer Gesellschaft, an der der Antragsteller beteiligt war, eine Betriebsaufspaltung mit allen damit verbundenen steuerlichen Nachteilen bejaht. Mögliche Schadensersatzansprüche gegen seinen Steuerberater wegen fehlerhafter Beratung habe er - ebenso wie die vom Steuerberater an ihn abgetretenen Zahlungsansprüche gegen dessen Haftpflichtversicherung - im Dezember 2008 an das Finanzamt abgetreten. Zudem werde der Steuersockel aus rechtlichen Gründen zumindest um 80 % zu vermindern sein. Der mit der Kanzlei erwirtschaftete Gewinn habe sich im Jahr 2008 auf 20.000 € erhöht. Kanzlei- und Wohnräume stünden ihm weiterhin aufgrund eines unentgeltlichen Nutzungsrechts zur Verfügung. Seine Konten würden ausschließlich im Guthaben geführt, Zwangsvollstreckungsmaßnahmen würden nicht betrieben.

Dem Antragsteller ist es damit jedoch (noch) nicht gelungen, seine Vermögensverhältnisse zu ordnen. Die Steuerschuld ist - wie der Antragsteller im Termin vor dem Anwaltsgerichtshof angegeben hat - rechtskräftig festgestellt, nachdem das Finanzgericht seine hiergegen gerichtete Klage im Jahr 2005 abgewiesen und die Revision nicht zugelassen hatte. In dem derzeit laufenden, auf Erlass der Steuerschuld gerichteten Verfahren vor dem Finanzgericht K. (5 K ) ist bis zu der Verhandlung vor dem Anwaltsgerichtshof weder ein Termin anberaumt noch eine Einstellung der Zwangsvollstreckung verfügt worden. Auch das Finanzamt hat bis dahin nicht auf weitere Vollstreckungsmaßnahmen verzichtet. Damit sieht sich der Antragsteller nach wie vor einer Steuerforderung von rund 400.000 € ausgesetzt.

Die angespannte finanzielle Situation des Antragstellers hat sich auch im Verlauf des Beschwerdeverfahrens vor dem Bundesgerichtshof nicht verbessert. Dies gilt unabhängig von der Frage, ob zwischenzeitlich - so die Darstellung der Antragsgegnerin - noch eine Forderung der Bundesstadt B. in Höhe von 63.058,10 € hinzugekommen ist. Der Antragsteller hat zwar vorgebracht, außer Steuerschulden bestünden keine weiteren Verbindlichkeiten. Seine angespannte finanzielle Situation beruhe allein auf der steuerlichen Behandlung der von ihm eingegangenen Treuhandgemeinschaft. Allein die bestehenden - vom Antragsteller nach seiner eigenen Einschätzung nicht zu Lebzeiten tilgbaren - Steuerrückstände belegen aber einen Vermögensverfall, so lange kein Steuererlass gewährt oder jedenfalls ein Verzicht auf Vollstreckungsmaßnahmen erklärt wird. Dies hat der Antragsteller bislang nicht erreichen können. Er hat im Beschwerdeverfahren lediglich vorgetragen, die Finanzbehörden zu einem Steuererlass bewegen zu wollen. Hierzu hat er in seinem am 8. Oktober 2009 eingegangenem Schriftsatz eine Zahlung an das Finanzamt in Höhe von 27.000 € angekündigt, die Zahlung dieses Betrages aber bislang nicht belegt. Das Verfahren vor dem Finanzgericht ist nach wie vor offen. Ein Schadensersatzprozess gegen den ehemaligen Steuerberater wurde bislang nicht eingeleitet; dessen Haftpflichtversicherung hat bis zum Ablauf des Jahres 2010 auf die Einrede der Verjährung verzichtet. Daher kann nach derzeitigem Stand der Dinge nicht von einer Konsolidierung der Vermögensverhältnisse des Antragstellers ausgegangen werden.

3. Nach der in § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO zum Ausdruck gekommenen Wertung des Gesetzgebers ist mit einem Vermögensverfall eines Rechtsanwalts grundsätzlich eine Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden verbunden. Diese Annahme ist regelmäßig schon im Hinblick auf den Umgang des Rechtsanwalts mit Fremdgeldern und den darauf möglichen Zugriff von Gläubigern gerechtfertigt (st. Rspr.; vgl. etwa Senatsbeschlüsse vom 5. Dezember 2005, aaO, Tz. 8, und vom 25. Juni 2007 - AnwZ (B) 101/05, NJW 2007, 2924, Tz. 8 m.w.N.). Eine Gefährdung der finanziellen Interessen der Mandanten lässt sich nur selten mit hinreichender Sicherheit ausschließen (vgl. Senatsbeschluss vom 12. März 2001 - AnwZ (B) 27/00, juris, Tz. 6, BGHReport 2001, 668 [nur Leitsatz]).

Ein Ausnahmefall, in dem die Interessen der rechtsuchenden Bevölkerung ungeachtet des Vermögensverfalls nicht gefährdet wären (vgl. Senatsbeschlüsse vom 18. Oktober 2004 - AnwZ (B) 43/03, NJW 2005, 511, unter II 2 c; vom 25. Juni 2007, aaO, Tz. 9; vom 15. September 2008 - AnwZ (B) 67/07, AnwBl. 2009, 64, Tz. 5), ist weder vorgetragen noch ersichtlich. Der Antragsteller meint, eine Gefährdungslage liege nicht vor, weil er keine Mandantengelder verwalte und es bislang zu keinen Beanstandungen gekommen sei. Diese Umstände schließen aber eine Gefährdung der Vermögensinteressen der Mandanten nicht aus. Der Antragsteller ist als Einzelanwalt tätig und kann daher - anders als ein bei einer Sozietät angestellter Anwalt, der sich besonderen arbeitsrechtlichen Einschränkungen und einer Überwachung durch einen (zuverlässigen) Arbeitgeber unterworfen hat - nicht auf die Einhaltung der selbst auferlegten Beschränkungen überwacht werden (vgl. Senatsbeschluss vom 12. Februar 2001 - AnwZ (B) 7/00, juris, Tz. 8 m.w.N.).

c) Entgegen der Auffassung des Antragstellers verstößt der Widerruf der Zulassung auch nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Die Widerrufsvorschrift des § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO dient dem Schutz der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege, also eines überragend wichtigen Gemeinschaftsguts (Senatsbeschluss vom 12. Februar 2001, aaO, Tz. 13). Mildere Maßnahmen kommen nicht in Betracht, da im Hinblick auf die angespannten und ungeordneten Vermögensverhältnisse des Antragstellers nur durch einen Zulassungswiderruf der Gefährdung der Vermögensinteressen von Rechtsuchenden wirksam begegnet werden kann.

4. Der Senat konnte in Abwesenheit des Antragstellers verhandeln und entscheiden, da dieser der mündlichen Verhandlung trotz ordnungsgemäßer Ladung unentschuldigt ferngeblieben ist.

Ganter Ernemann Fetzer Frey Hauger Vorinstanz:

AGH Hamm, Entscheidung vom 23.01.2009 - 1 AGH 85/08 -






BGH:
Beschluss v. 31.05.2010
Az: AnwZ (B) 55/09


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