Verwaltungsgericht Köln:
Beschluss vom 20. September 2010
Aktenzeichen: 21 L 799/10

(VG Köln: Beschluss v. 20.09.2010, Az.: 21 L 799/10)

Tenor

1. Die aufschiebende Wirkung der Klage 21 K 1025/10 wird in Bezug auf Ziffer 1 des Tenors des Beschlusses BK 2 c 09/002- R vom 25. Januar 2010 bis zum 31. Dezember 2010 angeordnet, soweit der Antragstellerin hierin auferlegt wird, Betreiberauswahl (Call-by-Call) und Betreibervorauswahl (Preselection) am All-IP- Anschluss zu gewährleisten.

Der Antrag im Óbrigen wird abgelehnt.

Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragstellerin zu 9/10 und die Antragsgegnerin zu 1/10.

2. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 25.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

Der Antrag,

1. die aufschiebende Wirkung der Klage 21 K 1025/10 in Bezug auf Ziffer 1 des Tenors des Beschlusses BK 2 c 09/002- R vom 25.01.2010 anzuordnen, soweit der Antragstellerin hierin auferlegt wird, Betreiberauswahl (Callby-Call) und Betreibervorauswahl (Preselection) am All-IP- Anschluss zu gewährleisten,

2. hilfsweise die aufschiebende Wirkung der Klage 21 K 1025/10 in Bezug auf Ziffer 1 des Tenors des Beschlusses BK 2 c 09/002- R vom 25.01.2010 bis zum 31.12.2010 anzuordnen, soweit der Antragstellerin hierin auferlegt wird, Betreiberauswahl (Callby-Call) und Betreibervorauswahl (Preselection) am All-IP- Anschluss zu gewährleisten,

ist zulässig. Bezogen auf das unter Ziffer 1) mit ihm verfolgte Begehren ist der Antrag aber nicht begründet (1). Hinsichtlich des hilfsweise mit Ziffer 2) verfolgten Begehrens ist der Antrag begründet (2).

Nach § 80 Abs. 2 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 137 Abs. 1 TKG haben Widerspruch und Klage gegen telekommunikationsrechtliche Entscheidungen der Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen (Bundesnetzagentur - BNetzA - keine aufschiebende Wirkung. Das Gericht kann jedoch gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs anordnen. Bei seiner Entscheidung hat das Gericht das öffentliche Vollziehungs- und das private Aussetzungsinteresse gegeneinander abzuwägen und dabei die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs zu berücksichtigen. Das private Interesse überwiegt in der Regel dann, wenn der Bescheid bei der hier nur möglichen summarischen Überprüfung der Sach- und Rechtslage sich als offensichtlich rechtswidrig erweist, denn dann liegt dessen sofortiger Vollzug nicht im öffentlichen Interesse. Dagegen überwiegt regelmäßig ein öffentliches Interesse, wenn sich der Widerspruch/ die Klage wegen offensichtlicher Rechtmäßigkeit des angegriffenen Bescheides als voraussichtlich aussichtslos erweist und die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse geboten erscheint. Lassen sich die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nicht sinnvoll abschätzen (etwa weil dort schwierige Rechtsfragen zu klären wären), ist eine Abwägung zwischen dem privaten Interesse an der aufschiebenden Wirkung und dem allgemeinen öffentlichen Interesse bzw. dem privaten Interesse sonstiger Beteiligter am Vollzug vorzunehmen. Im Rahmen dieser Abwägung ist auch eine gesetzgeberische Grundentscheidung (für den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung) in den Blick zu nehmen,

vgl. BVerwG, Beschluss vom 15.04.1999 - 4 VR 18.98, 4 A 45.98 -, NVwZ-RR 1999, 554 (556); OVG NRW, Beschluss vom 24.02.1989 - 12 B 2166/88 -, NJW 1989, 2770 und Beschluss vom 17.03.1994 - 15 B 3022/93 -, NVwZ-RR 1994, 617.

Bei seiner Abwägung bleibt die gerichtliche Prüfung im Rahmen des vorliegenden Verfahrens über den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes vornehmlich auf solche Einwendungen beschränkt, die der Rechtsschutzsuchende geltend macht, es sei denn, sonstige Mängel der angegriffenen Behördenentscheidung stellen sich bei summarischer Prüfung als offensichtlich dar.

(1) Bei der hier nur möglichen summarischen Überprüfung der Sach- und Rechtslage spricht Überwiegendes dafür, dass die unter Ziffer 1) der Regulierungsverfügung vom 25. Januar 2010 der Antragstellerin auferlegte Verpflichtung, ihren Teilnehmern bzw. Teilnehmern der mit ihr verbundenen Unternehmen den Zugang zu den Diensten aller unmittelbar zusammengeschalteten Anbieter von Telekommunikationsdiensten für die Öffentlichkeit u.a. durch Betreiberauswahl (Callby-Call) und Betreibervorauswahl (Preselection) zu ermöglichen, auch insoweit rechtmäßig ist, als sie sich auf sog. "All-IP- Anschlüsse" erstreckt. Insoweit geht die Interessenabwägung schon aus diesem Grunde zu Lasten der Antragstellerin aus.

Nach § 40 Abs. 1 TKG in der hier maßgeblichen Fassung des Gesetzes vom 18. Februar 2007 (BGBl. I. S.106) verpflichtet die Bundesnetzagentur Unternehmen, die bei der Bereitstellung des Anschlusses an das öffentliche Telefonnetz und dessen Nutzung an festen Standorten als Unternehmen mit beträchtlicher Marktmacht eingestuft wurden, nach Maßgabe des Satzes 4 dieser Vorschrift dazu, ihren Teilnehmern den Zugang zu den Diensten aller unmittelbar zusammengeschalteten Anbieter von Telekommunikationsdiensten für die Öffentlichkeit zu ermöglichen. Nach Satz 2 dieser Bestimmung geschieht dies sowohl durch Betreiberauswahl im Einzelwahlverfahren durch Wählen einer Kennzahl (sog. Callby-Call) als auch durch Betreibervorauswahl (sog. Preselection), wobei jedoch bei jedem Anruf die Möglichkeit bestehen muss, die festgelegte Vorauswahl durch Wählen einer Betreiberkennzahl zu übergehen.

Die Voraussetzungen dieser Bestimmung sind vorliegend erfüllt. Die Antragstellerin ist mit der Festlegung der Bundesnetzagentur vom 28. April 2009 auf dem hier maßgeblichen bundesweiten Markt für den Zugang zu Privat- und Geschäftskunden zum öffentlichen Telefonnetz an festen Standorten (Markt 1) als Unternehmen mit beträchtlicher Marktmacht eingestuft worden; die unter Ziffer 1 der Regulierungsverfügung vom 25. Januar 2010 getroffene Regelung setzt die Verpflichtung aus § 40 Abs. 1 TKG in für die Antragstellerin verbindlicher Form um. Dies kann nicht schon deswegen als offensichtlich rechtswidrig angesehen werden, weil die Bundesnetzagentur davon ausgegangen ist, dass ihr - wie sie ausdrücklich unter Ziffer 3 f der Begründung der Regulierungsverfügung ausgeführt hat - insoweit ein Regulierungsermessen nicht zukommt. Nach dem Wortlaut von § 40 Abs. 1 TKG "verpflichtet" die Bundesnetzagentur das marktmächtige Unternehmen zur Betreiberauswahl und Betreibervorauswahl, ohne dass ihr insoweit ein Ermessen zukäme. Anders als bei der Entgeltgenehmigungsverpflichtung, deren Auferlegung nach dem Wortlaut von § 30 Abs. 1 TKG gleichfalls eine gebundene Entscheidung darstellt, gebietet vorliegend auch Europäisches Gemeinschaftsrecht keine gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung dieser Bestimmung dahingehend, dass sie ungeachtet ihres Wortlauts Regulierungsermessen eröffnet,

vgl. für § 30 Abs. 1 TKG: BVerwG, Urteil vom 28. Januar 2009 - 6 C 39.07 -, MMR 2009, 786 - 790.

Mit § 40 TKG wird nämlich Art. 19 der Richtlinie 2002/22/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. März 2002 über den Universaldienst und Nutzerrechte bei elektronischen Kommunikationsnetzen und -diensten (Universaldienstrichtlinie) umgesetzt, der hinsichtlich der Verpflichtung zur Betreiberauswahl und Betreibervorauswahl die Ausübung von Regulierungsermessen nicht voraussetzte. Dass Art. 19 der Universaldienstrichtlinie inzwischen durch Artikel 1 Nr. 13 der Richtlinie 2009/136/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2009 zur Änderung der Richtlinie 2002/22/EG über den Universaldienst und Nutzerrechte bei elektronischen Kommunikationsnetzes und -diensten, der Richtlinie 2002/58/EG über die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation und der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 über die Zusammenarbeit im Verbraucherschutz außer Kraft getreten ist, führt hier voraussichtlich zu keinem anderen Ergebnis, da diese Richtlinie nach ihrem Artikel 4 erst bis zum 25. Mai 2011 in nationales Recht umzusetzen ist und ihr schon deswegen für den hier maßgeblichen Zeitpunkt der angegriffenen Regulierungsverfügung keine die Auslegung von § 40 Abs. 1 TKG bestimmenden Gesichtspunkte entnommen werden können.

Nach § 40 Abs. 1 TKG erstreckt sich die Verpflichtung zur Betreiberauswahl und Betreibervorauswahl auf alle Anschlüsse an das öffentliche Telefonnetz und dessen Nutzung an festen Standorten und damit sowohl auf Anschlüsse, die im (klassischen) schmalbandigen PSTN- Netz realisiert werden als auch auf solche, die ausschließlich im Breitbandnetz eingerichtet sind. Nach § 3 Nr. 16 TKG bezeichnet der Begriff "öffentliches Telefonnetz" allgemein ein Telekommunikationsnetz, das zur Bereitstellung des öffentlich zugänglichen Telefondienstes - das ist ein der Öffentlichkeit zur Verfügung stehender Dienst für das Führen von Inlands- und Auslandsgesprächen (Art. 3 Nr. 17 TKG) - genutzt wird. Auf die Frage, ob der Anschluss im schmalbandigen PSTN- Netz oder in einem Breitbandnetz realisiert wird, kommt es dabei nicht an.

Der Auffassung der Antragstellerin, § 40 Abs. 1 TKG erfasse nur schmalbandige Anschlüsse, vermag das Gericht daher nicht beizutreten. Aus dem Erwägungsgrund 8 der Universaldienstrichtlinie in der Fassung vom 7. März 2002 kann die Antragstellerin nichts für ihre Auffassung herleiten. Wenn dort ausgeführt wird, dass eine grundlegende Anforderung an den Universaldienst darin besteht, den Nutzern auf Antrag einen Anschluss an das öffentliche Telefonnetz an einem festen Standort zu einem erschwinglichen Preis bereitzustellen und diese Anforderung auf einen einzelnen "Schmalbandnetzanschluss" begrenzt ist, so kann daraus nicht gefolgert werden, dass der Anwendungsbereich von Art. 19 der Richtlinie auf schmalbandige Anschlüsse beschränkt sei. In Erwägungsgrund 8 sind lediglich die Mindestanforderungen an den Universaldienst angesprochen, die im Kapitel II der Richtlinie konkretisiert werden und deren Erfüllung die Mitgliedstaaten für alle Endnutzer sicherzustellen haben. Der Erwägungsgrund ist damit ohne Aussagekraft für die in Kapitel III der Richtlinie geregelten Regulierungsmaßnahmen in Bezug auf Unternehmen mit beträchtlicher Marktmacht auf speziellen Märkten. In diesem Zusammenhang wird in Art. 16 Abs. 1 b) der Richtlinie sogar ausdrücklich geregelt, dass die Mitgliedstaaten alle Verpflichtungen für Betreiberauswahl und Betreibervorauswahl nach der Richtlinie 97/33/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Juni 1997 über die Zusammenschaltung in der Telekommunikation im Hinblick auf die Sicherstellung eines Universaldienstes und der Interoperabilität durch Anwendung der Grundsätze für einen offenen Netzzugang (ONP- Richtlinie) aufrecht erhalten. Auch der darauf gestützten Verpflichtung zur freien Auswahl des Verbindungsnetzbetreibers in § 43 Abs. 6 TKG in der Fassung vom 25. Juli 1996 - der Vorgängervorschrift des heute geltenden § 40 Abs. 1 TKG - lassen sich keine Hinweise dafür entnehmen, dass diese Verpflichtung nicht allgemein, sondern nur beschränkt auf bestimmte technische Zugangsvarianten gültig sein könnte.

Auch aus dem Umstand, dass Art. 19 der Universaldienstrichtlinie mit Art. 1 Nr. 13 der Richtlinie 2009/136/EG gestrichen worden ist, ergibt sich kein Anhaltspunkt für die Rechtsauffassung der Antragstellerin. Wie sich aus dem Erwägungsgrund 20 der genannten Richtlinie ergibt, erfolgte die Streichung vor dem Hintergrund einer befürchteten Behinderung des technischen Fortschritts bei gemeinschaftsrechtlicher Aufrechterhaltung der Verpflichtungen zur Betreiberauswahl und Betreibervorauswahl. Um eine solche Behinderung zu vermeiden, sollen diese Verpflichtungen zukünftig vielmehr aufgrund einer Marktanalyse im Rahmen des in §§ 9 ff TKG geregelten Verfahrens auferlegt werden. Daraus lässt sich zwar ableiten, dass zukünftig von der Auferlegung abgesehen werden kann, wenn anderenfalls technische Fortentwicklungen der Netztechnologie behindert würden. Nicht daraus ableiten lässt sich hingegen, dass der Anwendungsbereich von Art. 19 der Universaldienstrichtlinie in der Fassung vom 7. März 2002 und § 40 Abs. 1 TKG von vornherein auf eine bestimmte Netztechnologie beschränkt ist und diese Vorschrift auch dann keine Anwendung auf andere Technologien findet, wenn eine Behinderung des technischen Fortschritts nicht zu besorgen ist.

Auch die Auffassung der Antragstellerin, dass andere als schmalbandige, von § 40 Abs. 1 TKG erfasste Zugangsvarianten, nicht dieser Bestimmung, sondern § 40 Abs. 2 TKG unterfallen, teilt das Gericht nicht. Schon nach dem Wortlaut der genannten Bestimmungen werden die Anwendungsbereiche von § 40 Abs. 1 TKG und § 40 Abs. 2 TKG nicht durch die Art der technischen Realisierung des Zugangs zu den Diensten der Zusammenschaltungspartner, sondern durch die Art der Unternehmen mit beträchtlicher Marktmacht bzw. die betroffenen Märkte abgegrenzt. Während Absatz 1 Anwendung findet auf "bei der Bereitstellung des Anschlusses an das öffentliche Telefonnetz oder dessen Nutzung an festen Standorten" marktmächtige Unternehmen, erfasst Absatz 2 andere marktmächtige Unternehmen, also Betreiber anderer Netze als des Festnetzes. Dies dient der Umsetzung von Art. 19 Abs. 2 der Universaldienstrichtlinie in der Fassung vom 7. März 2002. Diese Bestimmung bezieht sich in gleicher Weise auf "andere Netze" als die in Art. 19 Abs. 1 der Richtlinie angesprochenen Festnetze, insbesondere also auf Mobilfunknetze,

einhellige Auffassung, vgl. Stamm in Scheurle/Mayen: Telekommunikationsgesetz, 2 Aufl. 2008, § 40 Rdnr. 62 m.w.N,; Piepenbrock/Attendorn in Beck'scher TKG- Kommentar, 3. Aufl., 2006, § 40 Rdnr. 34; Ellinghaus in Arndt/Fetzer: Telekommuikationsgesetz, Kommentar, § 40 Rdnr. 29.

Wenn die Antragstellerin in diesem Zusammenhang ausführt, die seit der Einführung von Callby-Call und Preselection veränderten Marktverhältnisse, die sie vornehmlich darin sieht, dass viele Verbindungsnetzbetreiber zugleich Anschlussnetzbetreiber seien und dass wegen der zunehmend am Markt etablierten Paketangebote die im Callby-Call und Preselection generierten Umsätze kontinuierlich rückläufig seien, geböten eine einschränkende Auslegung von § 40 Abs. 1 TKG dahingehend, dass die dort geregelten Verpflichtungen nicht ohne weiteres auch auf neue Netztechnologien übertragen werden könnten, ist dem entgegen zu halten, dass eine solche Auslegung angesichts des klaren Wortlauts von § 40 Abs. 1 TKG ausscheidet. Es liegt insoweit am Gesetzgeber zu entscheiden, ob auf geänderte Marktgegebenheiten durch eine Lockerung von Regulierungsverpflichtungen auf Seiten marktmächtiger Unternehmen reagiert werden kann und ggf. muss.

Die Verfügung vom 25. Januar 2010 ist - im hier angegriffenen Umfang - auch nicht deshalb offensichtlich rechtswidrig, weil die Antragsgegnerin sich in ihrer Begründung auf den Standpunkt gestellt hat, eine routerseitige Implementierung der Verpflichtung, bei welcher der Nutzer einzelne Anbieter erst in ein Integrated Access Device einprogrammieren müsse, um sie anschließend für einzelne Telefonate auswählen zu können, genüge nicht den Anforderungen des § 40 Abs. 1 TKG (Seite 19 oben). Unabhängig von der Frage, ob die Möglichkeit einer nutzerseitigen Implementierung im Rahmen eines etwaigen Auswahlermessens hätte Berücksichtigung finden müssen oder ob sie die Auferlegung der in Rede stehenden Verpflichtungen von vornherein schon deswegen ausgeschlossen hätte, weil diese dann beim All-IP- Anschluss wegen der Möglichkeit entsprechender Konfigurationen des bei diesem Anschluss zwingend erforderlichen Routers nicht mehr erforderlich wären, ist die Annahme der Antragsgegnerin jedenfalls der Sache nach aller Voraussicht nach zutreffend. Nach § 40 Abs. 1 TKG obliegt es dem marktmächtigen Unternehmen, seinen Teilnehmern Callby-Call und Preselection zu ermöglichen. Dies hat im Einzelwahlverfahren durch Wählen einer Kennzahl bzw. durch - dauerhafte - Betreibervorauswahl zu geschehen. Die dafür erforderlichen Voraussetzungen sind üblicherweise mangels entsprechender Alternativen durch Implementierung der notwendigen Funktionalitäten im Netz zu schaffen. Davon könnte - sofern technische Alternativen bestehen - allenfalls dann abgesehen werden, wenn diese technischen Alternativen gegenüber der netzseitigen Bereitstellung der Funktionen in jeder Beziehung gleichwertig wären. Dies ist vorliegend aber auch auf der Grundlage des Vortrags der Antragstellerin nicht der Fall. Das folgt schon daraus, dass der Nutzer die Möglichkeiten der Betreiberauswahl und Betreibervorauswahl bei seinem Anschluss nicht bereits vorfindet, sondern diese erst durch die Konfiguration eines entsprechend ausgestatteten Routers selbst schaffen muss. Wenn er sich dieser Mühe nicht unterziehen will, wenn er zu diesen Konfigurationsmaßnahmen in Ermangelung der notwendigen Kenntnisse oder Informationen nicht selbst in der Lage ist, oder wenn diese Maßnahmen fehlschlagen, kann er die Möglichkeit von Callby-Call und Preselection, die nach § 40 Abs. 1 TKG lediglich das Wählen einer Kennziffer bzw. die Abgabe einer entsprechenden Erklärung gegenüber dem Netzbetreiber voraussetzt, nicht nutzen. In diesem Zusammenhang erhält auch der Umstand Bedeutung, dass die von der Antragstellerin vorgelegte Kurzanleitung zur nutzerseitigen Inbetriebnahme des All-IP- Anschlusses und zur Routerkonfiguration (Anlage Ast. 3) ausdrückliche Hinweise auf die Möglichkeit von Voreinstellungen für die Auswahl des Verbindungsnetzbetreibers nicht enthält, so dass der Nutzer sich diese Informationen offenbar auch erst auf andere Weise beschaffen muss.

Im Übrigen setzt die routerseitige Implementierung auch voraus, dass in den genutzten Routern die entsprechenden Konfigurationsmöglichkeiten überhaupt implementiert sind. Dies ist - so die Antragstellerin - bei den "derzeit am Markt erhältlichen" Routern zwar der Fall; dennoch hinge die Nutzung von Callby-Call und Preselection damit aber von technischen Voraussetzungen ab, deren Bestand außerhalb des Einflussbereichs der Antragstellerin liegt und den diese nicht gewährleisten kann.

(2) Ob die angegriffene Regulierungsverfügung insoweit rechtswidrig ist als sie der Antragstellerin keine angemessene Frist zur Umsetzung der Verpflichtung zur Bereitstellung von Callby-Call und Preselection am All-IP- Anschluss einräumt, ist derzeit offen (a). Die demnach losgelöst von den Erfolgsaussichten der Klage 21 K 1025/10 vorzunehmende Interessenabwägung führt zu einem Überwiegen des Interesses der Antragstellerin, von der Vollziehung vorübergehend - bis zum 31. Dezember 2010 - verschont zu bleiben (b).

(a) Die Frage, ob aus dem System der Auferlegung von Regulierungspflichten nach §§ 9 ff TKG und dem Umstand der Transparenz dieses Verfahrens sowie aus dem Gesichtspunkt der sofortigen Vollziehbarkeit der Entscheidungen der Bundesnetzagentur (§ 137 TKG) zu folgern ist, dass von vornherein keine bzw. nur ausnahmsweise Implementierungsfristen für die Umsetzung von Regulierungspflichten gewährt werden dürfen, ist offen. Dagegen spricht jedenfalls grundsätzlich, dass die Ausübung des bei der Auferlegung diesbezüglicher Verpflichtungen der Bundesnetzagentur eingeräumten umfassenden Regulierungsermessens statt eines Absehens von Verpflichtungen auch deren zeitlich aufgeschobene Auferlegung ermöglichen dürfte. Ob dies anders zu sehen ist, wenn - wie hier - die Auferlegung einer Verpflichtung nicht im behördlichen Ermessen steht, bedarf ggf. der weiteren Klärung im Hauptsacheverfahren.

Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass die netzseitige Realisierung von Callby-Call und Preselection technisch möglich ist. Die Antragsgegnerin hat sich in der Begründung ihres Beschlusses überdies auf den Standpunkt gestellt, dass dafür eine Umsetzungsfrist nicht erforderlich sei, weil die notwendigen technischen Funktionalitäten im Netz bereits vorhanden seien, in der Schweiz die Betreiber(vor)auswahl am All-IP- Anschluss ohne nennenswerten technischen Aufwand realisiert worden sei und die Antragstellerin bereits seit Februar 2009 von der bevorstehenden Verpflichtung Kenntnis gehabt habe und deshalb mit der Umsetzung bereits hätte beginnen können und müssen. Diese Annahmen begegnen aber nicht unerheblichen Zweifeln.

Was die technischen Erfordernisse zur Umsetzung betrifft, so hat die Antragstellerin unter Bezugnahme auf ein Sachverständigengutachten des öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen für Telekommunikation, Verbindungspreisberechnung und Entgeltprüfung sowie für Systeme und Anwendungen der Informationsverarbeitung Dr.- Ing. Ulrich Schwerhoff vom 19. März 2010 dargelegt, dass die netzseitige Realisierung im Netz der Antragstellerin technische Modifikationen bzw. Erweiterungen von Netzfunktionalitäten voraussetzt, deren Implementierung einen Zeitrahmen bis zum Ende des laufenden Jahres erfordert. Der Gutachter hat dies in seinem Gutachten nachvollziehbar und plausibel ausgeführt und begründet, ohne dass die Antragsgegnerin dem nachfolgend substantiiert und mit durchgreifenden Argumenten entgegen getreten wäre. Die Schlussfolgerungen des Gutachters beruhen maßgeblich darauf, dass für die Umsetzung im All-IP- Netz auch eine Auswertung der Rufnummer des A- Teilnehmers (rufender Teilnehmer) zwingend erforderlich ist und dass zusätzliche Erweiterungen für die Unterstützung von CPS (Carrier Preselection), für das Call- Processing für Sonderrufnummern, für die Unterstützung von Supplementary Service (z.B. "Rückruf bei besetzt"), für die Erfüllung von Kundenschutzvorschriften (Sperrung bestimmter Rufnummerngassen), für das Ignorieren von Callby-Call und Preselection bei Notrufen und Diensterufnummern sowie für die Leitweglenkung beim Überlaufrouting geschaffen werden müssen. Den dafür erforderlichen zeitlichen Aufwand hat der Gutachter unter Berücksichtigung der erforderlichen eigenen Aktivitäten der Antragstellerin sowie der notwendigen Leistungen weiterer Unternehmen (IBM) auch unter Berücksichtigung alternativer Realisierungskonzepte abgeschätzt und ist dabei zum Ergebnis gekommen, dass das Angebot von Callby-Call und Preselection im All-IP- Netz nicht früher als zum 4. Quartal des laufenden Jahres verwirklicht werden kann.

Soweit die Antragsgegnerin sich auf die in der Schweiz bei der Umsetzung vergleichbarer Verpflichtungen gemachten Erfahrungen bezieht, führt der Gutachter nachvollziehbar aus, dass die Umsetzung in der Schweiz deswegen weniger aufwändig gewesen sei, weil zum einen dort die Betreibervorauswahl nicht Bestandteil der Verpflichtung und zum anderen das Netz hinsichtlich der Übergabepunkte erheblich kleiner sei und dort nicht zwischen Orts- und Fernverbindungen unterschieden werde. Überdies - so der Gutachter - habe auch in der Schweiz die Umsetzung einen Zeitraum vom 1. April 2007 bis Anfang 2008 in Anspruch genommen.

Naturgemäß ist es dem erkennenden Gericht im vorliegenden Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nicht möglich, diese Feststellungen des Gutachters zur Erforderlichkeit ergänzender netztechnischer Maßnahmen und zur Umsetzung vergleichbarer Verpflichtungen in der Schweiz auf ihre sachliche Richtigkeit hin zu überprüfen. Entscheidend fällt deswegen ins Gewicht, dass auch die Antragsgegnerin den Feststellungen des Gutachters in ihrer Antragserwiderung nicht substantiiert entgegen getreten ist. Insoweit ist es zwar richtig, dass das vorgelegte Gutachten beim Erlass des angegriffenen Beschlusses noch keine Berücksichtigung hatte finden können, weil es erst danach erstellt worden ist. Dies führt jedoch nicht dazu, dass das nachträglich vorgelegte Gutachten ungeeignet wäre, die Annahmen der Antragsgegnerin über den Umfang der für die Umsetzung notwendigen Maßnahmen und zur Übertragbarkeit der bei der Umsetzung in der Schweiz gemachten Erfahrungen zu widerlegen.

Soweit die Antragsgegnerin das Erfordernis einer Umsetzungsfrist unter Hinweis darauf verneint, dass die Antragstellerin seit Anfang 2009 mit einer entsprechenden Verpflichtung hätte rechnen und daher mit Umsetzungsmaßnahmen bereits hätte beginnen müssen, spricht zunächst Einiges für die Annahme der Antragstellerin, dass kostenträchtige Umsetzungsmaßnahmen zur Erfüllung regulatorischer Verpflichtungen grundsätzlich nicht schon vor dem Wirksamwerden dieser Verpflichtungen ergriffen werden müssen. Ob und in welchem Umfang im Vorgriff auf zu erwartende Verpflichtungen von dem der Regulierung unterworfenen Unternehmen ggf. zumutbare Vorbereitungen getroffen werden müssen und ob dies auch vorliegend anzunehmen ist, bedarf - bejahendenfalls - jedenfalls einer wertenden Betrachtung des erforderlichen Vorbereitungsaufwands im Verhältnis zum Gesamtaufwand und unter Abwägung mit den durch eine verzögerte Implementierung verbundenen Nachteilen für die betroffenen Wettbewerbs- und Verbraucherinteressen einerseits und mit dem mit vorbereitenden Umsetzungsmaßnahmen verbundenen Risiko für das betroffene Unternehmen andererseits. Die Beantwortung dieser Frage ist hier naturgemäß offen. Zwar wird in diesem Zusammenhang auch zu berücksichtigen sein, dass die Auferlegung der Verpflichtungen aus § 40 Abs. 1 TKG nicht im Ermessen der Bundesnetzagentur steht, sie nach dem Gesetzeswortlaut vielmehr "zwingend" ist. Gleichwohl handelt es sich dabei nicht um eine gesetzesunmittelbare Handlungspflicht, weil diese Vorschrift voraussetzt, dass die Bundesnetzagentur das marktmächtige Unternehmen "verpflichtet".

(b) Die bei dem demgemäß - hinsichtlich des Erfordernisses einer Umsetzungsfrist - offenen Prozessausgang vorzunehmende Interessenabwägung fällt hier zu Gunsten der Antragstellerin aus. Bliebe es bei der sofortigen Vollziehbarkeit, würde von ihr ein Verhalten verlangt, dass ihr - jedenfalls nach dem von ihr vorgelegten Gutachten - derzeit noch unmöglich ist. Sie wäre wegen dieses Sachverhalts dann möglicherweise Vollziehungsmaßnahmen seitens der Antragsgegnerin und Schadenersatzansprüchen von Verbindungsnetzbetreibern ausgesetzt. Letzteres hat sie durch die Vorlage eines entsprechenden Schreibens eines Verbindungsnetzbetreibers auch glaubhaft gemacht. Dem könnte sie - teilweise - nur dadurch entgehen, dass sie bis zur Erfüllung der ihr durch die Regulierungsverfügung auferlegten Pflichten den Vertrieb von All-IP- Anschlüssen einstellt. Soweit es bereits bestehende Vertragsverhältnisse betrifft, dürfte ihr eine - sofortige - Kündigung unmöglich sein, so dass sie die drohenden Nachteile nicht abwenden kann.

Demgegenüber wiegen die Beeinträchtigungen des öffentlichen Interesses weniger schwer, wenn die Vollziehung noch bis zum Ende des laufenden Jahres - und damit nur um wenig mehr als drei weitere Monate - ausgesetzt bleibt. Angesichts der auch von der Antragsgegnerin zugestandenen verringerten wirtschaftlichen Bedeutung der Betreiber(vor)auswahl - gemessen an ihrer Bedeutung zu Beginn der Liberalisierung des Telekommunikationssektors -, angesichts des derzeit im Netz der Antragstellerin noch geringen Umfangs der betroffenen All-IP- Anschlüsse am Gesamtbestand (die Antragstellerin beziffert diesen unwidersprochen für Ende April 2010 auf %) und weiterhin unter Berücksichtigung der Tatsache, dass Inhaber dieser Anschlüsse jedenfalls faktisch durch entsprechende Konfiguration ihrer Router auch derzeit bereits Callby-Call und Preselection an diesen Anschlüssen - etwa bei Verbindungen ins Ausland oder in Mobilfunknetze - praktizieren können, dürfte das Interesse der Nutzer an der sofortigen Implementierung nicht überragend hoch einzuschätzen sein. Entsprechend erscheint gegenwärtig auch die wirtschaftliche Bedeutung für die Zusammenschaltungspartner der Antragstellerin und die Bedeutung für die weitere Förderung des Wettbewerbs noch in einer Weise begrenzt zu sein, dass ein Aufschub bis zum Jahresende in Abwägung mit den Interessen der Antragstellerin noch vertretbar erscheint, zumal sich der von der Bereitstellung von Callby-Call und Preselection am All-IP- Anschluss ausgehende Wettbewerbsdruck in gewissen Grenzen auch einstellen wird, wenn die Marktteilnehmer Gewissheit darüber haben, dass diese jedenfalls mit Beginn des kommenden Jahres zu gewährleisten ist.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 VwGO. Das Obsiegen der Antragstellerin hinsichtlich ihres Hilfsantrages bewertet das Gericht mit 1/10 der wirtschaftlichen Bedeutung des gesamten Streitgegenstandes.

Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG.

Dieser Beschluss ist gemäß § 137 Abs. 3 Satz 1 TKG unanfechtbar.






VG Köln:
Beschluss v. 20.09.2010
Az: 21 L 799/10


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/c4559015fcf6/VG-Koeln_Beschluss_vom_20-September-2010_Az_21-L-799-10




Diese Seite teilen (soziale Medien):

LinkedIn+ Social Share Twitter Social Share Facebook Social Share