Kammergericht:
Beschluss vom 23. Oktober 2008
Aktenzeichen: 1 W 375/07
(KG: Beschluss v. 23.10.2008, Az.: 1 W 375/07)
Bei der Auslegung der Kostenregelung eines Prozessvergleichs aus dem Jahr 2006 ist zu berücksichtigen, dass die in Teil 3 Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV-RVG vorgeschriebene Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr nach der seinerzeit ganz herrschenden Auffassung grundsätzlich keinen Einfluss auf den prozessualen Kostenerstattungsanspruch der obsiegenden Partei hatte.
Tenor
Die sofortige Beschwerde wird auf Kosten der Beklagten nach einem Wert bis zu 900 EUR zurückgewiesen.
Gründe
I.
Die sofortige Beschwerde, der das Landgericht nicht abgeholfen hat, ist nach §§ 11 Abs. 1 RPflG, 104 Abs. 3 Satz 1 ZPO zulässig. Insbesondere ist das Rechtsmittel fristgerecht eingelegt worden und der Beschwerdewert von mehr als 200,00 EUR (§ 567 Abs. 2 ZPO) erreicht.
II.
Die sofortige Beschwerde, mit der die Beklagte die Festsetzung lediglich einer durch Anrechnung der halben Geschäftsgebühr (Nr. 2300 VV-RVG) verkürzten Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV-RVG verlangt, hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Zu Recht hat das Landgericht bei der Festsetzung der Anwaltskosten des Klägers nach dem Prozessvergleich der Parteien vom 5. September 2006 die Verfahrensgebühr mit einem Satz von 1, 3 gegen die Beklagte angesetzt, ohne zu berücksichtigen, dass dem Prozessbevollmächtigten des Klägers für seine in derselben Sache erbrachte vorgerichtliche Tätigkeit eine Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV-RVG angefallen ist.
Grundlage der Kostenfestsetzung nach §§ 103 ff. ZPO ist der von den Parteien am 5. September 2006 geschlossenen Prozessvergleich, wonach die Beklagte die Kosten des Rechtsstreits und des Vergleichs trägt. Diese Vereinbarung ist dahin zu verstehen, dass die volle Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV-RVG zum erstattungsfähigen Prozessaufwand des Klägers zählt ohne Rücksicht darauf, dass der Prozessbevollmächtigte des Klägers wegen desselben Gegenstandes vorgerichtlich tätig geworden ist und aus diesem Grund seinem Mandanten die Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV-RVG nur in verminderter Höhe, nämlich nach Abzug der hälftigen Geschäftsgebühr, in Rechnung stellen darf.
4Bei der Auslegung der Kostenregelung dieses Vergleichs nach §§ 133, 157 BGB ist zu berücksichtigen, dass die in Teil 3 Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV - RVG vorgeschriebene Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr nach der seinerzeit ganz herrschender Auffassung grundsätzlich keinen Einfluss auf den prozessualen Kostenerstattungs-anspruch der obsiegenden Partei hatte. Dabei wurde schon damals weder in der Rechtsprechung noch in der Literatur zum Kostenrecht je ernsthaft bezweifelt, dass die nach anwaltlichem Gebührenrecht vorgeschriebene Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr nicht die vom Anwalt (bereits verdiente) Geschäftsgebühr berührt, sondern den Anspruch des Anwalts auf die Verfahrensgebühr verringert (Gerold/Schmidt/Madert, RVG, 17. Aufl. 2006, Nr. 2300-2301 VV RVG Rn. 44; AnwKom-RVG/Onderka, Schneider, 3. Aufl. 2006, Vorbem. 3 VV RVG Rn. 199; Bischoff, RVG, 2. Aufl., 2007; Vorbem. 3 VV, Rn. 99f. € jeweils mit Rechenbeispielen; Hansens, RVG-Report 2005, 392f.; ebenso zur Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die entsprechende Verfahrensgebühr nach § 118 Abs. 2 BRAGO: Hansens, BRAGO, 8. Aufl., § 118 Rn. 49). Doch blieb die Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr nach fast einhelliger Auffassung in Literatur und Rechtsprechung grundsätzlich ohne Auswirkung auf die Kostenerstattung (Senat, AGS 2005, 515; ausführlicher AGS 2007, 439; OLG Hamm, JurBüro 2006, 202; OLG Schleswig, AnwBl. 1997, 125; Riedel/Sußbauer/Keller, RVG, 9. Aufl., 2005, VV Teil 3 Vorbem. 3, Rn. 66; AnwKom-RVG/Onderka, Schneider, a.a.O., Rn. 192; Hartung/Römermann/Schons, RVG, 2. Aufl., 2006; Vorbem. 3 VV RVG, Rn. 80, 81; Bischoff, RVG, 2. Aufl., 2007, Vorbem. 3 VV, Rn. 103 ff.; 108; von Eicken, Kostenfestsetzung, 18. Aufl. 2003; Rn. B 566; Hansens, RVGreport 2005, 393; ders. ZAP 2007, Fach 24, S. 1069; Schons, NJW 2005, 3089, 3091; Stöber, AGS 2005, 45 ff.; Schneider, NJW 2007, 2006; a. A. Schultze-Rhonhof, RVGreport 2005, 374). Jedenfalls im Bereich des Zivilprozesses zählte die 1,3 Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV-RVG zu den gemäß § 91 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 2 ZPO erstattungsfähigen notwendigen Kosten der Prozessführung. Der neben dem materiellen Kostenerstattungsanspruch bestehende, nicht notwendig deckungsgleiche prozessuale Kostenerstattungsanspruch der obsiegenden Partei auf Erstattung ihrer durch die Prozessführung entstandenen Kosten wurde ohne Rücksicht auf die € hälftige € Anrechnung der Geschäftsgebühr berechnet. Denn die Aufwendungen für die vorgerichtliche Tätigkeit des Prozessbevollmächtigten hatten bei der Festsetzung des prozessualen Kostenerstattungsanspruchs grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, und zwar sowohl im Positiven (keine Festsetzung der Geschäftsgebühr im Kostenfestsetzungsverfahren) als auch im Negativen (keine Berücksichtigung der Geschäftsgebühr durch Anrechnung auf die Verfahrensgebühr).
An dieser bereits unter der Geltung der BRAGO geübten Praxis hat sich die Auslegung der hier vereinbarten Kostenregelung aus Gründen des Vertrauensschutzes auszurichten. Die anders lautende höchstrichterliche Rechtsprechung zeichnete sich im Jahr 2006 noch nicht ab. Es kann deshalb offen bleiben, ob die vom BGH im Beschluss vom 22. Januar 2008 € VIII ZB 57/07 € geäußerte Auffassung zutrifft, wonach die in Teil 3 Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV - RVG Anm. 3 gesetzlich vorgeschriebene Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr auch bei der Berechnung des prozessualen Kostenerstattungsanspruchs zu berücksichtigen ist. Der Senat ist dieser Auffassung in seinen Entscheidungen vom 31. März 2998 und vom 24. Juni 2008 € 1 W 111/08 € (JurBüro 2008, 304), an der er festhält, im übrigen entgegengetreten.
Die sofortige Beschwerde hat auch nicht deshalb Erfolg, weil die Beklagte dem Kläger nach dem Vergleich vom 5. September 2007 zum Ausgleich €sämtlicher Schäden aus bis heute erfolgten Urheberrechtsverletzungen€ einen Betrag von 12.500 Euro zu zahlen hatte und unstreitig auch gezahlt hat. Zwar ist nach der Rechtsprechung des Senats die Verfahrensgebühr bei der Kostenfestsetzung nicht zu berücksichtigen, soweit sie sich mit der - dann anzurechnenden - Geschäftsgebühr für eine vorprozessuale Tätigkeit des Anwalts überschneidet, für die die Partei bereits einen materiell-rechtlichen Kostenerstattungstitel erstritten hat (Senat, AGS 2007, 439; auch schon JurBüro 1973, 428f.). In diesem Fall kann der obsiegenden Partei neben dem ihr bereits zugesprochenen materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruch nicht noch ein prozessualer Kostenerstattungsanspruch zuerkannt werden, weil sonst die unterlegene Partei dem Gegner mehr zu erstatten hätte, als dieser selbst seinem Anwalt schuldet. Ein solcher Fall liegt hier indes nicht vor. Denn entgegen der Meinung der Beklagten ist dem Kläger mit der vereinbarten Ausgleichszahlung von 12.500 Euro nicht auch der Teil der Geschäftsgebühr abgegolten worden, der sich mit der Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV-RVG überschneidet und nach Teil 3 Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV - RVG auf die Verfahrensgebühr anzurechnen ist. Dies lässt sich bereits an den verschiedenen Regelungsbereichen erkennen, zu denen sich die Parteien geeinigt haben. Sie haben sich nicht auf die Vereinbarung einer sämtliche Ansprüche umfassenden Ausgleichszahlung beschränkt, sondern daneben eine eigene Kostenregelung getroffen. Die vergleichsweise Regelung des prozessualen Kostenerstattungsanspruchs ist aber, wenn nicht ausdrücklich das Gegenteil vereinbart ist, dahin zu verstehen, dass sie auch den entsprechenden materiellen Anspruch erfasst (von Eicken/Mathias, Kostenfestsetzung, 19. Aufl., 2005, Rn. B 15). Es kommt hinzu, dass der Kläger in seinem Schreiben vom 4. September 2005 zur Vorbereitung der Mediation am 5. September 2005 die Höhe seines Schadensersatzanspruchs berechnet hat, ohne die vorprozessual entstandenen Anwaltskosten auch nur zu erwähnen. Dass sie dennoch in der Mediation zur Grundlage des abgeschlossenen Vergleichs über die Höhe der Ausgleichszahlung gemacht wurden, ist weder vorgetragen noch anhand der Akte ersichtlich.
Es führt zu keinem anderen Ergebnis, dass der Kläger die Beklagte im Vorfeld der Klage aufgefordert hat, ihm die durch die Einschaltung seiner Verfahrensbevollmächtigten entstandenen Gebühren nach einem Streitwert von 10.000 EUR zu erstatten. Auch unter diesen Umständen ist der erhobene Feststellungsantrag zur Schadensersatzpflicht der Beklagten nicht mit einer separaten Zahlungsklage auf teilweisen Ersatz der vorprozessual entstandenen Anwaltskosten gleichzusetzen. Denn dem Kläger stand das einfachere Kostenfestsetzungsverfahren nach §§ 103 ff ZPO jedenfalls insoweit zur Verfügung, als sich die Geschäftsgebühr mit der nachfolgenden Verfahrensgebühr überschnitt. Insoweit war er nicht gezwungen, seinen vollen Anspruch auf die Geschäftsgebühr bereits im Erkenntnisverfahren als Nebenforderung seines Anspruchs auf Schadensersatz geltend zu machen. Im Hinblick auf das Kostenfestsetzungsverfahren wurde € vor dem Urteil des BGH vom 7. März 2007, AGS 2007, 283 ff. - einer solchen Klage auf Erstattung, bzw. Freistellung von vorgerichtlichen Anwaltskosten von einem Teil der Rechtsprechung und der Literatur sogar die Zulässigkeit abgesprochen. Einer Partei fehle das Rechtsschutzbedürfnis für die selbständige Geltendmachung von Kosten, die sie, soweit ein Erstattungsanspruch überhaupt bestehe, demnächst im Kostenfestsetzungsverfahren erstattet verlangen könne (BGHZ 75, 230, 235; BGHZ 111, 168, 171; Stöber, AGS 2005, 45ff.; zweifelnd: von Eicken/Mathias, a. a. O., Rn. B 13; a. A. Hansens, RVGreport 2007, 121 ff).
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.
Die Wertfestsetzung geht davon aus, dass die Beklagte die nach einem Wert von 45.000 EUR berechnete Geschäftsgebühr zur Hälfte angerechnet und berücksichtigt wissen wollte, was den festgesetzten Erstattungsbetrag um 633,10 Euro vermindert hätte. Die Beklagte hat erst im Lauf der Beschwerde darauf hingewiesen, dass der Prozessbevollmächtigte des Klägers seine Geschäftsgebühr nur nach einem Gegenstandswert von 10.000 EUR berechnet habe und deshalb €zumindest€ die nach diesem Wert angefallene Geschäftsgebühr bei der Kostenfestsetzung hälftig zu berücksichtigen sei.
Die Rechtsbeschwerde war nicht zuzulassen. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Sie betrifft einen Altfall, nämlich die Auslegung eines im Jahr 2006 abgeschlossenen Prozessvergleichs und der darin vereinbarten Kostenregelung. Es ist nicht zu erwarten, dass die damit verbundenen Fragen in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen auftreten werden. Aus diesem Grund ist eine Entscheidung des BGH auch nicht zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich.
KG:
Beschluss v. 23.10.2008
Az: 1 W 375/07
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