Oberlandesgericht München:
Beschluss vom 12. September 2011
Aktenzeichen: 29 W 1634/11

(OLG München: Beschluss v. 12.09.2011, Az.: 29 W 1634/11)

Tenor

1. Die sofortige Beschwerde der Beteiligten zu 1. gegen den Beschluss des Landgerichts München I vom 25.08.2011 wird zurückgewiesen.

2. Die Beteiligte zu 1. hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Gründe

I.

Die Beteiligte zu 1., eine GmbH mit Sitz im Inland, macht Rechte aus § 85 UrhG bezüglich des Musikwerks "A. (B.)" der Künstlergruppe "C. D." geltend.

Die in London/Großbritannien ansässige Beteiligte zu 2. bietet als Internet-Service-Provider u.a. die Dienstleistung der Verschaffung des Zugangs zum Internet an.

Die Beteiligte zu 1. hat mit Schriftsatz vom 25.08.2011 beim Landgericht beantragt,

im Wege der einstweiligen Verfügung wie folgt zu erkennen:

1. Der Beteiligten zu 2. wird gestattet, der Beteiligten zu 1. unter Verwendung von Verkehrsdaten im Sinne des § 3 TKG Auskunft zu erteilen über Namen und Anschriften derjenigen Internetnutzer, denen die in der Anlage AST 1 zu der beigefügten Antragsschrift aufgeführten IP-Adressen zu den dort genannten Zeiten zugewiesen waren;

2. Der Beteiligten zu 2. wird im Wege der einstweiligen Anordnung aufgegeben, die in der Anlage AST 1 zu der beigefügten Antragsschrift aufgeführten IP-Adressen in Verbindung mit den jeweiligen Tatzeitpunkten sowie diejenigen Datensätze (z.B. interne Kundenbezeichnung, Kundennummer, Benutzernummer, Login-Kennung), die es der Beteiligten zu 2. ermöglichen, eine Zuordnung zu den jeweiligen Nutzern vorzunehmen, denen zu den Tatzeitpunkten die aufgeführten IP-Adressen zugewiesen waren, zu sichern, bis ein etwaiger Auskunftsanspruch der Beteiligten zu 1. nach § 101 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 UrhG erfüllt ist oder von einem Gericht rechtskräftig festgestellt worden ist, dass die Beteiligte zu 2. zu einer Erteilung der Auskunft nicht verpflichtet ist.

Mit Beschluss vom 25.08.2011 hat das Landgericht den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung sowie eines Beschlusses gemäß § 101 Abs. 9 UrhG mit der Begründung zurückgewiesen, dass das angerufene Gericht nicht zuständig sei. Auf diesen Beschluss wird Bezug genommen.

Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde der Beteiligten zu 1. vom 26.08.2011.

Das Landgericht hat der Beschwerde der Beteiligten zu 1. mit Beschluss vom 30.08.2011 nicht abgeholfen.

Ergänzend wird auf die Schriftsätze der Beteiligten zu 1. Bezug genommen.

II.

Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet.

1. Die Zuständigkeit der deutschen Gerichte für die richterliche Anordnung über die Zulässigkeit der Verwendung von Verkehrsdaten im Sinne von § 101 Abs. 9 UrhG kann im Streitfall - entgegen der Auffassung der Beteiligten zu 1. - nicht auf Art. 5 Nr. 3 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (Brüssel-I-VO) gestützt werden.

Insoweit ist der sachliche Anwendungsbereich dieser Verordnung nicht eröffnet. Nach Art. 1 Abs. 1 Satz 1 Brüssel-I-VO ist diese Verordnung in Zivil- und Handelssachen anzuwenden, ohne dass es auf die Art der Gerichtsbarkeit ankommt. Der Begriff "Zivil- und Handelssachen" ist als autonomer Begriff anzusehen, bei dessen Auslegung die Zielsetzungen und die Systematik der genannten Verordnung sowie die allgemeinen Rechtsgrundsätze, die sich aus der Gesamtheit der nationalen Rechtsordnungen ergeben, berücksichtigt werden müssen (vgl. EuGH, Urt. v. 15.02.2007 - C 292/05, Rn. 30, juris -Lechoritou). Aus dem Erwägungsgrund Nr. 8 der Verordnung Nr. 44 /2001 ergibt sich, dass unter die Verordnung nur Rechtsstreitigkeiten zwischen Parteien fallen. Für die Feststellung, ob eine Rechtsstreitigkeit in den Anwendungsbereich der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 fällt, ist der Gegenstand des Verfahrens zu berücksichtigen (vgl. EuGH, Urt. v. 10.02.2009 € C 185/07, Rn. 22 € West Tankers). Das Verfahren betreffend den Erlass einer richterlichen Anordnung über die Zulässigkeit der Verwendung von Verkehrsdaten nach § 101 Abs. 9 UrhG stellt keine Rechtsstreitigkeit im Sinne der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 dar. Es handelt sich dabei nicht um ein gegen einen Dritten gerichtetes kontradiktorisches Auskunftsverfahren, sondern um ein Verfahren betreffend eine (vorherige) gerichtliche Entscheidung, welche € vor dem Hintergrund des verfassungsrechtlich geschützten Fernmeldegeheimnisses € die Verwendung von Verkehrsdaten zur Auskunftserteilung zulässt (vgl. BT-Drucks. 16/5048, 'S. 40 [Zu § 140b PatG, der Parallelvorschrift zu § 101 UrhG]). Deshalb ist auch Art. 5 Nr. 3 Brüssel-I-VO insoweit nicht einschlägig. Den Gegenstand des Verfahrens nach § 101 Abs. 9 UrhG bildet nicht ein Anspruch aus einer unerlaubten Handlung gegen einen Dritten, sondern die Erteilung einer gerichtlichen Entscheidung, welche die Verwendung von Verkehrsdaten zur Auskunftserteilung zulässt.

2. Aus § 101 Abs. 9 Satz 2 UrhG lässt sich eine Zuständigkeit der deutschen Gerichte im Streitfall ebenfalls nicht herleiten. Nach dieser Bestimmung ist für den Erlass der Anordnung über die Zulässigkeit der Verwendung der Verkehrsdaten das Landgericht, in dessen Bezirk der zur Auskunft Verpflichtete seinen Wohnsitz, seinen Sitz oder seine Niederlassung hat, ausschließlich zuständig. Die Beteiligte zu 2., eine Public Limited Company (Aktiengesellschaft), hat ihren Sitz in Großbritannien, nicht im Inland. Die Beteiligte zu 1. hat auch nicht hinreichend dargetan, dass die Beteiligte zu 2. eine Niederlassung im Inland hat. Dies ergibt sich nicht aus den Ausführungen im Beschwerdeschriftsatz vom 26.08.2011, Seite 3. Soweit dort auf die X. (G.) GmbH & Co. OHG abgestellt wird, handelt es sich angesichts der abweichenden Firmierung und abweichenden Gesellschaftsform allenfalls um eine selbständige Tochtergesellschaft der Beteiligten zu 2., nicht um eine unselbständige Niederlassung. Außerdem erbringt die X. (G.) GmbH & Co. OHG nach dem Vorbringen der Beteiligten zu 1. im Beschwerdeschriftsatz vom 26.08.2011, Seite 3 keine Dienstleistungen, die Gegenstand dieses Verfahrens sind.

3. Außerdem fehlt auch die Aktivlegitimation der Beteiligten zu 1. für den Antrag nach § 101 Abs. 9 UrhG. Die Beteiligte zu 1. macht eigene Rechte nach § 85 UrhG geltend und stützt sich insoweit auf die Verträge vom 21.12.2010 zwischen ihr und der Y. R. SIA (Anlage AST 8) sowie vom 10.02.2011 zwischen ihr, der Y. R. SLA und der Y. R., LDA. (Anlage AST 9). Antragsbefugt nach § 101 Abs. 9 Satz 1 UrhG ist der Verletzte. Das sind - bezogen auf § 85 UrhG - der Inhaber eines Leistungsschutzrechts nach § 85 UrhG sowie der Inhaber eines ausschließlichen Nutzungsrechts bezüglich eines solchen Leistungsschutz-rechts (vgl. Jan Bernd Nordemann in Fromm/Nordemann, Urheberrecht, 10. Aufl., § 97, Rn. 130, 133). Der Inhaber eines einfachen Nutzungsrechts ist hingegen nicht aktivlegitimiert (vgl. Jan Bernd Nordemann in Fromm/Nordemann aaO § 97, Rn. 132).

Aus den genannten Verträgen vom 21.12.2010 und vom 10.02.2011 geht bereits nicht hinreichend klar hervor, dass der Beteiligten zu 1. ein eigenes Nutzungsrecht eingeräumt worden ist. Unter "I. Vertragsgegenstand" heißt es im Vertrag vom 21.12.2010:

"Y. R. ist Tonträgerhersteller und Inhaber von Nutzungs- und Verwertungsrechten an Tonaufnahmen. Die Anzahl der Urheberrechtsverletzungen und/oder Verletzungen von Leistungsschutzrechten an diesen Tonaufnahmen im Internet hat in den vergangenen Jahren in großem Maße zugenommen und einen wirtschaftlichen Schaden bei Y. R. verursacht. Dieser Vertrag regelt die exklusive Beauftragung (der Beteiligten zu 1), um den Eintritt eines solchen Schadens zu verhindern, bzw. den Ersatz des Schadens von den Verletzern und/oder Störern zu ermöglichen", wobei das genannte, ursprünglich vorgesehen gewesene Wort "exklusive ", wie sich aus Anlage AST 8 ergibt, handschriftlich gestrichen worden ist.

Unter "II. Übertragung der Rechte, a." heißt es u.a.

" Y. R. überträgt an [die Beteiligte zu l.J ausschließliche und übertragbare Rechte an die [sie] in Anlage 1 oder weiteren Anlagen zu diesem Vertrag aufgeführten Tonaufnahmen mit Bezug auf Filesharing in Peer-2-Peer-Netzwerken (" Tauschbörsen "), bei denen jeder User/Teilnehmer sowohl Dateien herunterladen, als auch hochladen kann und diese öffentlich zugänglich macht...[Die Beteiligte zu 1] ist berechtigt, die übertragenen Rechte im eigenen Namen, auf eigene Kosten und auf eigenes Risiko geltend zu machen."

Danach ist bereits nicht hinreichend klar, dass der Beteiligten zu 1. ein eigenes Nutzungsrecht im Sinne des § 85 UrhG, insbesondere das Recht, den Tonträger "A. (B.)" öffentlich zugänglich zu machen, eingeräumt worden ist, und nicht nur ein Recht, Rechtsverletzungen Dritter zu verhindern oder zu verfolgen.

Jedenfalls kann aber nicht davon ausgegangen werden, dass der Beteiligten zu 1. ein ausschließliches Nutzungsrecht eingeräumt worden ist. Denn die im Vertrag vom 21.12.2010 ursprünglich vorgesehen gewesene, nachstehend wiedergegebene Ausschließlichkeitsvereinbarung ist, wie sich aus Anlage AST 8 ergibt, handschriftlich gestrichen worden:

"III. Ausschließlichkeitsvereinbarung

Y. R. verpflichtet sich mit Ausnahme der Kanzlei Z. zum Zwecke der Abwicklung alter Mandate keine Dritten mit Leistungen gemäß Nr. II für die Dauer des Vertrags zu beauftragen oder o.g. Nutzungsrechte an Dritte in diesem Zeitraum zu übertragen."

Im Hinblick auf diese Streichung sowie im Hinblick auf die Streichung des Worts "exklusive" in Ziffer I. ist auch unter Berücksichtigung des Wortes "ausschließliche" in Ziffer II. a. davon auszugehen, dass der Beteiligten zu 1. Allenfalls ein einfaches Nutzungsrecht eingeräumt worden ist. Denn im Gegenschluss ist anzunehmen, dass sich die Y. R. SIA bzw. die Y. R., LDA. Vorbehalten hat, während der Vertragslaufzeit Dritten entsprechende Nutzungsrechte einzuräumen.

4. Da die richterliche Anordnung nach § 101 Abs. 9 UrhG Voraussetzung für den Auskunftsanspruch gegenüber dem Internet-Provider ist (vgl. BT-Drucks. 16/5048, S. 63; OLG Düsseldorf MMR 2011, 546, 548), kommt die von der Beteiligten zu 1. mit dem Antrag Ziffer 2. im Wege einer einstweiligen-Verfügung (bzw. einstweiligen Anordnung) begehrte Datensicherung im Hinblick auf die Erfüllung eines Auskunftsanspruchs nach § 101 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 UrhG nicht in Betracht. Außerdem fehlt es auch insoweit, wie vorstehend dargelegt, an der Aktivlegitimation der Beteiligten zu 1.

5. Der Senat hat ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union nach Art. 267 AEUV zur Frage der Auslegung von Art. 1 Brüssel-I-VO im Hinblick auf das Verfahren nach § 101 Abs. 9 UrhG, auf das sich der Antrag Ziffer 1. Bezieht, erwogen, hält ein solches Vorabentscheidungsersuchen aber nicht für veranlasst. Zum Einen ist die vorstehend erörterte Auslegung von Art. 1 Brüssel-I-VO so offenkundig, dass keinerlei Raum für vernünftige Zweifel bleibt ("acte clair"; vgl. EuGH, Urteil vom 06.10.1982 € Rs. 283/81 -, Slg. 1982, S. 3415, Rn. 16 € C.I.L.F.I.T.). Zum Anderen ist diese Auslegungsfrage im Hinblick auf die fehlende Aktivlegitimation der Beteiligten zu 1. Auch nicht entscheidungserheblich.

Im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes, der mit dem Antrag Ziffer 2. Begehrt wird, scheidet ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV wegen des Eilcharakters grundsätzlich aus (vgl. Skamel in Berger, Einstweiliger Rechtsschutz, Kap. 6, Rn. 42 m.w.N.). Außerdem ist die Frage der Auslegung der Verordnung (EG) Nr. 44 /2001 insoweit wegen der fehlenden Aktivlegitimation der Beteiligten zu 1. Auch nicht entscheidungserheblich.

6. Die Kostenentscheidung bezüglich der Kosten des Beschwerdeverfahrens beruht auf § 101 Abs. 9 Satz 4 UrhG, § 84 FamFG.

7. Eine Festsetzung des Werts des Beschwerdeverfahrens ist im Hinblick auf § 13 la KostO nicht veranlasst.

8. Die Rechtsbeschwerde ist bezüglich des Antrags Ziffer 1. nicht zuzulassen. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 70 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 FamFG) und auch die Voraussetzungen des § 70 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 FamFG) liegen nicht vor. Insbesondere weicht der Senat nicht in entscheidungserheblicher Weise von dem Urteil des Oberlandesgerichts Köln vom 25.03.2011 - 6 U 87/10, abrufbar unter www.justiz.nrw.de, ab. Diesem Urteil liegt eine signifikant abweichende Fallkonstellation zugrunde, nämlich ein Verfügungsverfahren gegen eine in der Schweiz ansässige Sharehosterin, in dem u.a. Auskunft über Namen, Anschriften und E-Mail-Adressen der auf einer bestimmten Internetseite unter Decknamen auftretenden Person begehrt wurde. Um eine richterliche Anordnung gemäß § 101 Abs. 9 UrhG ging es in dem genannten Verfahren nicht. Außerdem wurde in dem genannten Verfahren die Aktivlegitimation der dortigen Antragstellerinnen bejaht.

Bezüglich des Antrags Ziffer 2., mit dem einstweiliger Rechtsschutz begehrt wird, ist für die Zulassung der Rechtsbeschwerde kein Raum (vgl. § 574 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 542 Abs. 2 Satz 1 ZPO; § 70 Abs. 4 FamFG).






OLG München:
Beschluss v. 12.09.2011
Az: 29 W 1634/11


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