Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg:
Beschluss vom 19. Dezember 1995
Aktenzeichen: 13 S 3199/94
(VGH Baden-Württemberg: Beschluss v. 19.12.1995, Az.: 13 S 3199/94)
1. Die ausländerrechtliche Abschiebungsandrohung (§§ 49, 50 AuslG (AuslG 1990)) ist ein Akt der Zwangsvollstreckung im Sinne des § 114 Abs 6 BRAGO (BRAGebO). Für ein allein gegen eine ausländerrechtliche Abschiebungsandrohung gerichtetes Eilverfahren erhält der Prozeßbevollmächtigte des Antragstellers gem § 114 Abs 6 BRAGO (BRAGebO) drei Zehntel der in § 31 BRAGO (BRAGebO) bestimmten Gebühren.
Gründe
Die zulässige Beschwerde des Prozeßbevollmächtigten der Antragsteller (§§ 164, 165, 151, 146 Abs. 2 und 3, 147 VwGO, § 9 Abs. 2 BRAGO) ist unbegründet. Zu Recht hat der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle mit Beschluß vom 11. September 1992 die zu erstattenden Kosten auf 80,49 DM festgesetzt. Die dagegen gerichtete Erinnerung ist vom Verwaltungsgericht zutreffend zurückgewiesen worden. Dem Beschwerdeführer steht für das Betreiben des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens gegen die Verfügungen der Antragsgegnerin vom 23.3.1992, mit denen den Antragstellern u.a. die Abschiebung in ihr Heimatland angedroht worden ist, keine volle Gebühr zu (vgl. §§ 114 Abs. 6, 31, 40 BRAGO), er kann nur drei Zehntel der Rechtsanwaltsgebühren beanspruchen.
Nach § 114 Abs. 5 BRAGO gilt im Verfahren auf Aussetzung oder Aufhebung der Vollziehung des Verwaltungsakts, auf Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung § 40 BRAGO sinngemäß. Es sind dies die Verfahren gemäß §§ 80 Abs. 5, 80a Abs. 3 VwGO. Die sinngemäße Anwendung des § 40 BRAGO bedeutet, jedes der genannten Verfahren gilt gebührenrechtlich als besondere, gegenüber dem Hauptprozeß selbständige Angelegenheit (Gerold/Schmidt, Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte, Kommentar, 12. Aufl., § 114, RdNr. 15 m.w.N.). § 40 BRAGO erfaßt auch ein gerichtliches Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes, in dem es um die sofortige Vollziehbarkeit des Grundverwaltungsaktes oder um die aufschiebende Wirkung des gegen die diesbezügliche Vollstreckungsmaßnahme gerichteten Rechtsmittels geht (Riedel/Süßbauer, BRAGO, Komm., 6. Aufl., § 114, RdNr. 28).
Für die Höhe der Gebühr ergeben sich aus § 114 Abs. 6 BRAGO Besonderheiten. Danach erhält der Rechtsanwalt im gerichtlichen Verfahren über einen "Akt der Zwangsvollstreckung" (des Verwaltungszwangs) drei Zehntel der in § 31 bestimmten Gebühren (§ 114 Abs. 6 S. 1 BRAGO). Diese Regelung greift ihrem Wortlaut und Zweck nach nur dann ein, wenn es sich bei dem Streitgegenstand des gerichtlichen Verfahrens um einen "Akt der Zwangsvollstreckung" handelt. Der Gesetzesbegründung liegt die Vorstellung zugrunde, daß in den Fällen, in denen ein Rechtsanwalt sich gegen einen Akt der Zwangsvollstreckung richtet, eine Überprüfung nicht in der Sache, sondern nur hinsichtlich der Vollstreckungsmaßnahmen erfolgt, weshalb es gerechtfertigt sei, die Gebühren mit den Gebühren abzustimmen, die in den §§ 57 ff. BRAGO für die Zwangsvollstreckung nach den Vorschriften der ZPO vorgesehen seien (Verhandlungen des Deutschen Bundestages, 2. Wahlperiode, 1953, Anl. Bd. 43, BT-Drs. 2545, Entwurf eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung kostenrechtlicher Vorschriften, Vergütung der Rechtsanwälte, Begründung zu § 112 BRAGO a.F., S. 267, 269). Die Gesetzesbegründung geht offenbar davon aus, daß ein Verfahren gegen einen Akt der Zwangsvollstreckung regelmäßig weniger zeit - und arbeitsaufwendig ist als ein solches gegen den Grundverwaltungsakt und zwar unabhängig vom jeweiligen Sachgebiet und ungeachtet der im Einzelfall erhobenen Einwendungen gegen die Vollstreckung. Diese verallgemeinernde Betrachtungsweise wird durch den eindeutigen Wortlaut des § 114 Abs. 6 BRAGO bestätigt, der die Reduzierung der Rechtsanwaltsgebühr auf drei Zehntel allein daran knüpft, ob ein Akt der Zwangsvollstreckung vorliegt und keine Berücksichtigung des Einzelfalles oder des Sachgebiets, in dem die Vollstreckung geschieht, zuläßt. Mit dem eindeutigen Wortlaut des § 114 Abs. 6 BRAGO ist es unvereinbar, Zwangsvollstreckungsmaßnahmen in bestimmten Bereichen des Verwaltungsrechts vom Anwendungsbereich des § 114 Abs. 6 BRAGO auszunehmen, z.B. Abschiebungsandrohungen nach §§ 49, 50 AuslG, weil sie mit Blick auf die Geltendmachung und Prüfung von Abschiebungshindernissen (§ 50 Abs. 3 i.V.m. § 53 Abs. 1 - 4 AuslG) erfahrungsgemäß oftmals Schwierigkeiten bereiten. Auch in anderen Vollstreckungsverfahren können materiell-rechtliche Einwände gegen die Vollstreckungsmaßnahme erhoben werden (z.B. §§ 52 PolG Bad.-Württ., 19 Abs. 3, 26 Abs. 2 und 3, 27 LVwVG). Eine Auslegung gegen den Wortlaut einer Vorschrift kommt nur dann in Betracht, wenn die wortgetreue Auslegung zu einem sinnwidrigen Ergebnis führt, das der Gesetzgeber nicht gewollt haben kann, mit anderen Worten, wenn der Zusammenhang der ihrem Wortlaut nach klaren Vorschrift mit anderen Vorschriften des Gesetzes ergibt, daß die Vorschrift das nicht aussagen will, was sie ihrem Wortlaut nach auszusagen scheint (BVerwG, NKU v. 14.7.1978, Buchholz 238.90 Nr. 74; BVerfGE 85, 69 ff., 74; BVerfG, Beschl. v. 10.1.1995, NJW 1995, 1141 f.). Davon kann hier mit Blick auf die Gesetzesbegründung nicht gesprochen werden. Die Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung kennt ähnliche Vorschriften, die ausnahmslos eine Reduzierung der Rechtsanwaltsgebühren in Vollstreckungsverfahren vorsehen (§ 119 Abs. 2 BRAGO für Verwaltungszwangsverfahren und § 57 BRAGO). In § 57 BRAGO geht es um die Abgrenzung, wann eine "Tätigkeit" in der Zwangsvollstreckung nach der ZPO gegeben ist. Letztere setzt einen Vollstreckungstitel voraus. Auch dieser Vorschrift liegt der Gedanke zugrunde, daß die Tätigkeit des Rechtsanwalts in der Zwangsvollstreckung weniger arbeitsintensiv ist (vgl. BT-Drs. 2545, Begründung zu § 57 BRAGO a.F., S. 258). In Anlehnung daran sieht § 119 Abs. 2 BRAGO auch für die Verwaltungsvollstreckung Drei-Zehntel-Gebühren vor (BT-Drs. 2545, Begründung zu § 117 BRAGO a.F., S. 270).
§ 114 Abs. 6 BRAGO greift hiernach nur dann ein, wenn es sich bei dem Streitgegenstand des gerichtlichen Verfahrens um einen Akt der Zwangsvollstreckung handelt. Denn die gerichtliche Prüfung erstreckt sich bei einem Akt der Zwangsvollstreckung allein auf die Rechtmäßigkeit des Vollstreckungsaktes, d.h. auf die Einhaltung der Vollstreckungsvoraussetzungen. Zu diesen zählen lediglich das Vorliegen eines bestands- bzw. rechtskräftigen Grundverwaltungsaktes und die formalen Voraussetzungen des Vollstreckungsverfahrens (vgl. §§ 6, 9 VwVG, § 19 LVwVG; zum Ganzen: Engelhardt/App, VwVG.VwZG, Komm., 3. Aufl., § 6 VwVG, Anm. I und II; vgl. § 2 LVwVG). Die Rechtmäßigkeit des Grundverwaltungsaktes wird nicht überprüft. Dies rechtfertigt eine Reduzierung der Gebühr auf drei Zehntel. Ist dagegen Gegenstand des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens neben dem Vollstreckungsakt auch der kraft Gesetzes oder behördlicher Anordnung sofort vollziehbare Grundverwaltungsakt (vgl. §§ 12 LVwVG, 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO), so ist § 114 Abs. 6 BRAGO nicht anwendbar (so VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 10.12.1993 - A 16 S 2118/93 -; vgl. auch VG Freiburg, Beschl. v. 7.1.1994, NVwZ-Beilage 1994, 18 f.; Madert, in: Gerold/Schmidt, a.a.O., § 114, RdNr. 17).
Im vorliegenden Verfahren handelte es sich um ein Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes wegen einer auf §§ 49, 50 AuslG gestützten Abschiebungsandrohung. Gegenstand des beim Verwaltungsgericht Stuttgart anhängig gemachten Eilantrags (7 K 1589/92) war dagegen nicht auch die Ablehnung der Aufenthaltsgenehmigung in der Form der Aufenthaltsbefugnis. Zwar war der im Antrag des Eilantrags in Bezug genommene Widerspruch der Antragsteller vom 14.4.1992 uneingeschränkt gegen die Verfügung der Antragsgegnerin vom 23.3.1992 gerichtet, also auch gegen die dort angeordnete Ablehnung der Aufenthaltsgenehmigung in der Form der Aufenthaltsbefugnis. Schon die Kennzeichnung des Betreffs des Eilantrags mit den Worten "wegen Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung" spricht aber gegen die Annahme, daß die Erteilung der Aufenthaltsgenehmigung zum Gegenstand des Eilantrags gemacht werden sollte. Diese Bezeichnung ist deshalb bedeutsam, weil der Betreff des Eilantrags von demjenigen der Verfügung abweicht; darin ist das Stichwort "Aufenthaltsgenehmigung" an der Stelle des Betreffs aufgeführt. Der Begründung des Eilantrags läßt sich nichts dafür entnehmen, daß die Antragsteller die Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis nicht nur im Widerspruchsverfahren, sondern deren einstweilige Erteilung auch im Eilverfahren, ggf. mit einem Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO, verfolgen wollten. Die Bezugnahme auf die Verwaltungsgerichtsverfahren wegen der Erteilung einer Duldung geben dafür nichts her. Die Begründung befaßt sich im übrigen mit Einwänden gegen die Abschiebungsandrohung, im wesentlichen mit Ausführungen zu Abschiebungshindernissen (§§ 53, 51 AuslG). Auch die in Bezug genommene Begründung im Verfahren 7 K 3141/91 (siehe Schriftsatz vom 25.9.1991), wonach über den Antrag des Antragstellers und seiner Familie auf Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis vom 19.3.1991 bis heute nicht entschieden worden und insoweit ein Untätigkeitsklagverfahren anhängig sei, vermag die Auffassung des Antragstellervertreters nicht zu unterstützen, daß die Erteilung der Aufenthaltsbefugnis im einstweiligen Rechtsschutzverfahren inbegriffen sein sollte. Im übrigen ist auch das Verwaltungsgericht im Beschluß vom 16.11.1992 über die Kosten des für erledigt erklärten Rechtsstreits (siehe VG-Akte 7 K 1589/92, AS 53 - 59) davon ausgegangen, daß nur die Abschiebungsandrohung nebst Fristsetzung Gegenstand des Eilantrags war.
Die Abschiebungsandrohung nebst Frist ist ein Akt der Zwangsvollstreckung, zumindest wird sie einem solchem gleichgestellt (BVerwG, Urt. v. 29.4.1983, NVwZ 1983, 742 zu § 13 AuslG a.F. i.V.m. § 5 des 2. AsylBeschlG; Kanein/Renner, AuslR, AsylVfG, Komm., 6. Aufl., § 50 AuslG RdNr. 2; Kloesel/Christ/Häußer, Dt. AuslR, Komm., 3. Aufl., § 50 AuslG RdNr. 7, 7a m.w.N.; VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 15.7.1992 - 1 S 1425/92 -). Was unter einem Akt der Zwangsvollstreckung im Sinne des § 114 Abs. 6 BRAGO zu verstehen ist, kann den Verwaltungsvollstreckungsgesetzen entnommen werden (vgl. §§ 6 VwVG, §§ 1 ff. LVwVG). Die Abschiebungsandrohung dient der Vollstreckung der gesetzlichen Pflicht zur Ausreise (§ 12 Abs. 1 AuslG a.F., § 42 Abs. 1 AuslG). Auch eine Maßnahme zur Vollstreckung einer Pflicht, die sich unmittelbar aus dem Gesetz ergibt, wie dies für die Ausreisepflicht nach § 42 Abs. 1 AuslG zutrifft, wird im Sinne des § 12 Abs. 1 S. 1 LVwVG in der Verwaltungsvollstreckung getroffen. Der Begriff der Vollstreckungsmaßnahme im Sinne des § 12 Abs. 1 S. 1 LVwVG setzt nicht voraus, daß ein Verwaltungsakt vollstreckt wird (VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 15.4.1995 - 1 S 931/91 - VBlBW 1991, 383). Die Abschiebungsandrohung ist eine Maßnahme, die in der Verwaltungsvollstreckung getroffen wird und deshalb dem Anwendungsbereich des § 114 Abs. 6 BRAGO unterliegt (so auch VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 15.7.1992 - 1 S 1425/92 -). Dem Prozeßbevollmächtigten der Antragsteller stehen deshalb für das Betreiben des Eilverfahrens gegen die auf §§ 49, 50 AuslG gestützte Abschiebungsandrohung lediglich drei Zehntel der vollen Gebühr zu und zwar unabhängig vom tatsächlichen Aufwand in diesem Verfahren.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des Streitwerts auf § 13 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluß ist unanfechtbar.
VGH Baden-Württemberg:
Beschluss v. 19.12.1995
Az: 13 S 3199/94
Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/c56c1f6353ba/VGH-Baden-Wuerttemberg_Beschluss_vom_19-Dezember-1995_Az_13-S-3199-94