Landgericht Düsseldorf:
Urteil vom 15. März 2011
Aktenzeichen: 4b O 266/09
(LG Düsseldorf: Urteil v. 15.03.2011, Az.: 4b O 266/09)
Tenor
I.
Die Beklagte wird verurteilt,
es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu EUR 250.000,00, ersatzweise Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, im Wiederholungsfall bis insgesamt zu 2 Jahren, zu unterlassen,
Tastaturen mit einem Gehäuse zur Aufnahme zumindest eines Tastenfeldes, wobei das Gehäuse einteilig ausgeführt ist, welches aus einer offenen oberen Gehäuseschale und einer unteren offenen Gehäuseschale gebildet wird,
herzustellen, anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen,
bei denen die obere offene Gehäuseschale wannenartig ausgeführt ist und die Bodenfläche der oberen Gehäuseschale gleichzeitig als Deckfläche der unteren Gehäuseschale fungiert, die Bodenfläche schräg zu einer fiktiven Auflageebene geneigt ist, wodurch die wannenartige obere Gehäuseschale gemeinsam mit der unteren Gehäuseschale ein im Querschnitt pultförmiges Gehäuse bildet, und wobei an der dem Benutzer abgewandten Seite des im Querschnitt pultförmigen Gehäuses ein nach unten offener im Querschnitt U-förmiger Gehäuseteil anschließt;
der Klägerin in einem geordneten, nach Kalenderjahren sortierten und jeweils Zusammenfassungen enthaltenden Verzeichnis Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie die zu Ziffer 1 bezeichneten Handlungen seit dem 03.08.2005 begangen hat, und zwar unter Angabe
der Menge der hergestellten Erzeugnisse unter Angabe der Herstellungszeiten und zugeordnet zu Typenbezeichnungen;
der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten und -preisen, jeweils zugeordnet zu Typenbezeichnungen, sowie der Namen und Anschriften der Abnehmer, und unter Vorlage der jeweiligen Rechnungen;
der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten und -preisen, jeweils zugeordnet zu Typenbezeichnungen, sowie der Namen und Anschriften der Angebotsempfänger;
der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet, sowie bei Internet-Werbung der Schaltungszeiträume, der Internet-Adressen sowie der Zugriffszahlen auf die jeweiligen Seiten und der Suchmaschinen, bei denen die Seiten angemeldet waren;
der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,
wobei der Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften der Angebotsempfänger sowie der nicht gewerblichen Abnehmer statt der Klägerin einem von der Klägerin zu bezeichnenden, ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagte dessen Kosten trägt und ihn ermächtigt und verpflichtet, der Klägerin auf Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Aufstellung enthalten ist;
die vorstehend unter Ziffer 1. bezeichneten, im Besitz gewerblicher Abnehmer befindlichen Erzeugnisse, die seit dem 30.04.2006 in Verkehr gebracht wurden, zurückzurufen, indem diejenigen gewerblichen Abnehmer, die sich im Besitz dieser Erzeugnisse befinden, darüber schriftlich informiert werden, dass die Kammer mit dem hiesigen Urteil auf eine Verletzung des Klagepatents DE 102 16 936 erkannt hat, ihnen ein Angebot zur Rücknahme dieser Erzeugnisse durch die Beklagte unterbreitet wird und den gewerblichen Abnehmern für den Fall der Rückgabe der Erzeugnisse eine Erstattung des gegebenenfalls bereits bezahlten Kaufpreises bzw. eines sonstigen Äquivalents für die zurückgerufenen Erzeugnisse sowie die Übernahme der Verpackungs- und Transport- bzw. Versendekosten für die Rückgabe zugesagt wird;
an die Klägerin 6.196,00 € zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 14.01.2010 zu zahlen.
II. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der der Klägerin durch die zu Ziffer I.1 bezeichneten, seit dem 03.08.2005 begangenen Handlungen entstanden ist und noch entstehen wird.
III. Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin zu 25 % und die Beklagte zu 75 %.
IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für die Klägerin gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 250.000,00 €, für die Beklagte gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.
Tatbestand
Die Klägerin ist seit dem 03.08.2005 eingetragene Inhaberin des Patents DE A (Anlage K 1, im Folgenden: Klagepatent), welches am 17.04.2002 angemeldet und dessen Anmeldung am 27.11.2003 offengelegt wurde. Die Erteilung des Klagepatents wurde am 11.03.2004 veröffentlicht. Das Klagepatent steht in Kraft. Über die gegen das Klagepatent von der Beklagten mit Schriftsatz vom 30.04.2010 erhobene Nichtigkeitsklage beim Bundespatentgericht (4 Ni 23/10) ist derzeit nicht entschieden.
Das Klagepatent betrifft eine Tastatur, vorzugsweise für Datenkassen.
Hautpanspruch 1 des Klagepatents lautet:
"Tastatur (10), vorzugsweise für Datenkassen, mit
- einem Gehäuse (1) zur Aufnahme zumindest eines Tastenfeldes (11),
- wobei das Gehäuse (1) einteilig ausgeführt ist, welches
- aus einer offenen oberen Gehäuseschale (2) und einer unteren offenen Gehäuseschale (3) gebildet wird, dadurch gekennzeichnet, dass
- die obere offene Gehäuseschale (2) wannenartig ausgeführt ist und dass die Bodenfläche (4) der oberen Gehäuseschale (2) gleichzeitig als Deckfläche der unteren Gehäuseschale (3) fungiert,
- die Bodenfläche (4) schräg zu einer fiktiven Auflageebene geneigt ist, wodurch
- die wannenartige obere Gehäuseschale (2) gemeinsam mit der unteren Gehäuseschale (3) ein im Querschnitt pultförmiges Gehäuse (1) bildet, und wobei
- an der dem Benutzer abgewandten Seite des im Querschnitt pultförmige[n] Gehäuse[s] (2, 3) ein nach unten offener im Querschnitt uförmiger Gehäuseteil (6, 7) anschließt."
Die nachfolgend wiedergegebenen Zeichnungen veranschaulichen den Gegenstand der Erfindung anhand eines Ausführungsbeispiels. Figur 1 zeigt eine vereinfacht dargestellte Tastatur in einer Draufsicht, Figur 2 eine Schnittdarstellung I-I aus Figur 1 ohne Tastenfeld, Figur 3 eine perspektivische Draufsichtdarstellung auf das Tastaturgehäuse und Figur 4 eine perspektivische Ansicht der Unterseite des Tastaturgehäuses:
Die Beklagte stellt Tastaturen für die Datenerfassung bei Banken und für Zahlungsverkehrlösungen mit integriertem Datenleser sowie Barcodeschnittstelle her und vertreibt diese. Auf ihrer Internetseite bietet sie die Tastatur B (im Folgenden: angegriffene Ausführungsform) an (Anlage K 4). Die Ausgestaltung der angegriffenen Ausführungsform ist den als Anlage K 5 überreichten Fotografien sowie den als Anlage A überreichten Schnittdarstellungen, von denen nachfolgend die mittlere Zeichnung Schnitt C-C wiedergegeben ist, zu entnehmen.
Nach Erwerb und Untersuchung der angegriffenen Ausführungsform mahnte die Klägerin die Beklagte erfolglos ab. Dafür bringt sie Kosten in Höhe von 6.196,00 € in Ansatz, die sich aus jeweils einer 1,5 Geschäftsgebühr aus einem Streitwert bis 250.000,00 € nebst Auslagenpauschale von 20,00 € für die rechtsanwaltliche und die patentanwaltliche Tätigkeit zusammensetzen.
Die Klägerin ist der Ansicht, die angegriffene Ausführungsform stelle eine wortsinngemäße Benutzung des Klagepatents dar. Bei der angegriffenen Ausführungsform bilde die obere Gehäuseschale gemeinsam mit der unteren Gehäuseschale ein im Querschnitt pultförmiges Gehäuse, an das sich an der dem Benutzer abgewandten Seite des im Querschnitt pultförmigen Gehäuses ein nach unten offener im Querschnitt uförmiger Gehäuseteil anschließe. Der Begriff "pultförmiges Gehäuse" erfordere nicht, dass dieses irgendwo im hinteren Bereich auf der Unterseite der Bodenfläche einen Stützsteg aufweise; dies ergebe sich schon aus dem Anspruch 1 des Klagepatents, wonach das pultförmige Gehäuse durch die schräge Anordnung der Bodenfläche definiert sei; wie der Fachmann das Gehäuse stabilisiere und standfähig gestalte, sei ihm überlassen. Die Klägerin ist weiter der Ansicht, die U-Form des dem Benutzer abgewandten Gehäuseteils gehe nicht dadurch verloren, dass einer der Stege des U länger sei als der andere; auch erfordere das Klagepatent nicht, dass die Stege des U als Abstützung für die Tastatur dienten. Die vorgeschriebene Form dieses Gehäuseteils diene vielmehr dazu, Raum für elektronische Bauteile zu schaffen, der einfach zugänglich sei.
Die Klägerin hat mit der vorliegenden Klage, die der Beklagten am 14.01.2010 zugestellt worden ist, ursprünglich den Auskunftsantrag für ab dem 27.12.2003 begangene Benutzungshandlungen, den Antrag auf Feststellung der Schadensersatzpflicht für ab dem 11.04.2004 begangene Benutzungshandlungen und den Rückrufantrag ohne zeitliche Beschränkung gestellt. Daneben hat die Klägerin ursprünglich für die in der Zeit vom 27.12.2003 bis zum 10.04.2004 begangenen Benutzungshandlungen einen Antrag auf Feststellung der Entschädigungspflicht gestellt sowie (ohne zeitliche Begrenzung) einen Antrag auf Entfernung geltend gemacht. Diesen Feststellungsantrag hat die Klägerin ebenso wie den Entfernungsantrag in der mündlichen Verhandlung vom 15.02.2011 mit Zustimmung der Beklagten zurückgenommen.
Die Klägerin beantragt nunmehr,
wie zuerkannt.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen,
hilfsweise sinngemäß den Rechtsstreit bis zur Entscheidung des Bundespatentgerichts über die Nichtigkeitsklage zum Aktenzeichen 4 Ni 23/10 auszusetzen.
Die Beklagte ist der Ansicht, die angegriffene Ausführungsform mache von der Lehre des Klagepatents keinen Gebrauch. Die obere Gehäuseschale bilde mit der unteren Gehäuseschale im Querschnitt kein pultförmiges Gehäuse, denn ein solches erfordere an der dem Benutzer abgewandten Seite einen senkrecht auf die Auflagefläche gerichteten Steg, der die gemeinsame Bodenfläche in ihrer schrägen (pultförmigen) Lage halte. Ohne den sich anschließenden hinteren Gehäuseteil sei die Boden/Deckfläche am hinteren Ende nicht gestützt und fiele auf die Auflageebene; dies stehe einem pultförmigen Querschnitt entgegen. Darüber hinaus sei der sich anschließende Gehäuseteil der angegriffenen Ausführungsform nicht "uförmig". U-förmig bedeute, dass beide Schenkel parallel zueinander verliefen und gleich lang seien.
Zur Begründung des hilfsweise gestellten Aussetzungsantrags beruft sich die Beklagte auf eine mangelnde erfinderische Tätigkeit; auch sei das Klagepatent unzulässig erweitert, da die in den Patentanspruch 1 aufgenommene jeweils im Querschnitt vorgesehene Pultförmigkeit des einen Gehäuseteils sowie die U-Förmigkeit des anderen Gehäuseteils in der Patentanmeldung nicht enthalten gewesen sei. Weiter ist die Beklagte der Ansicht, die Erfindung sei in den Anmeldeunterlagen nicht ausführbar offenbart.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze sowie auf die zu den Akten gereichten Unterlagen Bezug genommen.
Gründe
Die Klage hat Erfolg. Sie ist in dem nunmehr geltend gemachten Umfang begründet. Veranlassung, den Rechtsstreit auszusetzen, besteht nicht.
I.
Das Klagepatent betrifft eine Tastatur, vorzugsweise für Datenkassen.
Aus dem Stand der Technik ist, wie das Klagepatent einleitend ausführt, aus der EP C eine gattungsgemäße Tastatur für eine Datenkasse mit einem einteiligen Keyboardgehäuse bekannt. Das Gehäuse weist dabei eine obere offene und eine an der vom Benutzer abgewandten Seite untere offene Gehäuseschale auf, die sich im Wesentlichen S-förmig aneinander anschließen. In der oberen Gehäuseschale wird ein Tastenfeld durch Schrägen schräg gelagert. Unterhalb des Tastenfeldes ist beispielsweise eine Tastatur-Elektronik angeordnet. Die untere Seite bzw. Bodenfläche der oberen Gehäuseschale ist gegenüber einer imaginären Auflagefläche plan ausgeführt. Von den sich dieser Bodenfläche anschließenden Vertiefungen der unteren Gehäuseschale ragen elektrische Anschlüsse von Zusatzbaugruppen in die obere Gehäuseschale (Anlage K 1, Absatz [0002]). Als bekannt beschreibt das Klagepatent sodann eine Computertastatur entsprechend der DE D, der ein mehrteiliges, pultförmiges Gehäuse entnehmbar ist (Anlage K 1, Absatz [0003]). Schließlich verweist das Klagepatent auf die EP E, welche ein mehrteiliges Tastaturgehäuse mit mindestens einem Tastenfeld beschreibt, das in einer wannenartigen Vertiefung des Gehäuses eingesetzt ist (Anlage K 1, Absatz [0004]).
Ohne ausdrückliche Kritik am Stand der Technik zu üben, stellt sich das Klagepatent die Aufgabe, eine weitere einfache Tastatur aufzuzeigen, die montage-, servicefreundlich und kostenoptimiert aufgebaut ist (Anlage K 1, Absatz [0005]).
Zur Lösung dieser Aufgabe schlägt das Klagepatent eine Tastatur mit den Merkmalen des Hauptanspruchs 1 des Klagepatents vor, der wie folgt gegliedert werden kann:
1. Tastatur (10), vorzugsweise für Datenkassen, mit einem Gehäuse (1)
1.1 zur Aufnahme mindestens eines Tastenfeldes (11), wobei
1.2 das Gehäuse (1) einteilig ausgeführt ist, welches gebildet wird aus
1.2.1 einer offenen oberen Gehäuseschale (2) und
1.2.2 einer unteren offenen Gehäuseschale (3);
2. die obere offene Gehäuseschale (2) ist wannenartig ausgeführt;
3. die Bodenfläche (4) der oberen Gehäuseschale (2)
3.1 fungiert gleichzeitig als Deckfläche der unteren Gehäuseschale (3) und
3.2 ist schräg zu einer fiktiven Auflageebene geneigt,
3.3 wodurch die wannenartige obere Gehäuseschale (2) gemeinsam mit der unteren Gehäuseschale (3) ein im Querschnitt pultförmiges Gehäuse (1) bildet;
4. an der dem Benutzer abgewandten Seite des im Querschnitt pultförmigen Gehäuses (2, 3) schließt sich ein nach unten offener im Querschnitt uförmiger Gehäuseteil (6, 7) an.
II.
Die angegriffene Ausführungsform macht von der technischen Lehre des Klagepatents in wortsinngemäßer Weise Gebrauch.
Die Verwirklichung der Merkmalsgruppe 1. sowie der Merkmale 2., 3.1 und 3.2 des Hauptanspruchs 1 des Klagepatents ist zwischen den Parteien zu Recht unstreitig. Die angegriffene Ausführungsform verwirklicht darüber hinaus jedoch auch die Merkmale 3.3 und 4.
1.
Nach Merkmalsgruppe 3 fungiert die erfindungsgemäße Bodenfläche der oberen Gehäuseschale gleichzeitig als Deckfläche der unteren Gehäuseschale und ist schräg zu einer fiktiven Auflageebene geneigt, wodurch - so Merkmal 3.3 - die wannenartige obere Gehäuseschale gemeinsam mit der unteren Gehäuseschale ein im Querschnitt pultförmiges Gehäuse bildet. "Pultförmig" im Sinne des Klagepatents ist ein Gehäuse dann, wenn die Bodenfläche im Verhältnis zu einer fiktiven Auflagefläche in einem Winkel angeordnet ist, so dass das vordere Ende der Bodenfläche auf die fiktive Auflageebene trifft, während sich das hintere Ende der gemeinsamen Boden-/Deckfläche nach oben von der fiktiven Auflageebene abhebt. Einen senkrecht auf die Auflagefläche gerichteten Steg, der die Bodenfläche in der Schrägstellung hält, sieht Anspruch 1 hingegen nicht als zwingend an.
Dieses Verständnis gewinnt der Fachmann zunächst bei Betrachtung des Anspruchswortlautes, in dem von einem abstützenden Steg an der dem Benutzer abgewandten Seite der gemeinsamen Bodenfläche keine Rede ist. Der Anspruch verdeutlicht durch die einleitende Verknüpfung in Merkmal 3.3. "wodurch" vielmehr, dass die Bildung des pultförmigen Gehäuses die Folge der vorhergehenden Merkmale 3.1. und 3.2. ist. Wie die insbesondere durch Merkmal 3.2 vorgegebene Schrägstellung der Bodenfläche konkret erzielt und stabilisiert wird, lässt der Anspruch offen.
Eine zwingende Vorgabe hierzu ist, wie der Fachmann bei funktionsorientierter Auslegung erkennt, aus technischen Gründen nicht erforderlich.
Das pultförmige Gehäuse und insbesondere die Schrägstellung der Bodenfläche dienen entsprechend der Aufgabenstellung in Absatz [0005] des Klagepatents zunächst dazu, in dem oberen wannenartigen Gehäuseteil ein Tastenfeld vorsehen zu können, das - obwohl es plan oder partiell auf der Bodenfläche aufliegt - aufgrund der Neigung der Bodenfläche ebenfalls geneigt ist. Eine solche Anordnung ist servicefreundlich und gewährleistet eine einfache Handhabung bei der Bedienung der Tasten. Zudem sind, da bereits die gemeinsame Bodenfläche schräggestellt ist, im Gegensatz zum Stand der Technik, etwa zur EP F (Anlage K 2), bei der die Schrägstellung des Tastenfeldes durch Schrägen (6) erzielt wird, keine weiteren Bauteile erforderlich. Die erfindungsgemäße Tastatur ist deshalb einfach herzustellen und kostenoptimiert; Material und weitere Fertigungsschritte werden eingespart.
Darüber hinaus wird durch die Pultförmigkeit des Gehäuses erreicht, dass eine untere offene Gehäuseschale ausgebildet wird, an die sich ein nach unten offener im Querschnitt uförmiger Gehäuseteil anschließt. Sowohl die untere offene Gehäuseschale als auch der sich anschließende uförmige Gehäuseteil sollen zur Aufnahme elektrischer Bauteile dienen (Anlage K 1, Absätze [0008], [0012], [0031], [0032]). Damit dies möglich ist, bedarf es der Schaffung von Hohlräumen und Vertiefungen, welche es wiederum erforderlich machen, dass die Tastatur an dem dem Benutzer abgewandten Ende "an Höhe gewinnt". Dies wird mittels entsprechender Schrägstellung der Bodenfläche realisiert, wodurch gleichfalls Kosten gespart werden. Angesichts der geschaffenen Hohlräume ist auch ein service- und montagefreundlicher Wechsel der elektronischen Bauteile möglich.
Schließlich bietet die Schrägstellung den zusätzlichen Vorteil, wie Absatz [0010] des Klagepatents hervorhebt, dass eintretende Flüssigkeit ablaufen kann.
Dass diese technischen Funktion und Vorteile nur bei Vorhandensein eines Steges an der dem Benutzer abgewandten Seite erfüllt werden könnten, ist weder dargetan noch ersichtlich.
Eine zwingende Vorgabe dazu, wie die Bodenfläche in der Schräglage zu halten ist, entnimmt der Fachmann auch nicht der Beschreibung des Klagepatents, welche zur Auslegung des Anspruchs heranzuziehen ist. Zwar wird in der Beschreibung eines bevorzugten Ausführungsbeispiels der Begriff der Pultförmigkeit dahingehend erläutert, dass sich die obere und die untere Gehäuseschale zu einem im Querschnitt A-förmigen Gehäuse ergänzen, mit anderen Worten ein im Querschnitt pultförmiges Gehäuse bilden (Anlage K 1, Absatz [0025]) und in Entsprechung hierzu in Figur 2 des Klagepatents ein Steg bildlich dargestellt. Ferner heißt es in Absatz [0011] des Klagepatents, "in Weiterführung der Erfindung" weise die untere Gehäuseschale im Bereich der gemeinsamen Fläche "eine Versteifung" auf. Der Fachmann kann dieser Beschreibung, bei der es sich lediglich um die Darstellung bevorzugter Ausführungsbeispiele handelt, indes keine Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass diese Beispiele den weitergehenden Anspruch ausnahmsweise einschränken sollen.
Schließlich findet der Fachmann für dieses Verständnis auch in den Unteransprüchen 2 und 3 eine weitere Stütze. Erst diese auf den Hauptanspruch 1 rückgezogenen Unteransprüche befassen sich mit Versteifungen der Bodenfläche, wobei in Unteranspruch 3 die Versteifung als Steg konkretisiert ist.
Auf Grundlage dieses Verständnisses macht die angegriffene Ausführungsform von Merkmal 3.3 der Merkmalsgliederung wortsinngemäß Gebrauch. Denn sie weist eine schräggestellte gemeinsame Boden-/Deckfläche auf, die die erforderliche Stabilität aufweist. Dass die Schrägstellung "nur" mittels des sich anschließenden uförmigen Gehäuseteils erreicht wird, führt aus den dargelegten Gründen aus dem Schutzbereich des Klagepatents nicht hinaus.
2.
Die angegriffene Ausführungsform verwirklicht auch Merkmal 4 des Hauptanspruchs 1 in wortsinngemäßer Weise. Danach schließt sich an der dem Benutzer abgewandten Seite des im Querschnitt pultförmigen Gehäuses ein nach unten offener im Querschnitt uförmiger Gehäuseteil an. Hierfür genügt es, dass dieser Gehäuseteil im Wesentlichen einem nach unten offenen U gleich kommt. Es ist nicht zwingend erforderlich, dass die Schenkel des Gehäuseteils parallel zueinander verlaufen und gleich lang sind.
Hierfür streitet zunächst der Anspruchswortlaut. Dieser spricht lediglich von einem uförmigen Gehäuseteil ohne die Schenkel dieses Gehäuseteils bzw. des U näher zu spezifizieren.
Eine konkrete als zwingend zu betrachtende Ausgestaltung dieses Gehäuseteils, insbesondere in der Weise wie sie die Beklagte geltend macht, findet der Fachmann bei der Lektüre der Klagepatentbeschreibung nicht. Die Beschreibung erörtert an keiner Stelle die in Rede stehenden Schenkel. Soweit es in Absatz [0027] des Klagepatents heißt, im Querschnitt bildeten die beiden Gehäuseschalen 2 und 3 "zusätzlich ... eine der A-Form angehängte П-Form nach, mit anderen Worten, an der dem Benutzer abgewandten Seite des im Querschnitt pultförmigen Gehäuses schließe sich ein nach unten offener, im Querschnitt uförmiger Gehäuseteil an", erfolgt auch im Rahmen dieses bevorzugten Ausführungsbeispiels keine Befassung mit abschließenden Vorgaben zur Länge und Anordnung der Schenkel. Derartiges lässt sich auch nicht daraus ableiten, dass in Maschinenschrift sowohl bei dem Buchstaben U als auch bei dem Zeichen П die seitlichen Schenkel jeweils gleich lang sind und parallel zueinander verlaufen. Der Fachmann wird, wenn er diesen Punkt ernsthaft in Erwägung zieht, nicht bei dieser formalen Betrachtungsweise stehen bleiben. Er wird sich vielmehr fragen, ob es für die technische Lehre des Klagepatents notwendig ist, die Schenkel des Gehäuseteils einem maschinengeschriebenen U oder einem П exakt nachzubilden. Diese Frage wird er verneinen.
Bei der gebotenen funktionalen Auslegung ergibt sich, dass U-Förmigkeit im Sinne des Klagepatents weder die Parallelität der seitlichen Schenkel noch deren exakt gleiche Länge voraussetzt. Technischer Zweck des in Merkmal 4 beschriebenen uförmigen Gehäuseteils ist, wie sich insbesondere aus den Absätzen [0008], [0012], [0028], [0031], [0032] der Klagepatentschrift ergibt, Raum für die Aufnahme elektronischer Baugruppen zu schaffen. Darüber hinaus dient die U-Form zur Erfüllung der weiteren Aufgaben, eine servicefreundliche Tastatur zu schaffen und eine vereinfachte Montage zu erreichen. Denn die Hohlräume mit den elektronischen Baugruppen sind leicht zugänglich, die Montage und das Auswechseln der Baugruppen ist einfach. Entscheidend ist mithin die Ausbildung eines oder mehrerer Hohlräume, in dem die gewünschten Elemente untergebracht werden können. Dies ist unabhängig davon möglich, ob der nach unten offene Gehäuseteil geometrisch exakt einem U entspricht. Der erforderliche Raum sowie die leichte Zugänglichkeit sind auch dann gewährleistet, wenn der Gehäuseteil im Wesentlichen einem nach unten offenen U gleich kommt.
Der Fachmann wird überdies zur Kenntnis nehmen, dass in Anspruch 1 der nach unten offene im Querschnitt uförmige Gehäuseteil mit den Bezugsziffern 6 und 7 versehen ist. Dieselben Bezugszeichen finden sich in der Beschreibung, insbesondere Absatz [0027] des Klagepatents. Betrachtet der Fachmann nun die Figur 2 des Klagepatents wird er gewahr, dass in der dortigen bildlichen Darstellung eines bevorzugten Ausführungsbeispiels die kleineren Vertiefungen mit dem Bezugszeichen 6 und die mittige größere Vertiefung mit dem Bezugszeichen 7 belegt sind. Folglich sind in diesem Ausführungsbeispiel beide Vertiefungen als nach unten offener, im Querschnitt uförmiger Gehäuseteil beschrieben. Auf den mit der Bezugsziffer 7 versehenen Gehäuseteil trifft aber das von der Beklagten angeführte Verständnis des Begriffs "uförmig" nicht zu. Die dortigen seitlichen Schenkel verlaufen nicht parallel zueinander und sind augenscheinlich auch nicht exakt gleich lang. Darüber hinaus weist der sich an den im Querschnitt pultförmigen Gehäuseteil anschließende Schenkel des Gehäuseteils 7 in dem Ausführungsbeispiel gemäß Figur 2 eine Stufe auf.
Abschließend ist zu erwähnen, dass der uförmige Gehäuseteil nach der Lehre des Klagepatents weder den Zweck verfolgt, eine räumliche Trennung des pultförmigen Gehäuses gemäß Merkmal 3 von dem uförmigen Gehäuseteil gemäß Merkmal 4 herbeizuführen, noch dass dieser Gehäuseteil zwingend die Stabilisierung der schräggestellten Bodenfläche in der Schräglage durch den dem pultförmigen Gehäuseteil zugewandten Schenkel bewirken muss. Entsprechende Aufgaben schreibt das Klagepatent diesem nicht zu.
Auf Grundlage des dargelegten Verständnisses verwirklicht die angegriffene Ausführungsform auch das Merkmal 4 des Patentanspruchs 1. Denn an den im Querschnitt pultförmigen Gehäuseteil schließt sich an der dem Benutzer abgewandten Seite ein Gehäuseteil an, dessen Querschnitt an ein nach unten offenes "U" erinnert. Dass einer der seitlichen Schenkel nicht bis zur (fiktiven) Auflageebene reicht und in die zur (fiktiven) Auflageebene schräggestellte Bodenfläche übergeht, schadet nach dem vorgeschilderten Verständnis der "U"-Förmigkeit nicht.
III.
Angesichts der Patentverletzung stehen der Klägerin die gegen die Beklagte geltend gemachten Ansprüche zu. Die Klägerin ist, nachdem sie ihre Klage auf Benutzungshandlungen ab dem 03.08.2005, also dem Tag ihrer Eintragung, beschränkt hat, vollumfänglich aktivlegitimiert.
1.
Der Unterlassungsanspruch beruht auf § 139 Abs. 1 PatG, da die Benutzung des Erfindungsgegenstandes ohne Berechtigung erfolgt.
2.
Der Klägerin steht gegen die Beklagte dem Grunde nach für ab dem 03.08.2005 begangene Benutzungshandlungen ein Anspruch auf Zahlung von Schadensersatz aus § 139 Abs. 2 PatG zu, denn die Beklagte hat die Patentverletzung schuldhaft begangen. Als Fachunternehmen hätte die Beklagte die Patentverletzung bei Anwendung der im Geschäftsverkehr erforderlichen Sorgfalt zumindest erkennen können, § 276 BGB.
Die insoweit erhobene Feststellungsklage ist zulässig und begründet. Das für die Zulässigkeit des Feststellungsantrags gemäß § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse ergibt sich daraus, dass die Klägerin derzeit nicht in der Lage ist, den konkreten Schaden zu beziffern und ohne eine rechtskräftige Feststellung der Schadensersatzpflicht die Verjährung der Ansprüche droht.
Die Feststellungsklage ist begründet. Der Schadensersatzanspruch beruht -wie oben festgestellt- auf § 139 Abs. 2 PatG, wobei nicht unwahrscheinlich ist, dass der Klägerin als Inhaberin des Klagepatents durch die Patentverletzung ein Schaden entstanden ist.
3.
Darüber hinaus hat die Klägerin gegen die Beklagte einen Anspruch auf Rechnungslegung und Auskunft aus § 140b Abs. 1 PatG, §§ 242, 259 BGB. Der Anspruch auf Auskunft über die Herkunft und den Vertriebsweg der angegriffenen Ausführungsform ergibt sich aufgrund der unberechtigten Benutzung des Erfindungsgegenstands unmittelbar aus § 140b Abs. 1 PatG, der Umfang der Auskunftspflicht aus § 140b Abs. 3 PatG. Die weitergehende Auskunftspflicht und die Verpflichtung zur Rechnungslegung folgen aus §§ 242, 259 BGB, damit die Klägerin in die Lage versetzt wird, den ihr zustehenden Schadensersatzanspruch zu beziffern. Die Klägerin ist im Übrigen auf die Angaben angewiesen, über die sie ohne eigenes Verschulden nicht verfügt; die Beklagte wird durch die von ihr verlangten Auskünfte nicht unzumutbar belastet. Im Rahmen der gemäß § 140 b PatG bestehenden Auskunftspflicht hat die Beklagte außerdem die betreffenden Belege zu überlassen (vgl. OLG Düsseldorf, InstGE 5, 249 - Faltenbalg). Hinsichtlich der Angebotsempfänger war ihr ein Wirtschaftsprüfervorbehalt einzuräumen (vgl. OLG Düsseldorf, InstGE 3, 176 - Glasscheiben-Befestiger; Kühnen/Geschke, Die Durchsetzung von Patenten in der Praxis, 4. Aufl., Rn. 783).
4.
Ein Rückrufanspruch der Klägerin gegen die Beklagte ist nach § 140a Abs. 3 PatG im tenorierten Umfang gegeben. Es bestehen keine Anhaltspunkte für eine Unverhältnismäßigkeit des Rückrufs im Sinne von § 140a Abs. 4 PatG. Der Anspruch bezieht sich auf die Gegenstände, die seit dem 30.04.2006 in den Verkehr gelangt sind. Vor diesem Zeitpunkt bestand für einen Anspruch auf Rückruf keine Rechtsgrundlage. Zwar trat auch § 140a Abs. 3 PatG erst am 01.09.2008 in Kraft. Für die Zeit vor dem 01.09.2008 steht der Klägerin ein solcher Anspruch jedoch aus §§ 139 Abs. 1 PatG, 1004 Abs. 1 S. 1 BGB analog i. V. m. Art. 10 Abs. 1 der Richtlinie 2004/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.04.2004 zur Durchsetzung des geistigen Eigentums (Durchsetzungsrichtlinie) zu. Nach Art. 10 der Durchsetzungsrichtlinie, welche bis zum 29.04.2006 in nationales Recht hätte umgesetzt werden müssen, sollen die Mitgliedstaaten in ihren nationalen Rechtsordnungen vorsehen, dass dem Verletzten eine Möglichkeit gegeben wird, den Rückruf der patentverletzenden Ware aus den Vertriebswegen zu erreichen. Diese Rechtsfolge lässt sich im Wege richtlinienkonformer Auslegung aus § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB analog herleiten, denn diese Vorschrift berechtigt den Verletzten dazu, die "Beseitigung" der Beeinträchtigung zu verlangen (OLG Düsseldorf, I - 2 U 18/09, Urteil vom 27.01.2011; Hoge Raad, GRUR-Int. 2008, 955, 958 - De Endstra Tapes). Darunter ist auch der Rückruf patentverletzender Ware zu verstehen. Entsprechend sieht § 140a Abs. 3 PatG in Umsetzung der Durchsetzungsrichtlinie einen Anspruch auf Rückruf patentverletzender Erzeugnisse vor.
5.
Die Klägerin hat gegen die Beklagte darüber hinaus einen Anspruch auf Zahlung der zugesprochenen Rechts- und Patentanwaltskosten. Der Anspruch beruht auf § 139 Abs. 2 PatG. Die Höhe der angesetzten Kosten erscheint nachvollziehbar. Auch hat die Beklagte die Höhe der von der Klägerin angesetzten Kosten nicht bestritten. Der Anspruch auf die geltend gemachten Zinsen ergibt sich aus §§ 288 Abs. 1 S. 2, 291 BGB.
IV.
Zu einer Aussetzung des Verfahrens nach § 148 ZPO im Hinblick auf die von der Beklagten als Anlage E vorgelegte Nichtigkeitsklage besteht kein hinreichender Anlass.
Nach ständiger Rechtsprechung der Kammer (Mitt. 1988, 91 - Nickel-Chrom-Legierung; BlPMZ 1995, 121 - Hepatitis-C-Virus), die auch vom Oberlandesgericht Düsseldorf (GRUR 1979, 188 - Flachdachabläufe; Mitt. 1997, 257, 258 - Steinknacker) und vom Bundesgerichtshof (GRUR 1987, 284 - Transportfahrzeug) gebilligt wird, stellen ein Einspruch gegen das Klagepatent oder die Erhebung einer Nichtigkeitsklage als solche noch keinen Grund dar, den Verletzungsrechtsstreit auszusetzen, weil dies faktisch darauf hinauslaufen würde, dem Angriff auf das Klagepatent eine den Patentschutz hemmende Wirkung beizumessen, die dem Gesetz fremd ist. Die Interessen der Parteien sind vielmehr gegeneinander abzuwägen, wobei grundsätzlich dem Interesse des Patentinhabers an der Durchsetzung seines erteilten Patents Vorrang gebührt. Angesichts des Umstandes, dass ein Patent seinem Inhaber nur ein zeitlich begrenztes Monopolrecht verleiht und dass ein wesentlicher Teil dieses Rechtes, nämlich der Unterlassungsanspruch gegenüber einem Patentverletzer, durch eine Aussetzung der Verhandlung des Verletzungsrechtsstreits praktisch suspendiert würde, kommt eine Aussetzung wegen eines gegen das Klagepatent anhängigen Einspruchs- oder Nichtigkeitsverfahrens nur dann in Betracht, wenn ein Widerruf oder eine Vernichtung des Klageschutzrechtes nicht nur möglich, sondern mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. Ist dies nicht der Fall, so verdient das Interesse des Patentinhabers an einer alsbaldigen Durchsetzung seiner - zeitlich ohnehin begrenzten - Rechte aus dem Patent den Vorrang vor dem Interesse der Gegenpartei, nicht aus einem Patent verurteilt zu werden, das sich möglicherweise später als nicht rechtsbeständig erweist. Eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für einen Widerruf oder eine Vernichtung des Klagepatents wiederum kann regelmäßig dann nicht angenommen werden, wenn der ihm am nächsten kommende Stand der Technik bereits im Erteilungsverfahren berücksichtigt worden ist oder wenn neuer Stand der Technik lediglich belegen soll, dass das Klagepatent nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht, sich jedoch auch für eine Bejahung der Erfindungshöhe, die von der wertenden Beurteilung der hierfür zuständigen Instanzen abhängt, zumindest noch vernünftige Argumente finden lassen.
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze besteht keine Veranlassung zur Aussetzung des vorliegenden Verletzungsrechtsstreits. Aus dem Vorbringen der Beklagten in der von ihr erhobenen Nichtigkeitsklage ergibt sich nicht mit der für eine Aussetzung erforderlichen überwiegenden Wahrscheinlichkeit, dass der Gegenstand des Hauptanspruchs 1 des Klagepatents vom Bundespatentgericht für nichtig erklärt werden wird.
1.
Die Beklagte stützt die Nichtigkeitsklage zunächst auf eine mangelnde erfinderische Tätigkeit. Insoweit führt sie die im Erteilungsverfahren gewürdigte Druckschrift EP C(Anlage NK 6) an und erklärt dazu, die in der NK 6 offenbarte Bauweise führe zu einem eklatanten Mangel, nämlich dazu, dass sich in die obere Gehäuseschale eintretende Feuchtigkeit dort sammeln könne. Dies habe die NK 6 erkannt und zur Abhilfe die Anbringung von Schlitzen vorgeschlagen. Für den Fachmann sei aber sofort ersichtlich, dass das Anbringen von Schlitzen allein nur eine suboptimale Lösung darstelle. Für den Fachmann sei eine simple und unmittelbar naheliegende Maßnahme, die Bodenfläche der Gehäuseschale in Schrägstellung zu bringen, so dass sie ein Gefälle hin zu den Schlitzen aufweise, was den Feuchtigkeitsabtransport erleichtere. Die Schrägstellung der Tastatur bzw. einer die Tastatur tragenden Gehäuseschale sei dem Fachmann aus den - nicht im Erteilungsverfahren berücksichtigten - Druckschriften DE G (Anlage NK 12), US I(Anlage NK 13) sowie DE H (Anlage NK 14) bekannt. Durch Kombination dieser Druckschriften käme der Fachmann ohne erfinderische Tätigkeit zum Gegenstand des Klagepatents.
Dieser Argumentation vermag die Kammer nicht zu folgen. Sie rechtfertigt nicht die Prognose, dass das Bundespatentgericht das Klagepatent für nichtig erklären wird. Denn es ist auf der Grundlage des Beklagtenvortrages nicht ersichtlich, was dem Fachmann Veranlassung zur Kombination der genannten Druckschriften gegeben haben sollte.
Um das Begehen eines von den bisher beschrittenen Wegen abweichenden Lösungswegs nicht nur als möglich, sondern dem Fachmann nahegelegt anzusehen, bedarf es - abgesehen von den Fällen, in denen für den Fachmann auf der Hand liegt, was zu tun ist - in der Regel zusätzlicher, über die Erkennbarkeit des technischen Problems hinausreichender Anstöße, Anregungen, Hinweise oder sonstiger Anlässe dafür, die Lösung des technischen Problems auf dem Weg der Erfindung zu suchen (BGH, GRUR 2009, 746 - Betrieb einer Sicherheitseinrichtung; BGH, GRUR 2010, 407 - einteilige Öse). Daraus kann man entnehmen, dass es positive Anregungen im Stand der Technik geben muss, in Richtung des Klagepatents weiter zu denken. Der Fachmann muss auf die Problemstellung kommen, die dem Klagepatent zugrunde liegt und er muss Hinweise bekommen, dass man dieses Problem mit Mitteln des Klagepatents löst. Diesbezüglich ist aber lediglich vorgetragen, dass für den Fachmann sofort ersichtlich sei, dass die von der NK 6 zur Bewältigung des Feuchtigkeitsproblems vorgeschlagene Lösung, nämlich das Anbringen von Schlitzen allein, suboptimal sei. Dies allein überzeugt nicht. Denn die NK 6 führt zum Feuchtigkeitsproblem in Spalte 2, Zeilen 13 bis 19 folgendes aus:
"Ein weiterer Vorteil liegt in der punktförmigen vorzugsweise schrägen Lagerung des Tastenfeldes und der Tasten-Elektronik. Eintretende Feuchtigkeit wird in der oberen Gehäuseschale aufgefangen und kann durch in der oberen Gehäuseschale eingebrachte Schlitze ablaufen, ohne auf dem Tastenfeld oder der Tastatur-Elektronik aufzuliegen."
Für den Fachmann ist das Feuchtigkeitsproblem in der NK 6 durch das Anbringen von Schlitzen -wahlweise verbunden mit einer Schrägstellung des Tastenfeldes / der Tastatur-Elektronik- gelöst. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass der Fachmann Veranlassung gehabt hätte, weitere Überlegungen zur Lösung des Feuchtigkeitsproblems anzustellen und dieses durch Kombination mit anderen Druckschriften zu lösen, sind nicht vorgetragen. Hinzu kommt, dass formulierte Aufgabe des Klagepatents das Aufzeigen einer weiteren einfachen Tastatur, die montage-, servicefreundlich und kostenoptimiert aufgebaut ist (Anlage K 1, Absatz [0005]) ist, während die Verbesserung des Feuchtigkeitsabflusses in der Klagepatentschrift lediglich als weiterer positiver Effekt der Schrägstellung der Bodenfläche beschrieben wird (Anlage K 1, Absatz [0010]). Dafür, dass der Fachmann anhand des Standes der Technik auf die dem Klagepatent zugrunde liegende Problemstellung käme und Hinweise dafür erhielte, dass man dieses Problem mit Mitteln des Klagepatents löst, ist auf der Grundlage des vorgetragenen Sach- und Streitstandes nichts ersichtlich. Er hatte auf dieser Grundlage auch keine Veranlassung dazu, die Lehre der NK 6 mit den technischen Lehren der weiteren Entgegenhaltungen NK 12 bis NK 14 zu verbinden. Insoweit handelt es sich eher um eine rückschauende Betrachtung.
Bezüglich der von der Beklagten angeführten Druckschrift US Ikommt hinzu, dass diese nur in englischer Sprache vorliegt und deshalb vom Gericht bei der Abwägung nicht zu berücksichtigen ist.
Inwieweit eine Kombination mit der NK 8 dem Fachmann Hinweise auf die dem Klagepatent zu Grunde liegende Problemstellung sowie auf die Lösung des Problems mit Mitteln des Klagepatents geben sollte, ist nach dem vorgetragenen Sach- und Streitstand nicht ersichtlich. Die als Anlage NK 9 beigefügte Schnittzeichnung der in der NK 8 offenbarten Tastatur zeigt einen anderen Querschnitt als Hauptanspruch 1 des Klagepatents. Insbesondere verläuft die Bodenfläche der oberen Gehäuseschale nicht schräg zu einer fiktiven Auflageebene (Merkmal 3.3 des Hauptanspruchs 1).
2.
Dafür, dass das Klagepatent wegen unzulässiger Erweiterung für nichtig erklärt werden wird, besteht keine überwiegende Wahrscheinlichkeit.
Für die Frage, ob eine unzulässige Erweiterung vorliegt, ist der Gegenstand des erteilten Patents mit dem Inhalt der ursprünglichen Unterlagen zu vergleichen. Der Inhalt der Patentanmeldung ist dabei der Gesamtheit der Unterlagen zu entnehmen. Entscheidend ist, ob die ursprüngliche Offenbarung für den Fachmann erkennen ließ, dass der geänderte Lösungsvorschlag von vornherein von dem Schutzbegehren mit umfasst werden sollte (BGH GRUR 2010, 509 - Hubgliedertor I, m. w. N.). Patentansprüche, Beschreibung und Zeichnungen der Anmeldeunterlagen sind gleichwertige Offenbarungsmittel (BGH GRUR 2010, 599 - Formteil, m. w. N.).
Dass es sich bei der Aufnahme von "pultfömig" und "uförmig" in den Patentanspruch 1 um unzulässige Erweiterungen handelt, ist nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit anzunehmen. Zwar sprachen die Anmeldeunterlagen insoweit von "Λ-Form" und "П-Form". Der Fachmann dürfte der Anmeldung aber entnommen haben, dass damit auch ein "pultförmiges" Gehäuse und ein "uförmiger" Gehäuseteil unter Schutz gestellt werden sollte. Zum einen wurde zur Wahl des Symbols Λ in Absatz [0022] der Offenlegungsschrift (Anlage NK 2) klargestellt, dass die obere offene Gehäuseschale innerhalb des Gehäuses schrägliegend ein- bzw. angebracht ist. Zum anderen konnte der Fachmann der Figur 2 der Offenlegungsschrift eine im Sinne der Lehre des Klagepatents pultförmige Ausgestaltung entnehmen. Die Pultförmigkeit nach der Lehre des Klagepatents geht auch nicht insoweit über die "Λ-Form" hinaus, als auch kastenförmige Querschnitte erfasst würden. Denn der Patentanspruch 1 macht eine klare Vorgabe dazu, dass die Pultförmigkeit durch die Schrägstellung der gemeinsamen Boden-/Deckfläche erreicht wird. Ebenso konnte der Fachmann der Offenlegungsschrift entnehmen, dass der als im Querschnitt "П-förmig" bezeichnete Gehäuseteil ein nach unten offener Gehäuseteil ist, der über einen Hohlraum zwischen zwei Stegen verfügt. Aus den Absätzen [0025] und [0026] der Offenlegungsschrift erfährt der Fachmann, dass der П-förmige Gehäuseteil zur Aufnahme elektronischer Baugruppen vorgesehen ist. Darüber hinaus entnimmt er diesen Absätzen, dass die in Figur 2 mit den Bezugsziffern 6 und 7 versehenen Gehäuseteile den П-förmigen Gehäuseteil darstellen. Der Fachmann erkennt, dass der П-förmige Gehäuseteil nicht über exakt gleich lange und parallel zueinander verlaufende seitliche Schenkel verfügen muss, um den ihm zugeschriebenen technischen Sinn und Zweck zu erfüllen. Insoweit ist auch bezüglich der Aufnahme der U-Förmigkeit in den Patentanspruch keine Prognose dahingehend angezeigt, dass es sich um eine unzulässige Erweiterung handelt.
Hinzu kommt, dass die Angaben der "Λ-Form" und "П-Form" seitens der Prüfstelle im Erteilungsverfahren als unklar bezeichnet worden waren, so dass gewichtige Anhaltspunkte dafür gegeben sind, dass die Prüfstelle im Erteilungsverfahren nicht nur geprüft hat, ob durch die Aufnahme der Pultförmigkeit und der U-Förmigkeit die erforderliche Klarheit geschaffen wurde, sondern sich auch damit befasst hat, ob die Änderung der Bezeichnungen zu einer unzulässigen Erweiterung führt. Denn die Aufmerksamkeit war bereits auf diese Bezeichnungen gerichtet.
3.
Umstände, die eine Prognose rechtfertigen würden, dass das Klagepatent wegen mangelnder Ausführbarkeit mit überwiegender Wahrscheinlichkeit für nichtig erklärt werden wird, sind nicht gegeben. Eine Erfindung ist ausführbar offenbart, wenn die in der Patentanmeldung enthaltenen Angaben dem fachmännischen Leser so viel an technischer Information vermitteln, dass er mit seinem Fachkönnen in der Lage ist, die Erfindung erfolgreich auszuführen (BGH, GRUR Int 2010, 1071 - Klammernahtgerät). Es ist nicht erforderlich, dass bereits der Patentanspruch alle zur Ausführung der Erfindung erforderlichen Angaben enthält. Vielmehr genügt es, wenn der Fachmann die insoweit notwendigen Einzelangaben der allgemeinen Beschreibung oder den Ausführungsbeispielen entnehmen kann (BGH, GRUR Int 2010, 1062 [1064] - Polymerisierbare Zementmischung, m.w.N.).
Insoweit beruft die Beklagte sich darauf, dass die Prüfungsstelle im Erteilungsverfahren bemängelt habe, dass nicht klar sei, was mit einem "Λ-förmigen" Gehäuse gemeint sein könne. Wie sich aus der NK 1 (dort S. 19, letzter Satz vor Ziff. 2)) ergibt, beschränkte sich die Kritik jedoch darauf, dass der Fachmann ohne Zuhilfenahme der Beschreibung und Zeichnungen nicht erkennen könne, welche technische Lehre unter Schutz gestellt werden solle. Diese Einschätzung teilt die Kammer. Für den Fachmann war jedenfalls aus der Gesamtheit der Offenlegungsschrift zu entnehmen, was mit "Λ-Form" gemeint war. Zum einen wurde zur Wahl des Symbols Λ in Absatz [0022] der Offenlegungsschrift (Anlage NK 2) klargestellt, dass die obere offene Gehäuseschale innerhalb des Gehäuses schrägliegend ein- bzw. angebracht ist. Zum anderen konnte der Fachmann der Figur 2 der Offenlegungsschrift die durch die Schrägstellung der gemeinsamen Boden-/Deckfläche erzielte Gehäuseform entnehmen. Unter Anwendung der vorgenannten Grundsätze ist eine mangelnde Ausführbarkeit wegen unzureichender Offenbarung nicht gegeben. Denn der Fachmann kann unter Zuhilfenahme von Beschreibung und Zeichnungen der Offenbarungsschrift die technische Lehre der Erfindung zu erkennen.
IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1, 269 Abs. 3 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 S. 1 ZPO.
Streitwert: 250.000,00 €
V.
Der nicht nachgelassene Schriftsatz der Beklagten vom 18.02.2011 gibt keinen Anlass zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung. Es ist auch nicht ersichtlich, inwieweit die Beklagte an der Geltendmachung eines Doppelschutzes in der mündlichen Verhandlung vom 15.02.2011 gehindert war. Die Erteilung des EP J, auf das sich die Beklagte insoweit beruft, wurde am 18.08.2010 veröffentlicht.
Voß Dr. Rinken Müller
LG Düsseldorf:
Urteil v. 15.03.2011
Az: 4b O 266/09
Link zum Urteil:
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