Oberlandesgericht München:
Urteil vom 8. August 2008
Aktenzeichen: 25 U 5188/07

(OLG München: Urteil v. 08.08.2008, Az.: 25 U 5188/07)

Tenor

I. Das Endurteil des Landgerichts Ingolstadt vom 10.10.2007 wird abgeändert:

Es wird festgestellt, dass die Beklagte im Hinblick auf gegen die Klägerin gerichtete Schadensersatzansprüche, welche derzeit beim Landgericht Ingolstadt unter dem Az. 5 O 1918/06 eingeklagt werden, Deckungsschutz zu gewähren hat.

II. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Die Klägerin war im Zeitraum vom 01.08.2000 bis 31.07.2005 bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten als Rechtsanwältin mit einer Berufshaftpflichtversicherung in Form einer Einzelpolice versichert.

Die Klägerin war in diesem Zeitraum bei einer Sozietät in Ingolstadt tätig.

Im Verfahren 5 O 1918/06 vor dem Landgericht Ingolstadt nimmt ein ehemaliger Mandant die Klägerin als Scheinsozia wegen von den Gesellschaftern der Sozietät unterschlagenen Fremdgeldes in Höhe von 8.025,74 Euro in Anspruch, da sie auf dem Kanzleibriefbogen mit aufgeführt gewesen war. Das Verfahren wurde auf Antrag der Parteien zum Ruhen gebracht.

Im Wege der vorweggenommenen Deckungsklage beantragt die Klägerin Feststellung, dass die Beklagte ihr Deckungsschutz zu gewähren hat.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die tatsächlichen Feststellungen im Urteil des Landgerichts Ingolstadt vom 10.10.2007 Bezug genommen (§ 540 I 1 Nr. 1 ZPO) mit der Maßgabe, dass in dem Versicherungsschein (Anlage B 6) auf die von der Beklagten als Anlage B 8 vorgelegten Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Vermögensschadenshaftpflichtversicherung von Rechtsanwälten und Patentanwälten (mit Risikobeschreibung) € AVB-A der Beklagten (im Folgenden: AVB) verwiesen ist.

Die fraglichen § 12 I 1 und III AVB lauten:

§ 12 I 1: "Als Sozien gelten Berufsangehörige, die ihren Beruf nach außen hin gemeinschaftlich ausüben, ohne Rücksicht darauf, ob sie durch Gesellschaftsvertrag oder einen anderen Vertrag verbunden sind."

§ 12 III: "Ein Ausschlussgrund nach § 4, der in der Person eines Sozius vorliegt, geht zu Lasten aller Sozien."

Das Landgericht Ingolstadt hat durch Urteil vom 10.10.2007 die Klage mit der Begründung abgewiesen, dass die Versicherungsbedingungen der Beklagten nach § 5 a II VVG in den Versicherungsvertrag einbezogen worden seien und dass damit der Ausschluss für Veruntreuungsschäden auch für die Klägerin als Scheinsozia gelte.

Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Berufung.

Sie verweist auf ihren erstinstanzlichen Vortrag und führt im Wesentlichen aus: Die "Sozienklausel" in den Versicherungsbedingungen der Beklagten sei überraschend. Zudem fehle die Transparenz. Die Sozienklausel in § 12 I AVB sei nicht eindeutig, soweit sie zur Definition des Begriffs "Sozius" auf die gemeinschaftliche Berufsausübung nach außen abstelle. Eine Zurechnung des Verhaltens der echten Sozien bei freien Mitarbeitern oder Angestellten, auch wenn diese als Scheinsozien auf den Briefkopf erschienen, sei unangemessen. Da ein unabhängiger Versicherungsvertrag bestehe, würde dies auf eine Ausweitung der Repräsentantenhaftung durch allgemeine Versicherungsbedingungen hinauslaufen. Die Klausel sei überraschend und mit dem wesentlichen Grundgedanken der Gesetzesregelung nicht zu vereinbaren. Der Versicherungsschutz könne zudem nicht weiter als nach § 51 BRAO zulässig verkürzt werden.

Die Klägerin hat im Termin vom 27.05.2008 Gehaltsabrechnungen für den Zeitraum von August 2000 bis Juli 2005 eingereicht mit dem Hinweis, dass sich daraus ihre Angestellteneigenschaft ergebe.

Die Klägerin beantragt:

1. Das Endurteil des Landgerichts Ingolstadt vom 10.10.2007 wird aufgehoben.

2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte im Hinblick auf gegen die Klägerin gerichtete Schadensersatzansprüche, welche derzeit beim Landgericht Ingolstadt unter dem Aktenzeichen 5 O 1918/06 eingeklagt werden, Deckungsschutz zu gewähren hat.

Hilfsweise beantragt sie,

das Urteil des Landgerichts Ingolstadt vom 10.10.2007 aufzuheben und die Sache zur weiteren Verhandlung an das Landgericht Ingolstadt zurückzuverweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Vorsorglich beantragt sie,

die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache und zur Fortbildung des Rechts zuzulassen.

Nach ihrer Rechtsauffassung wurde der Begriff des Sozius in den Versicherungsbedingungen eindeutig definiert. Die verschuldensunabhängige Haftung von Sozien und Scheinsozien auch für Veruntreuungen dritter Personen sei keine Frage der versicherungsvertraglichen Deckung, sondern ergebe sich aus der Haftpflichtrechtsprechung des Bundesgerichtshofs. Die Sozienklausel des § 12 I 1 AVB sei unbedingt erforderlich, um den Gleichlauf der Haftung im Außenverhältnis einerseits und der versicherungsvertraglichen Deckung andererseits sicherzustellen. Die Klausel sei nicht überraschend. Dass Versicherungsschutz wegen Schäden durch Veruntreuung durch Personal, Sozien oder Angehörige des Versicherungsnehmers ausgeschlossen sei, entspreche der Regelung in § 51 BRAO. Es treffe auch nicht zu, dass ein angestellter Anwalt weniger Einfluss auf die Organisation der Kanzlei und Kontrollmöglichkeiten habe. Denn auch ein echter Sozius habe faktisch keine Möglichkeit, sich gegen Veruntreuungen durch andere Sozien zu schützen. Dass die Klägerin nicht Gesellschafterin sondern nur Angestellte der Sozietät gewesen sei, sei bereits erstinstanzlich mit Nichtwissen bestritten worden. Jedenfalls habe die Beklagte hiervon keine Kenntnis gehabt. Zudem sei der Anspruch auf Herausgabe der unterschlagenen Gelder ein Erfüllungsanspruch. Anspruchsgrundlage sei § 667 BGB i.V.m. § 675 BGB. Erfüllungsansprüche seien vom Versicherungsschutz der anwaltlichen Berufshaftpflichtversicherung nicht umfasst. § 51 BRAO stelle im Übrigen keine auf das Versicherungsverhältnis einwirkende Verbotsnorm dar. Wenn ein Anwalt mit einem Versicherer einen dem § 51 BRAO nicht genügenden Vertrag schließe, sei dieser nicht wegen Gesetzesverstoßes nichtig. Die rechtliche Gleichstellung von Scheinsozien mit echten Sozien durch die Regelung des § 12 I 1 AVB sei berufsrechtlich nicht zu beanstanden. Nach § 8 der anwaltlichen Berufsordnung (BORA) sei die Scheinsozietät berufsrechtlich zulässig. Es wäre widersprüchlich und somit treuwidrig, wenn sich der Mandant gegenüber dem Versicherer darauf berufen könnte, dass der Versicherte Anwalt nur Scheinsozius gewesen sei und die Erstreckung des Deckungsausschlusses für Veruntreuungen von Scheinsozien unzulässig sei. Denn wenn der Mandant sich gegenüber einem Anwalt auf Rechtsscheinshaftung berufe, müsse ihm dieser Rechtsschein auch vom Versicherer entgegengehalten werden können. Der Rechtsschein einer Gesellschafterstellung lasse für den Mandanten gerade erkennen, dass bei Veruntreuungen gemäß § 51 III Nr. 5 BRAO kein Versicherungsschutz bestehe. Würde der Versicherer gezwungen, bei Aufnahme von Scheinsozien auf Briefbögen, wovon er keine Kenntnis und worauf er keinen Einfluss habe, Veruntreuungen zu decken, würde dies zu einer unbilligen Belastung von Einzelanwälten und echten Sozietäten führen, da dies zwangsläufig zur Prämienerhöhung führen würde. Es liege allein in Händen des Anwalts, den durch Auftreten für die Sozietät nach außen gesetzten Rechtsschein zu vermeiden. Die mit einer etwaigen Haftung verbundene Härte könne nicht zu Lasten des beklagten Versicherers und der Versichertengemeinschaft gehen. Die Klägerin sei nicht nur auf den Briefbögen der Anwaltssozietät als gleichberechtigte Anwältin geführt worden, sondern auch in Anzeigen, in Telefon- und Adressverzeichnissen. Insoweit werde auf die als Anlage B 9 vorgelegten Ablichtungen Bezug genommen.

Der Senat hat im Termin vom 27.05.2008 die mögliche Auswirkung des Wortlauts des § 51 Abs. 1 BRAO auf die Ausschlussmöglichkeiten der Versicherer erörtert und darauf hingewiesen, dass die Beklagte beweispflichtig sei für eine echte Sozieneigenschaft der Klägerin.

Beide Parteivertreter haben sich im Termin vom 27.05.2008 mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren einverstanden erklärt.

Zur Ergänzung des Tatbestands wird Bezug genommen auf das Sitzungsprotokoll vom 27.05.2008, die Schriftsätze der Klägerin vom 15.12.2007, 26.05.2008 und 03.07.2008 sowie auf die Schriftsätze der Beklagten vom 30.04.2008 und 17.06.2008.

II.

Die Berufung ist zulässig (§§ 511, 517, 519, 520 ZPO) und begründet.

1. Der mit der Klage geltend gemachte Feststellungsantrag ist zulässig, da mit Inanspruchnahme der Klägerin ein rechtliches Interesse im Sinn von § 256 ZPO auf Feststellung der Verpflichtung der Beklagten zum Versicherungsschutz gegeben ist (Kummer in Münchner Anwaltshandbuch Versicherungsrecht, § 11 Rn. 328). Der vorweggenommene Deckungsprozess ist zulässig (BGH VersR 2001, 90, 91). Zu einem solchen Prozess kommt es häufig dann, wenn € wie hier € der Versicherer aus versicherungsrechtlichen Gründen die Leistung verweigert.

2. Im Rahmen der Begründetheitsprüfung ist im vorweggenommenen Deckungsprozess grundsätzlich auf die Behauptungen des Geschädigten abzustellen und nicht über den Haftpflichtanspruch zu entscheiden (BGH VersR 2001, 90, 91). Es ist daher nicht zu prüfen, ob der von dem Dritten gegen die Klägerin als Scheinsozia gerichtete Schadensersatzanspruch sachlich gerechtfertigt ist. Denn die Leistungspflicht des Haftpflichtversicherers umfasst gerade auch die Abwehr unbegründeter Ansprüche Dritter (Baumann in Berliner Kommentar zum VVG, § 149 Rn. 199). Auch der vom Versicherungsschutz umfasste Rechtsschutzanspruch nach § 150 I VVG a.F. auf Kostenbefreiung bzw. Vorschussleistung besteht unabhängig von der Begründetheit des Anspruchs (§ 150 I 2 VVG). Es kommt daher, da Zweifel an der Inanspruchnahme der Klägerin nicht bestehen, darauf an, ob die Beklagte die Leistung aus versicherungsrechtlichen Gründen verweigern darf.

3. Nach Auffassung des Senats sind § 12 I 1 und § 12 III der Allgemeinen Versicherungsbedingungen der Beklagten (Anlage B 8) unwirksam.

a) Zwar greift nicht die Unklarheitenregel des § 305 c II BGB, da nach dem Wortlaut des § 12 I 1 der Allgemeinen Versicherungsbedingungen der Beklagten (AVB) der Begriff "Sozien" dahin definiert ist, dass es allein auf die gemeinschaftliche Berufsausübung nach Außen und nicht auf das Bestehen eines Gesellschaftsvertrages ankommt. Die Klägerin war nicht Gesellschafterin, sondern Angestellte, wie sich aus den Gehaltsabrechnungen des Arbeitgebers für den Zeitraum August 2000 bis Juli 2005 ergibt. Die Beklagte hat dem auch nichts mehr entgegengesetzt. Nach außen trat die Klägerin jedoch ausweislich des im Termin vorgelegten Kanzleibriefkopfes und den von der Beklagten als Anlage B9 vorgelegten Eintragungen in der Liste der Rechtsanwälte im OLG-Bezirk München sowie in dem örtlichen Telefonverzeichnis als Gesellschafterin auf. Sie ist damit als Sozia im Sinne von § 12 I 1 AVB. Diese Regelung definiert Sozien als Berufsangehörige, die ihren Beruf nach außen hin gemeinschaftlich ausüben, ohne Rücksicht darauf, ob sie durch Gesellschaftsvertrag oder einen anderen Vertrag verbunden sind. Sowohl nach ihrem Inhalt wie nach ihrem erkennbaren Zweck der Begrenzung der Leistungspflicht ist die Bestimmung nur dahin auszulegen, dass sogenannte Scheinsozien den echten Sozien gleichgestellt werden sollen.

b) Die Bestimmung verstößt nicht gegen das Transparenzgebot in § 307 BGB, da sie für einen durchschnittlichen Versicherungsnehmer dahin zu verstehen ist, dass es für den Begriff "Sozien" allein auf die gemeinschaftliche Berufsausübung nach Außen ankommt. Unter Berücksichtigung dessen, dass es um die Bedingungen der Vermögenshaftpflicht für Rechtsanwälte geht, ist davon auszugehen, dass die Regelung wie § 8 der Berufsordnung für Rechtsanwälte (BORA) in dem Sinne, dass auch ein Angestelltenverhältnis darunter fällt, verstanden wird. In § 8 BORA heißt es betreffend die Kundgabe beruflicher Zusammenarbeit einer Rechtsanwaltsgesellschaft: "Auf eine gemeinschaftliche Berufsausübung darf nur hingewiesen werden, wenn sie in einer Sozietät, in sonstiger Weise (Angestelltenverhältnis, freie Mitarbeit) ... erfolgt."

32c) Die Regelung ist jedoch nach § 305 c I BGB unwirksam. Danach werden Klauseln nicht Vertragsbestandteil, mit denen der Vertragspartner nicht zu rechnen braucht. Eine generell nicht überraschende Klausel kann unter § 305 c I BGB fallen, wenn sie in den Text falsch eingeordnet, geradezu versteckt wird. Dies ist hier der Fall. Nicht beim Haftungsausschluss, der in § 4 AVB geregelt ist, wird die Gleichstellung von Sozien mit Scheinsozien vorgenommen, sondern bei den das Versicherungsverhältnis betreffenden Regelungen (Abschnitt C der AVB), wobei § 12 trägt die Überschrift "Sozien" trägt, was darauf hinweist, dass eine das Versicherungsverhältnis von Sozien betreffende Bestimmung gegeben ist. Für einen angestellten Rechtsanwalt ist danach nicht zu erwarten, dass sein Versicherungsverhältnis von dieser Regelung betroffen ist, insbesondere nicht, dass eine Bestimmung dahin, dass auch Angestellte als Sozien gelten enthalten ist.

33d) § 12 I 1 AVB i.V.m. § 12 III AVB ist zudem inhaltlich unangemessen, da sie mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist und auch wesentliche Rechte und Pflichten einschränkt, die sich aus der Natur des Vertrags ergeben, wodurch die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet wird (§ 307 II Nr. 1 und 2 BGB).

In § 12 III AVB heißt es: "Ein Ausschlussgrund nach § 4, der in der Person eines Sozius vorliegt, geht zu Lasten aller Sozien." Nach § 12 I AVB fallen hierunter auch Scheinsozien. Die Regelung erweitert daher die Haftungsausschlussregelung in § 4 AVB, die in Nr. 3 (Schäden durch Veruntreuung durch Personal, Sozien oder Angehörige des Versicherungsnehmers) und 5 (wissentliche Pflichtverletzung) im Wesentlichen mit der in § 51 III BRAO zur Berufshaftpflichtversicherung getroffenen Regelung übereinstimmt.

35Die Bestimmung des § 51 I BRAO begründet die Verpflichtung des Rechtsanwalts zum Abschluss einer Berufshaftpflichtversicherung in dem dort genannten Rahmen. Zwar trifft sie keine unmittelbare Regelung des Versicherungsverhältnisses zwischen dem Rechtsanwalt und der Versicherung. Es liegt jedoch eine Pflichtversicherung vor. Im Versicherungsvertragsgesetz ist zur Haftpflichtversicherung unter II "Besondere Vorschriften für die Pflichtversicherung" unter § 158 b II VVG a. F. geregelt, dass, wenn zum Abschluss einer Haftpflichtversicherung eine gesetzliche Verpflichtung besteht, der Versicherer dem Versicherungsnehmer unter Angabe der Versicherungssumme zu bescheinigen hat, dass eine dem zu bezeichnenden Gesetz entsprechende Haftpflichtversicherung besteht. Dem entspricht die als Anlage B 7 von der Beklagten vorgelegten Bestätigung ihrer Rechtsvorgängerin, der Frankfurter Versicherungs-AG zur Vorlage bei der zuständigen Rechtsanwaltskammer vom 10.08.2000, wonach die Klägerin eine Berufshaftpflichtversicherung abgeschlossen hat, in der die Voraussetzungen des § 51 BRAO erfüllt sind. Aus der Natur des Vertrages ergibt sich, dass der Vertragszweck gefährdet ist, wenn durch eine Ausweitung des nach § 51 BRAO zulässigen Haftungsausschlusses der gesetzlich gebotene und von der Versicherung auch bestätigte Versicherungsschutz nach Maßgabe des § 51 BRAO nicht mehr gewährleistet ist.

Sofern nach § 51 III Nr. 5 BRAO die Haftung für Ersatzansprüche wegen Veruntreuung durch Personal, Angehörige oder Sozien des Rechtsanwalts ausgeschlossen werden kann, ist diese Regelung schon nach dem Wortlaut der Bestimmung auf Sozien, d. h. Gesellschafter einer Rechtsanwaltsgesellschaft begrenzt. Nach ihrem Sinn, u.a. einer Kollusion vorzubeugen (Zugehör/Fischer/Sieg/Schlee, Handbuch der Anwaltshaftung, Rn. 2122), lässt die Regelung eine Begrenzung der Haftpflicht der Versicherung zu. Als Ausnahmeregelung ist sie eng auszulegen. Sie betrifft nach ihrem Wortlaut nur die "Sozien". Einer auf "echte" Sozien bezogenen Auslegung entspricht auch, dass ein Rechtsanwalt als Kanzleiinhaber oder Sozius auf Personal, wozu auch die Klägerin als angestellte Rechtsanwältin gehört, Angehörige oder Mitgesellschafter Einflussmöglichkeiten hat. Dem hingegen ist im Verhältnis des Angestellten zum Dienstberechtigten ein solcher Einfluss nicht gegeben, so dass im Interesse der Versicherung dem Zweck der Regelung, Kollusion zu verhindern, entsprechend kein Bedürfnis für einen Haftungsausschluss besteht. Soweit auch die Beschränkung des Haftungsrisikos teilweise zur Begründung des Ausschlusses herangezogen wird, kann dies nicht zur erweiternden Auslegung der klaren gesetzlichen Regelung führen, da auch die Interessen des Versicherungsnehmers zu berücksichtigen sind. Diese sind bei einer angestellten Rechtsanwältin einem Arbeitgeber bzw. Sozius nicht vergleichbar.

37Soweit in § 51 III Nr. 1 BRAO Ersatzansprüche wegen wissentlicher Pflichtverletzung ausgeschlossen werden können, entspricht dies dem im privaten Versicherungsrecht geltenden Prinzip (§ 61 VVG a.F.), dass der Versicherer von der Leistungspflicht frei wird, wenn der Versicherungsnehmer den Versicherungsfall vorsätzlich oder durch grobe Fahrlässigkeit herbeigeführt hat. § 152 VVG a. F. trifft eine Sonderregelung für die Haftpflichtversicherung dahin, dass der Versicherungsnehmer vorsätzlich den Eintritt der Tatsache, für die er dem Dritten verantwortlich ist, widerrechtlich herbeigeführt hat. Der Vorsatz braucht sich also nicht auf den Schadenseintritt beziehen. Es genügt, dass der Schaden auf einer wissentlichen Pflichtverletzung beruht (Henssler/Prütting, 2. Aufl., § 51 BRAO, Rn. 97). Eine wissentliche Pflichtverletzung der Beklagten als Versicherungsnehmerin, die einen Ausschluss nach § 51 III Nr. 1 BRAO begründen kann, liegt nicht vor. Es kann dahinstehen, ob die Erweiterung des Ausschlusses auch im Falle, dass der Ausschlussgrund in der Person eines Sozius vorliegt (§ 4 Nr. 5 AVB), zulässig ist. Jedenfalls stellt die Erweiterung auf sog. Scheinsozien in § 12 I 1, III AVB eine unangemessene Benachteiligung dar, da in der Person der Klägerin der Haftungsausschlussgrund "wissentliche Pflichtverletzung" (§ 51 III Nr. 1 BRAO) nicht gegeben ist und insoweit der nach § 51 I BRAO zwingend vorgeschriebenen Versicherungspflicht nicht genügt wird.

38Eine unangemessene Benachteiligung ist darüber hinaus auch deshalb anzunehmen, da die Erweiterung des Haftungsausschlusses für Scheinsozien, sofern sie aus Rechtsscheinsgesichtspunkten für wissentliche Pflichtverletzungen eines Gesellschafters haften, mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist (§ 307 II Nr. 1 BGB). Nach § 152 VVG a. F. haftet der Versicherer dann nicht, wenn der Versicherungsnehmer vorsätzlich den Eintritt der Tatsache, für die er dem Dritten verantwortlich ist, widerrechtlich herbeigeführt hat. Es geht um die Pflichtverletzung des Versicherungsnehmers, nicht die eines Dritten. Eine Zurechnung nach allgemeinen versicherungsrechtlichen Grundsätzen erfolgt nur dann, wenn der Dritte im Verhältnis zum Versicherer Repräsentant des Versicherungsnehmer ist. Da Versicherungsnehmer nicht die Gesellschaft, sondern die Klägerin selbst ist, geht es hier nicht darum, inwieweit nichtgeschäftsführende Gesellschafter Repräsentanten der Sozietät als Außengesellschaft, die rechtsfähig ist, soweit sie durch Teilnahme am Rechtsverkehr eigene Rechte und Pflichten begründet, sind (Prölss/Martin, Versicherungsvertragsgesetz, 27. Aufl., § 6 VVG Rn. 40; von Rintelen in Beckmann/Matusche-Beckmann, Versicherungsrechts-Handbuch, § 26 Rn. 296). Die Klägerin hatte als Angestellte keinen Einfluss auf das der Gesellschaft anvertraute Vermögen. Im Fall einer Kfz-Haftungsversicherung hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass, wenn mehrere Personen als Kfz-Halter eine Haftpflichtversicherung genommen haben und einer von ihnen eine Obliegenheit gegenüber dem Versicherer verletzt, dieser Verstoß im selbständigen Deckungsanspruch des anderen Versicherungsnehmers grundsätzlich nur dann berührt, wenn der eine Repräsentant des anderen ist oder der andere an dem Verstoß beteiligt gewesen ist (BGH VersR 1967, 990, 991).

Es kann dahinstehen, ob bei echten Sozien der den Verstoß begehende Gesellschafter Repräsentant des anderen ist. Es bestehen jedenfalls Bedenken für die Zurechnung eines durch einen Sozius begangenen Verstoßes an freie Mitarbeiter und Angestellte, auch wenn sie als Scheinsozien auf dem Briefkopf erscheinen. Diese erhebliche Verkürzung des Versicherungsschutzes ist faktisch eine Ausweitung der Repräsentantenhaftung durch allgemeine Versicherungsbedingungen und stellt eine unangemessene Benachteiligung dar (von Rintelen in Beckmann/Matusche-Beckmann, Versicherungsrechts-Handbuch, § 26 Rn. 296). Der Senat schließt sich dieser Auffassung an. So ist in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Haftpflichtversicherung (AHB) entsprechend § 152 VVG in § 4 II Nr. 1 ein Ausschluss nur für Versicherungsansprüche der Personen, die den Schaden vorsätzlich herbeigeführt haben, geregelt (§ 5 II Nr. 1 AHB, abgedruckt in Prölss/Martin, Versicherungsvertragsgesetz, 27. Aufl., Seite 1267 f. (1287)). Es kann dahinstehen, ob die Regelungen in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung der Rechtsvorgängerin der Beklagten, die im wesentlichen den Musterbedingungen zur Haftpflichtversicherung für Vermögensschäden entsprechen (abgedruckt in Prölss/ Martin, 27. Aufl., Seite 1502 ff), betreffend Ausschlüsse vom Versicherungsschutz für echte Sozien zulässig sind. Für eine angestellte Scheinsozia wie die Klägerin stellt die Regelung jedenfalls eine unangemessene Benachteiligung dar, da sie € anders als Sozien untereinander € aufgrund des Angestelltenverhältnisses keine gesellschaftsrechtlichen Einwirkungsmöglichkeiten auf die Gesellschafter hatte, insbesondere an der Verwaltung der Sozietätskonten nicht beteiligt war.

Die Versicherungsbedingungen der Beklagten bieten für die Klägerin zudem, wollte man den Ausschluss für gerechtfertigt ansehen, keinen angemessenen Schutz, da nach § 4 Ziffer 4 AVB (Anlage B 8) der Versicherungsschutz aus der Tätigkeit des Versicherungsnehmers als Angestellter ausgeschlossen ist, also Tätigkeiten, die die Beklagte als Angestellte ausführt, von der von ihr abgeschlossenen Haftpflichtversicherung nicht erfasst sind. Der Abschluss einer eigenen Haftpflichtversicherung der Beklagten als angestellte Rechtsanwältin ist aber nach den Vorschriften der Bundesrechtsanwaltsordnung (§ 51 BRAO) gleichwohl erforderlich (vgl. Sassenbach im Münchner Anwaltshandbuch, VersR, § 17 Rn. 7).

Der Einwand der Beklagten, die Klägerin müsse sich aufgrund des von ihr gesetzten Rechtsscheins auch der Versicherung gegenüber als Gesellschafterin behandeln lassen, greift nicht. Zum einen ist es nach § 8 BORA berufsrechtlich zulässig, dass echte Sozien und angestellte Rechtsanwälte auf den Briefkopf der Rechtsanwaltsgesellschaft gemeinsam nach Außen auftreten. Zum anderen besteht kein Grund, inwiefern der Versicherungsschutz im Falle einer Rechtscheinshaftung unbillig wäre.

4. Nach dem unstreitigen Sachverhalt kommt eine Haftung der Klägerin als Scheinsozia nach Rechtsscheinsgrundsätzen, die insbesondere auf den Grundsätzen zur Anscheins- und Duldungsvollmacht beruhen, in Betracht, soweit € was hier der Fall ist € die anwaltstypische Tätigkeit betroffen ist (BGH WM 2008, 1136).

Die Klägerin hat analog § 128 HGB für vertragliche Schadensersatzansprüche einzustehen. Da Gelder veruntreut und abweichend von der vertraglichen Verpflichtung verwendet sein sollten, besteht ein vertraglicher Schadensersatzanspruch aus positiver Vertragsverletzung des Geschäftsbesorgungsvertrages nach § 280 I BGB, der neben einem möglichen Erfüllungsanspruch gegeben ist (vgl. BGH NJW-RR 2004, 121, 122). Es handelt sich um einen gesetzlichen Haftpflichtanspruch privatrechtlichen Inhalts (§ 51 II BRAO). Hierunter fallen vertragliche Schadensersatzansprüche (Henssler/Prütting, BRAO, § 51 Rn.), da diese unabhängig vom Willen der Beteiligten an den Eintritt eines Ereignisses anknüpfen. Liegt ein Haftpflichtfall vor, schließen etwa noch zusätzlich bestehende Erfüllungsansprüche die Haftpflicht nicht aus. Dass Veruntreuungen unter § 51 II BRAO fallen, ergibt sich auch daraus, dass in § 51 II Nr. 5 BRAO hierfür unter den dort genannten Voraussetzungen eine Ausnahmeregelung von der Versicherungspflicht getroffen ist.

III.

1. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 I ZPO.

2. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

3. Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 543 II 1 Nr. 1 oder Nr. 2 ZPO nicht erfüllt sind. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Es ist nicht ersichtlich, dass über den vorliegenden Einzelfall hinaus die Entscheidung für die Allgemeinheit von Bedeutung ist. Die Revision ist auch zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nicht erforderlich. Klärungsbedürftige Rechtsfragen stehen nicht an, da eine spezielle Fallgestaltung gegeben ist. Soweit eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm (OLG Hamm VersR 1996, 1006) vorliegt, die die Definition des Begriffes des Sozius unbeanstandet lässt, ist die dort zu bewertende Klausel, die Notare, die ihren Beruf gemeinsam ausüben, betrifft, nicht vergleichbar.






OLG München:
Urteil v. 08.08.2008
Az: 25 U 5188/07


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