Bundespatentgericht:
Beschluss vom 27. Februar 2003
Aktenzeichen: 15 W (pat) 306/02
(BPatG: Beschluss v. 27.02.2003, Az.: 15 W (pat) 306/02)
Tenor
Das Patent wird in vollem Umfang widerrufen.
Gründe
I.
Auf die am 24. Januar 1998 eingereichte Patentanmeldung P 198 02 718.4-44 hat das Deutsche Patent- und Markenamt ein Patent mit der Bezeichnung
"Thermoplastische, kompostierbare Polymerzusammensetzung"
erteilt. Veröffentlichungstag der Patenterteilung ist der 21. Februar 2002.
Die Patentansprüche gemäß Streitpatent haben folgenden Wortlaut:
"1. Thermoplastische, kompostierbare Polymerzusammensetzung, erhalten durch Compoundierextrusion durch homogenes Mischen einer Schmelze aus Mehl (Biopolymer), Weichmachern und weiteren, abbaubaren thermoplastischen Polymerkomponenten, wobei die weiteren, abbaubaren thermoplastischen Polymerkomponenten ausgewählt sind aus der nachfolgenden Gruppe: aliphatische Polyester, aromatische Polyester, Polyestercopolymere mit aliphatischen und aromatischen Blöcken, Polyesteramide, Polyesterurethane, Cellulosederivate, Polymermischungen auf Stärkebasis, Polymermischungen auf Cellulosebasis, Polyvinylalkohol, Derivate und/oder Blends der vorgenannten Komponenten, wobei als biopolymerer Agrarrohstoff Mais, Weizen, Triticale, Roggen, Gerste, Hafer, Sorghum, Hirse, Kartoffeln, Manioka, Tapioka oder Maranta in zerkleinerter Form als Grieß, Mehl oder Schrot verwendet wird und wobei ein Weichmacher oder Plastifizierungsmittel für das Mehl enthalten ist wie Glycerin und /oder Glycerinderivate, mehrwertige Zuckeralkohole wie Sorbit und/oder Derivate der Zuckeralkohole, Glykole und/oder deren Derivate, niedermolekulare Polyester, Polyesteramide und/oder Polyvinylalkohol, Milchsäure, Polymilchsäure oder Oligomere davon, die teilweise das Mehl anquellen oder anlösen, und die Zersetzungstemperatur so erniedrigen, dass das Mehl eine Schmelze bildet.
2. Kompostierbare Polymerzusammensetzung nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass das Plastifizierungsmittel oder die Mischung verschiedener Weichmacher in einer Menge von 5-40 Gew.-% bezogen auf das Mehl enthalten ist.
3. Kompostierbare Polymerzusammensetzung nach Anspruch 1 oder 2, dadurch gekennzeichnet, dass als Plastifizierungsmittel Wasser eingesetzt wird in einer Größenordnung von 0,1-30 Gew.-%, wobei für thermoplastische Polymermischungen als Granulate der Wassergehalt vor dem Verlassen des Extruders auf 1% oder weniger abgesenkt wird.
4. Kompostierbare Polymerzusammensetzung nach einem der Ansprüche 1 bis 3, dadurch gekennzeichnet, dass als Plastifizierungsmittel Wasser eingesetzt wird in einer Größenordnung von 0,1-30 Gew.-%, wobei für Polymermischungen, die nach dem Verlassen des Extruders als geschäumtes Band zu weiteren Gebrauchsgegenständen verarbeitet werden, das Wasser als Treibmittel in der Schmelze verbleibt und erst nach dem Ausextrudieren dampfförmig austritt bis sich eine Gleichgewichtsfeuchte in der Polymermischung einstellt.
5. Thermoplastische, kompostierbare Polymerzusammensetzung nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass die weiteren Polymerkomponenten aus aromatischen und/oder aliphatischen Dicarbonsäuren und weiteren Polyolen hergestellt sind.
6. Thermoplastische, kompostierbare Polymerzusammensetzung nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass als weitere Polymerkomponenten ein aliphatischer Polyester und/oder Copolyester enthalten ist wie Polycaprolacton, Polyhydroxybuttersäure, Polymilchsäure, Polyhydroxybuttersäure-Valeriansäure-Copolymer.
7. Thermoplastische, kompostierbare Polymerzusammensetzung nach einem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass ein Phasenvermittler verwendet wird, der als Blockpolymer erhältlich ist durch wasserfreies Mischen von Biopolymeren mit reaktionsfähigen Polymeren der Gruppe Polyesterurethan, Polyesteramid, homopolymerer Polyester, copolymerer Polyester.
8. Thermoplastische, kompostierbare Polymerzusammensetzung nach einem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass als weitere Additive mindestens eine der folgenden Komponenten enthalten ist: Füllstoffe, Antiflammmittel, Konservierungsmittel, Hydrophobierungsmittel, Farbstoffe, Celluloseester, Cellulosefasern, Polyvinylalkohol, Polyvinylacetat, Styrol-Butadien-Copolymere, Fettsäurederivate, Fasern, Vernetzungsmittel wie Dicarbonsäuren und deren Anhydride und/oder Natriumtrimetaphosphat, Harze auf der Basis Harnstoff-Formaldehyd, Melamin-Formaldehyd, Phenolformaldehyd.
9. Verfahren zur Herstellung einer thermoplastischen, kompostierbaren Polymerzusammensetzung nach einem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass der Polymerblend unter Verwendung von Wasser als ein Weichmacher in einem endothermen Misch/Compoundiervorgang erhalten wird.
10. Verfahren zur Herstellung einer thermoplastischen, kompostierbaren Polymerzusammensetzung nach einem der Ansprüche 1 bis 8, dadurch gekennzeichnet, dass der Polymerblend durch wasserfreies Mischen/Compoundieren in einem exothermen Extrusionsverfahren erhalten wird.
11. Verfahren zur Herstellung einer thermoplastischen, kompostierbaren Polymermischung nach einem der Ansprüche 1 bis 8, dadurch gekennzeichnet, dass das Mehl in einem Extrusionsverfahren durch homogenes Mischen in der Schmelze unter Verwendung von Plastifizierungsmittel und weiteren abbaubaren thermoplastischen Polymeren der nachfolgenden Gruppe erhalten wird: Polyesterurethan, Polyesteramid, aliphatische Polyester, aromatische Polyester, copolymere Polyester, Cellulosederivate, Stärkederivate, Stärkeblends und/oder Mischungen davon.
12. Verfahren zur Herstellung einer thermoplastischen, kompostierbaren Polymermischung nach einem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass das Mischen der Schmelze in einem Zweiwellenextruder bei einer Temperatur von 120-240oC erfolgt.
13. Verfahren zur Herstellung einer thermoplastischen, kompostierbaren Polymermischung nach einem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass nach dem homogenen Mischen in einem Extruder die Schmelze durch Düsen abgezogen wird, wobei das Extrudat mit Wasser gekühlt und anschließend granuliert wird.
14. Verfahren zur Herstellung einer thermoplastischen, kompostierbaren Polymermischung nach einem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass nach dem homogenen Mischen der Schmelze diese durch eine Flachdüse ausextrudiert wird und kontinuierlich im thermoplastischen Zustand zu einem Gebrauchsgegenstand umgeformt wird.
15. Verfahren zur Herstellung einer thermoplastischen, kompostierbaren Polymermischung nach Anspruch 13, dadurch gekennzeichnet, dass das Granulat der Polymermischung vor der weiteren Verarbeitung beispielsweise durch Spritzgießen, Flaschen- oder Folienblasen mit einem Weichmacher und/oder mit Wasser konditioniert wird.
16. Verwendung einer thermoplastischen, kompostierbaren Polymermischung nach einem der Ansprüche 1 bis 8 zur Herstellung von Ein- und Mehrschichtfolien.
17. Verwendung einer thermoplastischen, kompostierbaren Polymermischung nach einem der Ansprüche 1 bis 8 zur Herstellung von Spritzgusserzeugnissen.
18. Verwendung einer thermoplastischen, kompostierbaren Polymermischung nach einem der Ansprüche 1 bis 8 zur Herstellung von Flaschen und Behältern mittels Formblasen.
19. Verwendung einer thermoplastischen, kompostierbaren Polymermischung nach einem der Ansprüche 1 bis 8 zur Herstellung von Gebrauchsgegenständen wie Einweggeschirr, Trays, Becher, Teller, Portionsschalen, Fast Food Geschirr durch direktes Umformen der heißen thermoplastischen Schmelze.
20. Verwendung einer thermoplastischen, kompostierbaren Polymermischung nach Anspruch 19, dadurch gekennzeichnet, dass die Gebrauchsgegenstände mit wasserabweisendem Papier beschichtet sind."
Gegen die Patenterteilung haben die Firmen N... S.p.A in N1... I... - Einsprechende I, B... Biologische Naturverpackungen GmbH & Co. KG in E..., DE - Einsprechende II, N... Company in B..., N... J... V... - Einsprechende III, mit Schriftsatz eingegangen am 21. Mai 2002 beim Deutschen Patent- und Markenamt Einspruch erhoben und beantragt, das Patent in vollem Umfang zu widerrufen, hilfsweise eine mündliche Verhandlung anzuberaumen.
Gegenüber dem vorgebrachten Stand der Technik - hier verweisen die Einsprechenden übereinstimmend insbesondere auf die EP 696 611 A2 (1), US 3 850 863 (2), US 5 256 711 (5) sowie die nachveröffentlichte, jedoch gemäß § 3 (2) zur Neuheitsprüfung heranzuziehende WO 98/36018 A1 (3) - sei der Patentgegenstand nicht mehr neu und im übrigen auch nicht erfinderisch.
Nach Ladung zur mündlichen Verhandlung auf Montag, den 10. Februar 2003, beantragt die Patentinhaberin mit Schriftsatz vom 27. Dezember 2002, den Einspruch zurückzuweisen und das Patent unverändert aufrechtzuerhalten sowie eine Frist von zwei Monaten für die Einspruchserwiderung.
Mit Schriftsatz vom 17. Januar 2003 teilt die Patentinhaberin mit, dass sie den anberaumten Verhandlungstermin nicht wahrnehmen wird und beantragt, nach Aktenlage zu entscheiden.
Mit Terminsnachricht vom 23. Januar 2003 wurde den Verfahrensbeteiligten die Aufhebung des Verhandlungstermins mitgeteilt. Des weiteren wurde ihnen mit gleichem Schreiben die Entscheidung nach Aktenlage angekündigt.
Wegen weiterer Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Akten verwiesen.
II.
Die Einsprüche wurden form- und fristgerecht eingelegt und sind zulässig. Sie führen auch zum Erfolg. Das Patent war in vollem Umfang zu widerrufen.
Die Patentansprüche des Streitpatents ergeben sich aus den ursprünglich eingereichten Patentansprüchen 1, 2, 4 und 5, Wegfall des ursprünglichen Patentanspruchs 3 und durch Umnumerierung der ursprünglichen Patentansprüche 6 bis 24 in 2 bis 20, sodass hinsichtlich der ursprünglichen Offenbarung keine Bedenken bestehen.
Einer thermoplastischen, kompostierbaren Polymerzusammensetzung gemäß Patentanspruch 1 des Streitpatents mangelt es jedoch an der zur Patentierung erforderlichen Neuheit.
Die strittige, ggf geschäumte (vgl Streitpatent Anspruch 4), thermoplastische, kompostierbare Polymerzusammensetzung soll erhalten werden durch Compoundierextrusion durch homogenes Mischen einer Schmelze aus 1) einem biopolymeren Agrarrohstoff bzw Mehl, 2) Weichmachern oder Plastifizierungsmitteln, 3) weiteren abbaubaren thermoplastischen Polymerkomponenten, wobei die Komponenten gemäß Merkmal 2 das Mehl bzw Biopolymere gemäß Merkmal 1 teilweise so anquellen bzw anlösen und die Zersetzungstemperatur so erniedrigen, dass diese eine Schmelze bilden.
Aus der EP 696 611 A2 (1) ist bereits eine thermoplastische Polymerzusammensetzung bekannt, die durch Schmelzextrudieren eines Gemisches aus Komponenten der Merkmale 1 bis 3 erhalten wird und kompostierbare, dh bioabbaubare Eigenschaften aufweist, und die anschließend zu Schaumkörpern weiterverarbeitet wird (vgl aaO S 2 Z 41 bis 54 iVm S 3 Z 1 bis 3, 6 bis 8, 13 bis 17, 25 bis S 4 Z 19, sowie S 4 Z 35 bis 41). Expressis verbis genannt werden in (1) als Biopolymere bzw Mehl gemäß Merkmal 1 auch Stärkeprodukte aus Mais, Weizen, Kartoffeln, Tapioka (vgl aaO S 3 Z 6 bis 8 iVm Z 16 bis 17), als Weichmacher oder Plastifizierungsmittel Glycerin, Zuckeralkohole wie Sorbit, Mannit und Erythrit, sowie Polyvinylalkohol und deren Derivate (vgl aaO S 4 Z 38 bis 41), und als thermoplastische Polymere ua Cellulosederivate, Polymermischungen auf Cellulosebasis, Polyesterhomo- und copolymere, Polyvinylalkohole (vgl aaO S 3 Z 25 bis 26, Z 32 bis 34, S 4 Z 12 bis 13). Der Bestandteil "Polysaccharid" erstreckt sich gemäß (1) nicht nur auf das raffinierte Stärkemehl sondern auch auf Körner (vgl aaO S 3 Z 16 bis 17), die der offenbarten Anwendung entsprechend zwangsläufig in gemahlenem Zustand eingesetzt werden. Die Bestandteile werden gemischt im Extruder bei Temperaturen von 80 bis 210 Grad Celsius, insbesondere bei 150 bis 200 Grad Celsius, in den thermoplastischen Zustand und damit in die Schmelze überführt (vgl (1) S 3 Z 13 bis 15 iVm S 5 Z 12 bis 14, S 6 Z 42 bis 51 und Beispiel 1). Dass das Gemisch als Schmelze vorliegt, ergibt sich auch aus den Weiterverarbeitungsbeispielen (vgl zB (1) Tab 1 Spalte "Melt").
Somit weist die thermoplastische Polymerzusammensetzung gemäß (1) sämtliche Merkmale des Patentanspruchs 1 gemäß Streitpatent auf. Patentanspruch 1 ist daher mangels Neuheit nicht gewährbar.
Mit dem Patentanspruch 1 fallen auch alle anderen Patentansprüche, ohne dass es einer Prüfung und Begründung dahin bedarf, ob diese übrigen Patentansprüche etwas Schutzfähiges enthalten (BGH, GRUR 1997, 120 - Elektrisches Speicherheizgerät). Somit erübrigt sich auch, auf den Inhalt der zahlreichen weiteren vorgebrachten Druckschriften einzugehen.
Die Patentinhaberin hat unter Beibehaltung ihres Antrags auf unveränderte Aufrechterhaltung des Patents gebeten, nach Lage der Akten zu entscheiden. Hierbei handelt es sich um eine prozessuale Willenserklärung, mit der sie in der Einspruchsinstanz zum Ausdruck bringt, dass sie an dem weiteren Verfahren nicht mehr - wie an sich erforderlich - mitwirken will, sondern dass dieses umgehend zum Abschluss gebracht werden soll. Die Patentinhaberin hat sich damit einer weiteren Erörterung der Sach- und Rechtslage, die ihr durch Anberaumung einer mündlichen Verhandlung (PatG § 91 Abs 1 iVm ZPO § 139) eingeräumt worden ist, entzogen, so dass - wie geschehen - zu beschließen war.
Kahr Jordan Klante Egerer Pü
BPatG:
Beschluss v. 27.02.2003
Az: 15 W (pat) 306/02
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