Bundespatentgericht:
Beschluss vom 12. September 2002
Aktenzeichen: 23 W (pat) 38/01
(BPatG: Beschluss v. 12.09.2002, Az.: 23 W (pat) 38/01)
Tenor
Auf die Beschwerde der Anmelderin wird der Beschluß der Prüfungsstelle für Klasse H01J des Deutschen Patent- und Markenamts vom 26. März 2001 aufgehoben.
Die Sache wird auf der Grundlage der in der mündlichen Verhandlung überreichten Ansprüche zur weiteren Prüfung an das Deutsche Patent- und Markenamt zurückverwiesen.
Gründe
I.
Die Prüfungsstelle für Klasse H01J des Deutschen Patent- und Markenamts hat die am 12. März 1999 eingereichte Patentanmeldung mit der Bezeichnung "Plasmaanlage" durch Beschluß vom 26. März 2001 zurückgewiesen.
Zur Begründung ist ausgeführt, daß der Patentanspruch 1 vom 29. März 2000 mangels Neuheit seines Gegenstandes gegenüber dem Stand der Technik nach der - US-Patentschrift 5 013 578 (Druckschrift 1)
nicht gewährbar sei.
Zum Stand der Technik sind im Prüfungsverfahren außerdem die - US-Patentschrift 5 160 397 (Druckschrift 2)
- US-Patentschrift 4 891 118 (Druckschrift 3)
- europäische Offenlegungsschrift 0 729 173 (Druckschrift 4)
- japanische Offenlegungsschrift 10-79372 (Druckschrift 5)
(mit dazugehörigem englischsprachigen Abstract und prioritätsgleicher (nachveröffentlichter) US-Patentschrift 5 928 528)
in Betracht gezogen worden.
Von der Anmelderin sind in der Beschreibungseinleitung außerdem die - ältere deutsche Patentanmeldung 197 40 792.7 mit nachveröffentlichterdeutscher Offenlegungsschrift 197 40 792 (Druckschrift 6)
- US-Patentschrift 3 860 507 (Druckschrift 7)
- US-Patentschrift 5 427 827 (Druckschrift 8)
zum Stand der Technik genannt worden.
Gegen den vorgenannten Beschluß richtet sich die Beschwerde der Anmelderin.
Sie verteidigt ihr Schutzbegehren mit den in der mündlichen Verhandlung überreichten Patentansprüchen 1 bis 14 gemäß Hauptantrag, hilfsweise mit den Patentansprüchen 1 bis 13 gemäß Hauptantrag weiter und vertritt die Auffassung, daß die Gegenstände der neugefaßten nebengeordneten Patentansprüche 1 und 14 nach Hauptantrag gegenüber dem nachgewiesenen Stand der Technik, einschließlich des in der mündlichen Verhandlung vom Senat eingeführten - Patent Abstract of Japan zur japanischen Offenlegungsschrift 09129596
(Druckschrift 9)
jeweils patentfähig seien.
Die Anmelderin beantragt, den Beschluß der Prüfungsstelle für Klasse H01J des Deutschen Patent- und Markenamts vom 26. März 2001 aufzuheben und das Patent mit folgenden Unterlagen zu erteilen:
Ansprüche 1 bis 14, überreicht in der mündlichen Verhandlung, und noch anzupassende Beschreibung, hilfsweise Ansprüche 1 bis 13 gemäß Hauptantrag mit noch anzupassender Beschreibung.
Die nebengeordneten Patentansprüche 1 und 14 gemäß Hauptantrag lauten:
"1. Plasmaverfahren, wobei mit einer Plasmaanlage mit mindestens einer Plasmaquelle (10), die keine Mikrowellenplasmaquelle ist, in einem Vakuumrezipienten (13) ein Plasma (16) erzeugt wird, das auf ein Substrat (11) einwirkt, wobei an dem Substrat (11) über erste Mittel eine zeitlich periodisch variierende Plasmaintensität erzeugt wird, und wobei über zweite Mittel eine zeitlich periodisch variierende Substratspannung an das Substrat (11) angelegt wird, dadurch gekennzeichnet, daß die Frequenz der zeitlich periodischen Variation der Substratspannung kleiner als die Frequenz der zeitlich periodischen Variation der Plasmaintensität am Substrat (11) eingestellt wird.
14. Plasmaverfahren, wobei mit einer Plasmaanlage mit mindestens einer Plasmaquelle (10), die keine Mikrowellenplasmaquelle ist, in einem Vakuumrezipienten (13) ein Plasma (16) erzeugt wird, das auf ein Substrat (11) einwirkt, wobei an dem Substrat (11) über erste Mittel eine zeitlich periodisch variierende Plasmaintensität erzeugt wird, und wobei über zweite Mittel eine zeitlich periodisch variierende Substratspannung an das Substrat (11) angelegt wird, dadurch gekennzeichnet, daß das erste Mittel die Plasmaquelle (10) zeitlich gepulst betreibt, und daß mittels gesteuerter Gaseinlaßventile in Pulspausen der Plasmaquelle (10) ein dem Vakuumrezipienten (13) zugeführtes Prozeßgas durch ein frisches Prozeßgas ersetzt wird, oder daß mittels derer in Pulspausen der Plasmaquelle (10) einem dem Vakuumrezipienten (13) zugeführten Prozeßgas Bestandteile zugeführt werden, an denen es verarmt ist."
Wegen der geltenden Unteransprüche 2 bis 13 und der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist begründet; denn entsprechend dem in der mündlichen Verhandlung gestellten Antrag ist der angefochtene Beschluß aufzuheben, weil die im Zurückweisungsbeschluß genannten Gründe im Hinblick auf das geänderte Patentbegehren nicht mehr zutreffen; die Anmeldung ist mit den Patentansprüchen 1 bis 14 nach Hauptantrag zur weiteren Prüfung an das Deutsche Patent- und Markenamt zurückzuverweisen, weil der Gegenstand des erst im Beschwerdeverfahren neu hinzugekommenen nebengeordneten Patentanspruchs 14 nach Hauptantrag noch nicht ausreichend geprüft ist.
1. Die Patentansprüche 1 bis 14 nach Hauptantrag sind zulässig.
Der Patentanspruch 1 nach Hauptantrag findet inhaltlich eine ausreichende Stütze im ursprünglichen Anspruch 1 (Oberbegriff) iVm dem ursprünglichen Anspruch 11 und der ursprünglichen Beschreibung (Seite 6, Absatz 2) (Kennzeichen), gegenüber deren Offenbarungsgehalt das Merkmal nach dem kennzeichnenden Teil des neugefaßten Patentanspruchs 1 zulässig beschränkt ist. Der vorgenommene Wechsel der Patentkategorie von einer Plasmaanlage (ursprünglicher Anspruch 1) zu einem Plasmaverfahren (Anspruch 1 nach Hauptantrag) ist insofern zulässig, als die ursprünglich offenbarte Plasmaanlage das Plasmaverfahren nach dem Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag als dazugehörige Betriebsweise impliziert, d.h. auch das Plasmaverfahren insoweit der ursprünglichen Offenbarung der Erfindung entspricht (vgl. hierzu Schulte PatG 6. Aufl. § 1 Rdn 174). Durch den der Abgrenzung gegenüber dem Stand der Technik dienenden Disclaimer (Plasmaquelle (10), die keine Mikrowellenquelle ist) ist der Patentanspruch 1 nach Hauptantrag gegenüber dem ursprünglich Offenbarten zulässig beschränkt.
Das vorstehend zum Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag hinsichtlich des Patentkategoriewechsels Ausgeführte gilt entsprechend auch für die Patentansprüche 2 bis 14 nach Hauptantrag.
Sieht man von der geänderten Patentkategorie ab, so entspricht der Patentanspruch 2 nach Hauptantrag inhaltlich dem durch ein Merkmal (feste Phasenverschiebung) der ursprünglichen Beschreibung (Seite 5, Absatz 3 und Seite 11, Absatz 2) zulässig ergänzten ursprünglichen Anspruch 2.
Die Merkmale des Patentanspruchs 3 nach Hauptantrag sind im Rahmen eines bevorzugten Ausführungsbeispiels in der ursprünglichen Beschreibung (Seite 10, Absätze 2 und 4) offenbart.
Die Merkmale des Patentanspruchs 4 nach Hauptantrag sind in der ursprünglichen Beschreibung (Seite 6, letzter Absatz bis Seite 7, Absatz 1) als vorteilhaft offenbart.
Die Patentansprüche 5 bis 8, 10, 12 und 13 nach Hauptantrag entsprechen inhaltlich - in dieser Reihenfolge - den ursprünglichen Ansprüchen 3 bis 7, 12 bzw. 13.
Die Merkmale des Patentanspruchs 9 nach Hauptantrag sind wiederum in der ursprünglichen Beschreibung (Seite 7, Absatz 3) als zur Erfindung gehörend offenbart.
Der Patentanspruch 11 nach Hauptantrag stützt sich inhaltlich auf den ursprünglichen Anspruch 8 und das in der ursprünglichen Beschreibung (Seite 10, Zeilen 29 bis 31) erläuterte Ausführungsbeispiel.
Der geltende nebengeordnete Patentanspruch 14 enthält neben den Merkmalen des ursprünglichen Anspruchs 1 (Oberbegriff) zusätzlich die Merkmale des ursprünglichen Anspruchs 6 sowie vorteilhafte Merkmale aus der ursprünglichen Beschreibung (Seite 7, Absatz 3) (Kennzeichen).
2. Die Plasmaverfahren nach den nebengeordneten Patentansprüchen 1 bzw. 14 gemäß Hauptantrag sind durch den - eingangs genannten - nachgewiesenen Stand der Technik nicht patenthindernd getroffen.
a) Neuheit Die Gegenstände der Patentansprüche 1 bzw. 14 gemäß Hauptantrag sind gegenüber der auf eine ältere Anmeldung zurückgehenden, nachveröffentlichten - d.h. gemäß § 3 Abs 2 Satz 1 Nr. 1 iVm § 4 Satz 2 PatG nur bei der Neuheitsprüfung als Stand der Technik geltenden - Druckschrift 6 insofern neu, als diese ein - durch den Disclaimer der Patentansprüche 1 bzw. 14 gemäß Hauptantrag ausdrücklich ausgeschlossenes - Mikrowellen-Plasmaverfahren betrifft (vgl. die technische Bezeichnung iVm dem Anspruch 1 der Entgegenhaltung).
Die Neuheit der Gegenstände der Patentansprüche 1 bzw. 14 gemäß Hauptantrag gegenüber den vorveröffentlichten Druckschriften 1 bis 5 und 7 bis 9 ergibt sich implizit aus den nachfolgenden diesbezüglichen Ausführungen zur erfinderischen Tätigkeit.
b) Erfinderische Tätigkeit Der zuständige Durchschnittsfachmann ist zu definieren als ein mit Plasmaanlagen und Plasmaverfahren befaßter, berufserfahrener Physiker oder Elektroingenieur der Fachrichtung Hochfrequenztechnik mit Universitätsabschluß.
) Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 nach Hauptantrag ist dem vorstehend definierten zuständigen Durchschnittsfachmann durch die eine Vorrichtung zum Beschichten von Oberflächen mit Metall unter Verwendung eines Plasmas betreffende Druckschrift 1 insofern nicht nahegelegt, als gemäß dieser bei einem gattungsgemäßen Plasmaverfahren die Plasmaintensität und die Substratspannung mit ein und derselben Frequenz zeitlich periodisch variiert werden, wobei sie mit einer bestimmten Phasenverschiebung synchronisiert sind (Ansprüche 1 bis 3 iVm den Figuren 1, 3, und 4 mit zugehöriger Beschreibung). Nach Auffassung des Senats vermag auch der Hinweis, wonach die Phasenverschiebung zweckmäßigerweise geändert werden kann, um eine Vielzahl von Oberflächenmodifikations-Ergebnissen zu erzielen (Spalte 2, Zeilen 1 bis 10), den Fachmann nicht dazu anzuregen, die Frequenz der zeitlich periodischen Variation der Substratspannung kleiner als diejenige der Plasmaintensität am Substrat einzustellen, wie dies der Lehre nach dem kennzeichnenden Teil des Patentanspruchs 1 nach Hauptantrag entspricht.
Eine Anregung hierzu erhält der Fachmann auch nicht bei Einbeziehung der Druckschriften 2 bis 5 und 7 bis 9.
) Patentanspruch 14 gemäß Hauptantrag Durch die ein Plasma-Reinigungsverfahren für eine Reaktionskammer betreffende Druckschrift 9, gemäß der die Flußrate des Prozeßgases in Synchronisation mit den Pulsen der gepulsten Plasmaquelle - d.h. der Plasmaintensität - geändert wird, ist dem Fachmann nach Auffassung des Senats jedenfalls nicht das entscheidende Merkmal nach dem kennzeichnenden Teil des Patentanspruchs 14 gemäß Hauptantrag nahegelegt, wonach die Prozeßgaszufuhr in Pulspausen der zeitlich gepulst betriebenen Plasmaquelle zu erfolgen hat.
Eine Anregung hierzu kann der Fachmann auch bei Einbeziehung der diesbezüglich weiter weg liegenden Druckschriften 1 bis 5, 7 und 8 nicht erhalten.
3. Da im übrigen aber zu den aus der Beschreibung (Seite 7, Absatz 3) in den erst im Beschwerdeverfahren neu hinzugekommenen nebengeordneten Patentanspruch 14 nach Hauptantrag aufgenommenen Merkmalen, wonach mittels gesteuerter Gaseinlaßventile in Pulspausen der Plasmaquelle (10) ein dem Vakuumrezipienten (13) zugeführtes Prozeßgas durch eine frisches Prozeßgas ersetzt wird oder dem Prozeßgas Bestandteile zugeführt werden, an denen es verarmt ist, offenbar noch nicht recherchiert worden ist und nicht ausgeschlossen erscheint, daß ein weiterer, einer Patenterteilung möglicherweise entgegenstehender diesbezüglicher Stand der Technik existiert, wird die Sache zur weiteren Prüfung im Rahmen der in der mündlichen Verhandlung überreichten Patentansprüche 1 bis 14 gemäß Hauptantrag an das Deutsche Patent- und Markenamt zurückverwiesen (PatG § 79 Abs 3 Satz 1 Nr 1 und 3).
In die Nachrecherche sollte dabei zweckmäßigerweise auch die die Plasmatechnik betreffende IPC-Klasse H05H einbezogen werden.
Dr. Beyer Dr. Meinel Dr. Gottschalk Knoll Ko
BPatG:
Beschluss v. 12.09.2002
Az: 23 W (pat) 38/01
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